Kleiner Sohn - mein ganzer Stolz: Mami 2026 – Familienroman
Von Kathrin Singer
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Kilometerlang erstreckte sich der Deich an der Nordseeküste. Auf dem grasbewachsenen Abhang tummelten sich Schafherden, die gemächlich das saftige Grün zupften. Die Schafe waren an Menschen gewöhnt, sie rannten nicht davon, wenn auf dem schmalen Weg neben der Uferbefestigung, ganz nah beim Wasser, Leute spazierengingen. Manchmal hoben einige von ihnen ihre Köpfe, unterbrachen ihre Futteraufnahme für kurze Zeit und sahen interessiert zu den Spaziergängern und Joggern hin. Auch vor den Hunden, die umherliefen, um in der neuen Umgebung ihre Zeichen zu setzen, hatten die Schafe keine Angst. Es war noch recht früh im Jahr und hier an der See wehte eine stets erfrischende Brise. In wenigen Wochen wurden die rundlichen Wollknäuel geschoren. Die Wellen der See schlugen leicht gegen die steinerne Befestigung. Es war Flut, das Wasser hatte seinen höchsten Stand erreicht. Am Ufer war die Wasserhöhe recht niedrig. Gefährlich wurde es erst, wenn man den ersten Priel erreichte. Die Nordsee war durchfurcht von Prielen – Wassergräben, die man bei Flut nicht sah. Noch war alles vom Wasser bedeckt, bald würde es sich langsam und ganz allmählich zurückziehen. Dann war Ebbe und das Watt lag frei. Melanie, Sophie und Sven fanden es toll, im Wasser zu spielen. Susanne Wolf, Melanies Mutter, machte sich Sorgen. »Glaubst du nicht, daß es zu kalt für die drei ist?« fragte sie ihren Begleiter. Wolfgang Staeger schaute sie von der Seite an. Aus seinem Blick sprachen Zärtlichkeit und gleichzeitig Resignation.
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Kleiner Sohn - mein ganzer Stolz - Kathrin Singer
Mami
– 2026 –
Kleiner Sohn - mein ganzer Stolz
Das Leben hat plötzlich einen anderen Sinn
Kathrin Singer
Kilometerlang erstreckte sich der Deich an der Nordseeküste. Auf dem grasbewachsenen Abhang tummelten sich Schafherden, die gemächlich das saftige Grün zupften.
Die Schafe waren an Menschen gewöhnt, sie rannten nicht davon, wenn auf dem schmalen Weg neben der Uferbefestigung, ganz nah beim Wasser, Leute spazierengingen. Manchmal hoben einige von ihnen ihre Köpfe, unterbrachen ihre Futteraufnahme für kurze Zeit und sahen interessiert zu den Spaziergängern und Joggern hin. Auch vor den Hunden, die umherliefen, um in der neuen Umgebung ihre Zeichen zu setzen, hatten die Schafe keine Angst.
Es war noch recht früh im Jahr und hier an der See wehte eine stets erfrischende Brise. In wenigen Wochen wurden die rundlichen Wollknäuel geschoren.
Die Wellen der See schlugen leicht gegen die steinerne Befestigung. Es war Flut, das Wasser hatte seinen höchsten Stand erreicht. Am Ufer war die Wasserhöhe recht niedrig. Gefährlich wurde es erst, wenn man den ersten Priel erreichte. Die Nordsee war durchfurcht von Prielen – Wassergräben, die man bei Flut nicht sah. Noch war alles vom Wasser bedeckt, bald würde es sich langsam und ganz allmählich zurückziehen. Dann war Ebbe und das Watt lag frei.
Melanie, Sophie und Sven fanden es toll, im Wasser zu spielen.
Susanne Wolf, Melanies Mutter, machte sich Sorgen. »Glaubst du nicht, daß es zu kalt für die drei ist?« fragte sie ihren Begleiter.
