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Vom Traum zur Wirklichkeit: Mein Leben in Südafrika
Vom Traum zur Wirklichkeit: Mein Leben in Südafrika
Vom Traum zur Wirklichkeit: Mein Leben in Südafrika
eBook339 Seiten4 Stunden

Vom Traum zur Wirklichkeit: Mein Leben in Südafrika

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Über dieses E-Book

Deutschland während der letzten Kriegsjahre:
Brunis Familie muss ihren Heimatort Stülpe verlassen. Sie fliehen vor der Roten Armee über Luckenwalde nach Hamburg.
Südafrika während der Apartheid:
Samuels Familie muss ihr Haus in Sophiatown räumen.
Sie werden gewaltsam auf LKWs nach Soweto transportiert.
Deutschland, Hamburg, 30 Jahre später:
Bruni, ihr Mann und ihre Tochter wollen Deutschland verlassen und nach Südafrika auswandern.
Sie folgen einem verlockenden Angebot von Freunden nach Johannesburg. Noch ahnen sie nicht auf welches Abenteuer sie sich damit einlassen.
Das Buch schildert spannend und interessant die Herausforderungen in einem fremden Land ein neues Leben zu beginnen.
Das Norddeutsche Fernsehen hat im Rahmen seiner Reihe "Heimat in der Ferne" eine Folge dem Leben Brunis in Südafrika gewidmet.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum27. Dez. 2019
ISBN9783749491797
Vom Traum zur Wirklichkeit: Mein Leben in Südafrika
Autor

Bruni

Bruni, in Stülpe in Ostdeutschland geboren, musste ihren Heimatort zum Ende des Krieges verlassen und kam zunächst nach Luckenwalde. Ein paar Jahre später siedelte ihre Familie nach Hamburg über. Dort lernte sie ihren späteren Mann kennen. Mit ihm und ihrer Tochter wanderte sie nach Südafrika aus. Nach einigen Jahren in Johannesburg zog sie zusammen mit ihrem Mann nach Wilderness an der Gardenroute. Dort eröffneten sie ein Guesthouse. Das direkt am Indischen Ozean gelegene Haus wurde schnell zu einem beliebten Treffpunkt von Gästen aus aller Welt. In ihrem Guesthouse lernte sie Eliza kennen, die mit ihrem Mann Südafrika bereiste. Eliza machte Bruni den Vorschlag über ihr bewegtes Leben in Südafrika ein Buch zu schreiben, was Bruni sofort akzeptierte.

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    Buchvorschau

    Vom Traum zur Wirklichkeit - Bruni

    Für Brunis Tochter und ihre beiden Enkel in

    Cairns, Brisbane und Perth, Australien

    Für Juttas und Rainers Enkelinnen und Enkel in

    Mittelfranken, Deutschland

    und

    für die vielen Stammgäste von Bruni’s Guesthouse

    Inhalt

    Teil 1

    Aufbruch in ein neues Leben

    Teil 2

    Neubeginn

    Register

    Nachwort

    Die Autorinnen

    Teil 1

    Aufbruch in ein neues Leben

    In zwanzig Jahren wirst du mehr enttäuscht sein

    über die Dinge, die du nicht getan hast,

    als über die Dinge, die du getan hast.

    Also löse den Knoten, laufe aus dem

    sicheren Hafen aus. Erfasse die Passatwinde

    mit deinen Segeln. Erforsche. Träume.

    Mark Twain

    »Bis zum nächsten Mal. Wir melden uns, sobald wir wieder in Hamburg sind«, verspricht die junge Frau, als sie die Fahrertür des von rotem Sand überzogenen Jeeps öffnet.

    Ihr Mann, der es sich gerade auf dem Beifahrersitz bequem macht, meint lachend: »Noch kannst du mitkommen.«

    »Ach nee, ich bleibe mal lieber in Afrika. In Deutschland käme ich doch gar nicht mehr klar«, entgegne ich und bemerke zu meiner Überraschung, dass ich etwas wehmütig bin.

