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Die München Variationen
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eBook305 Seiten3 Stunden

Die München Variationen

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Über dieses E-Book

Alles beginnt mit einer waghalsigen Wette… Und Ludger, der bisher ein halbwegs solides Leben führte – zumindest unter der Woche – stürzt in ein Leben voller Gratwanderungen. Er steht im Mittelpunkt einer Handlung, die ein atemberaubendes Kaleidoskop der Stadt München mit dutzenden Personen und Handlungssträngen zeigt. Dabei gerät München zu einer heimlichen Protagonistin, und so ist dieses Buch auch eine Hommage des Autors an die Stadt, in der er lebt.
SpracheDeutsch
HerausgeberTelescope Verlag
Erscheinungsdatum18. Feb. 2017
ISBN9783959150293
Die München Variationen

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    Buchvorschau

    Die München Variationen - Stefan Marek

    Stefan Marek

    Die München Variationen

    Impressum

    © Telescope Verlag 2017

    www.telescope-verlag.de

    Bilder: Regina Weber

    Lektorat: Verena Rotermund, Selzen

    Für Worobuschek

    Ludger

    Der Taubenkot klatschte direkt auf Ludgers Kopf. Das musste derzeit ein besonderer Wettbewerb unter den Münchner Tauben sein. Man kann natürlich seine Überzeugung darauf ausrichten, dass es Glück bringt, von einer Taube verschmutzt zu werden. Dann ist die Wahrnehmung viel mehr auf etwas fokussiert, was für einen positiv ist als auf ein negatives Ereignis. Wenn man sich vor Augen führt, wie eng unser Filter ist und nur 0,002% aller Reize, die wir wahrnehmen, zu uns vordringen können, dann würde man seinen engen Filter unbedingt so ausrichten, dass er eines der unzähligen, nicht wahrgenommenen glücklichen Ereignisse durchließe.

    Nachdem sich Ludger notdürftig gesäubert hatte, ging er weiter. Es war ein schöner Spätsommerabend und die Sonne würde bald untergehen. Er ging die Treppe zum Bahnsteig Donnersberger Brücke hinunter, als ihn eine Frau ansprach:

    „Entschuldigen Sie, geht es hier in die Innenstadt?"

    Ihre Stimme klang angenehm in seinen Ohren. Sie sah jünger aus als er, er schätzte sie auf Anfang Vierzig, sie trug ein elegantes rotes, knielanges Kleid und Stöckelschuhe.

    „Ja", antwortete er und roch Prada.

    Sofort stiegen in ihm Erinnerungen hoch. Eine seiner früheren Bekanntschaften hatte auch gerne dieses Parfüm benutzt und rote Kleider getragen. Es lag schon über zehn Jahre zurück. Eine verrückte Geschichte, die nur wenige Wochen hielt. Er konnte sich noch erinnern, dass sie immer rote Spitzenunterwäsche getragen hatte. Er blickte in blaue Augen und lächelte die Frau an. Ob er dies wegen der Erinnerung oder wegen ihr tat, wusste er in diesem Moment nicht. Die S2 nach Erding fuhr ein.

    „In diese S-Bahn können Sie einsteigen, wenn Sie in die Stadtmitte möchten."

    Sie lächelte ihn an, drehte sich um und stieg ein.

    „Wieder eine Chance im Leben vertan. Ich hätte sie ansprechen sollen, ob sie mit mir noch einen Cocktail oder sonst etwas trinken will."

    Lange schaute er der fahrenden S-Bahn nach. Dann stieg er selbst in die nächste ein und fuhr ziellos weiter. Wie Schatten huschten die Fassaden der Häuser an ihm vorbei. Dabei erinnerte er sich an die verlorene Zeit mit seiner Geliebten damals.

    „Es war von Anfang an hoffnungslos. Sie war zwar wunderschön, aber sie wollte nur spielen. Und ich Tölpel dachte, es sei mehr. Zum Glück ging es schnell vorbei. Wie überhaupt?"

