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131 Allein in Paris
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eBook279 Seiten3 Stunden

131 Allein in Paris

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Über dieses E-Book

Ein Brief Ihres Vaters ruft die schöne Una Thoreau aus der Klosterschule in Italien in sein Malerstudio im Montmartre zurück. Doch dort angekommen, stellt sie entsetzt fest, dass er in der Zwischenzeit gestorben ist. Mittellos, ist sie plötzlich allein auf sich gestellt, in einem Ort der der Mittelpunkt des Fin de Siècle und der Sündenpfuhl von Paris ist. Der Kunsthändler Philippe Dubucheron, Agent ihres Vaters, nimmt sich ihrer an und versucht Profit aus ihrer Verbindung zum Maler Thoreau zu machen. Besonders dem reichen Duke von Wolstanton, der in Paris Ablenkung von seinen Problemen in England sucht, möchte Dubucheron mit Una in eine Affäre locken. Am Anfang glaubt der Duke in Una eine gute Schauspielerin vor sich zu haben – doch bald verliebt er sich unsterblich in sie.
SpracheDeutsch
HerausgeberM-Y Books
Erscheinungsdatum14. Apr. 2015
ISBN9781788673204
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    Buchvorschau

    131 Allein in Paris - Barbara Cartland

    I ~ 1892

    Die Bremsen kreischten als der Zug bei der Einfahrt in den Bahnhof die Geschwindigkeit drosselte. Die Gouvernante, deren Obhut die drei Mädchen anvertraut waren, wandte sich an Una.

    »Wird jemand auf dem Bahnsteig sein, der Sie abholt?« fragte sie mit ihrer wohlklingenden, aber unsicheren Stimme.

    »Ja, ich denke, mein Vater wird dort sein«, erwiderte Una. »Ich habe ihm in der vergangenen Woche geschrieben und ihm die Ankunftszeit des Zuges mitgeteilt.«

    »Dann ist es gut«, sagte die Gouvernante.

    Die Erleichterung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

    Zu Beginn ihrer Reise nach Frankreich hatte sich Mademoiselle große Sorgen gemacht. Schließlich sollte sie die Verantwortung für drei junge Damen übernehmen - ein Gedanke, der ihr schlaflose Nächte bereitet hatte.

    Aber dann war doch alles besser gegangen, als sie befürchtet hatte, denn Una erwies sich als ein so umsichtiges, hilfsbereites Mädchen, daß Mademoiselle sie direkt ins Herz geschlossen hatte. Una war es zu verdanken, daß aus der gefürchteten Bahnfahrt sogar ein richtiges Vergnügen geworden war, das alle vier aufs Höchste genossen hatten.

    Dabei waren die beiden anderen Mädchen, Töchter des Comte de Beausoir, eigentlich sehr schwierige, weil ein wenig arrogante und eingebildete kleine Persönlichkeiten, denen die Aussicht, mit Mademoiselle zusammen die Ferien verbringen zu müssen, ganz offensichtlich nicht behagte.

    Die Jüngste aus der Familie des Comte, Marie-Celeste, die erst fünfzehn war, hatte auf der ganzen Reise nichts anderes zu tun gehabt, als hinter dem Rücken der Gouvernante Grimassen zu schneiden und sie nachzuäffen. Außerdem durfte man sie keine Sekunde lang aus den Augen lassen, weil stets die Gefahr bestand, daß sie irgendetwas Schlimmes anstellte.

    Wäre Una nicht gewesen, die auf die kleine Landplage einen sehr wohltuenden Einfluß ausübte, Mademoiselle hätte bereits in den ersten Stunden der Fahrt einen Nervenzusammenbruch erlitten.

    Una hatte sehr schnell gemerkt, daß Mademoiselle, die nicht mehr die Allerjüngste war, großen Wert auf ihre Stellung im Hause des Comte legte. Vermutlich hatte sie sich daran gewöhnt und verspürte keine Lust, in einer anderen Familie noch einmal von vorne anzufangen.

