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Losers' Ball
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eBook363 Seiten5 Stunden

Losers' Ball

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Über dieses E-Book

Robert ist ein entsetzlich schwer zu verstehender Mensch. Er kommt aus guten Verhältnissen, ist nicht dumm, nein, er hat sogar einen akademischen Abschluss, aber dennoch sucht er sein Heil in Gelegenheitsjobs, Besäufnissen, Joints und dem Verfluchen all derer, die in diese neue, seltsame Welt passen. Man könnte es die Sinnentleertheit einer vom Wohlstand verwahrlosten und betäubten Generation nennen, die dazu geführt hat, dass er nun fernab seiner Heimatstadt ein trostloses Leben führt. Man könnte auch einfach sagen, dass er ein fauler Scheißkerl ist, dessen Ablehnung gegenüber dieser Welt nicht auf moralischen Grundsätzen fußt, sondern vielmehr auf Feigheit. Wie man es auch dreht, dieser Kerl ist schwer zu fassen.
An seiner Seite wähnt er seinen treuen Freund Tim, der mit ihm einst in die Stadt kam und der keineswegs besser dasteht als er selbst. Beide eint die Verachtung gegenüber all dieser gleichen Pseudo-Individualisten, mit ihren Smartphones und Hipsterklamotten.
Die scheinbar festgefahrene Situation wird durcheinandergewirbelt, als Robert auf Marie trifft. Marie hingegen hat jeden Grund sauer auf diese Welt zu sein, doch im Gegensatz zu Robert, in ausgerechnet dem sie mehr zu sehen glaubt, als gut für sie beide wäre, hat sie ihr Leben der strikten Maxime möglichst unabhängig sein zu wollen untergeordnet. Aus der eigenen Situation hart geworden, legt sie, wenn es ihr angemessen erscheint, eine Radikalität an den Tag, die für Robert und dessen jämmerliche 'Scheißegal-Haltung' schwer zu verstehen ist. Für alle drei nimmt das Leben in einem Herbst Wendungen, die sie mit den immer selben, uralten Fragen konfrontieren: Was soll man hier? Was soll all das hier? Wer ist man überhaupt und wo inmitten von all dem soll man sich selbst verorten?
Träume platzen, Illusionen bewahrheiten sich, oder auch nicht, und über all dem steht die Frage danach, was dieser ganze Scheiß eigentlich soll.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum8. Mai 2014
ISBN9783847688211
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    Buchvorschau

    Losers' Ball - Martin Selm

    Prolog

    Man kannte doch diese Horrorgeschichten. Von grausamen Verstümmelungen war da die Rede, davon, dass Gliedmaßen abgetrennt und durch die Gegend geschleudert wurden. Er verschwendete keinen Gedanken daran. Hinter ihm lag der Sommer und er, so empfand er es, hatte gerade den Herbst hinter sich gebracht. Es würde der Winter und die Dunkelheit kommen, nein, das stimmte so ja gar nicht, der Winter war doch schon da.

    Fragt man schlaue Menschen, die durch ihren Intellekt und die Fähigkeit sich hochgestochen zu artikulieren in der Lage sein müssen, die Beschissenheit dieser fragilen Welt zu erklären, dann stößt man auf Erklärungen, die einen nur vertrösten. Warum gibt es Leid? Damit man die guten Zeiten zu schätzen weiß. Der Mensch braucht schließlich Gegensätze. Ohne Schwarz kein Weiß, ohne Schmerz keine Freude. Ohne Winter keinen Sommer. Was für eine Scheiße, dachte er.

    Das kam ihm in etwa so vor, als sagte man all denen, die in der Dritten Welt für unseren Wohlstand schufteten, dass sie eines schönen Tages auch billige T-Shirts kaufen könnten, um so mehr Geld für den neuen Golf, einen gut erhaltenen Mercedes, oder irgendeinen anderen Scheißdreck, mit dem sie sich vor den Nachbarn, diesen bornierten Päderasten profilieren könnten, zu haben. Alles was sie tun müssten, sei zu warten. Klar. Scheiße.

    Die Frage war also demnach, den Winter irgendwie hinter sich bringen, um sich dann im Sommer jeden Tag darüber zu freuen, dass es nicht schneite, oder aber, und da blieb ihm ja quasi gar nichts anderes mehr übrig, den Winter Winter sein zu lassen.

