115 Dämmerung der Liebe
Von Barbara Cartland
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Buchvorschau
115 Dämmerung der Liebe - Barbara Cartland
Vorbemerkung der Autorin
Im Jahr 1913 veröffentlichte George Bernard Shaw sein Stück Pygmalion. Diese Geschichte eines Blumenmädchens, das von einem Phonetiker dazu ausgebildet wird, als gesellschaftsfähige Dame aufzutreten, ist eine höchst gelungene Satire auf das englische Klassensystem und nicht im gleichen Maße ein Gedankenspiel wie alle anderen wichtigen Stücke Shaws.
Aufgrund seiner großen Menschlichkeit wurde es eines der beliebtesten Stücke sowohl als Musical auf der Bühne wie auch als Film (mit Rex Harrison und Audrey Hepburn in den Hauptrollen).
Cecil Beatons hervorragende Ausstattung trug viel zu seinem Erfolg bei, und Eliza Doolittle ist eine von Shaws unvergeßlichen Gestalten.
Erstes Kapitel
Der ehrenwerte Peregrine Gillingham sprang aus der Droschke, entlohnte den Kutscher und ging die Stufen zur Tür des Hauses Windlemere hinauf.
Sie stand offen; er gab seinen großen Hut einem Diener mit einer gepuderten Perücke und nickte dem Butler zu.
»Guten Abend, Dawkins.«
»Guten Abend, Sir.«
»Ist Seine Gnaden in der Bibliothek?«
»Ja, Sir, er erwartet Sie schon seit fast einer Stunde.«
In der wohlklingenden Stimme des Butlers schwang ein etwas vorwurfsvoller Ton mit, und Peregrine lächelte im Stillen, als er den energischen Schritten des Dieners durch die Marmorhalle folgte.
Windlemere House war von all den eleganten Häusern in der Park Lane das imposanteste.
Der Großvater des Herzogs hatte es gebaut, so wie man sich am Anfang der viktorianischen Zeit das Haus eines Herzogs eben vorstellte.
Erfreulicherweise waren noch Spuren der georgianischen Architektur sichtbar, so daß es geschmackvoller war als die meisten anderen Herrschaftshäuser hier.
Aber Peregrine dachte jetzt nicht weiter über Windlemere House nach, in dem er schon oft genug gewesen war. Er hoffte nur, Alstone möge nicht allzu schlecht gelaunt sein, weil er sich verspätet hatte.
Der Herzog wurde von Freund und Feind gleichermaßen mit großem Respekt behandelt; sogar Peregrine, einer seiner besten Freunde, war ziemlich deprimiert, wenn Alstone sich in eine eisige Reserve zurückzog, um so sein Mißfallen kundzutun.
»Mr. Peregrine Gillingham, Euer Gnaden«, verkündete Dawkins an der Tür, und der Herzog, der gerade die Times las, blickte von der Zeitung auf und sagte: »Perry! Warum kommst du so spät, zum Teufel?«
»Tut mir leid, Alstone«, erwiderte sein Freund und ging auf ihn zu. »Mein Vater hat mich unerwartet zu sich beordert, und du weißt, wie weitschweifig er ist.«
Der Herzog warf die Zeitung auf den Tisch und sagte: »Ich fürchte, ich muß das als Entschuldigung akzeptieren. Ich weiß, daß man deinen Vater nicht bremsen kann, wenn er auf ein Thema zu sprechen kommt, das ihn interessiert.«
»Er war eigentlich gar nicht besonders interessiert — nur verärgert«, erwiderte Perry mürrisch.
»Ging es um Geld?« fragte der Herzog.
»Natürlich. Worüber sollte mein Vater sonst mit mir sprechen?«
»Du solltest eben nicht so ausschweifend leben.«
»Du hast gut reden...« begann Perry, doch dann lachte er, weil er merkte, daß der Herzog ihn aufzog.
»Also schön, ich habe in letzter Zeit ein wenig übertrieben. Aber du weißt genauso gut wie ich, daß Molly außerordentlich anspruchsvoll ist; schließlich hast du dich ja selbst mal für sie interessiert.«
»Ich habe nicht lange den Preis verdorben wie du es mir so oft vorwirfst«, erwiderte der Herzog.
