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Spy Parents - Geheimagenten in Wuppertal
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eBook272 Seiten3 Stunden

Spy Parents - Geheimagenten in Wuppertal

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Über dieses E-Book

In einer neuen Schule coole Freunde gewinnen! Das steht für Johannes, der gerade nach Wuppertal gezogen ist, ganz oben auf der Liste. Er peppt sein langweiliges Dasein einfach auf, indem er behauptet, seine Eltern seien Agenten in geheimer Mission. Doch immer, wenn die geheimnisvolle Kaminuhr zwölf schlägt, werden die Schwindeleien Wirklichkeit: Plötzlich ist die Wuppertaler Mafia hinter Johannes her, eine feindliche Schwebebahn fliegt in die Luft und die Agentenmutter stellt im Zoo Verfolger mit einem Elefanten-Betäubungsgewehr kalt. Nicht zu vergessen Elfryda Poslowski, die nervtötende Haushälterin mit einem Faible für grellbunte Kittelschürzen und gesundes Essen.
Als es immer gefährlicher für Johannes wird, will er sein altes Leben zurück. Doch er hat die Rechnung ohne die Kaminuhr gemacht ...
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum21. März 2018
ISBN9783746057859
Spy Parents - Geheimagenten in Wuppertal
Autor

Anke Höhl-Kayser

Anke Höhl-Kayser (Jahrgang 1962) studierte Literaturwissenschaft mit Abschluss M.A. und arbeitet hauptberuflich als Lektorin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Wuppertal. Sie schreibt seit 2009 in unterschiedlichen Genres (Fantasy, Jugendbuch, Science-Fiction, Lyrik, heitere Literatur). Einige ihrer Kurzgeschichten wurden mit Preisen ausgezeichnet.

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    Buchvorschau

    Spy Parents - Geheimagenten in Wuppertal - Anke Höhl-Kayser

    ausziehen

    1. Grau und grausig

    Ein Regentropfen genau ins Auge: war ja klar. Wuppertal war bescheuert. Das hatte Johannes schon gewusst, bevor der Regen das Innere seiner Schuhe in ein Fußbad verwandelt hatte. Trotz Imprägnierung.

    Die ganze Stadt war grau, genauso wie der Himmel darüber. Und das Anfang Juni. In Karlsruhe hatte er zu dieser Jahreszeit oft schon seine Bermudashorts tragen können.

    Johannes wartete auf die Schwebebahn, die ihn zu seiner neuen Schule bringen sollte. Er schaute auf die Armbanduhr: So ein Mist, er hatte fünf Minuten mit dem Paketboten vertrödelt, der ein Riesenpaket mit einem unleserlichen Absender im Hausflur abgeliefert und erwartet hatte, dass Johannes das Ding die drei Treppen hinauftrug. Ihm war ohnehin schon flatterig zumute. Er musste allein mit Wuppertals seltsamem Transportmittel fahren, weil ihn seine Mutter am ersten Tag im neuen Job nicht begleiten konnte. Und Papa war noch in Karlsruhe, er würde erst in drei Monaten nachkommen, wenn er auf seiner neuen Arbeitsstelle in Düsseldorf anfangen konnte.

    Johannes hatte zwar auch in der Grundschule immer öffentliche Verkehrsmitteln genutzt, und seine Mutter und er waren am Wochenende die Strecke mit dem Auto abgefahren, aber es war eine Schwebebahn.

    Schwebebahnfahren war nicht Straßenbahnfahren, auch wenn Mama die Schwebebahn als das angenehmste Verkehrsmittel der Welt schilderte. Die Straßenbahn stand mit ihren Rädern fest auf den Schienen, und die waren auf der Straße, wie der Name schon sagte. Die Schwebebahn hing an einem Gerüst, und die Straße war etliche Meter darunter.

    Die Station bebte leicht. Johannes' Herz hämmerte. Da war die Bahn, in einem coolen Hellblau. Wenn er nicht damit hätte fahren müssen, hätte er sie schick gefunden. Johannes schluckte. Der Wagen hielt, er pendelte schwungvoll auf Johannes zu und wieder zurück. Die Wuppertaler stiegen, davon unbeeindruckt, ins Innere. Johannes zögerte fast zu lange, dann sprang er im letzten Moment in den Zug, als die Entriegelung mit einem Klicken bereits das Schließen der Türen ankündigte. Die Bahn setzte sich in Bewegung. Johannes ließ die angestaute Luft aus den Lungen entweichen: Er war drin.

