Hirscheneck – Zu Hause essen: Ein Jubiläumskochbuch des Hirscheneck-Kollektivs
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Über dieses E-Book
Die Rezepte werden von acht Personen, die Illustrationen wiederum von drei Künstlerinnen, aus dem Hirscheneck Kollektiv zusammengetragen und verfasst. Die Beiträge werden von involvierten wie auch von Hirscheneck Aussenstehenden Persönlichkeiten aus den Sparten Kultur, Politik und Kunst verfasst.
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Rezensionen für Hirscheneck – Zu Hause essen
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Buchvorschau
Hirscheneck – Zu Hause essen - Friedrich Reinhardt Verlag
Portmann
AUSGERECHNET EIN KOCHBUCH …
Klar, Anekdoten und Geschichten rund ums Hirscheneck soll es auch enthalten – wird ja nicht nur gekocht und gegessen im Hirscheneck, sondern auch getrunken, gefeiert, gestritten, getanzt, gerockt und noch vieles mehr, manchmal auch alles zusammen. Aber sonst soll es schon eher ein Kochbuch sein, halt so, wie man das kennt, mit Rezepten und Anweisungen, Teelöffeln und Milligramm.
Nicht dass Kochbücher im Hirscheneck etwas Fremdes wären – wirklich nicht. Eigentlich hat es sogar sehr viele Kochbücher dort. Da ist zum Beispiel das Bücherregal im Vorraum zur Küche, wo neben zahlreichen Ordnern mit zum Teil merkwürdigen Titeln wie «Menue-Statistiken 2001/2» oder «Soküs» sich die Kochbücher auf mindestens drei Laufmetern aneinanderreihen. Wahrscheinlich wären es eher vier Laufmeter Kochbücher, die sich den knapp bemessenen Platz noch mit Musikanlage, Kassetten, CDs, fast immer vollen Aschenbechern, Sitzungsprotokollen, gerade erst gebrauchten Schraubenschlüsseln und sicherlich noch tausend anderen Dingen teilen müssen, die man eben noch gebraucht hat, aber leider gerade noch nicht hat verräumen können. Deshalb sind die Kochbücher dort auch kreuz über quer, liegen aufeinander, stehen nebeneinander oder grad wo ganz anders.
Dann ist da bestimmt immer mindestens ein Stapel Kochbücher im Büro auf irgendwelchen Schreibtischen oder Fensterablagen – genauso wie die Kochbücher, die sich manchmal am «Personaltisch» türmen. Also Kochbücher an allen Orten? Zumindest jene Menschen, die hinter die Hirschi-Kulissen schauen können, werden sich nicht wundern, wenn bekannt würde, dass das Hirscheneck zu zwei Dritteln aus Kochbüchern besteht.
Und dass die Kochbücher da nicht einfach nur so rumliegen, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Besonders vor den Sonntagsküchen – jenen speziellen Sonntagabenden, an denen die Küche zu einem Thema, einem Land, einer Idee oder auch mal einer Fernsehserie eine ganze Menükarte mit allem Drum und Dran zaubert. Da werden die Kochbücher aus privaten Beständen durchgeblättert, aus Bibliotheken im In- und Ausland angeschleppt, Kochbücher von Freunden und Bekannten auf spannende Rezepte abgesucht.
Nein, nicht die Tatsache des Kochbuchs an sich und im Hirschi lässt mir ein verdutztes «ausgerechnet ein Kochbuch!» entfahren. Sondern die Tatsache, wie wir die Kochbücher nutzen und wir im Hirschi eigentlich kochen! Obwohl wir regelmässig an Sonntagen Rezepte von vier auf sechzehn Portionen hochrechnen, obwohl wir einen Ordner mit Standardrezepten haben, alle Versuche, einen Wissenstransfer der alten Küchenhasen zu den neuen Köchinnen zu organisieren in Ehren – ich würde behaupten, die meiste Zeit wird im Hirschi fast völlig ohne Rezept gekocht. Meistens auch ohne die Waage zu benutzen oder die Messbecher abzulesen! Freihändiges Kochen, könnte man sagen. Das geht so weit, dass wir wahrscheinlich so viele Varianten von Gerichten kochen, wie Menschen in der Küche arbeiten.