»Lange genug«, sagte Perry. »Du hast Molly nicht nur an Kaviar und Champagner gewöhnt, sondern auch an Diamanten, und das Taschengeld, das mir mein Vater gibt, hat für derlei noch nie gereicht.«
Er stöhnte auf, ehe er fortfuhr: »Es ist die Hölle, ein jüngerer Sohn zu sein. Du warst nie in dieser Situation.«
»Auch ich habe so meine Schwierigkeiten«, erwiderte der Herzog.
»Ich frage mich, was für welche das sein könnten«, sagte Perry.
Während er sprach, nahm er ein Glas Champagner von einem silbernen Tablett, das ein Diener ihm reichte.
Auch der Herzog nahm ein Glas, und Dawkins stellte die Champagnerflasche in einen kostbaren silbernen Kübel, der mit Eis gefüllt war. Dann zogen sich die beiden Diener zurück.
»Du hast mir über deine Schwierigkeiten berichtet«, sagte der Herzog mit einem schwachen Lächeln. »Willst du dir jetzt vielleicht einmal meine anhören?«
»Mit Vergnügen, aber ich dachte immer, du hättest keine.«
»Die meinen sind nicht finanzieller, sondern geistiger Art«, erwiderte der Herzog. »Bevor du kamst, habe ich darüber nachgedacht, daß ich mich langweile, Perry.«
»Mein Gott, Alstone, wenn ich je etwas Absurdes gehört habe, dann ist dies das Absurdeste«, sagte Peregrine. »Du und dich langweilen? Du, der du alles hast? Das nehme ich dir nicht ab.«
»Aber es ist so«, antwortete der Herzog. »Und ich gebe dir die Schuld daran, weil du dich verspätet hast, so daß ich mir darüber klar werden konnte.«
»Weshalb langweilst du dich, um Gottes willen?« fragte Perry. »Du bist der reichste Mann, und hast den größten Grundbesitz auf den britischen Inseln. Du hast die schönsten und feurigsten Pferde und kannst dir jede schöne Frau leisten, die du haben willst.«
Peregrine holte tief Luft, ehe er fortfuhr: »Und wir alle wissen warum. Es kommt daher, daß du so verdammt gut aussiehst und der Traum aller Mädchenherzen bist.«
»Sei still, Perry, mir wird übel«, unterbrach ihn der Herzog.
»Das ist nichts gegen das, wie mir wird, wenn du behauptest, du würdest dich langweilen. Soll ich dir deine übrigen Besitztümer aufzählen? Deine Yacht, dein Schloß in Frankreich mit der besten Eberjagd in ganz Europa, deine Lachsgewässer...«
»Sei still!« befahl der Herzog. »Ich spreche über etwas ganz anderes.«
»Und das wäre?«
»Ich glaube, ich kann es am besten als das Bedürfnis nach geistiger Anregung bezeichnen«, sagte der Herzog. »Es liegt daran, daß alles, was ich mache, mir in gewisser Hinsicht vertraut ist — es gibt einfach nichts Überraschendes oder Spannendes mehr für mich.«
Er sprach sehr ernst, und sein Freund sah ihn verblüfft an.
Perry war intelligent, wenn es darauf ankam. Er merkte, daß der Herzog nicht scherzte, daß dies keine leeren Sprüche waren, sondern daß er mit einem ungewöhnlichen Gedanken spielte,
»Als wir gestern abend miteinander Karten spielten«, fuhr der Herzog fort, »kam mir der Gedanke, daß wir uns eigentlich viel zu gut kennen, als daß wir uns beim Spiel noch wirklich amüsieren könnten. Ich weiß sofort, wenn Archie ein gutes Blatt hat, weil er dann mit den Augen zwinkert, und Charles preßt die Lippen zusammen, wenn er ein schlechtes hat, und du schnippst mit den Fingern, ehe du einen Trumpf ausspielst.«
»Verdammt, Alstone, das grenzt ja an Betrug!« protestierte Perry.