    Unsinn, denke ich so bei mir. Ich will doch wirklich nicht mehr zurück!

    Während die junge Frau den Motor des Wagens anlässt, lehnt sich ihr Partner weit aus dem geöffneten linken Seitenfenster und ruft mir zu: »Sollen wir Hamburg wenigstens von dir grüßen?«

    »Na klar, was für eine Frage!«, antworte ich mit lauter Stimme, damit er mich, trotz des lauten Motors, noch hören kann.

    »Fahrt vorsichtig«, rufe ich ihnen winkend hinterher.

    Wie jedes Jahr, wenn sich langsam der Winter ankündigt, wird es ruhiger am südafrikanischen Westkap. Die meisten Touristen, die ihren Urlaub an der Garden Route verbringen, reisen ab. Die Hotels und Gästehäuser leeren sich nach und nach.

    Eigentlich sollte ich mich freuen, endlich etwas Zeit für mich zu haben. Ich könnte in die Garden Mall fahren und in Ruhe shoppen oder mich in den Garten setzen, um endlich das Buch weiterzulesen, das ich vor vielen Monaten angefangen hatte. Oder mich zum Essen im Ocean Basket verabreden …

    Nachdenklich und ein wenig ratlos stehe ich auf dem Parkplatz gegenüber Bruni’s B&B.

    Was denn nun? sage ich halblaut zu mir selbst.

    Zu meinem Erstaunen stelle ich fest, dass ich angespannt und nervös bin. Sind das die ersten Anzeichen von Burnout? geht es mir durch den Kopf.

    Mit einem Mal weiß ich, wohin ich will. Schnell laufe ich zum Nebeneingang des Gästehauses, der geradewegs in den Garten führt. Durch das Haus gehen, würde unweigerlich den Mädels auffallen, die mich während der Saison im Haus unterstützen. Sie würden mein Vorhaben bestimmt nicht gutheißen. Schließlich hätte man jetzt endlich einmal Zeit, um sich in Ruhe zu unterhalten.

    Im Garten angekommen, genieße ich bereits den Blick auf das tiefblaue Wasser des Indischen Ozeans. Gleich darauf, auf dem Weg entlang der Düne, hinunter zum Strand, höre ich die Brandung schon sehr deutlich.

    Der Wind weht durch mein langes Haar, während ich die salzige Luft tief einatme. Die Hälfte des Weges ist zurückgelegt und der Strand ist nun schon ganz nahe.

    Es scheint, als sei ich heute die einzige, die es zum Wasser zieht, denn ich kann weit und breit niemanden sehen. Ich beeile mich, nach unten zu kommen, um endlich die Schuhe auszuziehen und durch den warmen Sand zum Wasser zu laufen.

    Ich muss immer wieder den doch recht hohen Wellen ausweichen, die der aufgewühlte Ozean an den Strand spült. Aber ich bin unkonzentriert und schon hat mich eine Welle erwischt. Meine Jeans ist klitschnass.

    Doch deswegen zum Haus zurückgehen, kommt nicht in Frage. Ich bringe mich vor den Wellen in Sicherheit und setze mich etwas weiter hinten am Strand, näher zur Düne, auf einen Stein. Mein Blick verliert sich in dem endlos scheinenden blauen Wasser mit den weißen Schaumkronen. Ich höre nichts anderes mehr als die donnernde Brandung.

    Ungeheurer Lärm, ein Donnern, das sich mehrmals wiederholte, ließ mich hochfahren. Erschrocken schlang ich die Arme um meinen zitternden Körper. So lag ich eine Weile, bis meine Angst der Neugier wich. Ich löste die Arme, streckte die Beine aus und stand langsam auf.

    Stülpe – Luckenwalde – Hamburg

    Vorsichtig tastete ich mich in der Dunkelheit voran, bis ich am Fenster angekommen war. Die Szenerie, die sich mir bot, empfand ich als gespenstisch.