    Aus diesem Grund drückte Mademoiselle bei der Ausübung ihrer Pflichten häufig ein Auge zu und gab den Launen und Wünschen der beiden Mädchen auf fast beschämende Weise immer wieder nach, weil sie es mit keinem von ihnen verderben wollte. Vor allem Marie-Celeste nutzte Mademoiselles Schwäche weidlich aus, und die Reise von Italien nach Frankreich wäre für die Ärmste gewiß ein Alptraum geworden, wäre Una nicht gewesen, in deren Hände die kleine Teufelin sanft und formbar wie Wachs zu sein schien.

    Nun fuhren sie in den Bahnhof von Paris ein, und Una mußte an den Abschied denken. Seltsamerweise fiel er ihr von der Frau mit dem kleinen, verängstigten Gesicht schwerer als von den beiden Mädchen, die in den letzten drei Jahren auf der Klosterschule ihre Mitschülerinnen gewesen waren.

    Ja, drei Jahre hatte sie in Italien gelebt. Drei Jahre, in denen sie von ihrem Vater nie ein Lebenszeichen erhalten hatte.

    Seltsam, dachte sie, und dann plötzlich schickt er als Antwort auf meinen letzten Brief ein Telegramm mit dem Wortlaut:

    Komm sofort!

    Nr. 9, Rue de l'Abreuville Montmartre, Paris

    Una war mit dem Telegramm sofort zur Mutter Oberin gegangen, die beim Lesen der Anschrift deutlich erkennbar die Stirn gerunzelt hatte.

    »Dein Vater wohnt auf dem Montmartre?« hatte sie gefragt.

    »Ja, Ehrwürdige Mutter. Wie Sie wissen, ist mein Vater Maler.«

    Die Ehrwürdige Mutter preßte die Lippen zusammen, und es schien sie große Überwindung zu kosten, dem Mädchen nicht kundzutun, was sie über Maler im Allgemeinen und über den Montmartre im Besonderen dachte.

    »Ich hatte Papa geschrieben, Ehrwürdige Mutter«, sagte Una höflich. »Ich hatte ihn daran erinnert, daß ich inzwischen achtzehn bin und das Geld, das Mama für meine Ausbildung und Erziehung bestimmte, aufgebraucht ist. Gleichzeitig bat ich ihn darum, mir mitzuteilen, wie er sich meine weitere Zukunft vorstellt.«

    »Und dies ist die Antwort«, sagte die Mutter Oberin mit einem etwas verächtlichen Blick auf das vor ihr liegende Telegramm.

    »Ich freue mich sehr darauf, wieder bei Papa zu sein«, erklärte Una glückstrahlend. »Außerdem bin ich inzwischen auch etwas zu alt für die Schule geworden, nicht wahr?«

    »Der Gedanke, daß eine von meinen Schutzbefohlenen auf dem Montmartre leben wird, gefällt mir überhaupt nicht. Besonders wenn sie noch so jung ist wie du, mein Kind«, sagte die Mutter Oberin.

    Bei diesen Worten schaute sie Una an und dachte, daß zu diesem Thema eigentlich noch eine ganze Menge zu sagen sei.

    Unerträglich und qualvoll der Gedanke, jemanden, der so schön und anziehend war wie das junge Mädchen vor ihr, inmitten dieses moralischen Sumpfes, unter all den Künstlern, Tänzern, Lebemännern und Halbweltdamen zu wissen! Schließlich gab es auf der ganzen Welt keinen Platz, der verrufener, unmoralischer und lasterhafter war als der Montmartre in Paris.

    Als gute Katholikin und Braut Christi wußte die Mutter Oberin natürlich, daß sich auf dem Hügel hoch über der Stadt ein Gotteshaus erhob, das dem Allerheiligsten Herzen Jesu geweiht war und gleichsam das Zentrum dieses Sündenbabels darstellte.

    Aber selbst diese Tatsache genügte - dem Himmel sei's geklagt - nicht, die himmelschreienden Geschichten über Tanzhallen, Kabaretts und andere, noch dubiosere Etablissements des Vergnügens und des Lasters, die in Europa ihresgleichen suchten, aus der Welt zu schaffen.

    Das jedoch waren Dinge, die man unmöglich mit einem unschuldigen Mädchen wie Una besprechen konnte.

    Entsetzlich für die Mutter Oberin, denn alles, in ihrem Herzen drängte danach, Una die Reise nach Paris und den Aufenthalt bei ihrem Vater auszureden.

