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Im Wingert lauert der Tod: Pfalz-Krimi
Im Wingert lauert der Tod: Pfalz-Krimi
Im Wingert lauert der Tod: Pfalz-Krimi
eBook296 Seiten4 Stunden

Im Wingert lauert der Tod: Pfalz-Krimi

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Über dieses E-Book

In einem Wingert bei Bad Dürkheim wird die Leiche eines jungen Mannes gefunden. Seine grauenhaften Verletzungen stammen von einem Tier. Treibt ein Wolf sein Unwesen in der Pfalz und hat den armen Kerl erwischt, als er einen Spaziergang gemacht hat? Aber was hat der jugendliche Syrer ohne Jacke im Winter da draußen im Wingert gesucht? Oder war es doch kein Unglück, sondern ein Verbrechen mit ausländerfeindlichem Hintergrund? Kann man einen Hund zum Töten abrichten? Die Kripo geht der Frage nach. Und wieder mischt sich Detlev Menke, Privatdetektiv und Freund von Hauptkommissarin Tabea Kühn, in die Ermittlungen ein. Unterstützt wird er von Dackel Alli, der in einem Wingert Körperteile eines ehemaligen Hundeausbilders bei der Bundeswehr findet …
SpracheDeutsch
HerausgeberProlibris Verlag
Erscheinungsdatum5. Nov. 2018
ISBN9783954751945
Im Wingert lauert der Tod: Pfalz-Krimi

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    Buchvorschau

    Im Wingert lauert der Tod - Angelika Godau

    Info

    Angelika Godau

    Im Wingert lauert der Tod

    Pfalz-Krimi

    Prolibris Verlag

    Handlung und Figuren dieses Romans entspringen der Phantasie der Autorin. Ebenso die Verquickung mit tatsächlichen Ereignissen. Darum sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten,

    auch die des auszugsweisen Nachdrucks

    und der fotomechanischen Wiedergabe

    sowie der Einspeicherung und Verarbeitung

    in elektronischen Systemen.

    © Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2018

    Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29

    Titelbild: © Claudia Franck

    Schriften: Linux Libertine

    E-Book: Prolibris Verlag

    ISBN E-Book: 978-3-95475-194-5

    Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.

    ISBN: 978-3-95475-184-6

    www.prolibris-verlag.de

    Die Autorin

    Angelika Godau, auf der Durchreise in Bayern geboren, aufgewachsen in Detmold, später nach Köln gezogen, dort geheiratet und drei Kinder großgezogen. Geschrieben hat sie eigentlich schon immer. Ihr erstes »Werk« hat sie im Alter von neun Jahren in der »Westfälischen Zeitung« veröffentlicht. Folgerichtig ist sie dann zunächst Journalistin bei verschiedenen großen Zeitungen geworden, hat dann aber nach dem Abschluss ihres Psychologiestudiums eine eigene Praxis in Mannheim geführt, verbrachte danach zehn Jahre im Ausland.

    Heute lebt sie mit Mann, zwei Hunden und einem Kater in der Pfalz. Und schreibt immer noch. Unterhaltsame Romane mit oder ohne kriminelle Zutaten. »Im Wingert lauert der Tod« ist bereits der dritte Krimi um den Privatdetektiv Detlev Menke und seinen Dackel Alli.

    Prolog

    Als ihn der Blick des Mannes über die wimmernde Frau hinweg traf, begriff Ramil Hajdaschin, dass er um sein Leben laufen musste. Panisch flüchtete er hinaus in den kalten Dezemberabend, dachte nicht einmal daran, im Laufen seine Jacke zu greifen. Beim Rennen spürte er weder die Kälte noch den kräftigen Wind.