    Ich sah riesige stählerne Ungetüme, die sich im Mondlicht laut ratternd über das Kopfsteinpflaster der Dorfstraße vorwärts bewegten. Fürchterliche Angst überkam mich. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.

    Obwohl ich noch ein kleines Kind war, spürte ich doch die Bedrohung, die von den Ungetümen ausging.

    Dann geschah etwas für mich Unfassbares. Das Haus, gleich in der Nähe, das in der Biegung der Dorfstraße stand, wurde förmlich überrollt. Die Mauern gaben nach und stürzten ein. Ziegelsteine flogen umher. Im Licht des Mondes konnte ich zudem eine große Staubwolke erkennen.

    Ich hörte Menschen so verzweifelt schreien, dass ich das Gefühlt hatte, die Schreie würden sich regelrecht durch mich hindurchbohren. Wie gebannt starrte ich aus dem Fenster. Ich brachte keinen Laut heraus, bis meine Mutter, die inzwischen herbeigeeilt war, mich in die Arme nahm und vom Fenster wegzog.

    Die Ereignisse dieser Nacht sollten mein Leben völlig verändern. Meine Oma und meine Mama packten am folgenden Tag ein paar Taschen mit unseren wichtigsten Habseligkeiten. Am frühen Morgen des darauffolgenden Tages verließen wir, wie viele andere Einwohner auch, unseren kleinen Heimatort Stülpe.

    Den meisten von ihnen stand ein beschwerlicher Fußmarsch bevor. Nur alte und kranke Leute durften auf den Pferdekarren sitzen. Manche von ihnen wurden zusammen mit Gepäckstücken auf Leiterwagen transportiert.

    Glücklicherweise durfte ich mit meiner Oma auf dem Pferdewagen der Bauernfamilie sitzen, mit deren Kindern ich befreundet war. Unser Ziel war die Kreisstadt Luckenwalde, die von den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges bis dahin, weitgehend verschont geblieben war.

    Meine Mutter hatte mir noch zuhause zu erklären versucht, warum wir nach Luckenwalde gingen. Ich hatte mir auch große Mühe gegeben, alles zu verstehen. Erst allmählich wurde mir jedoch bewusst, was es bedeutete, auf der Flucht zu sein und im Krieg zu leben.

    Luckenwalde schien bereits aus allen Nähten zu platzen. Überall sah ich Menschen mit ernsten Mienen. Viele von ihnen wirkten niedergeschlagen, beinahe verzweifelt.

    Es gab aber auch regelrechte Menschenknäuel, weil einige versuchten, sich an anderen vorbeizudrängen. Sie wollten ganz vorne mit dabei sein, wenn die ersten Zuweisungen der Unterkünfte bekanntgegeben würden. Auch meine Mutter bemühte sich, mit mir an der Hand und Oma im Schlepptau, nach vorne zu gelangen.

    Nach einer Weile angespannten Wartens, wurden wir einem alten Mann übergeben, der uns anschließend zu seinem großen Bauernhof brachte. Auf dem Hof angekommen, wurden wir von seiner Familie sehr freundlich und mit einer für damalige Verhältnisse üppigen Brotzeit empfangen.

    Auch die Tatsache, dass die Familie drei Kinder hatte, erwies sich für mich als Glücksfall. So hatte ich gleich neue Spielkameraden gefunden.

    Allerdings war die Erinnerung an jene fürchterliche Nacht in Stülpe immer wieder präsent und die Bilder verfolgten mich lange noch nachts in meinen Träumen.

    Nach mehr oder weniger glücklichen zwei Jahren, packten wir erneut unsere Habseligkeiten zusammen. Die Rote Armee war bereits im Anmarsch, um Luckenwalde zu besetzen, hieß es.

    Ich war fassungslos und wollte nicht mitkommen, um die Schule nicht zu versäumen. Besonders schmerzlich war es für mich, meine neuen Freunde verlassen zu müssen.