    »Nur zwei Stationen bis zu deiner Schule«, hatte Mama gesagt.

    Ich schaffe das, dachte er wie ein Mantra. Er suchte gar nicht erst nach einem Sitzplatz auf den gepolsterten Bänken, sondern hielt sich krampfhaft an der Haltestange neben der Tür fest.

    Adlerbrücke. Der Zug hielt. Senkrechte grüne Lichtbalken signalisierten das Türöffnen. Aussteigen. Das Pendeln machte ihn schwindelig, er sprang in einem Satz auf den Bahnsteig. Beinahe hätte er sich längelang auf die Nase gelegt, aber ein hageres Mädchen fing ihn auf. Sie war fünf Zentimeter größer als er und hatte ein hässliches schwarzes Brillengestell, das ihn an Brillen aus den Sechzigerjahren erinnerte. Und sie trug Zöpfe. Die Haarfarbe war irgendwas Undefinierbares zwischen Blond und Braun.

    »Bitte, gern geschehen«, sagte das Mädchen auf sein Schweigen hin spitz, ließ ihn los und ging die Treppe hinunter. Er folgte ihr in einigem Abstand, man sollte ihn mit der personifizierten Uncoolness nicht sehen. Er hatte schon herausgefunden, dass es besser war, sich den coolen Kindern anzuschließen, wenn man irgendwo akzeptiert werden wollte. Es gab Augenblicke, da schämte er sich für seine Feigheit, aber so war er nun mal. Es gab mutige Jungs und kluge Jungs, und er gehörte eindeutig zu den Letzteren.

    Die Schule war riesig, und er hatte keine Ahnung, wohin er gehen musste. Er spurtete hinter einer Schülergruppe her, auf gut Glück, und rempelte mit jemandem zusammen. Das Mädchen aus der Schwebebahn.

    »Du hast es eilig, oder? Wohin willst du denn?«

    Johannes kramte hektisch nach dem Zettel mit der Raumnummer. Das Mädchen warf nur einen Blick darauf, dann nickte sie.

    »Komm schon!«

    Es gongte bereits zum zweiten Mal, als sie die Klasse erreichten. Das Mädchen ging zielstrebig zu einem Tisch. Viele Schüler schauten hoch, deshalb ging Johannes dem Mädchen nicht hinterher, sondern blieb neben der Tür stehen. Mann, war das peinlich.

    Zum Glück kam die Lehrerin. Sie war jung, hatte braune Locken und ein fröhliches Gesicht. Er mochte sie auf Anhieb.

    »Ah«, sagte sie, als sie ihn sah, »du bist Johannes Reuber, oder? Der Neue. Ich bin Frau Neumann, die Klassenlehrerin. Setz dich neben Amelie.«

    Sie deutete unmissverständlich auf den Stuhl neben dem blassen uncoolen Mädchen. Johannes biss sich auf die Lippe, als er unter gefühlt tausend bohrenden Blicken durch die Klasse zu seinem Platz ging.

    Frau Neumann schaute erwartungsvoll drein, bis auch das letzte Gemurmel erstorben war, dann verkündete sie: »Ich möchte euch euren neuen Mitschüler vorstellen. Johannes, stehst du einmal auf, damit dich alle sehen können? Johannes Reuber kommt aus Karlsruhe zu uns. – Und, Johannes, hast du schon einen Eindruck von Wuppertal bekommen?«

    Johannes spürte, wie ihm die Hitze ins Gesicht schoss. Er begann zu stottern.

    »Ja – äh – es regnet hier – äh – ziemlich viel. Mehr als in – äh – Karlsruhe. Aber meine Lehrerin dort hat schon gesagt, dass Wuppertal die niederschlagreichste Stadt im Ruhrgebiet wäre.«

    Einen Augenblick lang herrschte Totenstille. Dann brach ein Tumult los. Johannes hörte nur Worte wie »Ruhrgebiet«, »typisch« und »der Trottel«. Sein Gesicht glühte. Was hatte er denn jetzt gemacht?

    Frau Neumann klatschte ärgerlich mehrfach in die Hände, bis die Ruhe wiederhergestellt war.