    Die Durchsage der Haltestellen kam nicht automatisch vom Band, sondern wurde heute in Bayerisch vom Fahrer durchgesagt. Er konnte diesen Dialekt immer noch kaum verstehen, obwohl er schon seit mehr als fünfzehn Jahren in München wohnte. Ursprünglich kam er aus Dresden. Er betrachtete sein Gesicht in der Fensterscheibe, als die Bahn durch einen Tunnel fuhr: kurzes braunes Haar, spitze Nase, lustige grüne Augen, die Stirn bereits mit Falten durchzogen, der Jüngste war er mit fünfzig Jahren auch vom Aussehen her nicht mehr. „Ja, die Zeit, wie sie rast, kaum hat man sich berappelt, wird man älter und älter; kaum macht es ein wenig Spaß, geht auch schon die Sonne langsam wieder unter."

    Er stieg am Marienplatz aus und fuhr mit der Rolltreppe hinauf. Beim Hochfahren fiel sein Blick unbewusst auf Werbeplakate. Viele kannte er, weil er sich hier häufig aufhielt. Ein neues Plakat warb für ein Wettlokal.

    „Prima, da gehe ich gleich mal hin!", dachte er sich und ging im Kopf die Quoten für die kommenden Spiele durch. Er hatte noch nicht zu Abend gegessen, Kaffee musste reichen. Am liebsten mochte er Latte macchiato mit drei Stück Süßstoff. Schon morgens machte er sich den einen oder anderen, über den Tag verteilt trank er fünf Tassen mindestens. Sein Smartphone vibrierte. Eine WhatsApp seines Chefs. Er sollte am Montag eine Präsentation halten.

    „Prima, dass ich das am Samstagabend erfahre."

    Er arbeitete bei einer Versicherung als Webmaster.

    „Darum kümmere ich mich am Montag, die Wetten sind wichtiger. Als er am Marienplatz ankam, empfing ihn die Kühle der Nacht. Das Rathaus leuchtete hell und nur wenige Touristen und Nachtschwärmer waren auf dem zentralen Platz Münchens unterwegs. Er schlenderte die Weinstraße Richtung Odeonsplatz hinunter und wunderte sich, warum heute Nacht der Mond so groß und deutlich zu sehen war. München gefiel ihm sehr als Stadt, nicht zu groß und unübersichtlich, gerade noch erträglich. Zwar eine Millionenstadt, aber unterteilt in viele Stadtteile, die manche Bewohner nur selten verließen. Das Zentrum gehörte den Kaufwütigen, Partygängern und natürlich den vielen Touristen aus der ganzen Welt. Er wohnte in Haidhausen. Gepflegter Altbau in der Wörthstraße, in direkter Nähe zum Ostbahnhof, einem der begehrtesten Stadtteile in München. Dort gab es eine gelungene Mischung aus Wohnkultur, Kneipenszene, Kultureinrichtungen und Kleingewerbe, also noch ein richtiges „Milieu. Seine drei Zimmer hatte er sich geschmackvoll nur mit alten Holzmöbeln eingerichtet, die er sich gebraucht gekauft hatte. Gegen Ikea und sonstige Möbelhäuser war er allergisch. Zum Thema Liebe fiel ihm wenig ein. Ja, hier und da gab es mal eine amouröse Bekanntschaft, aber insgesamt nichts festes. Er liebte die Unabhängigkeit.

