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The Vandraren Stories: Buch I - Geisterjäger
The Vandraren Stories: Buch I - Geisterjäger
The Vandraren Stories: Buch I - Geisterjäger
eBook311 Seiten4 Stunden

The Vandraren Stories: Buch I - Geisterjäger

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Über dieses E-Book

Die vierzehnjährige Tamina lebt mit ihrer Familie im Herzen des Erzgebirges. Sie geht in die achte Klasse des örtlichen Gymnasiums und verbringt ihr Leben hauptsächlich damit, Bücher zu lesen oder sich mit Freunden zu treffen.
Da platzt eines Tages ebenso plötzlich, wie unerklärlich, Alex in ihr Leben. Als Tamina sich auf dem Konzert ihrer Lieblingsband unversehens Auge in Auge mit dem Bassisten gegenübersieht, der ihr dann noch eine mysteriöse, rubinrote Kugel in die Hand drückt, beginnt die wohl abenteuerlichste Reise ihres Lebens ...
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum11. März 2021
ISBN9783347089440
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    Buchvorschau

    The Vandraren Stories - Michelle Mittag

    Prolog

    Es ist Nacht. Zwei Gestalten stehen auf einem Hügel und blicken hinab auf ein wütend tosendes Inferno, das den Himmel weithin rot und drohend erleuchtet und die nähere Umgebung in ein beinahe taghelles Licht taucht. Die Hitze der Flammen ist bis zu den schweigenden Beobachtern spürbar, obwohl diese bereits weitab der Szenerie stehen.

    Schließlich hebt der Größere der beiden zu sprechen an und seine markante Stimme durchbricht den Augenblick. „Sie haben es tatsächlich getan. Ich hatte es nicht für möglich gehalten. Die armen Menschen. Auch wenn sie zum Feind gehören. So viele unschuldige Seelen."

    Sein Begleiter starrt ihn für einen Moment an, dann wendet er den Blick zurück auf die flammende Hölle unter ihm. Als er schließlich antwortet, ist seine Stimme zornig: „Du hast es ihnen wahrlich nicht zugetraut, Sadwyn? Ich habe dir doch prophezeit, dass es so geschehen würde. Ich habe es schon so oft erlebt, wie sich Menschen gegenseitig abschlachten wegen eingebildeter Differenzen und einer Handvoll Wahnsinniger, die sich wie die Könige der Welt aufführen müssen … Ich glaube, ich gebe auf. Ich verkünde hiermit offiziell, meinen Glauben an die Menschheit verloren zu haben."

    „Ach Arwan, das kann ich dir nicht abnehmen. Du hast nur leider in deinem Leben viel zu viele von solchen Leuten kennengelernt und was mit deiner Familie damals passiert ist …"

    „Lass meine Familie da raus!, schnappt die zweite Gestalt bissig, als in der Ferne plötzlich Flugzeugmotorengeräusche laut werden. „Wir sollten von hier verschwinden, schließt er seinen Satz abrupt und seufzt genervt.

    Mit einem letzten Blick auf das brennende Dresden wenden sich beide ruckartig ab und sind verschwunden.

    65 Jahre später …

    Der Wecker reißt mich mit einem lauten, für meinen Geschmack übermotivierten und daher unangebrachten „Piep–Piep–Piep aus dem Schlaf. Ich drücke mit mehr Wucht, als eigentlich notwendig gewesen wäre, auf die Ausschalttaste und setze mich auf. Es ist Montagmorgen. Bah. Ganz präzise gesprochen ist es Montagmorgen um Viertel nach sechs. Zeit zum Aufstehen, um den morgendlichen Spurt aus Anziehen–Frühstücken–zum–Bus–Rennen hoffentlich rechtzeitig vor der Abfahrt von Letzterem zu bewerkstelligen. Doch kurz kuschele ich mich noch einmal in die Laken. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und schaue mich in meinem Zimmer um. Die orange Tapete an der Wand, die vertrauten Borten mit den verschlungenen Blütenblättern und darüber an der Decke die Holztäfelung. Alles scheint wie immer. Außer, dass es sich seit einigen Nächten definitiv nicht mehr so anfühlt. Ich werde seit Tagen von Alpträumen geplagt – richtig miesen Alpträumen mit fiesen Typen, Monstern, meinem eigenen Beinahe–Ableben … dem ganzen Programm also. Jedoch fühlen sich diese Träume so real an, als würden sie mir ins Ohr flüstern: „Wir sind wahr, wir sind so geschehen! Doch das wäre einfach zu absurd gewesen.

