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Hominide
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eBook132 Seiten1 Stunde

Hominide

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Über dieses E-Book

Seine Geschichte erzählt Pitar, ein Australopithecus afarensis, der mit seiner Sippe vor Millionen von Jahren am Rand des zentralafrikanischen Regenwaldes in der Nähe der Savanne lebt. Des stets gleichen Alltags überdrüssig, versucht Pitar, aus dem Dunkel der Vorgeschichte emporzusteigen und die Seinen dabei mitzureißen. Es geht um nicht weniger, als den Sinn des Daseins zu begreifen und die Zivilisation zu entdecken.

Dass Pitar das Wissen der zukünftigen Menschen vorausahnt und mit rhetorischem Geschick von Dingen spricht, die lediglich den heute Lebenden selbstverständlich sind, macht das Buch mit Augenzwinkern zu einem Spiegel unserer Gesellschaft. Anspielungen an historische Ereignisse, Hommagen an literarische Werke, satirische Betrachtungen und nicht zuletzt der lateinische Sprüche klopfende Kompagnon Carpediem gestalten in sieben Kapiteln eine ganz besondere Schöpfungsgeschichte.

Eingebettet in die Veränderungen, denen die Hominidensippe unterliegt, wächst Pitars Liebe zu Maluma und reift im selben Grad, in dem die Frühmenschen zu neuen Ufern aufbrechen. Der siebente Tag jedoch, an dem alle zur Ruhe kommen, mündet in ein Finale, das die beiden Liebenden aus ihrem Paradies vertreibt und ihr Glück im Unbekannten suchen lässt.
SpracheDeutsch
HerausgeberWieser Verlag
Erscheinungsdatum10. Jan. 2017
ISBN9783990470664
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    Buchvorschau

    Hominide - Klaus Ebner

    Glossar

    Tag 1

    Allen Ernstes hielt sie mir die aufgebrochene Eischale mit beiden Händen vor die Nase, bis an den Rand gefüllt mit dem schleimigen Straußeneiklar, das zu schlürfen zwar in manchen Situationen, wie etwa auf einem mehrtägigen Streifzug durch die Savanne, durchaus angebracht war, aber jetzt und hier, wo wir einander in trauter Zweisamkeit gegenübersaßen, wie ein Faustschlag aus der Tiefe der menschlichen Vorgeschichte wirkte. Natürlich blieb ich höflich und tat, als freute ich mich über ihre freundlich gemeinte Geste, tippte die Schale – eine Idee zu stark – mit den Fingern an, sagte erschrocken »ups!« und bemühte mich, dem sich zur Seite neigenden, aus ihrem Griff rutschenden und schnurstracks zu Boden sausenden Ei in ehrlicher Betroffenheit nachzustarren.

    Maluma seufzte verärgert, schüttelte den Kopf und rief: »Wenn du weniger Geschichten erzähltest, wärst du wohl nicht so ungeschickt!«

    Tatsächlich spann ich insgeheim an einer ausführlichen Schilderung dessen, wie Eiklar und Dotter, inmitten der zerschellten Schalensplitter, allmählich in den an dieser Stelle mäßig feuchten Waldboden sickerten, dabei ganze Armeen von Ameisen und Fadenwürmern auf den Plan riefen und einen mehr als reichlichen Beitrag zur tierischen Nahrungskette ablieferten. Indes verlor ich kein Wort darüber, um Maluma nicht zusätzlich zu verärgern; immerhin hatte sie sich bereits von mir fortgewandt und hüpfte aufs benachbarte Gehölz, wo sie die Arme nach oben streckte, einen Ast packte und sich allmählich aus meinem Blickfeld hangelte, dorthin, wo ich den Großteil meiner Brüder wähnte.

    Der Wald blieb angenehm friedvoll, und die andern hielten still. Wohl horchte ich auf ungewohnte Geräusche, versuchte mich auf die unmittelbare Umgebung zu konzentrieren und das dichte Blattwerk mit meinen Blicken ein bisschen weiter als sonst zu durchdringen, doch nichts verriet das Kommende. Maluma nachzuhüpfen hatte ich keine Lust, und auf diese Weise verging der ganze Vormittag. Die Sonne stieg in den Zenit, und die Blätter schützten uns vor allzu brennender Hitze. Schattig verlief unser ganzes Leben, dachte ich. In gewisser Weise war das gut so, denn der Schatten schützte uns vor vielen Gefahren.