    Ludger, Karl, Heike

    Am Odeonsplatz angekommen, setzte er sich beim Café Tambosi an einen Tisch im Außenbereich. Das Rauchen hatte er sich vor ein paar Jahren mühsam abgewöhnt. Am Anfang hatte er sehr oft daran gedacht, doch mit der Zeit vergaß er beinahe, dass er geraucht hatte. Heute Abend verspürte er wieder einen Drang dazu. Er wusste aber, wenn er sich nur eine anzündete, war er innerhalb kürzester Zeit wieder bei der Schachtel am Tag. Nach allen möglichen Methoden, Pflastern, Hypnose und Nikotinkaugummis hatte er eines Tages von einen Tag auf den anderen einfach aufgehört. Die Entzugserscheinungen der ersten Zeit ertrug er tapfer, das war, wenn man so will, die Strafe. Nach einigen Tagen ging es, der Rest war Kopfsache, weil das Rauchen häufig ritualisiert ist: Die berühmte Zigarette beim Kaffee nach dem Aufstehen, die Stresszigarette, die nur noch aufgeregter macht, die Zigarette aus Langeweile oder ganz klassisch nach dem Sex. Viele Raucher sagen, sie sind Genussraucher. Das ist natürlich eine Lüge. Nur das Nikotin treibt sie an, sonst nichts. Rauchen ist eine hinterhältige Sucht, die dir immer einflüstert, wie toll es doch ist zu rauchen. Er nippte an seinem Latte macchiato. Trotz der kühlen Witterung war es eine herrliche Sommernacht. Rote Lampen standen auf den vollbesetzten Tischen. Doch er hatte sich schnell sattgesehen. Seine Gedanken schweiften, natürlich, zu Fußballwetten ab.

    „Morgen werde ich das ganz große Ding machen. Eine Kombiwette mit einer Riesenquote. Bei den Spielen kann einfach nichts schiefgehen. Dafür überziehe ich sogar mein Konto. Ich werde 10.000 Euro setzen, gewinne ich, bin ich saniert und habe 200.000 Euro gewonnen."

    Sein Herz schlug automatisch beim Gedanken an diese Wette schneller. Er nippte an seinem Getränk und schaute sich um. Saß da nicht an einem Tisch, weiter entfernt, Karl, sein Kumpel aus alten Tagen? Alt war er geworden, wenige graue Haarsträhnen zierten seinen fast kahlen Kopf. Wer war die charmante Begleitung? Er beschloss, sie noch ein wenig weiter zu beobachten. Karl unterhielt sich angeregt mit der blonden Frau. Sie lachten oft und schienen sich gut zu verstehen. Ihm fiel auf, dass sich die Blondine immer wieder durch die Haare strich und Karls Arm streichelte. Er ging auf Karl zu und lächelte.

    „Hallo, wie geht’s, lange nicht gesehen! Darf ich mich dazusetzen?" Beide musterten ihn.

    „Mensch Ludger, alter Schwede, was machst du denn hier?"

    „Dasselbe wie ihr an diesem wunderschönen Abend."

    „Aber klar, setz dich zu uns, hier ist ein Stuhl, darf ich vorstellen: Heike, eine alte Bekannte."

    Er gab ihr die Hand, sie musste am Gesicht etwas gemacht haben, zu glatt, kaum eine Falte. Er vermutete Hyaluronsäure oder Botox.

    „Schade, dass sich viele Frauen ihr Alter nicht eingestehen wollen, dachte er, „ständig finden sie hier eine Falte oder dort ein Pfund zu viel. Dabei ist es das Natürlichste der Welt zu altern. Wir werden geboren, um irgendwann alt zu sterben.

    „Soll ich eine Flasche Wein für uns bestellen?", fragte Ludger.

    „Klar, es ist noch nicht zu spät und der Abend ist noch jung, oder? Er kannte Karl von einer früheren Firma her. Es war eine ziemliche Irrenanstalt gewesen, wie er fand. Heike zündete sich eine Zigarette an. „Und was machst du gerade?, fragte sie.

    „Nichts Aufregendes, ich arbeite bei einer Versicherung als Webmaster."

    „Du und Karl, ihr kennt euch schon lange?"

    „Ja, ewig."

    Sein Smartphone vibrierte.

    Es war eine Push-Up-Nachricht von seinem Wettanbieter, dass sich die Quoten geändert hatten. „Entschuldigung, ich muss kurz auf die Toilette."

    Dort checkte er die neuesten Quoten.

    „Morgen bin ich reich. Das muss einfach klappen."

    Er ging wieder zu Karl und Heike zurück.

    „Na, hat dich deine Geliebte angerufen?", stichelte Karl.

    „Nein, nein, es war nur Unwichtiges", lenkte er ab.

    „Wenn man dafür extra auf die Toilette geht, kann es nichts Unwichtiges gewesen sein", stellte Heike fest.