    Meine anhaltenden Proteste stimmten Mama und Oma jedoch nicht um. Eines Morgens machten wir uns auf den Weg zu dem kleinen Luckenwalder Bahnhof, um mit dem Zug nach Hamburg zu fahren. Dort würden uns Verwandte abholen, bei denen wir für eine Weile wohnen durften.

    Am Bahnsteig konnte man sich kaum bewegen, so viele Menschen waren da, mit ihren Taschen, Rucksäcken und Koffern. Ich hatte panische Angst, meine Mutter in dem Durcheinander zu verlieren und krallte mich an ihrem Mantel fest.

    Als der Zug, der uns in den Westen bringen sollte, endlich am Bahnhof ankam, setzte ein ungeheures Gedränge ein. Die Menschen zwängten sich aneinander vorbei. Es schien, als wollten alle auf einmal in das Innere des Zuges gelangen.

    An einem Einstieg, wo bereits mehrere Leute anstanden, bemerkte ich einen Mann, der seinen Ellbogen gegen eine ältere Frau stieß, um sich rücksichtslos an ihr vorbeizuschieben. Die Frau taumelte daraufhin und fiel rücklings in eine Familie, die hinter ihr stand.

    Ich konnte nicht mehr weitergehen, so entsetzt war ich. »Bruni, der Zug fährt ohne uns los, wenn du so trödelst«, ärgerte sich daraufhin meine Mutter und zog mich etwas unsanft weiter.

    Sophiatown – Meadowlands

    Etwa zur selben Zeit muss es wohl gewesen sein, als Samuel sich dicht an seinen Vater presste, um ihn zwischen den vielen Menschen nicht zu verlieren.

    Auf der engen, mit Unrat übersäten Straße, die durch Sophiatown führte, vorbei an dicht aneinander stehenden Häusern und Wellblechhütten, ging es, wie jeden Tag turbulent und laut zu.

    Der Vater hielt seinen Sohn zwar fest an der Hand. Doch Samuel hatte große Angst, von ihm getrennt zu werden. Tränen der Verzweiflung rannen über sein Gesicht. Er hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden, da er zwischen den vielen, zumeist erwachsenen Menschen, nichts sehen konnte.

    Erst als sein Vater bemerkte, dass sein Sohn weinte, hob er ihn in die Höhe und setzte ihn auf seine Schultern. Nun sah das Kind, dass sie sich unweit des Hauses befanden, wo oftmals parteipolitische Versammlungen des African National Congress (ANC)* stattfanden.

    Samuel verspürte wenig Freude auf das bevorstehende Treffen mit Männern, die immer aufgeregt Dinge diskutierten, die er nicht verstand.

    Bei ihrem Eintreffen, nickten einige der Anwesenden Samuels Vater freundlich zu. Ein Mann sprach gerade davon, dass die Regierung den Abriss aller Häuser im gemischtrassigen Sophiatown nun endgültig beschlossen habe.

    Auch Alexandra, wo ebenfalls Afrikaner seit mehreren Generationen eigene Häuser und kleine Grundstücke besaßen, sei davon betroffen. Die Bewohner der beiden Gemeinden würden zwangsumgesiedelt werden in städtische Townships*. Dem Stadtrat von Johannesburg müssten die Umgesiedelten dann Miete bezahlen.

    Dies heizte die Stimmung unter den Anwesenden wieder einmal enorm an. Auch Samuels Vater, der einer einst angesehenen Familie des Stammes der Xhosa* entstammte, ergriff nun das Wort: »Die Menschen sollen nach Rassen getrennt leben und hier soll ein Viertel nur für reiche Weiße entstehen!«, rief er aufgebracht.

    Danach ging es um die Ausbildung der Kinder und die Frage, ob es in der neuen Township überhaupt Schulen gäbe. Nun wurde auch Samuel hellhörig. Er war gerade erst in der St. Peter’s School eingeschult worden und hatte viel Spaß am Lernen. Er wollte, genauso wie sein Vater, einmal in Fort Hare* am Missionscollege studieren. Wann immer sein Vater von seiner Zeit in Fort Hare erzählte, hing Samuel förmlich an seinen Lippen.