    Ich schäle mich aus meiner Decke und setze mich auf. Ich habe festgestellt, dass manche Details zum Glück ziemlich schnell wieder verblassen. An eines kann ich mich allerdings immer sehr deutlich erinnern: An eine eindringliche, und dennoch gleichzeitig auf merkwürdige Weise sanfte Stimme, die ruft: „Lasst sie in Ruhe!" Danach sehe ich verschwommen die Konturen eines jungen Mannes, der sich vorsichtig über mich beugt. Seine kohlrabenschwarzen Haare fallen ihm ins Gesicht und seine ebenfalls schwarzen Augen blicken besorgt. Dann endet der Traum abrupt. Es bleibt mir lediglich als bitterer Nachgeschmack ein unerklärlicher Schmerz an meinem rechten Arm. Komischerweise genau an der Stelle, an der ich seit Kurzem eine zirka zwei Zentimeter lange Narbe habe, was mich doch sehr erstaunt. Ich achte im Allgemeinen gut auf mich und meinen Körper und müsste doch wissen, wo ich mir die geholt habe? Fehlanzeige, egal wie intensiv ich mich zu erinnern versuche, es gelingt mir nicht. Überhaupt fühle ich mich häufig noch schlapp und erschöpft, weil ich vor ein paar Tagen mit einer ziemlich heftigen Grippe zu kämpfen gehabt habe. Vielleicht kommt das diffuse Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben, ja daher. Seufzend schüttele ich die Gedanken an die letzte Nacht ab und begebe mich zurück in die Realität und in den Alltag Schule.

    Es ist ein milder Frühsommermorgen und als ich aus der Haustür trete, strahlt mich die Sonne bereits enthusiastisch an. Vögel zwitschern und die Insekten in unserem Garten liefern sich ein Wettrennen zu den schönsten Blüten. Eigentlich wohne ich gern am Stadtrand in unserer gemütlichen und ruhigen Siedlung, doch um morgens zur Schule zu gelangen, muss ich immer extra zeitig aufstehen. Ich öffne die Gartentür, die ein rostiges Quietschen von sich gibt, und trete hinaus auf die noch stille Straße. Als ich die Gartentür schließe, bleibt mein Blick an den schönen, eingearbeiteten Verzierungen hängen. Mitten in der Tür sieht man ein paar Vögel, die sich im Flug umkreisen. Es ist bereits eine alte Handarbeit. Mein Vater sagt immer, dass dieses Motiv von unseren Vorfahren stamme, die den Hof erbaut haben.

    Ich drehe mich um und marschiere die Straße entlang in Richtung Bushaltestelle. Trotz der warmen Sonnenstrahlen fröstele ich in meinem T–Shirt. Hier im Erzgebirge ist es doch immer etwas kälter als anderswo und ich freue mich darauf, in die bereits wärmere Stadt zu kommen. In der Ferne sehe ich den Schulbus auf die Haltestelle zufahren und lege für die letzten zweihundert Meter einen unfreiwilligen Sprint ein. Ich komme gleichzeitig mit dem Bus an der Haltestelle an und warte, bis sich die Türen knarzend öffnen.

    Ich grüße kurz den Busfahrer – es ist meistens der Gleiche – und höre mir seine allmorgendlichen Kommentare bezüglich meiner Zeitplanung an. An sich ist Olé ein netter Kerl und so lache ich höflich und lasse mich dann auf einen freien Sitz am Fenster fallen.

    Nun folgen zwanzig Minuten belangloses In–die– Landschaft–stieren und darauf warten, dass wir endlich ankommen. Die Monotonie dessen wird nur unterbrochen, wenn der Bus hält und neue, verschlafene Schüler selbigen betreten. Unsere Buslinie fährt um diese Uhrzeit nur für Schüler, die an mein Gymnasium wollen, daher kenne ich die meisten vom Sehen. Einige sind älter als ich, viele jedoch auch jünger. Ich liege mit meinen vierzehn Jahren recht gut im Mittel unseres bunten Sammelsuriums. Nachdem wir den letzten Schüler eingesammelt haben, fahren wir noch zirka fünf Minuten ohne Unterbrechung durch bis zur Schule.