    Dass sich in seinem Leben inzwischen alles um Wetten drehte, wollte er ihnen nicht sagen. Das wäre ihm zu peinlich gewesen.

    „Aber zum Glück bist du noch nicht zur Head-Down-Generation gewechselt, bei denen ist eine normale Konversation ohne Smartphone überhaupt nicht mehr möglich. Eher schreiben sie sich WhatsApp-Nachrichten, als sich mal zu unterhalten, das scheint unmöglich geworden zu sein."

    „Ja, da hast du recht, Heike, sagte er, „als ich noch jung war, gab es das ja noch gar nicht und es ging auch so. Sogar besser, wie ich finde.

    Sie waren beim zweiten Glas Wein angelangt und die Flasche war beinahe leer.

    „Ein schöner Abend aber auch. Schade, dass er bald vorbei ist", meinte Karl.

    „Ja, wirklich jammerschade", sagte Heike und legte ihre Hand auf die von Karl.

    Für sie war die Nacht bestimmt noch nicht vorbei.

    „Gut, lasst uns nach Hause gehen."

    „Ich zahle heute Abend, es war ja schließlich ein unerwartetes, aber schönes Wiedersehen."

    „Ja, vielen Dank, mach’s gut, Ludger."

    Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und Heike und Karl machten sich auf den Heimweg.

    „Wie kannst du dich nur mit so einem Loser abgeben", machte Heike ihm beim nach Hause gehen einen Vorwurf.

    „Ach, er ist ein alter Freund, da ist es mir egal, ob er ein Loser ist oder nicht."

    „Du solltest ihn nicht mehr treffen."

    „Ich treffe, wen ich will, das hat Madame nicht zu bestimmen", dachte er sich.

    Karl öffnete seine Haustür und gab Heike einen langen Kuss. Sie wohnte nicht bei ihm, sie waren auch nicht verheiratet, eher eine On-off-Geschichte. Heike war Fotografin für erotische Bilder, Karl Übersetzer von Romanen aus dem Englischen ins Deutsche. Ihr Atelier war auch zugleich Wohnung. Sie lebten eine „68er-Kiste mit „keine Verantwortung, aber umso mehr „Spaß". Öfters krachte es. Der anschließende Versöhnungssex gefiel beiden sehr.

    Ludger

    Ludger ging zur U-Bahn am Odeonsplatz. Er fuhr mit der U5 zum Ostbahnhof nach Hause. Dort war speziell an den Wochenendnächten „besonderes" Publikum unterwegs. Eine Mischung aus Nachtschwärmern, die vor allem zum Kunstpark Ost wollten, Obdachlosen, die eine Übernachtungsmöglichkeit suchten, Drogenabhängigen, Prostituierten und Touristen. Kater Kolja, sein dicker schwarzer Mitbewohner mit einem weißen Bikini als Maserung, begrüßte ihn maunzend. Ludger hatte ihn ganz vergessen und fütterte ihn aus einer großen Dose Katzenfutter, dazu gab es Leckerlis. Kolja würde trotzdem sehr lange brauchen, bis er ihm diese Vernachlässigung verzeihen würde. Da half auch das offensichtlich schlechte Gewissen seines Herrchens nichts.

    „Warum bin ich dieser Sucht eigentlich verfallen?"

    Seine Gedanken schweiften beim Laufen ab.

    „Vielleicht weil ich ein Suchttyp bin, wie es mal jemand festgestellt hat. Was war ich schon nicht nach allem süchtig, ein Wunder, dass ich nicht bei harten Drogen gelandet bin. In alles steigere ich mich hinein bis zum Exzess, ein gesundes Mittelmaß gibt es nicht. Ein Glück, dass ich mir das Rauchen abgewöhnt habe. Aber ich habe es unter Kontrolle, ganz bestimmt."

    Zu Hause checkte er am Laptop noch die letzten Wettkurse und schlief in der Hoffnung auf den großen Gewinn ein. Er träumte, dass er durch einen Tunnel ging, ein Zug kam ihm entgegen. Kurz bevor er überfahren wurde, tauchte er unter und kam nach einer Ewigkeit in einem See wieder an die Oberfläche. Er konnte sich zwar am nächsten Morgen vage an den Traum erinnern, was selten genug war, konnte ihn aber nicht analysieren.