    Der Ort mit seinen erleuchteten Häusern lag bereits hinter ihm, nun war er mitten in den kahlen Weinstöcken und diesen steinigen Wegen, die ihn an die verlorene Heimat erinnerten. Seine Beine bewegten sich monoton immer weiter, auch wenn seine Muskeln bei jedem Schritt schmerzten. Er glaubte den keuchenden Atem eines Tieres hinter sich zu hören und mobilisierte seine letzten Kräfte. Sicher würden bald Krämpfe einsetzen, er würde stolpern, diesen gleichmäßigen Rhythmus verlieren, stürzen und schließlich sterben. Tränen mischten sich mit dem Schweiß auf seinem Gesicht und er bog den Kopf zurück. Ein letztes Mal die Sterne sehen, auch wenn sie hier viel weniger hell leuchteten als zu Hause.

    Wortlos flehte er zu Allah, aber er tat es eher aus Gewohnheit, sein Gott konnte ihn jetzt nicht mehr retten. Es war zu spät, er würde in diesem Land sterben, in das er gekommen war, um endlich in Frieden zu leben. An seinem zwanzigsten Geburtstag hatte seine Mutter ihn auf diese gefährliche Reise geschickt. »Ramil, mein Sohn«, hatte sie gesagt und sein Gesicht in beide Hände genommen. »Du musst es für uns versuchen, seit dein Vater und alle meine Brüder umgekommen sind, gibt es niemanden, der es sonst tun könnte. Erreiche dieses Land, vielleicht kannst du uns dann zu dir holen. Allah wird dich beschützen.«

    Ja, Allah hatte ihn beschützt, die ganze Flucht war er mit ihm gewesen. Sogar, als das überfüllte Boot gekentert und Dutzende ertrunken waren, hatte er zu denen gehört, die gerettet wurden. Nun lebte er schon eine ganze Weile in diesem fernen Deutschland, von dem Unglaubliches erzählt worden war. Weniges hatte gestimmt. Er war nicht erwartet worden und niemand hatte ihm ein Haus geschenkt. Das waren alles Lügen der Schlepper gewesen, die ihm so viel Geld für die Fahrt über das Meer abgenommen hatten und Deutschland überhaupt nicht kannten. Doch hier gab es keinen Krieg, keine zerstörten Gebäude und Straßen, die Menschen mussten sich nicht vor den Bombenangriffen in Sicherheit bringen, sie lebten in Frieden. Es war ein freies Land, in dem jeder leben durfte, wie es ihm gefiel. Alle Kinder gingen zur Schule, auch die Mädchen. Es wurde erzählt, dass sie sogar ihre Männer selbst wählten, was er befremdlich fand. Das war das Einzige, was ihn wirklich störte.

    Natürlich war die Enge in dem Haus nicht angenehm, die fremden Menschen unterschiedlicher Herkunft, das Nichtstun, das endlose Warten und die Sorge, am Ende ausgewiesen zu werden. Diese Angst verließ keinen von ihnen jemals ganz. Darum war er so glücklich gewesen, als die Sozialarbeiterin ihm vor einer Woche große Hoffnung darauf gemacht hatte, bleiben zu dürfen. Mutter und Schwestern konnte er nicht nachholen, er war volljährig und hatte daher keinen Anspruch auf seine Familie. Das hatte sie gesagt, aber er war sicher, dass Allah einen Weg finden würde.

    Ein winziger Augenblick hatte nun genügt, das alles zu einem kurzen, schönen Traum werden zu lassen, der sich nie erfüllen würde. Warum nur war er dem Mädchen in diesen Keller gefolgt? Er hätte in seinem Zimmer bleiben können, aber er hatte geahnt, dass Hadeel Gefahr drohte und seine Schwestern vor sich gesehen. Nein, er hatte handeln müssen und doch zu lange gezögert, das Unglück war bereits geschehen, als er eintraf. Er hatte nichts verhindert, sich völlig umsonst in diese aussichtslose, tödliche Lage gebracht. Trotzdem war er losgelaufen, panisch, ohne Plan und ohne Ziel, einfach nur weg. Weg von diesem Haus, weg von diesem Mann, der die Frauen schändete und dessen Hund ihn mit Panik erfüllte. Nun waren sie hinter ihm her, und egal wie lange er lief, irgendwann würden sie ihn kriegen und töten. Er würde seine Heimat nicht wiedersehen, nicht seine Mutter, nicht seine Schwestern, alles war umsonst gewesen. »Oh Allah, hilf mir.«