    Samuels Vater hatte während seiner Studienzeit dort Nelson Mandela* und Oliver Tambo* kennengelernt. Auch Samuel war ihnen einige Male auf den Versammlungen begegnet. Mandela und Tambo mussten damals wegen einer Protestaktion Fort Hare verlassen, während sein Vater dort weiterstudierte.

    Nach dem Studium trafen sich die Männer dann wieder in einer Mine in Johannesburg, wo Samuels Vater zunächst Arbeit fand, nachdem sich sein Traum von einem Zweitstudium der Rechtswissenschaften an der Witwatersrand-Universität* nicht erfüllte. Dieses Privileg war damals, bis auf wenige Ausnahmen, nur weißen Studenten vorbehalten.

    Samuels Vater redete nun über Boykotts, Streiks und Proteste, was den kleinen Samuel absolut nicht interessierte. Er begann sich fürchterlich zu langweilen und überlegte, wann sie wohl endlich nach Hause gingen.

    Aber sein Vater diskutierte inzwischen mit einem Mann, den der kleine Samuel nicht kannte. Deshalb begann er ungeduldig mit seinen Fäusten den Vater zu malträtieren.

    »Samuel hör auf damit!«, befahl ihm sein Vater. »Ich unterhalte mich noch.«

    Nun stieß auch Oliver Tambo, einer der Gründer der damaligen ANC Youth League*, zu Samuels Vater. Das Kind mochte den Freund seines Vaters zwar gut leiden. Aber die Männer redeten jetzt nur noch über die Partei.

    Samuel, der die Zusammenhänge nicht verstand, wurde immer zappeliger. Er begann damit, seinen Vater mit den Fäusten zu traktieren. Dieser kapitulierte schließlich genervt und verließ die kleine Versammlung, nachdem er sich von den anderen verabschiedet hatte. Verärgert nahm er seinen Sohn an der Hand, als er mit ihm nach Hause lief.

    Samuels Familie, bestehend aus seiner Mutter Bahati, seinem Vater Tebogo und seiner um ein Jahr jüngeren Schwester Adanna, lebte in ihrem eigenen kleinen Haus in Sophiatown.

    Wie die meisten Häuser der Gemeinde, die etwa acht Kilometer vom Zentrum der großen Stadt Johannesburg entfernt lag, war auch das Haus von Samuels Familie baufällig und heruntergekommen. Das Grundstück war winzig klein. Es bot lediglich noch Platz für eine kleine Wellblechhütte, die an das Haus angebaut war.

    Der Mieter der Wellblechhütte, ein Journalist, der für ein politisches Magazin arbeitete, hatte Samuels Vater einen Job in der Redaktion der Zeitung verschafft. Tebogo war darüber sehr glücklich. Endlich war es ihm möglich, seine Arbeit in der Mine zu kündigen, wo er sich nie besonders wohlgefühlt hatte.

    Samuel überlegte manchmal, ob es nicht doch ganz gut sei, wenn sie umgesiedelt werden würden. Die Menschen in Sophiatown hatten nicht genug Geld, um ihre Häuser zu renovieren. Da auch die Stadt Johannesburg kein Geld in das Viertel investierte, gab es weder Straßenreinigung noch Straßenbeleuchtungen. Oft roch es sehr unangenehm, so dass sich Samuel ekelte, wenn er auf dem Schulweg war.

    Die neuen Häuser in der Township würden bestimmt viel besser sein, ging es ihm manchmal durch den Kopf. Aber er schämte sich sogleich für diese Gedanken, wenn er sah, wie leidenschaftlich seine Eltern für ihr Haus kämpften.

    Eines Abends, Samuel und Adanna schliefen bereits, klopfte es heftig an der Haustür. Erst nach einer Weile öffnete Tebogo.

    Samuel, der vom lauten Klopfen auch aufgewacht war, erkannte die Stimmen von Nelson Mandela und Oliver Tambo. Sie kamen von einer wichtigen Besprechung, die mit interessanten Lösungsvorschlägen beendet wurde, berichteten sie.