    Wieder und wieder hatte er über seinen Plan nachgedacht, doch irgendwann war er zu dem Entschluss gekommen, dass er keinen Entschluss fassen konnte, dass die schiere Unmöglichkeit in Gedanken alles durchzuspielen ihm eine Grenze setzte, die zu überwinden er nicht im Stande war. Irgendwie war er dann in die Situation geraten, in der er jetzt war. Der Moment, es ging einfach nur um den Moment. Mit Vielem hatte er gerungen, was, wenn diese Horrorgeschichten stimmten, was, wenn es schief ging? Was, wenn er sich dumm anstellen würde? Klar, dachte er, was soll man da denn schon falsch machen können, aber es war ja andererseits auch keine alltäglich Handlung, die man da vollzog.

    Loslassen müsste er, sich einfach seinem Unterbewusstsein hingeben. Sich auf das Innerste und damit auf das Elementarste seiner Persönlichkeit verlassen. Die bewusste Kontrolle an sich selbst abgeben. Scheiße, er klang wie seine Mutter. So ein esoterischer Quatsch. Drogen und Vollsuff hatten ihm den Rest gegeben. Er war im süßen Zustand der Verwirrtheit. Klaren Gedanken war er nicht mehr zugänglich. Da hatte er sich in Bewegung gesetzt und war es noch immer. Bald würde sein Unterbewusstsein wohl eine Entscheidung fällen und er hoffte, dass er dann in der Lage sein würde, sie auch zu akzeptieren. Denn nichts war schlimmer als davon zu laufen, auch wenn man eben davor davon lief.

    Kapitel 1

    So, oder so ähnlich hatte er sich das eigentlich immer vorgestellt. Im Prinzip war das Erlebte dem Erträumten sogar relativ nahe. Irgendwie war es dennoch intensiver als er gedacht hätte. Die Kleine schlief noch. Sie war immer noch komplett nackt. Er zog die Decke über sie, bis zu den Nippeln, die ließ er frei. Sie hatte schließlich phantastische Nippel, nicht zu groß, nicht zu rund und nicht zu spitz. Einfach perfekt. Er selbst saß neben ihr und hatte nur seine Unterhose an, die schon wieder kräftig spannte, da er eine monströse Morgenlatte hatte und dringend pissen musste.

    Da saß er nun auf ihrem Klo, welches er nach einigem torkelnden Suchen gefunden hatte und versuchte seinen Ständer in die Schüssel zu hebeln, was schmerzte, jedoch nicht so sehr, wie das Brennen, als er schließlich zu pissen begann. Er hatte seine Ladung letzte Nacht scheinbar nicht mit genug Druck in den Gummi gefeuert, da schien noch einiges in der Leitung zu hängen, was die Bahn deutlich verengte. Er stöhnte und musste dabei über sich selber und die abstruse Situation lachen.

    Sie schlief noch immer. Außer seinem Pullover konnte er alle seine Sachen finden, auf den Pullover war also geschissen, er konnte ihn genauso gut bereits gestern Nacht irgendwo verloren haben, besoffen genug war er in jedem Fall gewesen. Ob er wohl seine Nummer hinterlassen sollte? Nein, das wäre keine gute Idee. Zum einen war sie verdammt besoffen gewesen und würde es sicher bitter bereuen sich mit einem derart abgerissenen Versager eingelassen zu haben, wenn sie ihn jemals nüchtern zu Gesicht bekäme, zum anderen hatte er nach dem Ficken in ihre Spüle gekotzt, was mächtig stank. Er hatte jedoch nicht die geringste Lust sich in seinem verkaterten Zustand darum zu kümmern. Nein, es war sicher besser die Flucht anzutreten. Die drei wichtigsten Sachen hatte er wieder gefunden, Handy, Geldbeutel und Schlüssel, also ließ er nichts von Bedeutung zurück.

    Sie stöhnte kurz auf, wobei er erschrak und kurzzeitig in Panik ausbrach, dann drehte sie sich jedoch auf die Seite und schlief weiter. Nun konnte er zum Abschied nochmal ihren prallen Arsch sehen, der sich aus der Decke hervor geschoben hatte. Mann, dachte er, wie bei einem Banküberfall davon zu kommen. Ob sie wohl wusste was für ein Loser sie da letzte Nacht entsetzlich schlecht gefickt hatte?