    Aber das Mädchen war aus dem Alter heraus, um noch länger auf der Klosterschule bleiben zu können, die ausschließlich der Erziehung junger Ladys diente. Außerdem war die Geldsumme, die Unas Mutter zu diesem Zweck in ihrem Testament festgelegt hatte, aufgebraucht, und zu verschenken hatten auch die frommen Schwestern nichts.

    Die Mutter Oberin hatte es sich zum Prinzip gemacht, nie nach den familiären Hintergründen ihrer Schülerinnen zu fragen, doch es gab für sie keinen Zweifel, daß Unas Lebensverhältnisse recht ungewöhnlich waren.

    Offensichtlich hatte Unas Mutter in ihrem Letzten Willen bestimmt, daß ihr kleines Vermögen ausnahmslos für die Erziehung und Ausbildung ihrer Tochter verwendet würde. Einen Monat bevor sie starb, hatte sie an den Konvent Unserer Lieben Frau in Florenz geschrieben und um Auskünfte gebeten.

    Man hatte ihr geantwortet, daß es sich bei der Schule nicht nur um die angesehenste Einrichtung zur Ausbildung adliger Mädchen handelte, sondern daß auch der Unterricht, der hier erteilt wurde, weit über dem üblichen Niveau lag. Natürlich hatte die Mutter Oberin nicht unterlassen, nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß diese Tatsache nicht hoch genug veranschlagt werden könne in einer Zeit, da sogar die reichsten Familien Europas der Ausbildung ihrer Töchter nur einen äußerst geringen Wert beimaßen.

    Es gab da allerdings gewisse Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. So taten sich die französischen Mädchen deutlich besser als die englischen, und in der Klosterschule Unserer Lieben Frau kam die Mehrheit der Schülerinnen aus Frankreich und Italien.

    Die wenigen Engländerinnen, die es dort gab, hatte man ihrem mangelhaften Wissensstand entsprechend in Klassen eingestuft, für die sie eigentlich schon zu alt waren.

    Una allerdings hatte eine Ausnahme gebildet.

    Dank ihrer außergewöhnlichen Intelligenz holte sie ihre französischen und italienischen Altersgenossinnen sehr bald ein und errang in kurzer Zeit den Namen der Klassenbesten.

    Nun fragte sich die Mutter Oberin besorgt, was das hochtalentierte Mädchen in Zukunft wohl mit seiner Begabung anfangen würde.

    Sie war immer der Meinung gewesen, daß Künstler im allgemeinen heruntergekommene und unordentliche Menschen seien. Menschen ohne besondere Fähigkeiten und Qualitäten, ausgenommen natürlich ihr Talent als Maler oder Bildhauer.

    Daß Unas Vater nicht ganz in dieses Schema hineinpaßte, war ihr bekannt. Sie wußte, daß er als Offizier bei den Grenadier Guards gedient hatte, bevor er England verließ und das Malen zu seinem Beruf machte.

    Die Mutter Oberin hatte nie eines seiner Bilder zu Gesicht bekommen, aber sie hatte einmal einen Artikel über seine Arbeiten gelesen, nicht in einer der zahlreichen Kunstzeitschriften, die sie grundsätzlich nicht in die Hand nahm, sondern in einer angesehenen Tageszeitung, in der gelegentlich auch über Ausstellungen und über die neuen Trends der Malerei berichtet wurde.

    Im Kopf der Mutter Oberin hatte sich daher der Eindruck festgesetzt, Julius Thoreau sei ein Gentleman, dem es Spaß mache, in der Welt der Kunst die Rolle des begabten Dilettanten zu spielen.

    Und während sie das Mädchen betrachtete, das vor ihr stand, konnte sie nur hoffen, daß er sich Una gegenüber auf seine Verantwortung als Vater besann.

    Das Mindeste, was er für seine Tochter tun konnte, war, Montmartre zu verlassen und mit ihr in einen der nobleren Wohnbezirke außerhalb von Paris umzuziehen. Wie die Mutter Oberin sich noch deutlich erinnerte, hatte sein Brief damals vor drei Jahren, in dem er Una als Schülerin anmeldete, eine wesentlich akzeptablere Anschrift getragen.