    Es folgten Schilderungen diverser Diskussionen über Aktionsprogramme des ANC sowie die Vorbereitung einer öfentlichen Kundgebung. Samuel drehte sich gelangweilt und gähnend auf die Seite und schlief wieder ein.

    Am nächsten Tag versammelten sich mehrere Nachbarn im elterlichen Haus, um zu beraten, wie sie den Behörden Widerstand leisten könnten. Ein Nachbar schlug aufgeregt Waffengewalt vor, was Samuel sehr erschreckte. Ein anderer Mann, der weiter unten an der Straße zur Miete wohnte, stellte die Frage in den Raum, ob die Umsiedlung nicht auch Vorteile brächte.

    Diesen Vorstoß bedauerte er allerdings sofort, denn alle erwachsenen Anwesenden blickten ihn entrüstet an. Samuels Mutter, die als Erste wieder sprach, hielt aufgebracht eine Rede darüber, was ihrer Meinung nach ihnen allen bevorstand.

    Samuel hörte dabei zum ersten Mal, dass ein Gelände namens Meadowlands von der Regierung für die Umsiedlung der Einwohner von Sophiatown vorgesehen sei.

    Zum Verdruss aller Anwesenden sollte mit der Umsiedlung bereits begonnen werden, bevor die Häuser auf dem neuen Gelände komplett fertiggestellt sein würden. Darüber hinaus sei völlig unklar, wie es mit einer Schule aussähe. Wahrscheinlich gäbe es vorerst keine Gelegenheit für die Kinder, weiter zur Schule zu gehen.

    Der kleine Samuel blickte betroffen vor sich zu Boden. Traurig stand er auf und ging zu der Ecke, in der die beiden Söhne der Nachbarn bereits kauerten.

    Der kleinere von beiden trommelte mit einem Holzstab aufgeregt auf einer Blechtasse herum, um die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf sich zu lenken. Schließlich riss der ältere Bruder dem jüngeren entnervt das Hölzchen aus der Hand und fauchte drohend »Kiume«, den Namen des Kleinen.

    In der Nacht wälzte sich Samuel schlaflos auf seiner Matratze. Alles hätte er ertragen, eine Umsiedlung nach Meadowlands, auch neue Nachbarn. Aber dass er womöglich nicht mehr zur Schule gehen durfte, hatte heftigen kindlichen Zorn in ihm ausgelöst.

    Auch seine Schwester Adanna, obwohl sie gerade erst fünf Jahre alt war, begann langsam zu verstehen, was der Familie bevorstand. Mehrmals hörte er sie schluchzen in dieser Nacht, in der auch er keinen Schlaf fand.

    Wie an beinahe allen Behausungen von Sophiatown, war auch am Haus von Bahati und Tebogo in blutroten Lettern »We won’t move« zu lesen. Aber auch das sollte letztlich nichts bewirken.

    An einem kühlen und regnerischen Februartag begann schließlich die Räumung Sophiatowns. Ein paar Tage früher, als die Bewohner des Viertels dies vermutet hatten. Die Behörden hatten sicherlich geahnt, dass ihnen bewaffneter Widerstand drohte, würden sie zum angekündigten Zeitpunkt mit der Umsiedlung starten.

    Es mussten mehr als tausend bewaffnete Polizisten gewesen sein, die mit einem Mal frühmorgens in Sophiatown eintrafen. Sie verschafften sich gewaltsam Zutritt zu den Häusern und zwangen die Bewohner zum unverzüglichen Verlassen der Wohnungen.

    So auch Samuels Familie. Männer räumten Matratzen, Kleidung und etwas Hausrat aus dem Innern des Hauses und warfen alles auf die Ladefläche eines LKW. Samuel, der vor Angst wie gelähmt dastand, hielt seine kleine Schwester fest an der Hand. Auch der kleinen Adanna konnte man unschwer ansehen, wie entsetzt sie war.