    »Ich denke, Johannes weiß im Gegenzug Dinge über Karlsruhe, die euch neu sind«, fauchte sie. »Wenn man aus Baden-Württemberg kommt, dann muss man nicht zwangsläufig wissen, dass Wuppertal nicht im Ruhrgebiet liegt. – Magnus! Statt dich mit deinen Tischnachbarn zu unterhalten, könntest du Johannes vielleicht über seinen Irrtum aufklären!«

    Der Junge, den sie angesprochen hatte, war bullig, hatte ein selbstgefälliges Grinsen auf dem Gesicht, und Johannes wusste sofort, dass er derjenige war, der hier den Ton angab. Die Jungs und Mädchen im Umkreis hingen an seinen Lippen.

    »Wuppertal liegt im Bergischen Land, das kann so ein Schwabe wie du natürlich nicht wissen«, sagte Magnus überheblich und zeigte Johannes unter dem Tisch den Stinkefinger.

    »Ich bin kein Schwabe, ich bin Badener«, zischte Johannes zurück.

    »Hahaha! Dann badest du wohl viel? Johannes heißt er – ist Bademeister!«

    »Danke, Magnus, für diesen ungeheuer konstruktiven Beitrag, und jetzt können wir uns ernsthafteren Themen zuwenden, denke ich!«

    Johannes setzte sich, während die anderen ihre Sachen hervorholten, und wartete darauf, dass sein Gesicht wieder Normaltemperatur annahm.

    »Johannes, ich glaube, du weißt noch nicht, dass eine Klassenfahrt ansteht?« Frau Neumann lächelte ihm freundlich zu. »Wir fahren übernächste Woche für fünf Tage nach Sylt. Sei doch bitte so nett, mir nach der Stunde die Kontaktdaten deiner Eltern zu geben, damit ich die Infoblätter an sie übermitteln kann. Für dich ist das eine tolle Gelegenheit, deine Mitschüler besser kennenzulernen – und andersrum natürlich genauso. Die Klasse freut sich schon riesig!«

    Freudiges Gemurmel wurde laut. Die Klassenfahrt schien der ganz große Hit zu sein, wenn Johannes die zufriedenen Mienen um sich herum richtig einschätzte. Er fand das offen gestanden auch ziemlich abgefahren. Mama hatte schon gesagt, dass sie dieses Jahr nicht in Urlaub fahren würden. Und nun bekam er dank der neuen Schule einen Ausgleich: Strandurlaub an der Nordsee kurz vor den Sommerferien.

    Für einen Moment vermisste er Karlsruhe überhaupt nicht mehr.

    Dann wurde ihm die Sitzsituation wieder bewusst. Er schaute sich verstohlen in der Klasse um: Er befand sich ganz eindeutig am Tisch der Uncoolen. Amelie gegenüber saß kerzengerade ein indisch aussehender Junge, dem das Wort Streber quer über die Stirn geschrieben schien, und blätterte nervös in seinem Deutschbuch, und neben ihm hockte ein schwarzhaariges Mädchen mit pickelübersätem Gesicht und riesiger Zahnspange. Denkbar schlechter Start. Das würde echt schwer werden, hier raus und rüber zu den Leuten um Magnus zu kommen. Wie sagte sein Vater immer: »Man muss das Eisen schmieden, so lange es heiß ist.«

    Also frisch ans Werk.

    Als es zur Pause gongte, stand Johannes auf und schlenderte unauffällig zu der Gruppe um Magnus.

    » … mein Dad hat mir total coole Fotos geschickt«, berichtete der gerade seiner andächtig lauschenden Fangemeinde. »Gestern hat das Schiff in Rio de Janeiro angelegt. Wusstet ihr, dass diese komische Statue bei Nacht beleuchtet ist? Hier, schaut mal!«

    Er zog ein Smartphone heraus und schaltete es an. Johannes erhaschte einen Blick auf die riesige Christus-Statue, die vor nächtlichem Himmel in weißem Licht erstrahlte.

    Magnus drehte sich zu ihm um.