    „Müssen Träume wirklich immer eine Bedeutung haben oder sind es nicht nur sinnlose Zuckungen unserer Synapsen im Gehirn während der Nacht? Sei es drum, heute ist mein Glückstag!"

    Am Nachmittag würden die Spiele beginnen, auf die er gesetzt hatte. Er ließ es gemütlich angehen und machte sich einen Kaffee, stellte das Radio an (BR Klassik) und las die Zeitung von gestern. Zuerst den Lokalteil, die üblichen Krisenherde auf der Welt interessierten ihn nicht. Da hatte tatsächlich eine Ehefrau nach zwanzig Ehejahren ihren Mann mit einem Messer umgebracht, nach eigener Aussage wegen unüberbrückbarer Differenzen.

    „Sachen gibt’s, die gibt es gar nicht", dachte er sich und ging ins Bad, um sich die Zähne zu putzen.

    Dabei fiel ihm ein, dass er dringend zum Zahnarzt wegen einer professionellen Zahnreinigung müsste. Es klingelte an der Tür, Frau Radtke von gegenüber. Eine Endzwanzigerin mit wechselnden Männerbesuch, was man an den lautstarken Auseinandersetzungen auf dem Treppengang öfters hören konnte.

    „Hätten Sie ein wenig Salz für mich?", fragte sie ihn schüchtern. Er wusste ganz genau, dass dies nicht der Grund für ihr Klingeln war.

    „Ja, einen Moment, ich hole welches."

    Als er mit dem Salz zurückkam, sah er an ihren Augen, dass sie vorher geweint haben musste.

    „Ist alles in Ordnung?"

    „Ja, ja, natürlich, wie kommen Sie denn darauf, dass es nicht so wäre?" Sie lächelte verkrampft.

    „Eigentlich wollte ich noch fragen, ob Sie eine Zigarette für mich haben, Sie rauchen doch?"

    „Nein, leider nicht, aber unten ist gleich ein Automat!"

    Sie wurde ein wenig verlegen und sogar rot.

    „Ja, wenn ich nur Kleingeld hätte …"

    „So schaut’s aus, dachte er sich, „abgebrannt ist sie, die Kleine.

    „Einen Moment, ich hole Ihnen einen Fünfer, Sie können ihn mir ja später irgendwann zurückgeben. „

    „Das ist aber sehr freundlich von Ihnen, Herr Milker!", sagte sie überglücklich, als sie das Geld nahm.

    „Es wäre besser, wenn es beim nächsten Männerbesuch nicht so laut zugehen würde", dachte er sich und schloss die Tür.

    In der Küche trank er seinen Kaffee weiter und surfte im Internet. Normalerweise bekam er jede Menge Werbung von Wettanbietern angezeigt, er wusste warum, waren es seine bevorzugten Websites.

    „Hm, Herrmann von Mönchengladbach ist verletzt, aber ich glaube trotzdem, dass sie gewinnen. Sollte ich noch tippen, dass Kruse das 1:0 macht? Nein, ich sollte es nicht übertreiben, reicht schon, wenn ich heute 10.000 Euro setze."

    Er zog sich nach dem Frühstück langsam an und ging zum Ostbahnhof die aktuelle Zeitung kaufen. Letzte Nachtschwärmer waren noch unterwegs oder hatten beschlossen mit Bier aus dem Kiosk, einfach weiterzufeiern. Apropos Medien. Er gab nichts auf die „Wahrheit" der Staatsmedien. Für ihn waren die Zeitungen samt und sonders einseitig und bezahlt. Neutraler und guter Journalismus war es schon lange nicht mehr. Immer wurde auf die Russen geschimpft und deren Propaganda.