    Es nieselte und die Welt war grau. Das war ihm recht, Sonnenschein und Hitze machen den schlimmsten Kater noch unerträglicher, wogegen klare, verregnete Luft ein Segen sein kann. Die Menschen, denen er auf dem Weg zum nächsten Bus, oder zur nächsten U-Bahn, oder was es hier auch immer gab, begegneten, waren genauso grau wie das Wetter. Keiner würdigte ihn eines Blickes, alle waren im Stress, mussten zum Meeting, zu einer wichtigen Präsentation der Bilanz, mussten dies und das tun. Es war ein Donnerstag und es musste wohl so gegen acht Uhr früh sein, dass wusste er daher, dass er nie länger als bis halb acht schlafen konnte, wenn er gesoffen hatte. Der Kater weckte ihn stets und fand er keine Kopfschmerztabletten, so war es sein Schicksal in den Tag zu starten. Er war noch gut besoffen, zumindest in einem Maße, das angenehm betäubte, so dass er die Verachtung der ihn umgebenden Menschen zwar spürte, sie ihn jedoch nicht im geringsten interessierte.

    Er hatte seinen letzten Job hingeschmissen, nachdem er genug Geld zusammen hatte um die nächsten drei Monate zu überstehen, hatte die Miete im voraus gezahlt und ließ sich nun treiben. Natürlich war das Geld bereits nach einem Monat knapp und er war eigentlich in einer prekären Lage, doch da schiss er drauf, wie auf so ziemlich auf alles, was ihn, oder sein Leben betraf.

    >>Entschuldigung, wo fährt hier denn der nächste Bus?<<

    Typisch. Da waren lauter graue Menschen unterwegs und den einzigen, den er nach dem Weg heraus aus dieser morgendlichen Hölle fragte, war wohl so etwas wie der Hitler unter den grauen Menschen.

    >>Quatsch mich nicht an, du Penner.<<

    >>Hey, Mann, ich will doch nur zum Bus, oder zur U-Bahn, oder Zug, oder sonst was.<<

    >>Interessiert mich nicht wo du hin musst. So wie du aussiehst am besten zum Arbeitsamt, oder noch besser ins Arbeitslager.<<

    Er ließ ihn stehen und ging weiter. In zügigen Schritten, die von der Zielstrebigkeit und dem Fleiß erzählten, mit denen dieser graueste unter all den grauen Menschen sein Leben wohl bestritt. Mit solchen Menschen hatte er nichts gemeinsam und sie waren einer der Gründe dafür, dass er sich auf dieser Welt oftmals unfassbar verloren fühlte.

    Der Alkohol hatte auch nachgelassen. >>Bekackter Wichser<< flüsterte er vor sich hin. Immerhin mal wieder gefickt. Wann der graue Hitler wohl das letzte mal gefickt hatte? Ach was, der ging sicher in den Puff.

    Mit der Selbstachtung war das auch so eine Sache. Im einen Moment ein klasse Typ, der dem total dämlichen, sexistischen, aber leider nun mal vorherrschenden Ideal vom männlichen Individuum entsprach, indem er in Clubs Tussies aufriss - im nächsten Moment ein verkaterter Trottel, der eine arme, besoffene Unbekannte ausnutzte, um sie dann, nachdem er vergeblich versucht hatte sie zu befriedigen, mit seiner Kotze zurück ließ.

    Schließlich fand er den Weg zur nächsten U-Bahn Station und fuhr zurück in bekanntes Terrain.

    Seine schäbige, kleine Wohnung befand sich auf der Rückseite eines Hauses aus den 1930er Jahren. Er wohnte unter dem Dach, so dass jede Jahreszeit beschissen war. Im Winter fror er sich trotz aufgedrehten Heizungen den Arsch ab und im Sommer herrschte eine drückende Hitze, die es ihm unmöglich machte genug zu trinken, da er konstant literweise schwitzte. Er hatte sich arrangiert. Die Gegend war nicht die beste, aber sie war billig und er kam zurecht. Bei seinen Eltern hatte er es nicht mehr ausgehalten. Nach und nach war die Beziehung zersetzt worden, angetrieben von dem Unverständnis seiner Eltern ihm und seiner Einstellung zum Leben gegenüber. Es war zwar vielmehr so, dass er überhaupt keine Einstellung zum Leben hatte, da er auf so ziemlich alles schiss, was man im allgemeinen als Erstrebenswert ansieht, doch das machte auch keinen Unterschied. Es hatte die Angelegenheit sogar noch verschlimmert, denn wie kann man das erklären, oder verstehen, was einfach keinen Sinn ergibt, weil es einfach egal ist?