Dass wir uns meist mehr auf das Gefühl, auf den Widerstand des Teigs beim Rühren, auf den Geruch des Bratens oder die Farbe des Gratins verlassen als auf Masse, Gewichte und Zeiten, dass wir laufend nachschütten, zugeben, nachsalzen, wieder probieren, nachwürzen und improvisieren, dass in der Hirschi-Küche die Gerichte also viel eher entstehen, wachsen und sich entwickeln, anstatt einfach nachgekocht werden – das alles macht es vielleicht für ungeübte Menschen nicht wirklich einfach, im Hirschi zu kochen – vor allem, wenn das Gericht von mindestens vier anderen Köch/-innen probiert und kritisiert wird. Aber nur ganz selten entstehen Gerichte, die ihren Weg erst gar nicht bis zu den Gästen finden. Viel öfter entstehen neue und ungeahnte Varianten und Ableitungen von Gerichten, manchmal mutige oder exotische Kombinationen und auch fantastische Schöpfungen.
Gerade dieses schöpferische Chaos, diese beflügelnde Freiheit und Aufforderung, mit allen Sinnen zu kochen, den Geschmacks- und Geruchshorizont zu erweitern und seinen oder ihren kulinarischen Ausdruck zu finden – dieses Potenzial macht das Kochen im Hirschi-Kollektiv zu einem unverwechselbaren Erlebnis. Da verblassen glatt die Erinnerungen an die zahllosen zähen Küchensitzungen, an denen mühselig über die Zubereitung gemischter Salate oder den Al-dente-Grad von Penne gestritten wurde.
In diesem Sinne wünsche ich uns, dass ein wenig von dieser Küchenanarchie, dieser Freude am Kochen, Braten, Backen, Sautieren, Frittieren, dieser Lust am Abschmecken, Nachwürzen und Experimentieren den Weg vom Hirscheneck über dieses Kochbuch bis auch in eure Küche gelangt.
Euch, lieben Leserinnen und Lesern, wünsche ich viel Spass und Freude am Kochen, Mut zu kulinarischen Grenzüberschreitungen und natürlich guten Appetit. Und mir wünsche ich noch zahlreiche kollektive Höhenflüge, in der Küche wie im gesamten Hirscheneck.
Roger Portmann, seit 2000 im Hirschi-Kollektiv
KÜRBISBROT MIT KRÄUTERSEITLING UND HERBSTSALAT
Cakeform, 20 cm
Wallholz
Pürierstab
KÜRBISBROT
ca. 500 g Kürbis*
600 g Weissmehl
¾ Würfel Hefe, ca. 32 g
1 TL Zucker, gehäuft
2 TL Salz, gehäuft
2 Handvoll Kürbiskerne, ca. 60 g
SALATSAUCE
3 EL Weissweinessig
1 TL Salz, gestrichen
1 Knoblauchzehe
¾ dl Vegane-Mayonnaise**
3 EL Sonnenblumenöl
Weisser Pfeffer aus der Mühle
KRÄUTERSEITLING
1 Zwiebel
4 EL Öl zum Anbraten
300 g Kräuterseitling
100 g Waldchampignons
1 EL Majoran
1 EL Mehl, gestrichen
2 dl Weisswein
Salz und Pfeffer
SALAT
100 g Nüsslisalat
100 g Frisée
100 g Brunnenkresse
100 g Sellerie
1 Apfel
100 g Baumnusskerne
200 g rote Trauben
KÜRBISBROT
1Kürbis mit einem grossen, scharfen Messer schälen (Achtung!) und Kerne entfernen.
2In kleine Stücke schneiden und mit 3,5 dl Wasser in einem Topf ohne Deckel weich kochen (ca. 15 Minuten). Pürieren und auskühlen lassen.
3Die Hefe mit dem Zucker in eine kleine Tasse geben und zur Seite stellen. Wenn die Hefe ganz weich geworden ist, gut verrühren.
4Kürbiskerne in einer heissen Bratpfanne kurz rösten und auf ein sauberes Küchentuch streuen, zudecken und mit dem Wallholz grob zerkleinern.
5Das Mehl in eine genügend grosse Schüssel schütten, Salz und Kürbiskerne hinein und gut vermischen. Die lauwarme Kürbismasse mit der Hefe nach und nach zum Mehl geben und während mind. 5 Minuten kräftig kneten. An einem warmen Ort 45 Minuten zugedeckt aufgehen lassen.
6Teig durchkneten und in eine Cakeform füllen. Die Form kann entweder mit wenig Öl ausgepinselt und dann mit Mehl bestäubt oder mit Backpapier ausgekleidet werden.
7Im vorgeheizten Ofen bei 180 °C 40–50 Minuten backen. Aus der Form nehmen und auskühlen lassen.
KRÄUTERSEITLING
1Pilze falls nötig mit einem Rüstmesser oder einem Pinsel putzen und in kleine Stücke schneiden.
2Zwiebel fein schneiden und in eine heisse Bratpfanne mit Öl geben; kurz andünsten. Pilze zugeben und gut anbraten.