    »Na, willst wohl auch mal gucken, was?«, feixte er. »Cool, oder? Mein Vater ist Kapitän auf der Princess Donatella, das ist das größte Kreuzfahrtschiff der Tosca-Line. In den Ferien darf ich immer mitfahren. Ich habe schon die ganze Welt gesehen! Mein Dad schickt mir dauernd Fotos, der Speicherplatz von meinem Smartphone ist komplett voll. – Was macht dein Vater denn so, Bademeister?«

    Jetzt locker bleiben. Wenn er sich cool verhielt und nicht auf den Spott reagierte, hatte er eine echte Chance, akzeptiert zu werden. Magnus war zwar groß und ziemlich muskulös, aber er war kein Schlägertyp, und seine Freunde sahen auch eher harmlos aus.

    Doch was sollte Johannes sagen? Sein Vater war Buchhalter. Johannes hatte noch nicht einmal eine genaue Vorstellung von dessen Tätigkeit, und die wenigen Erzählungen hatten ziemlich langweilig geklungen. Genauso bei seiner Mutter: Sie war bisher Angestellte bei einem Steuerberater gewesen, und Geld regnete nicht unbedingt hagelschauermäßig auf die Reubers herab. Das war der Grund, weshalb sie nach Wuppertal umgezogen waren. Der Patenonkel hatte dort eine gut laufende Steuerberatungskanzlei, die er aufgrund seines Alters an Johannes' Mutter übergeben wollte. Die Reubers hatten hin und her überlegt, denn wegen des Umzugs brauchte auch der Vater eine neue Stelle.

    Geld war bei ihnen häufig ein Thema, und Johannes wusste von seinen besser gestellten Klassenkameraden: Wenn man viel über Geld sprach, hatte man meistens wenig davon.

    Die Aussichten auf einen deutlichen Mehrverdienst nach dem Umzug waren gut – das hätte erfreulich sein können. Aber Johannes war die Kohle im Moment so was von egal. In Karlsruhe hatte er es schon längst in die Coole-Kids-Gruppe geschafft. Hier ging alles wieder von vorn los.

    »Äh –«

    Magnus begann zu lachen und die Gruppe stimmte mit ein.

    »Dann lass mich raten, Bademeister: Dein Vater ist Küchenmesser und misst Küchen! Oder Gabelstapler und stapelt Gabeln! Oder Türöffner und öffnet Türen! Oder Obstbauer und baut Obst!«

    Oder Buchhalter und hält Bücher. Oder Steuerberaterin und berät Steuern. Na super. Wenn er das jetzt sagte, dann war er komplett untendurch. Er schluckte und holte tief Luft.

    »Mein Vater ist im Ausland, genauso wie meine Mutter.«

    In Magnus' blauen Augen blitzte ein Funken Interesse auf.

    »Super, und wo?« Er klang immer noch überheblich. Johannes merkte, wie er sauer wurde. Der würde ihn nicht irritieren!

    »Das darf ich euch nicht sagen.«

    »Und wieso nicht?«

    »Weil es geheim ist!«

    Das war Johannes einfach so rausgerutscht. Es hatte eine überraschende Wirkung.

    In der Klasse herrschte plötzlich Stille. Magnus blinzelte ein bisschen und verzog den Mund. Johannes sah, dass sein Satz Erfolg gehabt hatte. Ein anderer Junge schob sich an Magnus vorbei.

    »Geheim, oder? Echt jetzt? Boah.« Der Sprecher hatte blauschwarzes Haar und buschige Augenbrauen. Er hielt ihm die Hand zum Abklatschen hin: »Ich heiße Kosta. Eigentlich Konstantinos, aber so nennt mich keiner. Setz dich zu uns, Johannes, erzähl mehr!«

    Johannes schlug ein, während sein Gehirn fieberhaft arbeitete. In den Gesichtern der anderen sah er gespannte Erwartung. Dem musste er gerecht werden! Aber ihm fiel nicht das Geringste ein.

    Der Gong zur zweiten Stunde war wie eine Erlösung. Der Weg zurück zum Tisch der Uncoolen reichte nicht aus, um den Schweiß auf Johannes' Stirn zu trocknen. Amelie sah ihm fragend entgegen.

    2. Agenten wider Willen

    Als die Mittagspause kam, war Johannes bewusst, dass er sich jetzt nicht mehr drücken konnte. Magnus beobachtete ihn unentwegt, aber mit weitaus weniger freundlichem Blick als Kosta. Johannes tat so, als würde er seinen Rucksack ordentlich einräumen, als er sah, dass Magnus an seinen Tisch geschlendert kam.

    »Hallo, Bademeister!«

    Oh danke, jetzt hatte er seinen Spitznamen endgültig weg.