»Nein, ganz im Gegenteil, das ist einfach Beobachtung; so weiß man immer, was geschehen wird — was übrigens, wie ich hinzufügen möchte, auch für meine anderen Interessen gilt.»
»Ich vermute, damit spielst du auf Daisy an«, sagte Perry. »Ich habe schon seit einiger Zeit den Eindruck, daß sie dir langsam auf die Nerven geht.«
Einen Augenblick lang dachte Perry, er sei zu weit gegangen. Der Herzog war immer sehr zurückhaltend, wenn jemand auf seine Liebesaffären zu sprechen kam.
Aber an diesem Abend war er in einer vertrauensseligen Stimmung.
»Daisy ist ohne Zweifel die schönste Frau in ganz London«, sagte er. »Aber auch Schönheit kann etwas Eintöniges an sich haben.«
»Da hast du recht«, stimmte Perry zu. Es wunderte ihn nicht, daß die Gräfin von Hellingford den Herzog allmählich langweilte.
An ihrer atemberaubenden Schönheit bestand tatsächlich kein Zweifel, wenn man sie zum ersten Mal sah, aber sie neigte auch dazu, sehr anspruchsvoll und manchmal herrisch zu sein, und Perry wunderte sich ohnehin, daß der Herzog es schon so lange mit ihr aushielt.
»Wie wäre es mit einer Auslandsreise?«
»Wohin sollte ich denn fahren?« fragte der Herzog. »Ich habe gestern abend darüber nachgedacht, daß ich fast alle sehenswerten Orte der Welt schon besucht habe. Wenn ich also nicht gerade die Wüste Gobi durchqueren oder den Mount Everest besteigen will, bleibt nicht viel übrig.«
Perry lachte.
»Wirklich — der ‘arme kleine reiche Junge’!«
»Genau!« stimmte der Herzog zu. »Und deshalb bitte ich dich um irgendwelche Vorschläge.«
»Frage um Gottes willen nur mich um Rat«, sagte Perry. »Du weißt, was für einen Aufruhr es gäbe, wenn du so etwas der Bande gegenüber verlauten lassen würdest. Sie sind voll und ganz damit zufrieden, wie es jetzt ist.«
Der Herzog verzog die Lippen zu einem zynischen Lächeln.
Er wußte sehr wohl, daß Perry mit ‘Bande’ seine Freunde meinte, die hinsichtlich Pferderennen, Angeln, Segeln, Jagen und allen anderen Vergnügungen, die auf den Besitztümern des Herzogs und in seinen vielen Häusern stattfanden, ganz von seiner Gunst abhängig waren.
Es war fast schon eine Gewohnheit des Herzogs, jedes Wochenende in Mere, seinem großen und außerordentlich komfortablen Haus in Surrey, immer die gleichen Leute zu empfangen.
Seine engeren Freunde hielten dies so sehr für eine Selbstverständlichkeit, daß immer die gleichen Zimmer für sie bereitgehalten wurden, und sie ließen dort sogar einen Teil ihrer persönlichen Habe zurück, damit sie nicht jedes Mal alles mit nach London zurück nehmen mußten.
Wenn also der Herzog tatsächlich seinen Lebensstil ändern sollte, dann würde es bestimmt unter seinen Freunden Heulen und Wehklagen geben. Er nannte sie im Stillen die ‘Schmarotzer‘ und er hatte nicht vor, sich ihr Gejammer anzuhören.
»Wohin willst du denn fahren?« fragte Perry.
»Ich fahre überhaupt nirgendwohin«, antwortete der Herzog. »Ich frage dich nur, was ich tun soll, das ich vielleicht interessant finden könnte, anstatt hier zu sitzen und Däumchen zu drehen, so wie ich es jetzt mache. Langsam bekomme ich das Gefühl, ich werde ein Fossil.«
»Das ist das letzte, was du je sein wirst!« rief Perry. »Aber ich begreife, was du damit sagen willst, und ich werde versuchen, mir etwas auszudenken.«
»Ich möchte etwas Neues erleben, etwas, das sich vom üblichen Trott unterscheidet, der mein Leben im Augenblick so langweilig macht wie einen Ententeich.«
»Wie wär's, wenn wir einfach die Rollen tauschen?« fragte Perry. »Ich kann dir versichern, du würdest genug Aufregendes erleben, wenn du dir anhören müßtest, wie sich mein Vater über Verantwortung, Verschwendungssucht und mein zielloses Leben ausläßt und mir beweist, daß ich nichts weiter bin als ein Tunichtgut.«
Der Herzog lachte.