    Als die Männer mit dem Ausräumen fertig waren, wurden beide Kinder von einem bewaffneten Mann zu einem der wartenden LKWs gedrängt. Bahati und Tebogo, die noch versuchten ihr Haus zu verteidigen, gaben auf und rannten hinter ihren Kindern her, um von diesen nicht getrennt zu werden.

    Strömender Regen hatte inzwischen eingesetzt, als eine Kolonne mit LKWs, vollgestopft mit Menschen und deren Hausrat, über die Straßen Johannesburgs nach Meadowlands fuhr, um dort ihre Fracht wieder zu entladen.

    Tebogo lag bewusstlos auf einer der Matratzen auf der Ladefläche. Er hatte sich vor der Abfahrt mit dem Fahrer des Lastwagens angelegt. Einer der Männer, die noch Hausrat aus dem Nachbarshaus räumten, mischte sich ein und griff mit einem Stock den überraschten Tebogo an. Dieser hatte keine Möglichkeit mehr gehabt, sich zur Wehr zu setzen.

    Adanna zitterte am ganzen Körper. Sie blickte wie gebannt in das bleiche Gesicht ihres Vaters, unfähig zu weinen oder etwas zu sagen. Die Nachbarsfamilie mit ihren beiden Söhnen hockte mit ihren wenigen Habseligkeiten ebenfalls auf der Ladefläche des LKW um den, wie leblos daliegenden Tebogo, herum.

    Beide Familien sollten vorerst gemeinsam in das Haus einziehen, welches für die Familie von Bahati und Tebogo vorgesehen war. Die Fertigstellung des Nachbarhauses würde noch eine Weile in Anspruch nehmen.

    Samuel gefiel dies überhaupt nicht, schon weil er die beiden Kinder nicht besonders leiden konnte. Vor allem der kleinere, Kiume, hatte ein äußerst hinterhältiges Wesen.

    Als die LKW-Kolonne endlich in Meadowlands ankam und die tropfnassen Menschen von den Ladeflächen der Fahrzeuge kletterten, war auch Tebogo wieder bei Bewusstsein. Stöhnend versuchte er sich auf seiner Matratze aufzurichten. Nur verschwommen konnte er seine Kinder auf einem schlammigen Weg erkennen, die vor einer Reihe neu erbauter Häuser standen. Nicht ein einziger Baum war zu sehen, nur die unglaublich tristen und kasernenähnlichen Häuserblocks.

    Hamburg

    Meine Familie war in Hamburg bei Tante und Onkel untergekommen. Diese gaben sich große Mühe, uns nicht spüren zu lassen, vor welche Probleme sie unsere Anwesenheit stellte.

    Tante, die ganz offensichtlich großen Wert auf Sauberkeit und Ordnung in ihrem Haushalt legte, fügte sich nach und nach in ihr Schicksal und versuchte, sich mit all den herumliegenden Sachen zu arrangieren.

    Viel schlimmer jedoch war es, für fünf Menschen Lebensmittel zu beschaffen. Oft musste ich hungrig ins Bett gehen. Sehnsüchtig dachte ich dann vor dem Einschlafen an den Bauernhof in Luckenwalde. Mit der Erinnerung an das üppige Essen dort schlief ich dann endlich ein.

    Obwohl ich es genoss, Hamburg zu erkunden, wurde mein Heimweh nach dem Bauernhof immer größer. Ich wollte zurück zu meinen Freunden, den Feldern mit den schönen blauen Kornblumen und den Tieren.

    Es war so schön gewesen, über die Felder zu rennen und mit dem jüngsten Sohn der Bauernfamilie Streiche auszuhecken. Wenngleich uns sein Opa oftmals gescholten und einmal sogar auch Ohrfeigen ausgeteilt hatte.

    Da waren wir auf das marode Dach eines Schuppens geklettert. Opa musste eine Leiter organisieren, um uns zu retten, weil wir nicht mehr herunterkamen.

    Oder mein Lamm, das ich zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte und dort zurücklassen musste. All diese Erinnerungen erschienen mir jetzt so unwirklich, wie aus einem anderen Leben.