3Mehl über die Pilze sieben, Majoran beigeben und gut vermischen. Mit dem Wein ablöschen, salzen, pfeffern und etwa 10 Minuten einkochen und zur Seite stellen. Die Masse soll noch ziemlich feucht sein. 4–6 dünne Scheiben Brot schneiden und die Pilzmasse darauf verteilen. Für 10 Minuten in den auf 160 °C vorgeheizten Ofen. Herausnehmen und servieren.
SALATSAUCE
1Essig und Salz verrühren. Knoblauch hineinpressen, Mayonnaise und Öl zugeben und alles gut vermischen; mit dem Pfeffer abschmecken.
SALAT
1Den Nüsslisalat und die Brunnenkresse gut (2–4 Mal) kurz waschen. Frisée in mundgerechte Stücke schneiden und waschen. Trauben waschen, Äpfel schälen und in Schnitze schneiden. Sellerie schälen und in Julienne (feine Stäbchen) schneiden.
2Erst kurz vor dem Servieren die Salate und den Sellerie mit der Salatsauce gut untereinandermischen; mit den Äpfeln, Trauben und Nüssen garnieren.
Kürbisbrot-Tipp:
Die Pilzschnitte ist noch besser, wenn das Brot einen Tag zuvor gebacken wurde!
*Geeignete Sorten sind Hokaido, Muskat oder Kleiner Knirps. Mit Schale 500 g, ohne Schale ca. 400 g verwenden.
**Im Bioladen kaufen oder selber machen (siehe Seite 49).
THAI-KOKOSSUPPE MIT REISSTROHPILZEN UND GEMÜSE
1 kleine Stange Lauch
1 Karotte
1 rote Peperoni
15 ganz junge Frühlingszwiebeln
1 kleine Dose Reisstrohpilze
2 Stängel Zitronengras
5 cm Ingwer
4 Kafirlimettenblätter
1–3 Chili, je nach Sorte und Schärfe
1 Bund frischer Koriander
5 dl Kokosmilch
5 dl Wasser
5 EL Sojasauce
1Das Zitronengras in Ringe schneiden und fein verhacken, die Chili ebenfalls fein zerhacken. Den Ingwer schälen und sehr fein raffeln oder, falls du keine ganz feine Raffel hast, in grobe Stücke schneiden. Die Pilze durch ein Sieb abtropfen lassen und abspülen.
2Die Karotte und Peperoni in kleine Stifte, den Lauch und die Frühlingszwiebeln in feine Ringe schneiden.
3Das Wasser mit der Kokosmilch zusammen auf den Herd stellen und zum Kochen bringen. Ingwer, Zitronengras, Kafirlimettenblätter, Sojasauce, Reisstrohpilze und Chili dazugeben (falls du dir wegen der Schärfe nicht sicher bist, erstmal eine …). Das Ganze auf kleiner Flamme ca. 10 Minuten köcheln lassen, dann probieren und mit Salz, Sojasauce und evtl. weiteren Chili nachwürzen. Die Kafirlimettenblätter herausnehmen.
4Das Gemüse in die Suppe geben und nochmals für 5–10 Minuten köcheln lassen (je nachdem, wie knackig du das Gemüse magst).
5Den frischen Koriander fein hacken und zum Schluss in die Suppe geben.
6Vor dem Servieren die Ingwerstücke aus der Suppe nehmen.
Tipp:
Es empfiehlt sich, alles, ausser Karotten, Lauch und Peperoni, in einem Asia-Laden einzukaufen. Im Herbst und Winter lässt sich die Peperoni durch Chinakohl, Tiefkühlerbsen oder zusätzliche Karotten oder Lauch ersetzen. Die jungen Frühlingszwiebeln findest du wahrscheinlich nur in einem Asia-Laden. Sie können jedoch durch 2 oder 3 «normale» Frühlingszwiebeln ersetzt werden.
SPARGELSALAT AN SESAMDRESSING MIT GEBACKENEM TOMME
SPARGELSALAT AN SESAMDRESSING
1 kg grüner Spargel
3 EL Sesamöl
6 EL roter Balsamico
3 EL Olivenöl
2 EL Sesamsamen
Salz
Pfeffer
GEBACKENER TOMME
4 Tomme
1 EL Olivenöl
Pfeffer
1Grüner Spargel an den Enden schälen und das letzte Stück abschneiden. Den Spargel in ca. 5 cm lange Stücke schneiden, waschen und abtropfen.
2Ofen auf 220 °C vorheizen, ein Backblech mit einem Backpapier belegen, den Tomme auf das Blech resp. das Papier legen, mit Olivenöl bepinseln und mit Pfeffer bestreuen.
3Sesamsamen in einer Bratpfanne ohne Öl rösten, bis sie etwas braun werden, dann zur Seite stellen.