    Bisher hatte ich mich ganz gut beschäftigt gehalten bekommen, indem ich mich bemühte, nicht meinen Gedanken nachzuhängen, sondern mich stattdessen mit ganzem Interesse den einsteigenden Schülern und den Kommentaren unseres Busfahrers zu widmen. Doch auf diesem letzten Stück war das nicht möglich. Auch draußen gab es kaum Sehenswertes: Wir befuhren die langgezogene Umgehungsstraße, die uns bis fast an die Schultür bringen würde.

    Und bevor ich mich zusammenreißen konnte, war ich in Gedanken versunken und grübelte erneut über meine merkwürdigen Träume nach. Was bedeutete das? Normalerweise glaubte ich ja nicht an Geister und Zauberer, aber diese Träume fühlten sich immer so real an. Und woher kam die Narbe an meinem Arm? Schlafwandelte ich etwa? War das der Grund? Das wäre ja noch schöner, wenn ich plötzlich im Schlaf durch die Gegend rennen würde! Oder waren das erste Anzeichen, dass ich durchdrehte und womöglich halluzinierte? Und diese Stimme …

    „Lasst sie in Ruhe!", hatte der junge Mann gerufen. Wen hatte er gemeint?

    Eins

    Plötzlich schreckte mich ein Rütteln an meiner Schulter aus meinen Gedanken auf. „Na, bist wohl eingeschlafen?", fragte Olé.

    Ich blickte hoch und sah, dass wir bereits an der Schule angekommen und sämtliche Schüler schon ausgestiegen waren.

    „Hast wohl heute Nacht schlecht geschlafen?", witzelte der Busfahrer weiter und sah mich dabei dann doch leicht besorgt an.

    Ich hörte in der Ferne das Vorklingeln – die Ankündigung, dass der Unterricht in fünf Minuten losgehen würde – und stand ruckartig auf. „Nein danke, alles gut. Ich schreibe nur heute eine Mathearbeit, auf die ich keinen Bock hab." Mein dazu aufgesetztes Lächeln misslang auf ganzer Linie und Olé sah mir kopfschüttelnd nach, als ich mich an ihm vorbeiquetschte und den engen Gang bis zur Tür rannte.

    Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig ins Klassenzimmer und setzte mich neben meine beste Freundin Marie.

    „Was ist denn mit dir passiert, du hast ja ganz rote Flecken im Gesicht!", begrüßte sie mich.

    Na toll. Wenn selbst Marie etwas zu meinem Äußeren sagte, musste es wirklich schlimm um mich stehen. Normalerweise hielt sie sich mit solchen Bemerkungen immer sehr zurück. Marie war ein freundliches, allerdings auch sehr zierliches und schüchternes Persönchen und meist sehr vorsichtig in ihren Kommentaren. Wir kannten uns schon seit dem Kindergarten, richtig angefreundet hatten wir uns jedoch erst in der Schule. Sie wohnte ein kleines Stück von mir entfernt und deshalb waren wir beide überglücklich gewesen, als wir am Gymnasium in dieselbe Klasse kamen. Dennoch nervte mich ihr Kommentar jetzt.

    „Was soll denn sein, mir geht es gut!, schnappte ich deshalb etwas heftiger als geplant. Kurz darauf lenkte ich jedoch ein: „Ich hab heute Nacht einfach schlecht geschlafen und der Mathetest nachher … Ich brauchte den Satz nicht zu beenden. Marie wusste um meine Mathematikfähigkeiten, beziehungsweise deren permanente Abwesenheit.

    Sie fuhr sich durch die kurzen, braunen Haare und nickte mitfühlend, als sie erwiderte: „Ich kann dich gut verstehen."

    Die Stunde hatte mittlerweile begonnen, doch unsere Geografielehrerin Frau Mertens war noch nicht erschienen. Geografie war schon seit der fünften Klasse eines meiner Lieblingsfächer und jetzt, da wir in der achten Klasse den Kontinent Amerika drannahmen, freute ich mich sehr auf die Stunde. Die große Landkarte des Doppelkontinents hing bereits neben der Tafel.

    Plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit von einer Bewegung mitten im Raum angezogen: Drei Mädchen in hautengen Tops und mindestens einer Tonne Make–up im Gesicht saßen auf den Bänken und machten sich nicht mal die Mühe, ihre Stimmen zu dämpfen, als sie nun über mich herzogen. „Guck doch mal ihre Haare an, die sind ja total zerzaust!" Nun lachten die drei hämisch, während sie mich herablassend musterten.

    „Ja und ihr Gesicht erst, lauter rote Flecken, als wäre sie durch einen Schwarm Bienen gerannt!"

    Innerlich kochte ich vor Wut, doch nach außen hin ließ ich mir nichts anmerken. Es stimmte, dass ich nicht sonderlich beliebt war. Ich war eben Durchschnitt mit meinen halblangen braunen Haaren, den ebenfalls braunen Augen und der eher zierlichen, aber keinesfalls sportlichen, Figur. Sollten unsere Klassenqueens doch lästern, soviel sie wollten. Ich beschränkte mich darauf, Charlotte, Helena und Audrey einen bösen Blick zuzuwerfen und widmete meine volle Aufmerksamkeit dann wieder Marie, die mich noch immer besorgt von der Seite musterte.

    „Es ist wirklich alles in Ordnung, versicherte ich ihr mit Nachdruck und endlich entspannten sich ihre Gesichtszüge ein wenig. „Konntest du eigentlich wegen Freitag alles klären?, schob ich noch hinterher, um endgültig das leidige Thema meines desaströsen Aussehens zu beenden.

    „Oh ja, sagte sie erfreut. „Mein Vater kann uns begleiten.

    „Wunderbar!" Ich strahlte sie an.

    Dann würde unserem Konzertbesuch diesen Freitag ja nichts mehr im Wege stehen. Da wir noch keine sechzehn waren, brauchten wir immer eine Begleitung, wenn wir etwas unternehmen wollten. Voll nervig, aber immerhin besser, als ganz daheim zu vergammeln. Diesmal sollte es auf ein Konzert gehen. Die Band hatte ich ausgesucht. Marie und ich hatten einen nahezu komplementären Musikgeschmack und um uns darüber nicht zu zerstreiten, hatten wir vor einiger Zeit einen Kompromiss getroffen – wir würden den Geschmack des jeweils anderen einfach akzeptieren und immer im Wechsel zu den Konzerten unserer Lieblingsbands gehen, sollten diese mal in die Nähe unserer gottverlassenen Gegend kommen.

    Und endlich war es soweit. Nachdem ich vor einem halben Jahr mit Marie auf dem Konzert ihrer Lieblingsband, einer Symphonic Metal Gruppe – ja, wer hätte das gedacht? – gewesen war, sollte nun endlich ich an die Reihe kommen. Eine meiner Lieblingsbands würde in einer Klosterruine in der Nähe spielen, etwa eine Autostunde von hier entfernt. Ich freute mich schon wahnsinnig auf die Kulisse und die Atmosphäre, da diese bestimmt wunderbar zu dem Musikstil der Gruppe passen würde.

    Das Geräusch der sich schließenden Klassenzimmertür hielt mich von weiteren Betrachtungen dieses Themas ab und als Frau Mertens uns mit einem Lächeln und einem freundlichen „Guten Morgen" begrüßt hatte, war ich im Kopf wieder völlig bei Geografie. Also, so zu neunundneunzig Prozent – ein nagendes Gefühl in meinem Hinterkopf beschäftigte sich noch immer mit meinen Alpträumen und der geheimnisvollen Stimme …