    »Wirst du uns denn jetzt in deine Geheimnisse einweihen?«

    Johannes fühlte, wie ihm wieder die Röte in die Wangen stieg. Er sah das freundliche, runde Gesicht seines Vaters vor sich, die schelmisch blinzelnden Augen hinter den Brillengläsern, die schütteren, hellbraunen Haare mit den grauen Strähnen. Es gab niemanden, der weiter von den Begriffen geheimnisvoll, gefährlich oder abenteuerlustig entfernt war als er. Niemanden, der normaler war. Seine Freizeit, wenn er welche hatte, verbrachte er mit Johannes. Er spielte mit ihm Computer, ging mit ihm schwimmen und Fahrrad fahren, brachte ihn zum Lachen. Er hatte keine einzige beeindruckende Freizeitbeschäftigung, im Gegenteil. Er pflegte zu sagen: »Mein Sohn ist mein Hobby!«.

    Vielleicht war der Gedanke an seine Mutter hilfreicher? Sie war schon ziemlich alt, Mitte vierzig, und zwei Jahre älter als sein Vater. Sie war ein bisschen pummelig.

    Nach eigener Aussage war ihr größtes Abenteuer ein Friseurbesuch mit Dauerwelle gewesen. Die Erinnerung daran half jetzt gerade nicht nennenswert weiter.

    Wie Papa machte sie gern Witze. Bei Reubers wurde viel geflachst. Johannes' Vater sagte, wenn er dachte, Johannes würde ihn nicht hören: »Ines, für deine Figur brauchst du einen Waffenschein.«

    Waffenschein! Das klang doch geheimnisvoll, oder?

    »Meine Mutter hat einen Waffenschein.«

    Huch. Das hatte er doch eigentlich gar nicht sagen wollen. Aber jetzt war es draußen. Magnus runzelte die Stirn und zog eine Augenbraue hoch.

    »Na und? Bennos Vater auch. Der ist Hobbyjäger und geht jedes Wochenende in den Wald. Der schießt Rehe und Hirsche.«

    »Und …Bären …und …Bären …!«

    Ein aufgeregter dicker Junge drängelte sich an Magnus vorbei. Das war also Benno. Seine Brille beschlug, weil er so zappelig war, er nahm sie hektisch herunter und wischte sie am T-Shirt ab. Das schien er häufiger so zu machen. Ein Wunder, dass er durch dieses Milchglas überhaupt etwas sehen konnte.

    »Weißt du und da ist dieser Bär über die Grenze gekommen und der hat das ganze Nutzvieh gerissen und die Bauern haben um Hilfe gebeten und da ist mein Vater mit einigen anderen Jägern hingefahren und hat ihn abgeschossen –« Benno war vor Aufregung so atemlos, dass er beim Luftholen quietschte. Er redete wie ein Maschinengewehr, vermutlich hatte er Angst, Magnus oder die anderen könnten ihn unterbrechen.

    Johannes fragte sich, von welcher Grenze Benno sprach. Die Grenze zum Ruhrgebiet? Und gab es hier irgendwo Bären?

    »Aber warum konnte man ihn nicht wieder dorthin zurückbringen, woher er gekommen ist?«, erkundigte er sich.

    Magnus schob Benno ein Stückchen zur Seite, und ein kurzes Gerangel entstand.

    »Ist doch klar«, sagte er, weil Benno immer noch keine Luft zum Sprechen hatte. »Wie willst du so 'n Riesenbär denn zurückschaffen? Klar, man könnte ihn betäuben, aber wer sagt dir, dass er nicht wiederkommt? Ist viel zu gefährlich.«

    »Raubtiere gehören in den Zoo, sagt mein Vater immer«, keuchte Benno. »Und nicht in die Natur.«

    »Äh«, machte Johannes. Er fand das überhaupt nicht einleuchtend. Wollte man nicht allerorts die verschwundenen Wildtiere wieder ansiedeln? Wölfe, Bären, Luchse und Wildkatzen? Irgendwie kam ihm das so typisch vor – überall in Deutschland wurde Naturnähe gepredigt, aber die Eingeborenen in Wuppertal knallten die Wildtiere einfach ab.