Wolfgang Staeger schaute sie von der Seite an. Aus seinem Blick sprachen Zärtlichkeit und gleichzeitig Resignation. Als Susanne ihm ihr Gesicht zuwandte, wurde seine Miene schlagartig gleichmütig. »Du machst dir zuviel Sorgen, Susanne. Die Kinder sind durch ihre Friesennerze geschützt. Wind und Kälte härten sie ab.« Er schaute auf seine Armbanduhr und fuhr seufzend fort: »Außerdem wird es Zeit für den Rückweg. Ich habe in einer Stunde einen wichtigen Termin mit einem Klienten.«
Er machte eine kurze Pause. »Macht es dir etwas aus, wenn wir alle zusammen zu mir gehen? Ich verschwinde in der Kanzlei und du kümmerst dich um die drei Engelchen.« Beim letzten Wort wurde seine Stimme weich.
Die junge Frau antwortete nicht sofort. Ein Schatten flog über Wolfgang Steagers männlich geschnittenes Gesicht. »Susanne, entschuldige bitte meine Rücksichtslosigkeit.« Ein kurzes bitteres Lachen entrang sich ihm. »Wie kann ich so unverschämt sein und deine Zeit für mich und meine Kinder in Anspruch zu nehmen?«
Susanne blieb abrupt stehen. Er verhielt den Schritt, drehte sich um und schaute ihr in die Augen.
»Wolfgang, wie kannst du nur so etwas Dummes sagen?« fuhr sie ihn heftig an. »Du weißt doch, wie gern ich mit euch zusammen bin. Ich bin froh, daß Melanie Freunde hat, mit denen sie spielen kann. Ohne euch hätten wir uns sicher sehr verlassen gefühlt.« Sie senkte den Kopf und ihr Stimme wurde leiser. Einen Augenblick lang betrachtete sie die drei Kinder und ein Lächeln ließ ihre Augen leuchten.
Seine Miene entspannte sich, er griff nach Susannes rechter Hand und hielt ihre Finger zwischen den seinen. Sekundenlang standen sie regungslos und schauten sich an. Wolfgangs Herz schlug schneller. Er streichelte ihren Handrücken, die Finger. Als er den schmalen Reif aus Titan an ihrem Ringfinger spürte, zog er seine Hand so hastig zurück, als hätte er sich verbrannt.
»Kommt…, kommt dein Mann an diesem Wochenende?« Wolfgangs Stimme klang, selbst nach mehrmaligem Räuspern, immer noch rauh.
»Ich weiß es nicht, doch ich vermute, er wird keine Zeit haben«, erwiderte Susanne gleichmütig.
»Mami, Mami!« Obwohl Melanie atemlos zu ihnen rannte, hatte sie doch alles gehört, was die Erwachsenen sprachen. In ihrem Friesen-nerz, der gelben Wetterüberkleidung, die jeder an der See besaß, blieb sie bei ihnen stehen, das runde niedliche Gesicht gerötet von Sonne, Salz und Wasser. »Der Jahrmarkt kommt hierher. Mit Karussells, Pony und…«, sie mußte erst tief Luft holen, ehe sie weitersprechen konnte. »Können wir nicht alle dorthin gehen?«
»Au ja, das wäre toll!« Sven war ihr gefolgt. Er ging zu Susanne und schaute sie bittend an.
Seinem Vater entging nicht, wie sehr der Vierjährige sich nach einer mütterlichen Bezugsperson sehnte. Er hatte keine Erinnerung mehr an die leibliche Mutter. Vor drei Jahren, damals war Sven erst zwei, war Carola mit einer Freundin in die Tropen gefahren. Wenige Wochen nach der Rückkehr starb sie an einer seltenen Infektionskrankheit.
Carola war mitgefahren, um ihrer Freundin zur Seite zu stehen. Die frühere Schulkameradin fürchtete sich, allein zu fliegen.