    *

    Ansgar Fritsche stand schwer atmend in der Dunkelheit und ballte die Hände zu Fäusten. Er musste sich eingestehen, dass es keinen Sinn machte, weiter hinter dem Bengel herzurennen, er würde ihn nicht einholen. Der war einfach jünger und fitter als er, aber er hätte ihm wirklich zu gern eine Abreibung verpasst. Als Strafe, weil er ihm mitten in die Nummer geplatzt war. Dass der kleine Spanner ihn gesehen hatte, war ihm egal, der würde nicht reden und die hübsche syrische Schlampe auch nicht. Er kannte diese Typen, die waren viel zu eingeschüchtert, um den Mund gegen ihn aufzumachen. Er keuchte immer noch und nahm sich wieder einmal vor, mehr für seine Fitness zu tun.

    Nach einem weiteren tiefen Atemzug entschloss er sich, umzudrehen und zurück zur Unterkunft zu gehen. Der Bengel entkam ihm nicht, den konnte er sich morgen vornehmen, aber er wollte gern zu Ende bringen, was so schön begonnen hatte. Außerdem musste er diese kleine Fotze davon überzeugen, dass es für sie wirklich viel besser war, die Schnauze zu halten. In ihrem eigenen Interesse, sie würde in ihrer Heimat keinen Mann abbekommen, wenn bekannt würde, dass sie keine Jungfrau mehr war. Der Traum vom fernen Verlobten wäre ausgeträumt. Nein, nein, die durfte nichts sagen, aber es konnte nicht schaden, ihr noch einmal nachdrücklich klarzumachen, dass Schweigen das Klügste für sie war.

    *

    Rudi Gehrke saß hinter dem Steuer seines alten Volvos. Er hatte gerade erst den Parkplatz erreicht, als die Tür des zweistöckigen Hauses aufgerissen wurde und ein junger Mann in Pullover die wenigen Stufen herabsprang. Gehetzt schaute er nach rechts und links und rannte dann direkt vor seinem Auto vorbei, ohne ihn zu beachten. Kaum außer Sicht, ging die Tür erneut auf und der Kerl erschien, auf den er es abgesehen hatte: Ansgar Fritsche. Der stopfte sich das flatternde Hemd in die Hose und nahm die Verfolgung des jungen Manns auf.

    Spannung erfasste Rudi Gehrke. Er wartete einen Augenblick, bevor er den beiden ohne Scheinwerfer und im Schritttempo folgte. Um diese Zeit war wenig Verkehr, und auch als er den Ort bereits verlassen hatte, war ihm noch kein Auto entgegengekommen. Er registrierte verwundert, dass der Verfolger immer öfter stehen blieb, um nach Luft zu schnappen, während der Jüngere unbeirrt weiterlief. Vielleicht war es der Anblick des Flüchtenden, der ein Déjà-vu bei Gehrke heraufbeschwor. Von einer Sekunde zur nächsten war er der Verfolgte. Keuchend und schnaufend, hinter ihm dieses Lachen, das ihn bis heute, zehn Jahre später, schreiend aus Albträumen erwachen ließ. Schließlich der Moment des Zusammenbruchs, mit Schweiß, Speichel und Tränen im Gesicht. Dann der Stiefel in seinem Nacken, der seinen Kopf unaufhaltsam tiefer in den matschigen Boden presste. Während seine Lungen nach Sauerstoff schrien, sich sein Mund mit Schlamm füllte und er tausend Tode starb, bis er endlich das Bewusstsein verloren hatte.