    »Ich hoffe sehr, Una«, sagte sie nun mit ihrer ruhigen wohltönenden Stimme, »daß dein Vater dich in die Gesellschaft einführen wird. Und ich bin sicher, er ist mit mir einer Meinung, daß der Montmartre für ein Mädchen wie dich nie und nimmer die passende Umgebung ist.«

    »Als Mama noch lebte«, erwiderte Una, »waren wir sehr glücklich in dem kleinen Haus außerhalb der Stadt. Papa pflegte im Garten zu malen. Als er dann später nach Paris ging, blieben Mama und ich zu Hause.«

    »Das war sehr vernünftig«, lobte die Mutter Oberin. »Und ich glaube bestimmt, daß es ganz im Sinne deiner Mutter ist, wenn du deinen Vater überredest, zu einem solchen Leben zurückzukehren.«

    Ihre Stimme nahm einen geradezu beschwörenden Ton an, als sie fortfuhr: »Vor allem, Una, weiß ich, wie sehr du das Landleben liebst und daß dir ein Leben in der Großstadt nach den vielen beschaulichen Jahren in unserem Haus schwerfallen wird.«

    Una antwortete nicht. Sie war nämlich der Auffassung, daß Paris eine sehr starke Faszination auf sie ausüben und ein Leben dort ihr ungeheure Freude machen würde. Und außerdem war sie sicher, daß ihr Vater das pulsierende Leben der berühmtesten Stadt der Welt dem ruhigen, ereignislosen und ein wenig stumpfsinnigen Dasein, das sie in der Vergangenheit geführt hatten, vorziehen würde.

    Einer der Hauptgründe, weshalb ihre Mutter nur selten nach Paris fuhr, war der, daß sie sich solche Fahrten nicht leisten konnten.

    Schon als Kind hatte Una erkannt, daß sie jeden Penny umdrehen mußten und daß ihr Vater den größten Teil des Geldes für sich ausgab.

    Dabei war es eigentlich das Vermögen ihrer Mutter.

    »Es wurde mir von deinem Großvater hinterlassen«, erklärte sie Una, »und es ist ein Glück, daß er so gut zu mir war. Hätte er mich nicht damit bedacht, ich weiß nicht, was aus uns geworden wäre.«

    Una war fast fünfzehn gewesen, als sie zum ersten Mal davon erfuhr, daß ihr Vater England und sein Regiment wegen eines Skandals hatte verlassen müssen.

    Einzelheiten vermochte sie nicht herauszufinden - bis auf den Umstand, daß es um einen Ehrenhandel ging und daß ein älterer Offizier mit in die Sache verwickelt war.

    Jedenfalls hatte ihr Vater seine Entlassung einreichen müssen, um der Verurteilung durch ein Militärgericht zu entgehen.

    Danach hatte er verbittert und voller Zorn England verlassen und das Mädchen mitgenommen, mit dem er heimlich verlobt gewesen war.

    Wie Una erfuhr, hatten die Eltern das Verlöbnis geheim gehalten, da der Vater ihrer Mutter die Heirat strikt verboten hatte.

    Als sich seine Tochter seinem Willen widersetzte und mit dem Mann davonlief, der in seinen Augen eine »Kanaille« war, verstieß er sie aus seinem Leben und gab jede Verbindung mit ihr auf.

    Una wurde also in Frankreich geboren, und weil ihre Mutter ihr Heimweh nicht verbergen konnte, wenn sie von England erzählte, erschien Una dieses Land wie das Paradies. Kein Wunder, daß sich in ihr der Wunsch festsetzte, wenigstens einmal in ihrem Leben die Insel zu besuchen und dort so glücklich zu sein, wie es ihre Mutter in den Tagen ihrer Kindheit gewesen war.

    Der unerwartete Tod der Mutter war für Una ein harter Schlag gewesen, und eigentlich litt sie unter dem Verlust jetzt noch stärker als vor drei Jahren.

    Während der Zeit, die sie auf der Klosterschule verbrachte, war ihr bewußt geworden, wie einsam sie war und wie allein sie im Leben stand. Alle ihre Mitschülerinnen hatten Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel, Kusinen und Vettern. Una hatte nur noch ihren Vater, und der kümmerte sich eigentlich kaum um sie.

    Wie sehr vermisste sie die Mutter! Wie viele Dinge gab es, die sie mit ihr hätte besprechen, wie viele Fragen, auf die sie eine Antwort hätte haben mögen!