    Er war einfach irgendwann hängen geblieben. Jetzt, so empfand er es zumindest, war es ohnehin vorbei, es war ein langer Weg gewesen, doch jetzt – mit Mitte 20 – war die Unbeschwertheit verloren gegangen. Ihm war klar, dass er keine Chance mehr haben würde eine Nische zu finden, einen Platz, an dem er sich wohl fühlen würde. Da konnte man nichts machen. War aber im Prinzip auch egal, wen kümmerte es, was er über die Welt dachte, oder wie er sich fühlte.

    Er machte sich Kaffee und legte Musik auf. Rivers Cuomo von Weezer sang 'the world has turned and left me here' und er musste schmunzeln. Immerhin gab es Songs die ihn zu verstehen schienen.

    Das Telefon klingelte.

    >>Hallo?<<

    >>Na, waren wir gestern Nacht mal erfolgreich unterwegs?<<

    >>Hallo. Ja, kann man so sagen. Fühlt sich allerdings auch nicht unbedingt so toll an.<<

    >>Ja, Ficken wird doch sowieso überbewertet. Rein, raus, Feuer frei, viel schwitzen und danach brennt der Kolben.<<

    So konnte man es auch sehen.

    >>Naja, das Brennen hält sich in Grenzen. Wann seid ihr eigentlich gegangen? War ich da noch da?<<

    >>Keine Ahnung. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht mehr wie wir nach Hause gekommen sind. Vermutlich mit dem Taxi, weil ich keinen Cent mehr habe, aber, naja, das spricht jetzt auch nicht unbedingt für das Taxi, bei dem Kater, verdammt, ich glaub ich hab schon wieder lauter widerliche Cocktails getrunken. Sollte beim Bier bleiben.<<

    >>Ja, ist besser so. Aber was nützen all diese Vorsätze, wenn man sich betrunken in einen total debilen Vollidioten verwandelt. Tja so ist das eben. Wieso bist du überhaupt schon wach? Es ist doch erst – wie viel Uhr ist es eigentlich?<<

    >>Es ist halb zehn. Ich hab vorhin gekotzt und jetzt hab ich nen ganz fiesen Hals. Du weißt schon, dieser eklige Kotze-Geschmack in Kombination mit Halsschmerzen wegen der Magensäure. Kann nicht mehr schlafen.<<

    Diese Phänomen kam ihm bekannt vor, er war davon jedoch verschont geblieben. Es war eine saubere Angelegenheit gewesen, über ihrer Spüle. Ein kurzer kräftiger Schwall, keine allzu großen Brocken, hauptsächlich nur Flüssigkeit. Immerhin in dieser Hinsicht eine gute Performance.

    >>Ja, das kennt man. Also gekotzt hab ich auch, hab sozusagen das Geschirr gespült. Was machst du heute noch so?<<

    >>Ja, also wenn ich dann mal was zu essen runter gewürgt haben sollte und es auch drinnen bleibt, werde ich wohl noch mal bisschen schlafen. Aber sonst, keine Ahnung, das übliche eben. Du?<<

    >>So in etwa dasselbe. Hast du Lust später mal vorbei zu kommen und mir bisschen meinen Kater zu versüßen?<<

    >>Klar. Ich komme wenn ich wieder geradeaus laufen kann. Bis dann.<<

    Als er kurz eingeschlafen war, wurde er geweckt von irgendwelchen Bauarbeiten, die sich am Nachbarhaus vollzogen. Klar, dachte er, wenn schon der Mann mit dem Hammer im eigenen Kopf sitzt und gegen den Schädel hämmert, wieso nicht auch noch einen von außen dagegen hämmern lassen, unterstützt von Presslufthämmern, Bohrmaschinen und allerlei anderen lärmenden Instrumenten.

    Er beschloss, dass es egal war, dass er aussah wie ein versiffter Penner und verzichtete dementsprechend darauf zu duschen, ehe er sich aufmachte, um im Supermarkt um die Ecke was zu Essen zu besorgen. Seine Haare waren fettig und standen in alle Richtungen ab. Sein T-Shirt, ein uraltes Adidas Shirt, das eigentlich cool wäre, da es wirklich vintage war, war leider schon mit so vielen kleinen und größeren Löchern gesegnet, dass es höchstens Anfang der 90er auf einen Konzert irgendeiner Grunge Band cool gekommen wäre. So war es einfach nur ein abgewichstes Shirt, in dem ein abgewichster Typ steckte.