    »Mein Vater hat auch einen Waffenschein!« Das war jetzt ein Mädchen. Er fasste es nicht. Die sah ja aus wie ein Supermodel! Solche Locken hatte Johannes noch nie gesehen. Und überhaupt – so eine Haarfarbe! Einzelne Strähnen in der kastanienbraunen Fülle waren goldblond. Sie grinste ihn selbstbewusst an und warf die Locken mit einer geübten Bewegung in den Nacken.

    »Mein Vater ist bei der Polizei, weißt du. Der geht jedes Wochenende auf den Schießstand, zum Üben. Damit er bei der Verbrecherjagd fit ist. Hier ist echt was los in Wuppertal, das glaubst du gar nicht. Jeden Tag sechs Mal mit Sirene von Vohwinkel bis Oberbarmen. Mord, Bankraub, Schutzgelderpressung, Autodiebstahl, mein Vater sagt immer, Wuppertal ist ein Schmelztiegel der Kriminalität.«

    Johannes konnte nicht verhindern, dass seine Kinnlade herunterklappte. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass das hier so gefährlich war. Und dann ließ ihn seine Mutter allein zur Schule fahren?

    »Du musst dir aber keine Sorgen machen«, beruhigte ihn das Mädchen. »Mein Vater hat die Sache total im Griff.«

    Sie beugte sich vor und lächelte ihn strahlend an, dabei schüttelte sie wieder die Lockenmähne. Sie hatte eine teuer aussehende Zahnspange, aber das konnte den Gesamteindruck nicht trüben.

    »Ich bin Britney Jollinger. Hi, Johannes!«

    Er krächzte, als er: »Hi, Britney!« antwortete. Sie nickte ihm zu.

    »Da hast du ja echt einen Mistplatz, bei den drei Krampfis«, verkündete sie. »Spinni die Spinne, Streberspießer und Vulkanpickel. Du meine Güte. Du tust mir echt leid, weißt du das?«

    Sie sah ihn mitleidig an und ging dann zu ihrem Platz zurück. Ihre Mähne wippte bei jedem Schritt wie in einer Shampoowerbung.

    »Die ist der Hammer, oder?« Magnus schien seine Gedanken erraten zu haben. »Du bist also auch ein Bewunderer weiblicher Schönheit. Na ja, kein Wunder, ihre Mutter war mal Miss Ostwestfalen. Gute Gene.«

    »Du hast rote Ohren! Pass auf, dass dir die Augen nicht aus dem Kopf fallen!«

    Johannes zuckte zusammen. Im Vergleich zu Britneys melodischer Stimme klang das hier wie ein Reibeisen. Er drehte sich um: Amelie. Das Mädchen mit der undefinierbaren Haarfarbe und den Zöpfen. Weia, war das ein ernüchternder Unterschied.

    »Dir ist aber schon klar, dass sie Dauerwelle hat und dass die Haare gefärbt sind? Und sie hat sich Strähnchen machen lassen. Wenn man so was mit dreizehn anfängt, sind die Haarwurzeln kaputt, bis man dreißig ist.«

    Ach du liebe Güte. War Amelie etwa neidisch auf diese Lockenpracht? Na ja, dazu hatte sie ja auch allen Grund, wenn man ehrlich war.

    Magnus kicherte.

    »Ah ja, Spinni die Spinne hat gesprochen. Dann spielst du wohl eher in der Liga, alles klar!«

    Um Himmels willen! Bloß nicht! Johannes sprang so schnell auf, dass er seinen Stuhl umstieß, und ging Magnus mit großen Schritten hinterher.

    »Die Fotos von Rio, die dir dein Vater geschickt hat, die würd ich gern mal sehen!«

    Magnus drehte sich um und lächelte gönnerhaft.

    »Klar, komm mit, ist eh Zeit zum Essen. Wir gehen in die Mensa. Hast du auch einen Essensausweis? Klasse. Dann zeig ich dir alles!«

    Johannes atmete erleichtert aus. Das war ja gerade nochmal gutgegangen. Er drehte sich um und fing Amelies Blick auf. Sie sah überhaupt nicht enttäuscht oder verärgert aus. Sie grinste einfach nur. Wie jemand, der sich seiner Sache sehr sicher ist. Johannes brach wieder der Schweiß aus.

    Die Mensa war riesig, genau wie die ganze Schule. Hier herrschte Chaos pur. An der Essensausgabe drängelten sich die Schüler. Johannes fiel auf,

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