    Aber Mrs. Thoreau stahl sich ganz plötzlich aus dem Leben, und ehe Una noch begriff, was mit ihr geschah, befand sie sich bei den Schwestern Unserer Lieben Frau in Florenz.

    Da sie sich für alles interessierte, was irgendwie mit ihrer Mutter zusammenhing, galt ihr Hauptaugenmerk dem Englischen: der englischen Geschichte und der englischen Sprache.

    Vor allem freundete sie sich mit englischen Mädchen an, und da diese meistens aus den Familien des Hochadels kamen, erfuhr Una viel über die englische Lebensweise, die sie dann mit derjenigen der Franzosen und Italiener verglich.

    Una war eine scharfsinnige Beobachterin und äußerst kritisch im Umgang mit Menschen. Und während der Blick der Mutter Oberin auf dem Mädchen ruhte, dachte sie, daß Una bereits von einer Feinfühligkeit und Empfindsamkeit war, die den meisten ihrer Altersgenossinnen noch völlig abging.

    Was mag wohl aus ihr werden? fragte sich die Schwester besorgt.

    Laut sagte sie: »Ich hoffe, du wirst mir schreiben und mir über dein neues Leben genau berichten, mein Kind. Ich bin dir immer eine mütterliche Freundin gewesen, und ich werde dir auch in Zukunft helfen, soweit es in meinen Kräften steht.«

    »Sie sind sehr freundlich, Ehrwürdige Mutter«, antwortete Una, »und ich möchte Ihnen danken für alles, was Sie mich gelehrt, für jede Hilfe, die Sie mir in der Zeit meines Aufenthalts gewährt haben.«

    »Hilfe?« fragte die Mutter Oberin erstaunt.

    »Ich denke daran, wie unwissend ich war, als ich herkam«, erwiderte Una schlicht. Sie machte eine kurze Pause und fuhr leise fort: »Ich meine nicht nur die schulischen Dinge.«

    »Ich weiß, was du sagen willst, Liebes.«

    Die Mutter Oberin lächelte gütig.

    »Ich habe oft daran gedacht, welch ein Glück es für mich war, daß Mama gerade diesen Platz für meine Erziehung aussuchte.« Una seufzte und setzte hinzu: »Ich glaube, ich kann von mir behaupten, daß ich meine Zeit hier nicht vertan habe, obwohl ich mir bewußt bin, wieviel es noch zu lernen gibt und wie unwissend ich im Grunde immer noch bin.«

    Wieder lächelte die Mutter Oberin.

    »Ich kann dir versichern, mein liebes Kind, daß du sehr fleißig gewesen bist und mehr gelernt hast als viele der Schülerinnen, die mir anvertraut waren. Aber ich bin froh, daß du erkennst, wieviel es für dich noch zu lernen gibt. Die meisten Mädchen deines Alters denken nach Beendigung der Schule nur noch ans Heiraten.«

    »Auch ich werde eines Tages daran denken müssen, aber zunächst sollte ich mich wohl ein wenig um Papa kümmern.«

    »Ja, das solltest du«, sagte die Schwester lebhaft.

    Nachdem Una sie verlassen hatte verharrte die Mutter Oberin eine Zeitlang reglos an ihrem Schreibtisch.

    Sie fragte sich, ob sie nicht noch etwas hätte tun können für dieses seltsame und ungewöhnliche Kind.

    Ihr, der langjährigen und erfahrenen Erzieherin, war klar, daß Una sich zwar ein reiches akademisches Wissen angeeignet hatte, von der Welt draußen aber, besonders von den Männern, nicht die geringste Ahnung hatte.

    Wie hätte es auch anders sein sollen, wenn man sich vor Augen hielt, daß sie erst fünfzehn war, als sie in dies Klosterschule eintrat und vorher, so nahm die Mutter Oberin, an, ein sehr behütetes Leben geführt hatte.

    Behütet war ihr Leben auch in den letzten drei Jahren gewesen, obwohl es für Una drei entscheidende Jahre waren, in denen sie die Kindheit endgültig hinter sich gelassen hatte und zur jungen Frau herangereift war.