    In Wirklichkeit waren wir seit Jahren auf der Flucht, ohne ein richtiges Zuhause. Auch Tante und Onkel würden uns sicherlich nur für eine Weile dulden. Die Vorstellung, wieder unsere Sachen packen zu müssen, um erneut wegzugehen, mit vielleicht unbekanntem Ziel, jagte mir schon jetzt große Angst ein.

    Als mir meine Mutter eines Tages eröffnete, dass sie für uns in einem Randbezirk von Hamburg eine kleine Wohnung angemietet hatte, schienen sich meine Ängste zu bestätigen. Ich wollte nicht schon wieder weggehen. Würde ich mich jemals überhaupt wieder irgendwo zuhause fühlen können?

    Meine Mutter, die schon seit meinem zweiten Lebensjahr von meinem Vater geschieden war, hatte endlich Arbeit gefunden. Sie war als gelernte Krankenschwester in einem Klinikum untergekommen, worüber sie augenscheinlich sehr glücklich war.

    Auch Oma zog mit uns in der kleinen Wohnung ein. Sie sollte sich um den Haushalt und um mich kümmern. Als ich die Wohnung zum ersten Mal sah, war ich sehr enttäuscht. Sie erschien mir viel zu klein für uns drei. Ein Blick aus einem der schmalen Fenster bestätigte meinen ersten Eindruck von der tristen Umgebung.

    Das Schlimmste jedoch war die Tatsache, dass wir uns sehr einschränken mussten, um mit Mamas kleinem Gehalt über die Runden zu kommen. Wenn es Brot gab, wurde es in dünne Scheiben geschnitten und hauchdünn mit Margarine bestrichen. Oft waren die kleinen Brotscheiben hart, weil erst das alte Brot aufgegessen werden musste, bevor es frisches gab.

    Im Nachbarhaus wohnte ein Mädchen in meinem Alter. Ich sah sie ab und an mit Süßigkeiten in der Hand im Hof sitzen. Genussvoll biss sie dann, mit zumeist geschlossenen Augen, von einer Waffel oder einer Tafel Schokolade ab.

    Wieder einmal stand ich in der Hofeinfahrt, um sie heimlich zu beobachten. Ein wenig neidisch sah ich, wie sie auch heute wieder mit verzücktem Gesicht an einer Süßigkeit lutschte.

    Als das Nachbarsmädchen die Augen öffnete, bemerkte sie mich und blickte überrascht zu mir herüber. Ich erschrak und wollte schon weggehen, als sie lächelte und mir zuwinkte.

    Karoline und ich wurden dicke Freundinnen. Fortan teilte sie die Süßigkeiten, die sie von Verwandten bekam, mit mir. Dann saßen wir beide in der Ecke des Hinterhofes und genossen die köstlichen Naschereien gemeinsam.

    Dank Karoline begann ich, mich allmählich in meiner neuen Umgebung wohlzufühlen. Vielleicht konnte ich hier ja doch so etwas wie ein neues Zuhause finden.

    Wie so oft in den Sommerferien, war ich auch diesmal wieder auf dem Weg, die Einkäufe zu erledigen, um Oma zu entlasten. Sie war mittlerweile froh, wenn sie nicht mehr aus dem Haus gehen musste. Ihr Rheumaleiden machte ihr so sehr zu schaffen, dass sie an manchen Tagen bei jeder Bewegung, die sie machte, laut aufstöhnte.

    Ich hatte bereits mehr als die Hälfte des Weges zurückgelegt und lief nun in die Seitenstraße, in der sich ein kleiner Lebensmittelladen befand. Als ich um die Straßenecke bog, stand ich auf einmal einem fremden Jungen mit lockigem braunen Haar gegenüber.

    Zunächst erschrocken blieb ich stehen. Mir fiel sofort sein freundliches, ansteckendes Lächeln und dann seine grünbraunen Augen auf, die auf sonderbare Weise leuchteten.

    Mit ihm kann man

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