    Seine eigenen Gedanken begannen ihn aufzuregen. Ihm gefiel die Welt nicht mehr, wie sie war. Er begann den Sportteil intensiv zu studieren. Jede noch so unwichtige Kleinigkeit oder jedes Detail konnte über seinen Gewinn entscheiden. War die Mannschaft motiviert, hatte es einen Trainerwechsel gegeben? Wie schaute es mit den Verletzten aus? Wie steht es mit der Statistik zum jeweiligen Spiel? Gab es Spieler mit Formkrisen? Er beschloss, seine Tipps zu belassen. Fünf Richtige und er hätte 200.000 Euro gewonnen. Klingt denkbar einfach, ist aber bei den Unwägbarkeiten einer Fußballpartie riskant. Schnell pfiff der Schiedsrichter in der letzten Minute einen unberechtigten Elfmeter oder es wurde ein Abseitstor gegeben. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht, das ist auch der Reiz einer Fußballwette.

    „Was werde ich mit dem ganzen Geld machen?", überlegte er.

    „Vielleicht gar nichts oder anlegen für schlechte Zeiten. Eine Urlaubsreise? Mir liegt nicht viel am Reisen. Genau, ich verzocke höchstwahrscheinlich alles wieder schnell, so wird es sein."

    An seine Arbeit bei der Versicherung dachte er nicht. Jeden Tag von 9 bis 18 Uhr mit einer Stunde Mittagspause. Normalerweise hatte er Ruhe bei seinem Job, nur in Stoßzeiten wie bei wichtigen Presseterminen oder kurzfristigen Werbeaktionen hatte er viel zu tun. Von seinem Mac administrierte er den Onlineauftritt der Versicherung. Neben Erfahrung als Programmierer und Webdesigner brauchte man auch eine Menge „Stallgeruch, um genau das umzusetzen, was seine Vorgesetzten vom ihm erwarteten. Er machte den Job jetzt schon seit acht Jahren und hatte Routine darin. Nach der Arbeit ging er oft etwas essen und verbrachte dann den Abend im Wettlokal. Meistens verlor er, aber ab und zu hatte er richtig Glück und konnte mit einem satten Gewinn nach Hause gehen. „Stallgeruch war wichtig in seiner Firma. Vor ein paar Jahren hatte sein Chef die glorreiche Idee, seinen Job „outzusourcen und eine Fremdagentur die Gestaltung der Firmenhomepage zu überlassen. Nach drei Monaten stellte man ihn reumütig wieder ein, weil es drunter und drüber ging und die Homepage nach kurzer Zeit total verschandelt war. Die Fremdfirma hatte einfach kein Gespür und Einfühlungsvermögen in die inneren Strukturen und Zusammenhänge. Eigentlich wusste nur Ludger, was die Chefs von der Gestaltung der Homepage erwarteten. Dies war der berühmte „Stallgeruch. Die Wiedereinstellung ließ sich Ludger mit einer Gehaltserhöhung versüßen. Die drei Monate hatte er ausgiebig Urlaub gemacht, weil er sich so etwas bereits gedacht hatte. Langsam wurde es Zeit, an das Mittagessen zu denken.

    „Soll ich mir selbst was kochen oder doch lieber Bestellservice?"

    Er entschied sich für den Bestellservice und kramte die Speisekarte eines Inders hervor. Er überlegte kurz und bestellte „Chicken Tikka Masala", dazu noch Nan. Nach zwanzig Minuten klingelte es an seiner Tür und ein junger Mann (wohl indischer Herkunft) brachte ihm das Bestellte. Nach dem Essen ruhte er sich ein wenig aus und wachte nach einer Dreiviertelstunde munter wieder auf.

    „Na dann, auf geht’s ins Wettlokal!"

    Dies beantworte Kolja mit einem vorwurfsvollen Miauen, denn er befürchtete, wieder allein ohne Futter gelassen zu werden. Ludger nahm die U5 vom Ostbahnhof bis zur Schwanthalerhöhe. Er ging gerne dorthin, oft direkt nach der Arbeit. So wie in der Werbung mit Olli Kahn war es dort überhaupt nicht. Eher dunkel, muffig und wenig einladend. Man konnte seine Wetten platzieren, entweder am Automat oder am Schalter. Fußballspiele liefen auf den Großbildfernsehern. Zu trinken gab es offiziell

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