    Die Hände um das Lenkrad gekrallt, biss er die Zähne so heftig aufeinander, dass es sich anhörte, als kaute er auf Glas. Die Erinnerung hatte ihn vollständig überrollt, deshalb hätte er beinahe übersehen, dass der Jüngere in einen Feldweg abbog. Fritsche aber hatte er aus den Augen verloren. Leise fluchend beschloss er, die zwei auf der anderen Seite des ausgedehnten Wingerts zu erwarten. Er kannte die Gegend wie seine Westentasche und wusste genau, wo sie wieder rauskommen mussten. Keine zehn Minuten später war er am Ziel und niemand war zu sehen. Er zog den Zündschlüssel heraus, holte den Hund aus dem Kofferraum und ging mit ihm hinaus in die Dunkelheit. Zwischen zwei Rebstock-Reihen wartete er, befahl dem Hund mit einer Handbewegung Platz und Ruhe.

    Jetzt kam es nur auf den richtigen Zeitpunkt an, dann Pacco das Kommando geben, und Fritsche, diese verfickte Drecksau würde wissen, wie es sich anfühlte, bis an seine körperlichen und seelischen Grenzen gejagt zu werden. Den sicheren Tod vor Augen. Sobald der jüngere Mann vorbei war, konnte er auf den Weg treten und Fritsche entgegensehen, schließlich sollte der Hurensohn trotz Dunkelheit genau erkennen, wer da vor ihm stand. Für den Bruchteil einer Sekunde vielleicht, bevor die Panik ihn erfassen würde. Er würde sich herumwerfen und zu fliehen versuchen. Sein Lachen im Nacken sollte dieses Schwein um sein beschissenes Leben rennen, dann erst würde er dem Hund das oft geübte Signal geben.

    Eine ungeheure Spannung ergriff von Gehrke Besitz, sein Herz raste und jeder Muskel seines Körpers spannte sich. Viel zu lange hatte er auf den Moment seiner Rache warten müssen. Kurze Zeit später hörte er ein paar Rebstock-Reihen vor sich endlich das Schnaufen eines völlig ausgepowerten Menschen. Er hielt den Atem an, und bevor er noch den Befehl aussprechen konnte, sprang der Hund auf und raste lautlos davon. Zu früh! Das konnte noch nicht Fritsche sein! Entsetzt lauschte er in die Dunkelheit, bis Kampfgeräusche und Schreie zu hören waren. Er begriff sofort, das war nicht die Stimme, die er kannte und bis in den letzten Winkel seines Körpers hasste. Der verfluchte Köter hatte den Falschen attackiert und mit Sicherheit getötet. Innerlich kochend stieß er einen leisen Pfiff aus, um ihn zurückzurufen, und wartete einige Atemzüge, dann lief er in die Richtung, aus der die Schreie gekommen waren.

    Der große, schwarzbraune Schäferhund senkte die Rute, als er seinen Besitzer sah und zögerte weiterhin, dem Rückruf Folge zu leisten. Er war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch zu fliehen und dem zu gehorchen. Sein Adrenalinspiegel war hoch, und der Blutgeruch der Beute trug nicht dazu bei, ihn zu beruhigen.

    Noch einmal versuchte er, den Hund zu sich zu rufen, vergebens. Selber schuld, wer nicht hören will, muss fühlen, dachte er und versetzte dem Tier per Knopfdruck einen Stromschlag. Laut aufjaulend kam es mit einem Satz auf den Mann zu, der zufrieden nickte. Er überlegte einen Augenblick, richtete dann die Taschenlampe auf den reglos am Boden liegenden Mann und schaltete sie schnell wieder aus. Kurz dachte er darüber nach, die Polizei zu informieren, verwarf den Gedanken gleich darauf. Warum seinen Plan gefährden? Der Mann war ohnehin tot.