    Dennoch ging die Stunde schnell vorbei und auch danach nahm der Rest des Tages Fahrt auf. Bis zur letzten Stunde. Mathe. Trigonometrie. Ein Test. Und mittendrin eine völlig talent– und verständnisfreie Schülerin – Ich. Das klang doch mal wie der Auftakt zu einem Horrorfilm. Wurde es dann auch. Als ich nach fünfundvierzig Minuten mein Blatt abgab, fühlte sich mein Gehirn wie ausgequetscht an, obwohl ich doch kaum eine Frage hatte beantworten können. Ich schlurfte aus dem Schulgebäude – einem schmucklosen Kastenbau – und ging Richtung Bushaltestelle. Von Marie hatte ich mich bereits drinnen verabschiedet und so war ich nun ganz allein. Marie wohnte in der anderen Richtung und insgesamt auch näher an der Schule. Die Glückliche konnte mit dem Rad fahren, während ich in der mittlerweile unangenehm warmen Mittagssonne auf Olé und seinen klappernden Bus wartete. Um mich herum scharten sich immer mehr Schüler, die ebenfalls mit dem Bus fuhren. Sie lachten laut und scherzten miteinander. Ein paar Sechstklässler bespritzen sich gegenseitig mit einer Wasserflasche. Kinder.

    Schließlich kam der Bus in Sicht. Als ich einstieg, musterte Olé mich über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg kritisch. „Na, was ist denn mit dir los? Da sahst du heute früh ja noch gut dagegen aus!"

    Ich murmelte etwas von dem vergeigten Test und ließ mich dann von der Woge aus hereinströmenden Schülern weiter nach hinten tragen, bis ich schließlich einen freien Einzelplatz entdeckte. Ich lehnte den rechten Arm gegen das Fenster und zuckte vor Schmerz zusammen. Die Narbe war ganz rot und tat bei Berührung höllisch weh! Ich hatte den ganzen Tag keine Probleme gehabt, was rückblickend betrachtet wohl auch mit dem Umstand zusammenhängen könnte, dass ich Linkshänderin war. Ich biss mir auf die Lippe, um den Schmerz hinunterzuschlucken. Plötzlich sah die Narbe wieder ganz frisch aus … Wo kam die nur her?

    Kaum Zuhause angekommen, schmierte ich sie dick mit Heilsalbe ein. Langsam ließ der Schmerz nach. Ich musste mich unbedingt zusammenreißen, bevor meine Eltern nach Hause kamen. Also machte ich das, was jeder in meiner Situation tun würde – ich setzte mich vor den Fernseher. Man konnte mich nicht unbedingt als fernsehsüchtig bezeichnen, aber ein kleines bisschen nach der Schule half immer, um erstmal abzuschalten.

    Ich war so vertieft in das Programm, dass ich beinahe verpasste, wie sich die Haustür öffnete und meine Mutter hereinkam. „Hallo mein Schatz!", rief sie schon, kaum dass sie den Flur betreten hatte.

    Meine Mutter Selina war eine mittelgroße Frau mit braunen Haaren und einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Doch nun bildeten sich kleine Sorgenfältchen um ihre Augen, als sie mich musterte. Bitte nicht sie auch noch. „Was ist denn mit dir – ", hob sie an, doch ich kam ihrer Frage zuvor.

    „Wir hatten heute einen furchtbaren Mathetest. Und ich hab noch ganz viele Hausaufgaben." In einer einzigen Bewegung schaltete ich den Fernseher aus, legte die Fernbedienung danach auf das kleine Tischen und floh an meiner Mutter vorbei in mein Zimmer, während sie mir verständnislos hinterhersah.

    Draußen hörte ich meine kleine Schwester Mia toben. Meine Mutter hatte sie gerade aus dem Kindergarten abgeholt und schon rannte sie zum Sandkasten in unserem Garten. Mit ihren sechs Jahren würde sie schon recht bald in die Schule kommen, doch sie hatte so viel Energie, dass ich bezweifelte, dass sie auch nur eine Stunde lang würde ruhig sitzen können, geschweige denn einen ganzen Schultag. Ich sah ihr von meinem Fenster aus zu, wie sie den Hof überquerte. Ihre blonden Zöpfe wehten hinter ihr her, als sie nun zum Spielturm mit der Rutsche rannte. Sie war ja so anders als ich, mit meinen braunen Haaren und der eher zurückhaltenden Art. Aber dennoch liebte ich die Kleine über alles. Ich seufzte noch einmal tief und blickte auf meinen Arm. Komisch, jetzt ging es mit der Narbe wieder. Die Salbe hatte wohl geholfen. Warum ich mich nicht meiner Mutter anvertraute oder meinem Vater Gregor, der bestimmt auch bald nach Hause kommen musste? Ich weiß es nicht, ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend hielt mich davon ab.