    Da stand er nun inmitten all der Hausfrauen und Rentner. In ausgelatschten Birkenstock Schlappen. In dem Outfit hätte er eigentlich einen Tetrapak Wein kaufen sollen, aber das war wirklich das Allerletzte.

    Einer dicken Hausfrau mit einer vermutlich gefälschten D&G Sonnenbrille fiel eine Packung Cornflakes aus der Hand, als sie mit selbiger, deren fette Finger ihm sagten, dass sie eine grobe, unfreundliche Person war, danach gegriffen hatte. Er bückte sich, hob die Schachtel auf, betrachtete sie kurz und beschloss diesen Wink des Schicksals anzunehmen. Cornflakes bedeuteten, dass man nicht kochen musste und das bedeutete, dass man keine Töpfe oder Pfannen abspülen musste und das wiederum bedeutete, dass man mehr Zeit hatte sich selbst zu verwirklichen, was auch immer das wiederum bedeutete.

    Die dicke Frau, die zudem unerträglich nach irgendeinem Parfüm stank, was ihr ihr Alter vermutlich mal geschenkt hatte, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, da er auf der letzten Geschäftsreise mit dem Vorstand die neue Sekretärin, die junge, mit den dicken Titten, die zwar total dämlich war, aber eben auch verdammt geil, hart sexuell belästigt hatte, bis sie irgendwann nachgegeben und ihm schließlich unter dem Schreibtisch in seinem Hotelzimmer kniend einen geblasen hatte, grunzte vor Empörung.

    Ihm war es egal, er war zu fertig und brauchte Nahrung. Die Kassiererin machte keinen Hehl aus ihrer Verachtung, als er Cornflakes im Wert von 2,99 mit EC-Karte bezahlte. Das war ihm sympathisch, sie war wenigstens echt, anstatt ihm mit einem aufgesetzten Lächeln einen schönen Tag zu wünschen, wo sie sich doch eigentlich dachte, dass er abhauen und ihr nie wieder begegnen solle.

    Seine Wohnung war etwa 25 Quadratmeter groß. Es gab nur einen Raum, in dem eine Kochnische war, sein Bett, ein Tisch und ein altes Sofa, auf dem er oft saß und über die Dächer der Stadt starrte, während er sich Joints rollte, oder einen runter holte. Nun saß er auf dem Bett und starrte in seinen lächerlich winzigen, alten Röhrenfernseher. Angesichts der Tatsache, dass man keinen Fernseher mehr unter einer Größe bekam, die einen im Alter von Zehn Jahren die Kinnlade herunterfallen lassen hätte, hätte man doch auf diesem riesigen Bildschirm diese wahnsinnige Batman Serie aus den 1960er schauen können, war sein Fernseher schon kein Fernseher mehr, sondern eine Art Statement. Ein Statement gegen die Obsoleszenz, gegen die Wegwerfgesellschaft – ein Relikt aus Zeiten, in denen noch Wertigkeit die Produktion dominierte, in denen Outsourcing das war, was es nun einmal war, ein hochgestochener Begriff, den dämliche Business-Kasper benutzten, um modern, global und hip zu klingen. Derartiges politisches Denken war ihm jedoch fremd, er hätte sich auch gern Christopher Nolan Filme auf Plasma- oder LCD-Fernsehern angesehen, aber dafür fehlte ihm die Kohle.

    Neben dem Hauptzimmer gab es noch ein kleines Bad, das er jedoch nur zum Toilettengang frequentierte und wenn es die Motivation erlaubte auch um sich zumindest einmal täglich zu duschen.

    Da saß er nun und ließ sich verdummen. Dass das Fernsehen, abgesehen von einigen wenigen Kultursendern in etwa so etwas wie 'Opium fürs Volk' war, das sollte eigentlich jedem klar sein. Entsprechend konnte er auch nicht verstehen, wenn sich von ihrem Leben gelangweilte Menschen über scripted Reality und den ganzen Scheißdreck, der einem nun mal entgegen geschleudert wurde, aufregten. Man wusste doch was man bekam. Das war in etwa so, als würde man einen Porno schauen und dann voller Entrüstung monieren, dass darin Leute in den Arsch gefickt werden. So war das eben.