    Auf dem Weg zurück Richtung Auto, wartete er noch eine Weile, ob Fritsche, der Hurensohn, an dem er Rache üben wollte, nicht doch noch kam. Schließlich stieg er frustriert in seinen Wagen und fuhr davon. Er dachte nicht an das Opfer, ihn beschäftigte ausschließlich die Frage, wie er das Tier dazu bringen konnte, seinen Befehlen zuverlässiger zu gehorchen.

    *

    Fritsche ärgerte sich über sich selbst, dass er dem Bengel so überhastet nachgerannt war. Er hatte doch gerade erst angefangen, als der plötzlich auftauchte. Nun gut, aufgeschoben war nicht aufgehoben, die Kleine war bestimmt noch da und wartete auf ihn. Er riss die Haustür auf und lief in den Keller, wo er das Mädchen genauso vorfand, wie er es verlassen hatte.

    Ihre entblößten Beine und die vor Angst geweiteten Augen erregten ihn aufs Neue, aber so sehr er sich auch mühte, sein Schwanz wollte einfach nicht steif werden. Er fluchte und schimpfte, musste sich jedoch eingestehen, dass er keine Energie mehr für eine Fortsetzung der unterbrochenen Nummer hatte. Voller Frust packte er sie an ihrem verrutschten Kopftuch und schlug ihr mehrfach mit der Faust ins Gesicht. Blöde Schnalle, welcher Mann konnte denn auch, wenn eine nur wie tot dalag. Schließlich zog er ihren Kopf näher an seinen Mund und machte ihr klar, wer in diesem Haus das Sagen hatte. Ob das Mädchen ihn verstand, war ihm egal, sie würde die Botschaft begreifen, das war es, was zählte.

    Er stieß sie zurück, drehte sich um und verließ den Keller. Schon auf dem Weg zur Tür dachte er daran, noch einmal in das Zimmer des jungen Syrers zu gucken. Vielleicht war der ja zwischenzeitlich wieder eingetroffen. War er nicht, wie er kurz darauf feststellte. Als er eine halbe Stunde später nach Hause kam, lag sein Hund jaulend im Zwinger auf seiner Decke und freute sich nur mäßig über sein Auftauchen. Er füllte ihm Wasser nach, das Futter war nicht angerührt, und er nahm sich vor, am Montag einen Tierarzt aufzusuchen. So ein Hund kostete schließlich einen Haufen Kohle, und wenn der verreckte, musste er einen neuen kaufen. Danach ging er in sein Bett und schlief umgehend ein. Das Winseln des leidenden Tieres hörte er nicht.

    *

    Zwanzig Minuten nach dem Unglück erreichte Gehrke den Campingplatz, auf dem er seit einigen Jahren seinen Wohnwagen stehen hatte. Er passierte die Schranke, fuhr die wenigen Meter, parkte den Volvo und ließ den Hund raus, aber als der ihm folgen wollte, raunzte er: »Nix da, du bleibst draußen!« Er zeigte auf eine alte Decke, die neben dem Eingang auf der Erde lag.

    »Hier, friss, mehr gibt’s heute nicht«, verkündete er etwas später. »Wo du Wasser findest, weißt du selber.« Danach schloss er endgültig die Tür hinter sich. Der Hund beroch die Schüssel, zögerte einen Augenblick und wandte sich schließlich dem See zu, um ausgiebig zu saufen.

    Drinnen setzte der Mann einen Topf auf den Herd und schüttete eine Dose Bohneneintopf hinein. Dem Kühlschrank entnahm er eine Flasche Bier, bevor er den PC hochfuhr, rührte den Eintopf um und öffnete die Bierflasche. Topf und Flasche trug er schließlich zu der gepolsterten Sitzbank und begann kauend im Internet zu surfen. Nicht lange, da fesselte eine Geschichte über einen Wolf sein Interesse. Der hatte angeblich das zweijährige Kind einer Familie getötet, während es im elterlichen Garten im Sandkasten spielte. Er überflog die Kommentare, die sich bereits im vierstelligen Bereich bewegten, und lachte in sich hinein.