    »Was mag aus ihr werden?« fragte sich die Mutter Oberin und betete, Una möge einen guten Mann finden, der sie heiratete oder sie wenigstens von diesem sündigen Montmartre wegholte.

    Der Zug kam auf dem Bahnsteig zum Halten. Draußen eilten die Träger in ihren blauen Kitteln auf die Wagen zu und riefen lautstark und aufgeregt: »Porteur! Porteur gefällig?«

    Una blickte aus dem Fenster und sah die Menschenmenge, die auf dem Bahnsteig wartete. Erschreckt fragte sie sich, wie sie unter all diesen Leuten ihren Vater finden sollte.

    Dann, als Mademoiselle hastig und aufgeregt die Gepäckstücke zusammenraffte und zum Wagenausgang drängte, verabschiedete sich Una von ihren Reisegefährtinnen mit einem Kuß und versprach ihnen, sie nicht zu vergessen.

    »Du mußt uns schreiben und ausführlich von deinem neuen Leben berichten«, sagte Marie-Celeste. »Und vielleicht treffen wir uns einmal, wenn Papa uns erlaubt, nach Paris zu fahren. Es wäre herrlich, dich auf dem Montmartre zu besuchen, obwohl Mama immer behauptet, das sei kein Ort für ein ordentliches Mädchen.«

    »Nun komm schon, Marie-Celeste«, rief Mademoiselle, die bereits auf dem Bahnsteig stand, beunruhigt.

    Das Mädchen schnitt eine Grimasse in ihre Richtung und küßte und umarmte Una noch einmal.

    »Paß auf dich auf, Una«, sagte sie. »Ich hoffe, du hast eine schöne Zeit mit all diesen Künstlern, die sicher wunderbare Bilder von dir malen werden.«

    Mit einem Satz sprang sie aus dem Zug, winkte Una freundschaftlich zu und hüpfte hinter Mademoiselle und ihrer Schwester her.

    Una nahm ihre Handtasche und den Wintermantel, der zu schwer war, um ihn bei der Wärme anzuziehen.

    Der Bahnsteig hatte sich inzwischen schon ziemlich geleert, die Menschen strömten dem Ausgang zu. Langsam setzte Una sich in Bewegung. Während sie am Zug entlangging, hielt sie angespannt nach ihrem Vater Ausschau.

    Sie hätte ihn sehen müssen, denn er war ein hochgewachsener, distinguierter Mann. Ein typischer Engländer, obwohl er manchmal eine recht seltsame und unkonventionelle Kleidung trug, die deutlich den Künstler verriet.

    Una hatte fast das Ende des Bahnsteigs erreicht und befand sich in Höhe des Packwagens, als sie ihren braunen Reisekoffer erspähte, der eben ausgeladen wurde.

    Am besten nehme ich ihn gleich mit, dachte sie und winkte dem Gepäckträger, der in ihrer Nähe stand und bereitwillig zu ihr trat.

    Der Mann lud sich den schweren Koffer auf die Schulter und fragte: »Jemand holt Sie ab, M'mselle?«

    Er sprach in einem sehr vertraulichen Ton mit ihr, aber Una wußte, daß dies keineswegs anzüglich gemeint war. Es war ihr mädchenhaftes Aussehen, das die Leute glauben ließ, sie sei noch ein Kind.

    »Ich hoffe, mein Vater erwartet mich an der Sperre«, erwiderte sie. Der Gepäckmann nickte und ging voraus.

    Aber auch an der Sperre war nichts von ihrem Vater zu sehen. Nachdem Una einige Minuten gewartet hatte, kam sie zu der Überzeugung, daß er wohl den Tag ihrer Ankunft vergessen hatte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß er irgendwelche Termine durcheinanderbrachte. Er war schon immer sehr zerstreut gewesen.

    »Oft habe ich den Eindruck, dein Vater hat einen Kopf wie ein Sieb«, hatte ihre Mutter manchmal halb verzweifelt, halb belustigt gesagt.

    Ja, es war seltsam. Verabredungen hielt er nicht ein, weil er sich den falschen Tag gemerkt hatte. Er kehrte aus der Stadt zurück und hatte vergessen, daß er etwas mitbringen sollte. Oder er hatte eingekauft, und es war das Falsche gewesen.

    »Ich fürchte, mein Vater kommt

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