    Während er so vor sich hin dämmerte, klingelte es an der Tür. Nachdem er aufgemacht hatte, voller Verwunderung, dass Tim es schon geschafft hatte vorbei zu kommen, erschrak er zum zweiten mal an diesem Tag. Vor seiner Tür stand die Kleine von letzter Nacht.

    Kapitel 2

    Sie schien sich nichts aus seiner Verblüffung zu machen. Wortlos lief sie an ihm vorbei und betrat seine Bude. Er hätte gerne sagen können, was sich in ihren Augen befand, war es Zorn, war es Freude ihn wiederzusehen? Wollte sie ihn gar anzeigen? 'Erschleichung von Sex'? Nein, so etwas gab es vermutlich nur in den USA.

    >>So, hier wohnst du also, Robert Schwarz?!<<

    Er stand noch immer neben der geöffneten Tür und war völlig perplex. Woher wusste sie a) wo er wohnte und b) wie er mit ganzem Namen hieß?

    >>Ich, ich ähh, ja sieht so aus.<< Er rang noch immer mit seiner Fassung. >>Nicht so schön wie bei dir, aber was soll man machen.<<

    Sie goss sich einen Kaffee ein, wobei er bemerkte, dass es ihr nichts auszumachen schien, dass sowohl die Kaffeemaschine total verdreckt und verkalkt war, als auch, dass die Tasse, die sie sich genommen hatte, nicht besonders gut gespült war.

    >>Hör mal, es tut mir Leid, dass ich heute morgen einfach verschwunden bin, es ist nur ähm, ja, also, ich weiß ja nicht, ob du so was öfter machst, aber für mich war das gewissermaßen das erste Mal.<<

    Sie prustete los und musste dann husten, weil sie sich vor lauter Lachen an ihrem Kaffee verschluckt hatte.

    >>Das ist jetzt aber nicht dein ernst, oder? Du willst mir doch nicht erzählen, dass das gestern Nacht dein erstes Mal war?<<

    >>Oh Mann, nein, natürlich nicht 'das erste Mal'. Ich hatte nur noch nie so etwas wie letzte Nacht. Du weißt schon, Fremder trifft auf Fremde und geht mit zu ihr.<<

    >>Du meinst einen One Night Stand.<<

    Gott wie er diesen Begriff hasste. Sie hatten gefickt. Dreckig, besoffen und wie er meinte, nicht besonders gut. Aber natürlich musste das wieder irgendwie nach mehr klingen, nach Glamour, Lifestyle und solchen Dingen. Eben irgendwie hip. So dass man davon reden konnte, als würde man über die Vor- und Nachteile des neuen Autos, welches man sich zugelegt hatte reden, jedoch keinesfalls darüber, dass man besoffen wie ein Tier schwitzend mit einer Fremden gefickt hatte.

    >>Wenn du es so nennen willst.<<

    Sie fixierte ihn mit ihren Augen. Das machte ihn ungeheuer nervös. Sie hatte grüne Augen, ein Grün, das ihn komplett durchdrang. Es schien so, als ob sie gerade dabei war abzuwägen, ob sie sich dafür hassen sollte, wen sie da mitgenommen hatte, oder, ob es sie sich doch lieber über die entsetzliche Unsicherheit amüsieren sollte, in die sie ihn versetzt hatte. Letzteres schien sich durchgesetzt zu haben. Sie lächelte ihn an, jedoch nur kurz, schnell setzte sie die Kaffeetasse wieder an, er sollte sich seiner Sache schließlich nicht zu sicher sein. Ihre Augen jedoch verrieten sie. Darin war er gut, Menschen zu durchschauen. Als zynischer Drecksack, der des öfteren, wenn nicht gar immer, das Schlechte zuerst wahrnahm, war er auf solche Fertigkeiten angewiesen.

    >>Wie würdest du es denn nennen?<<

    >>Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Jedenfalls nicht 'One Night Stand'. Also, es äh tut mir wirklich Leid, ich hoffe du bist mir nicht böse.<<

    >>Ihr Männer seid wirklich bescheuert.<<

    Sie stellte die Tasse energisch ab, so dass der Kaffee heraus schwabte und sich zu den anderen Flecken auf der Arbeitsplatte seiner Küchennische gesellte. Er stöhnte auf. War sie etwa eine verbohrte Feministin, die sich absichtlich den größten, unzurechnungsfähigsten Trottel heraus gesucht hatte, um ihn am nächsten Morgen aufzuspüren und damit zu konfrontieren, was für ein widerwärtiges Schwein er doch war.