    Es war einfach lächerlich, wie leichtgläubig die Menschen waren. Niemand kannte den Schreiber, trotzdem nahm man alles für bare Münze und ereiferte sich nach Kräften. Je nach Gesinnung und Bildungsstand waren die Kommentare sachlich oder erschreckend ausfallend. Für einige wenige waren Wölfe Kuscheltiere, die so etwas niemals tun würden, für die meisten gehörten sie allesamt abgeschossen. Vernünftige Argumente für die eine Sicht oder die andere gab es selten. Am Ende war der Eingangspost vollkommen in Vergessenheit geraten, aber man beschimpfte sich virtuell weiter. Nur wenige brachten Empathie mit den Eltern des Kindes auf und bis auf drei Personen hinterfragte keiner den Wahrheitsgehalt der Story.

    Er schüttelte den Kopf, fühlte sich an Bilder eines mittelalterlichen Marktes erinnert. Damals warfen Menschen mit faulen Eiern auf arme Teufel, die am Pranger standen. Er steckte sich den letzten Bissen in den Mund und leerte die Flasche, bevor er den PC runterfuhr. Zähneputzen ließ er ausfallen, zog nur Schuhe, Socken und Hose aus, ging pinkeln und dann ins Bett.

    Obwohl es letzte Nacht spät geworden war, brauchte er keinen Wecker zum Wachwerden. Um halb sieben schlug er die Augen auf und sprang sofort aus dem Bett. Im winzigen Badezimmer wusch er sich Gesicht und Hände, danach setzte er die kleine italienische Schraubkanne in Gang. Ohne Kaffee ging morgens gar nichts, da war er nicht ansprechbar. Während er wartete, öffnete er die Tür und sah nach dem Hund. Der lag auf seiner Decke, stand aber bei dem Geräusch sofort auf und wedelte erwartungsvoll. Der Mann überlegte einen Moment, drehte sich dann zu einem der Einbauschränke um und entnahm ihm eine Tüte mit Hundefutter. Er sprang aus dem Wagen und schüttete dem Tier einen kleinen Berg davon vor die Füße. »Da, friss! Gleich wird gearbeitet, und dafür solltest du nicht unbedingt hungrig sein. Ich hoffe allerdings für dich, dass du heute besser spurst als gestern Abend.«

    Zurück im Wohnwagen, goss er den Kaffee in einen Becher und beschmierte das letzte Stück Brot, das er fand, mit Butter und Marmelade. Kauend überlegte er, wo er mit dem Hund arbeiten konnte und welche Übungen er dringend wiederholen musste. Das Tier hatte gute Anlagen, war auch willig, aber irgendwas stimmte nicht zwischen ihnen.

    Während er aus dem Fenster starrte, kam die Erinnerung hoch, die er so lebendig hielt, wie es ihm möglich war. Zehn Jahre hatten nicht ausgereicht, seinen Hass auf diesen Mann zu mildern, der für all das verantwortlich war. Für sein ganzes beschissenes Leben, das so hoffnungsvoll angefangen und ihn schließlich auf diesen Campingplatz stranden lassen hatte. Statt Karriere, Anerkennung und Geld, Abstieg, Ablehnung und Hartz IV. Seit er die Bundeswehr verlassen hatte, lebte er nur für den Tag der Abrechnung. Viele Tausend Mal hatte er den Ablauf in Gedanken minutiös durchgespielt, aber wirklich zufrieden war er nie, etwas Entscheidendes fehlte. Seine Rache sollte perfekt sein, ihn für all die Demütigungen entschädigen.