»Dein Vater war immer dagegen, daß wir beide befreundet sind. Er glaubt, daß ich meine Verantwortung nicht ernst genug nehme; das hat er meinem Vater erklärt, fast noch ehe ich alt genug war, um lange Hosen zu tragen.«
»Wenn er dich im Augenblick hören könnte, würde er feststellen, daß du im Gegenteil alles viel zu ernst nimmst«, erklärte Perry. »Amüsiere dich, Alstone! Oder warum versuchst du es nicht mit einer Heirat? Das wäre eine interessante Abwechslung.«
Einen Augenblick herrschte unheilvolles Schweigen.
Dann sagte der Herzog: »Du kennst meine Antwort darauf. Nie wieder! Niemals!«
»Das ist die lächerlichste Bemerkung, die du je gemacht hast«, sagte Perry. »Natürlich mußt du eines Tages heiraten. Du brauchst einen Erben.«
»Mein Bruder Thomas hat schließlich drei Söhne.«
»Das ist nicht das gleiche, wie selbst Kinder zu haben. Es würde dir bestimmt Freude machen, deinem Sohn das Reiten und Schießen beizubringen und zu wissen, daß er die Familientradition weiterführt.«
»Das reizt mich nicht im mindesten«, erwiderte der Herzog barsch. »Als Elaine ums Leben kam, empfand ich keinerlei Trauer, und ich kann dir versichern, daß ich, einmal dem Joch der Ehe entronnen, durchaus keine Lust habe, mich ein zweites Mal an die Kette legen zu lassen.«
Perry sagte nichts.
Er erinnerte sich sehr wohl daran, daß der Herzog noch sehr jung gewesen war, als sein Vater für ihn die Ehe mit der Tochter eines anderen Herzogs arrangiert hatte.
Vom gesellschaftlichen Standpunkt aus war es eine phantastische Verbindung gewesen, aber die beiden hatten sich von dem Augenblick an gestritten, in dem sie die Kirche verließen; als dann Alstones Frau bei einem Jagdunfall ums Leben kam, erwartete eigentlich jedermann, daß er wieder heiraten würde.
Aber von diesem Augenblick an machte er ganz deutlich, daß seine Absichten, was Frauen anbetraf, nicht die ehrenhaftesten waren.
Umgeben und regelrecht verfolgt von den schönsten und gebildetsten Damen der Gesellschaft, amüsierte sich der Herzog ausschließlich mit Frauen, die verheiratet waren und selbstzufriedene Gatten hatten, von denen die meisten wesentlich älter waren als er selbst.
Der Herzog war jetzt dreiunddreißig Jahre alt, und er hatte sich als Gefährtinnen Schönheiten erkoren, die fast so alt waren wie er oder nur wenig jünger, aber auch sie waren alle verheiratet, und es war zu bezweifeln, ob ihm überhaupt daran lag, ein heiratsfähiges Mädchen kennenzulernen.
Damit entsprach er einer Sitte, die der verstorbene Monarch Edward VII. mit dem ‘Marlborough House Set’ am Ende des letzten Jahrhunderts eingeführt hatte.
Sobald eine schöne Frau einmal einige Jahre verheiratet war und ihrem Gatten einen Erben geschenkt hatte, erwartete man mehr oder weniger von ihr, daß sie eine Liaison hatte, vorausgesetzt, diese war diskret und führte niemals auch nur zum geringsten Skandal.
König Edwards Liebschaften, die er bis zum Tage seines Todes hatte, waren seinen nahen Freunden natürlich bekannt, aber außerhalb der Hofkreise bewahrte ihn das Auftreten der schönen Königin Alexandra bei allen öffentlichen Anlässen vor jeglicher Kompromittierung, sogar bei der