    >>Das muss von eurer Eigenschaft als Jäger und Sammler herrühren. Wie kommst du nur darauf anzunehmen, dass du dich bei mir entschuldigen müsstest? Ihr beschissenen Typen denkt immer in Begriffen wie 'erobern', oder 'aufreißen'. Du hast mich nicht 'erobert', oder 'erlegt'. Wenn du dich richtig erinnern kannst, habe ICH dich mit zu MIR genommen. Und nicht umgekehrt. Wenn hier jemand wen flach gelegt hat, dann ICH dich!<<

    Damit hatte er nicht gerechnet. So gut er sonst darin war einzuschätzen, was für ein Mensch ihm gegenüber stand, in ihrem Fall war er komplett ahnungslos. Natürlich war er verkatert und hatte wenig geschlafen, doch das schärfte in manchen Fällen die Sinne sogar zusätzlich. Wer war dieses Mädchen? Und was wollte sie überhaupt von ihm? Wie zum Teufel hatte sie überhaupt herausgefunden wo er wohnte?

    Sie trug ein ausgewaschenes T-Shirt, das Orange war. Sie hatte es an der Seite zusammen geknotet, so dass ihr Bauchnabel frei war. Passend zum T-Shirt trug sie eine ausgewaschene Jeans, die ein entsprechend helles Blau hatte, was fast ins Graue ging. An den Knien und den Schenkeln waren vereinzelt kleinere Löcher, aus denen die weißen Fransen des Stoffes quollen. Sie hatte schwarzes Haar, welches sie zu einem Zopf gebunden hatte, mit jeweils langen Strähnen an den Seiten, die sie sich hinter die Ohren geklemmt hatte. Ihre Augen waren wunderschön, ein tiefes, intensives Grün. Sie hatte ein hübsches Gesicht, verdammt, dachte er sich, sie war wirklich verdammt hübsch. An ihren Füßen trug sie alte Adidas Samba Turnschuhe in Weiß. Früher hatte er nur solche Schuhe besessen.

    Sie bemerkte, dass er sie studierte, was ihr scheinbar nicht passte. Sie trank ihren Kaffee in einem Zug aus, knallte die Tasse auf die Arbeitsplatte, lief, vorbei an ihm, quer durch den Raum und setzte sich auf das Sofa. Dort stellte sie ihre Füße auf sie Sitzfläche, zog ihre Knie an die Brust und stützte ihre Ellbogen darauf. Sie hatte sich komplett verkleinert. Cleveres Mädchen, dachte er, so viel war schon mal sicher, ihr konnte man nichts vormachen.

    >>Also, mal unabhängig davon, ob du mir das jetzt glaubst, oder nicht, ich passe denke ich nicht in die Kategorie Typ, die du da gerade beschrieben hast. Ich wollte mich ja auch nicht dafür entschuldigen, dass du mich mitgenommen hast, denn das wäre schon sehr unterwürfig. Es tut mir viel mehr Leid, dass ich mich heute Morgen einfach verpisst habe.<<

    >>Schon Okay. Hätte ich nicht anders gemacht. Das mit der Spüle war übrigens verdammt lustig.<<

    >>Du verarschst mich?<<

    >>Nein, du musstest kotzen, hast aber das Bad nicht gefunden. Dann bist du gegen meinen Kühlschrank gerannt, zurück getorkelt und mit deinem Gesicht quasi in meiner Spüle abgetaucht.<<

    >>Freut mich, dass es dich amüsiert hat. War das kein Stress das alles sauber zu machen.<<

    >>Nicht wenn man eine Spülmaschine hat.<<

    >>Hast du denn eine?<<

    >>Nein. Aber als ich das Geschirr heute in der Badewanne von deinen Magensäften befreit habe, musste ich die ganze Zeit lachen. Du hast verdammt witzige Sounds von dir gegeben. Das hat mich ausreichend entschädigt.<<