    Dann endlich, vor fast zwei Jahren, hatte er diesen Hund gesehen. Sofort war ihm klar gewesen, dass es das war, was er unbewusst all die Zeit gesucht hatte. Ein Hund war der Anfang gewesen und ein Hund sollte das Ende sein. Das Ende seines Peinigers. Sein Besitzer hatte einen unverschämt hohen Preis gefordert und gehörte auch nicht zu den Menschen, mit denen man schachern konnte. Ein halbes Jahr hatte er auf jedes bisschen Luxus verzichten müssen, sogar das Rauchen aufgegeben, um das Tier bezahlen zu können. Der Typ, der ihn ausgebildet hatte, war zwar genauso ein Arschloch gewesen, wie sein Vorgesetzter damals beim Bund, aber er musste zugeben, der Hund spurte hervorragend. Was der einmal gepackt hatte, das ließ er nicht mehr los, egal wie auf ihn eingedroschen wurde. Vielleicht war das der Grund, warum sie immer noch nicht zu einem Team geworden waren. Er war zu weich, obwohl er sich Mühe gab, das Tier härter anzufassen. Es gehorchte ihm nicht zu hundert Prozent. Brachen seine Instinkte durch, traf es seine eigenen Entscheidungen und entzog sich seinem Einfluss. Genau das hatte gestern Abend zu dieser völlig überflüssigen und ungeplanten Scheiße geführt, die ihn dazu gezwungen hatte, seinen Plan ein weiteres Mal aufzuschieben.

    Erst als er seine zweite Tasse Kaffee fast geleert hatte, wusste er, wo genau er ansetzen musste, damit so etwas wie gestern Abend sich nicht wiederholte. Er war zwar kein Freund von Merkels Flüchtlingspolitik, aber noch ein toter Asylant würde unnötiges Aufsehen erregen und das konnte er jetzt nicht gebrauchen. Irgendwo in seinem Inneren regten sich Schuldgefühle, durch seinen Hund war ein Mensch ums Leben gekommen. Andererseits beschwichtigte er sein Gewissen, wäre der Junge einfach stehen geblieben und hätte nicht so ein furchtbares Geschrei angestimmt, wäre gar nichts passiert. Erst dadurch war der Hetz- und Tötungstrieb des Hundes ausgelöst worden. Im Grunde genommen war es also ein Unfall gewesen, ein Kollateralschaden, für den er nicht verantwortlich war. Immerhin wusste er jetzt, dass der Hund ordentliche Arbeit leisten konnte, wenn auch ohne sein Kommando und am falschen Objekt.

    Entschieden stellte er die Kaffeetasse auf den Tisch, nahm diverse Utensilien aus einer Schublade und sprang nach draußen. Der Hund erhob sich, wedelte erfreut und sprang an seinem Herrn hoch, der darauf nicht reagierte. Nachdem er das Tier in den Kofferraum gesperrt hatte, lief er auf einen in der Nähe stehenden Wohnwagen zu und rief halblaut einen Namen. Sofort ging die Tür auf und ein kleiner Mann mit Halbglatze und zerfurchtem Gesicht steckte seinen Kopf ins Freie.

    »Was ist ’n?«

    »Hast du noch welche von deinen Kitten?«

    »Klar, willste eine?«

    »Ja, drei. Kriegst ’nen Fuffi dafür.«

    »Prima, so in zwei Wochen kannste sie haben.«

    »Bullshit! Jetzt sofort!«

    »Die sind zu klein, brauchen noch die Mutter, sonst haben die später alle einen Schaden. Verstehste, die werden dann nicht sauber und so.«

    »Egal, wo sind sie?« Als er das Zögern seines Campingnachbarn bemerkte, kramte er in seiner Jeanstasche und zog einen Hunderter hervor. »Hier, also, wo?«

    Das reichte als Argument gegen die Bedenken des Mannes, er verschwand in seinem Wagen, kam kurze Zeit später mit einem Korb zurück, in dem drei Kätzchen lagen und aus großen blauen Augen

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