    Ich drehte mich eine Runde auf meinem Drehstuhl um die eigene Achse. Na gut, wenn ich hier schon grübelte, konnte ich auch gleich Hausaufgaben machen, wie ich meiner Mutter gesagt hatte. Also holte ich die Hefte heraus und versuchte, die Namen der nordamerikanischen Flüsse auf dem Arbeitsblatt einzutragen, doch ich konnte mich nicht konzentrieren und ertappte mich nach einer Weile dabei, wie ich nur noch gedankenverloren mit dem Bleistift über meinen rechten Unterarm strich. An der Innenseite konnte ich die leichte Erhebung der merkwürdigen Narbe spüren.

    Eine gefühlte Ewigkeit später hörte ich die Tür erneut aufgehen und vernahm kurz darauf die Stimme meines Vaters, der meine Mutter und meine kleine Schwester begrüßte. Ich vernahm das überschwängliche Lachen Mias, als er sie wohl hochhob und im Kreis wirbelte, wie er es immer mit ihr machte. Danach hörte ich, wie Mia wieder in den Garten rannte. Als ihre Schritte auf dem Kies verklangen, ertönten von unten leise Stimmen.

    „Ist Tamina auf ihrem Zimmer?", fragte mein Vater.

    „Ja, sie sagte, sie mache Hausaufgaben. Aber sie sah sehr müde aus, du solltest sie vielleicht im Moment nicht stören", antwortete meine Mutter.

    In Gedanken sandte ich ihr ein Küsschen für ihr Feingefühl und machte mich mit gemischten Gefühlen erneut an meine Hausaufgaben.

    Als wir an diesem Abend alle zusammen beim Abendbrot saßen, kam das Gespräch natürlich auf meine vergeigte Mathearbeit. Zum Glück waren meine Eltern verständnisvoll. Sie wussten, dass meine Talente eher im künstlerischen denn im naturwissenschaftlichen Bereich lagen und so wurde ich nach ein paar Neckereien vonseiten meines Vaters nach dem Essen entlassen. Als ich schon fast an der Tür war, rief er mir dann noch nach: „Ach, Tamina?"

    Ich drehte mich um. „Ja?"

    „Wegen des Konzerts am Freitag, konntest du mit Marie alles Wichtige absprechen?"

    „Ja, ihr Vater fährt uns und bleibt mit da", antwortete ich.

    „Na, dann ist ja alles gut, entgegnete mein Vater beruhigt. „Du weißt, wenn ich nicht diesen Kongress am Wochenende hätte, wäre ich auch gern mitgekommen.

    „Natürlich doch!, erwiderte ich lächelnd. Mein Vater hatte ein– bis zweimal pro Jahr teambildende Maßnahmen und dann fuhr seine ganze Firma übers Wochenende zu Fortbildungen und so. Leider fand dieses Event gerade am folgenden Wochenende statt. „Maries Vater ist ja zum Glück da.

    Mein Vater lächelte und nickte mir noch einmal zu.

    Bevor ich ins Bett ging, klopfte es an meiner Zimmertür. Meine Mutter steckte ihren Kopf einen Spalt breit herein. „Darf ich kurz stören?"

    „Na klar doch!" Ich beeilte mich, mein Schlafanzugtop fertig überzustreifen, während sie auf meinem Drehstuhl Platz nahm.

    „Ich wollte nur nochmal nach dir sehen, weil du heute Nachmittag so erschöpft ausgesehen hast, begann sie zögerlich. „Aber jetzt siehst du schon wieder besser aus!

    „Jetzt fühle ich mich auch wieder besser, entgegnete ich. „Es lag wirklich nur an der Mathearbeit.

    Meine Mutter nickte beruhigt und verließ nach einer kurzen Umarmung und einem Kuss auf meine Stirn mein Zimmer. Ich fühlte mich unwohl, ihr nicht die Wahrheit zu sagen, doch ich wusste nicht, was ich ihr hätte erzählen sollen. „Weißt du, ich schlafe nachts schlecht, habe Alpträume und ach ja, wenn wir gerade dabei sind, ich glaube, ich schlafwandele. Guck mal die neue Narbe an meinem Arm an, da bin ich möglicherweise oder auch nicht gegen die Wand gerannt!" – wenn ich erreichen wollte, dass meine Eltern mich für verrückt hielten, könnte ich es nicht besser machen. Sie waren so schon besorgt genug, weil ich nur wenige Freunde hatte. Ich musste mit dem Thema endlich abschließen. Die Narbe würde ich weiter beobachten, aber die Alpträume waren einfach absurd.