    Er wollte etwas witziges sagen, wollte schlagfertig sein. Sie war ein tolles Mädchen, das stand für ihn sofort fest. Ihm fiel auf, dass er noch immer neben der halboffenen Tür stand. Er schloss sie und setzte sich an den Tisch neben der Kochnische. Nun saß er ihr gegenüber. Er hatte jedoch die Tischplatte vor sich. Dadurch fühlte er sich sicher, bis ihm aufging, dass sie scheinbar überhaupt kein Interesse daran hatte ihn zu mustern. Dazu hatte sie ja eigentlich letzte Nacht bereits genug Zeit gehabt. Sie drehte sich eine Zigarette, von dem Tabak, der auf dem kleinen Beistelltisch neben dem Sofa stand. Er hatte das Rauchen bereits vor Jahren aufgegeben, den Tabak benutzte er ausschließlich um ihn mit Gras zu mischen. Dass er weder Zigarettenfilter, noch normale Papers hatte, schien sie nicht zu stören. Sie nahm einfach ein Longpaper, mit denen man ja ausschließlich Joints drehte, riss etwa ein drittel davon ab und rauchte das Ganze ohne Filter. Als er noch geraucht hatte, hatte er es gehasst, wenn er keine Filter mehr gehabt hatte. Ohne Filter zu rauchen war einfach scheiße, ständig fusselte der Tabak hinten heraus und klebte einem an den Lippen. Sie schien damit keine Probleme zu haben, bei ihr fusselte auch nichts. Vermutlich war sie filigraner, was das Drehen anging.

    Ihm war das Schweigen unbehaglich, er wusste aber andererseits auch nicht, was er sagen sollte, ohne, dass dabei durchdringen würde, dass er total verunsichert war.

    >>Wie hast du überhaupt hierher gefunden?<<

    >>Das weißt du nicht mehr? Du hast mir lang und breit erzählt wo du wohnst.<<

    Das machte Sinn. Er konnte sich zwar nicht mehr daran erinnern, aber er konnte sich ja auch sonst kaum an Dinge erinnern, die er ihr erzählt hatte.

    >>Und woher weißt du meinen vollen Namen?<<

    Sie blies den Rauch gelangweilt von sich und legte den Kopf dabei auf die Seite. Sie sah unheimlich verträumt aus.

    >>Mein lieber, jede Wohnung, sogar deine, hat ein Klingelschild, auf dem in der Regel der Nachnahme steht. Da du mir gestern freundlicherweise mitgeteilt hast, dass du Robert heißt und in diesem Haus unter dem Dach wohnst, musste es wohl die oberste Klingel an der Haustür sein. Und da stand 'Schwarz'. Was sagst du nun, Watson.<<

    >>Nicht übel. Und, ich meine, also, wie geht es jetzt weiter?<<

    Er bereute es sofort etwas derart dämliches gefragt zu haben. Er wollte nicht den Anschein erwecken sich zu irgendetwas verpflichtet zu fühlen.

    Sie lächelte wieder und ehe sie etwas erwidern konnte schob er >>ich meine, was willst du eigentlich hier?<< nach.

    Kaum hatte er das gesagt bereute er es erneut. Das klang nun unfreundlich. Es war sicher nicht seine Absicht das Mädchen, mit dem er letzte Nacht geschlafen hatte und die, wie er jetzt nüchtern und bei guten Lichtverhältnissen festgestellt hatte, auch noch äußerst attraktiv war, wieder zu vergraulen. Aber er war sich immer noch nicht sicher, was sie eigentlich wollte.

    >>Was soll ich schon wollen? Kannst du dir das nicht denken? Ich will denjenigen kennen lernen, der mir in meine Spüle gekotzt hat. Gestern hast du zwar viel von dir erzählt, aber das machen ja alle Besoffenen.<<

    >>Warst du etwa nicht besoffen?<<

    >>Nicht so sehr wie du.<<

    Was sollte das heißen? Er für seinen Teil war natürlich total betrunken gewesen. Das war aber auch normal, wenn er mit seinen Kumpels los zog.

    >>Trinkst du eigentlich immer so viel?<<

    >>Wieso, ich konnte dir doch scheinbar noch auf verständliche Weise erklären, wo ich wohne. Das spricht ja wohl für mich.<<

    >>Ja, aber gegen dich spricht, dass du in meine Wohnung gekotzt und ewig keinen hoch gekriegt hast.<<

    Sie sagte das ganz nebenbei, als ginge es darum, welche Pizza sie gestern gegessen hätte. Er spürte, wie er errötete und ihm die bereits wieder erlangte Fassung erneut entglitt.

    >>Okay. Also ich heiße Robert und ich wohne hier. Nicht besonders toll, wie du siehst. Gestern Nacht hatte ich zum ersten mal einen 'One Night Stand' und wenn ich zu viel

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