Alle kamen gesund zurück. Nur Carola hatte sich infiziert und in langen einsamen Nächten konnte Wolfgang seinen Zorn auf die egoistische Freundin kaum zurückhalten. Er biß in sein Kopfkissen, um seine Verzweiflung, seine Verlassenheit, seine Einsamkeit, seine Hilflosigkeit nicht laut heraus zu schreien.
In einer Situation wie dieser, dachte Wolfgang immer an Carola. Susanne war stets da, wenn ihre Hilfe benötigt wurde. Doch er wollte sie nicht mit Carola vergleichen. Der rasende Schmerz nach ihrem so plötzlichen Tod war inzwischen gemildert. Bisher hatte er allerdings noch keine engere Beziehung zu einer anderen Frau gehabt. Sicher, er lebte nicht wie ein Einsiedlerkrebs. Gelegentliche Flirts lockerten das einsame Dasein etwas auf. Mit einer anderen Frau aber zusammenleben oder sie gar zu heiraten, war für ihn unvorstellbar, schien ihm sogar bis vor kurzem unmöglich. Er war überzeugt, keine Frau jemals wieder so innig lieben zu können wie Carola.
Diese feste Mauer der Überzeugung war wacklig geworden, als er Susanne kennenlernte. Beim ersten Treffen kam seine sonstige Sicherheit ins Schwinden.
Doch Susanne war verheiratet und Wolfgang nahm sich vor, seine Gefühle streng unter Kontrolle zu halten. Das war allerdings ungeheuer schwierig.
Manchmal, wenn Susanne ihn anschaute, dann glaubte er, mehr als nur Verständnis und Hilfsbereitschaft in ihrem Blick zu erkennen.
Er schüttelte den Kopf und murmelte etwas kaum Verständliches vor sich hin.
Susanne beobachtete ihn, sie öffnete die Lippen, sprach jedoch kein Wort.
»Sanne, bitte, Sanne, geh mit uns auf den Jahrmarkt«, drängelte Sven. »Ich hole mein ganzes Geld aus der Spardose. Und…«, seine Worte überstürzten sich beinahe. »Ich kaufe dir auch was ganz Schönes.« Seine sommersprossige Nase wurde kraus. »Aber sehr teuer darf es nicht sein. Ich will doch auch noch Karussell fahren.«
Sie lächelte liebevoll und drückte das kleine, quirlige Kerlchen an sich. Mit den Fingern strich sie durch seine ohnehin fast immer wirre Frisur.
»Wenn dein Papa einverstanden ist, dann gehen wir.«
»Oh, toll!« Sven sprang wie ein Gummiball auf und ab. Atemlos umschlang er mit seinen Ärmchen Susannes Hüften. Er legte den Kopf in den Nacken und strahlte sie aus leuchtenden Augen an. »Ich hab’ dich lieb, Sanne!« sprudelte er hervor. »Ganz furchtbar lieb. Kannst du nicht meine Mama sein?«
Aus Melanies großen blauen Augen, die denen der Mutter so sehr glichen, sprach Trotz und Abwehr. Doch die Erwachsenen achteten nicht auf die Kleine. Wolfgangs Miene verriet Unsicherheit. »Und wenn dein Mann doch kommt?«
»Hilmar kommt bestimmt nicht«, behauptete Melanie. »Der hat doch immer so viel zu tun«, fügte sie verdrossen hinzu. »Obwohl der Großvater…«
Susannes mahnender Blick brachte sie zum Schweigen. Mit zusammengepreßten Lippen stieß sie mit der Spitze ihrer gelben Gummistiefel Steine fort.
Sophie war ein paar Schritte zurückgeblieben. Nun lief sie, um die kleine Gruppe einzuholen. Ihr war eine Frage eingefallen, auf die sie unbedingt eine Antwort haben wollte.
»Warum sagt du Hilmar zu deinem Vater?«
»Weil er nicht mein Papa ist.« Melanie hielt den Kopf gesenkt, an jedem Stein, der herumlag, ließ