    Die nächsten Tage gelang es mir mal mehr und mal minder gut, mich an diesen Plan zu halten. Ich versuchte es trotz allem ruhig angehen zu lassen, weil ich nach meiner Krankheit noch immer nicht wieder richtig fit war.

    Doch schließlich war die Woche um, meine Mutter, Schwester und ich verabschiedeten meinen Vater zu seinem Kongress und ich wartete darauf, dass Marie und ihr Vater mich einsammeln würden. Während ich wartete, schweiften meine Gedanken erneut ab. Wenn das so weiterging, würde ich bald neue Rekorde im Tagträumen aufstellen. Ich war doch sonst nicht so! Doch ein Vorfall vom Vormittag beschäftigte mich noch immer – es war in der dritten Stunde in Sport gewesen.

    Wir hatten unter den gestrengen Augen Herrn Gisberts (alias Herrn Griesgrams) Bodenturnen geübt. Herr Gisbert war ein Lehrer vom „alten Schlag", wie er sich selbst gern bezeichnete. Für uns Schüler bedeutete das, dass quasi jeder kleine Fehler akribisch vor der gesamten Klasse erörtert wurde, während Herr Gisbert merkwürdigerweise nie eine seiner Übungen selbst demonstrierte. Stattdessen beorderte er immer Schüler nach vorn.

    Heute traf es mich. Ich sollte unter seiner Anleitung einen Handstand machen. In der Theorie war das ja kein Problem, auch wenn ich nicht sonderlich sportlich war. Gerade hinstellen, Arme nach oben, möglichst elegant nach vorn fallen lassen und dann mit den Beinen abdrücken. Anschließend galt es, das Gleichgewicht zu halten. Also stellte ich mich an der Turnmatte auf. Ich machte einen Schritt nach vorn und tauchte nach unten ab. Doch sowie meine rechte Hand die Matte berührte und ich mich abstützen wollte, spürte ich einen stechenden Schmerz durch meinen Körper jagen und mein Arm knickte weg. Ich legte eine unfreiwillige Seitwärtsrolle hin und fand mich plötzlich zu den Füßen unseres Lehrers wieder.

    „Ungenügend!", war dessen einziger Kommentar.

    Ich rappelte mich auf, doch die Welt drehte sich noch eine Runde, bis ich wieder halbwegs sicher stand. Währenddessen führte unser liebreizender Sportlehrer aus, was ich denn seiner Meinung nach alles falsch gemacht hatte.

    Mit einem Mal fühlte ich mich so erschöpft, als hätte ich bereits drei Stunden Sport hinter mir. Oder als hätte ich mit Grippe trainiert. Dabei hatte ich gedacht, ich sei schon wieder fit genug für den Sportunterricht! Wie dem auch sei, Herr Gisbert, der von meiner Vorstellung nicht sonderlich angetan war, hatte bereits einen anderen Schüler nach vorn beordert, um diesen weiter zu quälen. Ich schlich erschöpft und gedemütigt zurück neben Marie, die mich verunsichert anblickte.

    „Was war denn das?, fragte sie erschrocken. „Geht’s dir etwa nicht gut? Du bist so blass!

    „Es geht schon wieder", entgegnete ich. Noch einmal tief durchatmen, dann stand ich wieder einigermaßen stabil. Nach der Stunde musste ich mich dann allerdings doch nochmal kurz auf der Toilette sammeln. Dabei begegnete ich natürlich – da machte sich wohl jemand über mich lustig – den Klassenqueens.

    „Na sieh mal einer an, begann Audrey, „wen haben wir denn da? Hat sich unsere alte Oma von ihrem Schwächeanfall erholt? Sie lachte hämisch und stieß mich in die Seite, bevor sie sich zusammen mit ihren Freundinnen an mir vorbeidrängelte.

    Es stimmte, dass ich die Älteste in der Klasse war, da ich ganz kurz

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