4Entweder den grünen Spargel in Salzwasser bissfest kochen und anschliessend in Sesam- und Olivenöl einige Minuten bei starker Hitze anbraten. Oder – wer mehr Zeit aufbringen will – brät den rohen Spargel bei nicht ganz so starker Hitze im Sesam- und Olivenöl. Das dauert einfach an die 20 Minuten, bis der Spargel weich ist; empfehlenswert ist es, einen Deckel zu verwenden.
5Gebratener Spargel in eine Salatschüssel geben, etwas abkühlen lassen.
6Das Backblech mit dem Tomme in den Backofen schieben und den Tomme während ca. 10 Minuten backen. Er ist dann gut, wenn er sich zu kleinen Kissen aufbläst.
7Den Balsamico über den lauwarmen Spargel giessen, salzen und pfeffern und die Sesamsamen dazugeben. Alles gut mischen.
Tipp:
Der Salat schmeckt am besten lauwarm, aber auch ganz heiss oder ganz kalt ist er lecker. Vegane Menschen könnten anstelle des Tomme Portobello-Pilze backen oder Austernpilze flambieren.
SAUERKRAUT-STEINPILZ-SUPPE
30 g getrocknete Steinpilze
1 kleine Zwiebel
250 g Kartoffeln, festkochend
200 g Sauerkraut, gekocht
1¼ l Wasser
Gemüsebrühe oder Pulver auf 1,25 l Wasser
3 Wacholderbeeren
1 Lorbeerblatt
1 gehäufter TL Kümmel, ganz
1½ TL Paprikapulver, scharf
½ TL Cayennepfeffer
2 TL Tomatenpüree
2 dl Rahm
½ TL Zucker
1 EL Pflanzenöl
Salz
Pfeffer
1Eine Schüssel mit lauwarmem Wasser füllen und die Steinpilze mindestens eine Stunde einweichen.
2Die Zwiebel schälen, halbieren und in dünne Streifen schneiden.
3In einem Kochtopf wenig Öl erhitzen und die Zwiebelstreifen im heissen Öl dünsten (kleine Hitze).
4Während die Zwiebelstreifen in der Pfanne glasig werden, die Kartoffeln schälen und in kleine Würfel schneiden (ca. 1,5 cm dick).
5Wasser, Kartoffeln und Sauerkraut zu den Zwiebelstreifen geben.
6Gemüsebrühe, Wacholder, Lorbeer und Kümmel beifügen.
7Die Steinpilze abgiessen, abtropfen lassen und in die Suppe geben.
8Hitze erhöhen und die Suppe aufkochen.
9Wenn die Suppe kocht, die Hitze wieder reduzieren und Tomatenpüree, Rahm, Zucker, Paprika und Cayennepfeffer zugeben.
10Leicht köcheln lassen und immer wieder rühren.
11Probieren, ob die Suppe genug gewürzt ist. Je nach Geschmack salzen und pfeffern.
12Weiter köcheln lassen, bis die Kartoffeln weich sind.
Muda Mathis und Fränzi Madörin
DAS PRIVILEG
Es war ein Privileg, oberhalb des Hirschenecks zu wohnen. Die Wohnung zu bekommen, war nicht einfach. Teresa Alonso und ich, Muda Mathis von Les Reines Prochaines standen zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle, denn nur Auserwählte bekamen diese fantastische Wohnung.
Es war 1989 kurz vor dem Mauerfall, die Welt war noch in Ordnung, der Staat längst Gurkensalat, no Future noch eine lebenswerte Option, als Susanne Ruegge und Miriam Müller, beide Freundinnen von wichtigen männlichen Exponenten der autonomen Szene, die Wohnung an uns weitergaben. Das war latent subversiv, auf jeden Fall autonomer Frauenpower, gehörten wir doch nicht zum engsten Kreis der autonomen Elite, sondern waren nur gewöhnliche Künstlerinnen und Feministinnen.
Ihre Bedingung war, die Wohnung zu renovieren, und das taten wir. Am schönen Pfingstwochenende verlegten wir einen Holzriemenboden. Mit offenem Fenster, lauter Musik, Gehämmer und Gesäge arbeiteten wir bis tief in die Nacht hinein. Plötzlich kam ein faustgrosser Stein durch das offene Fenster geflogen. Wir erschraken und waren geradezu empört. Wer schmeisst Steine ins Hirscheneck? Später erfuhren wir, dass es ein verzweifelter Familienvater war, der den Eingang nicht gefunden hatte, um höflich anzufragen, ob wir vielleicht die Fenster schliessen könnten.
Nach einem Jahr zog Teresa weiter nach Spanien und Fränzi Madörin