    Ich setzte mich aufrecht, verlor die Berührung zum Stamm in meinem Rücken und spähte ringsum, vielleicht um mich zu vergewissern, dass ich tatsächlich allein war und niemand mich beachten würde. Der Schatten ging mir nicht mehr aus dem Kopf, denn seine schützende Seite verbarg eine zweite, eine Rückseite, abgewandt von uns, dunkel und geheimnisvoll, und je mehr ich darüber nachdachte, desto deutlicher stand mir vor Augen, dass wir nicht das Geringste über diese andere Seite wussten. Seit Kurzem verspürte ich eine seltsame Unruhe, geradezu, als wäre es an der Zeit, die tagtägliche Unauffälligkeit ein für alle Mal zu durchbrechen. Doch was Generation um Generation unauffällig verlaufen ist, wird sich kaum ohne Zutun auffällig verändern. Und Zutun setzt voraus, dass irgendjemand etwas tut, ein Urheber, jemand, der, wenn er schon nicht die Fäden zieht, den Anstoß zur Veränderung gibt. Sollte ich in der Lage sein, etwas anzustoßen? Oder stieß ich lediglich Straußeneier in den Abgrund und mit ihnen die Wertschätzung jenes Wesens, das mir am allerliebsten war?

    Mein Herzklopfen wurde stärker. Wäre ich kein Australopithecus afarensis, hätte ich nun schlagartig eine Entwicklungsstufe übersprungen. Wenn ich recht überlegte, lag der Schatten des Waldes nicht nur über unserem Leben, sondern über allem, was wir taten. Was dasselbe ist. Ich streckte den Hals und kratzte mich unter dem Kinn. Was taten wir eigentlich? Wir saßen herum, aßen, was wir fanden, kletterten von Wipfel zu Wipfel, räuberten Wespennester, wir schliefen, neckten einander, kopulierten und zogen die Kleinen groß, damit sie wieder herumsaßen, aßen, was sie fanden, von Wipfel zu Wipfel kletterten, Wespennester räuberten, schliefen, einander neckten, kopulierten und die Kleinen großzogen, obwohl wir den kausalen Zusammenhang dieser beiden Dinge noch gar nicht erkannten. Alles wiederholte sich, alles. Ich seufzte. Es ging doch nicht an, Tausende von Jahren immer nur dasselbe zu tun, auf den Bäumen rumzulungern, sich um die saftigsten Blätter und Früchte zu zanken und dass wir, wenn wir uns einmal auf den Boden wagten, befürchten mussten, von einer durchs Dickicht schleichenden Großkatze angefallen zu werden, die mit ihren Säbelzähnen jeden Brustkorb aufknackte.

    Meine Gedanken fingen zu galoppieren an. Ein Grinsen spannte mein Gesicht, weil sich eins ins andere fügte und mir zusehends klar wurde, dass tatsächlich ich es war, der etwas ins Rollen bringen konnte und musste. Und die andern? Meine Kameraden, meine Freunde, die Clique, ach was sage ich: die Verwandtschaft, die Familie, meine Sippe? Kein bisschen helle, die Rotte, tagein tagaus dümpelten sie träge dahin. Also beschloss ich, ein wenig Klarheit ins Dunkel zu bringen, meinen Leuten eine Kerze anzuzünden, nach der Devise, es werde Licht und so.

    Wo sollte ich anfangen? Mit wem? Bei wem? Konnte ich sie einzeln zu mir holen und mit ihnen reden? Mit Konrad, meinem Bruder? Vielleicht. Auch ein Gespräch mit Lao, ebenfalls mein Bruder, vermochte ich mir vorzustellen. Doch wenn ich an Costello dachte, den Stärksten unserer Sippe, wurde ich unsicher. Natürlich sind es die Starken, die eine Gruppe anführen, so auch Costello. Wenn ich also bei ihm vorstellig wurde, ihm zuraunte, was mir durch den Kopf ging – nein, dabei hatte ich kein gutes Gefühl, nicht auf diese Weise. Es kam viel besser an, wie der blutjunge Bongo zu agieren. Ihn nannten wir so, weil er immer den Affen markierte: lustig, schalkhaft und tollpatschig, manchmal frech, doch stets bereit, das Gesagte zurückzunehmen, sein Tun als Ulk und das Verstandene als Missverständnis darzustellen. Leider besaß ich nichts von dieser Gabe.

    Wir sprachen stets von Brüdern, und niemals wurde zwischen Brüdern und Cousins, Schwägern und Kumpel ein Unterschied gemacht. Sie hießen Konrad, Lao, Costello, Bongo und Carpediem. Und Re. Und dann noch Rhododendron. Thorn nahm hingegen eine Sonderstellung ein, denn aufgrund seines Alters kam er nur als Onkel oder Großvater in Frage. Und schließlich gab es noch die Frauen, unsere Schwestern und Kusinen, Geliebten und Gefährtinnen: Djamila, Lucy, Ruth, Manisha, Akshaya, Ischa. Aber so genau wusste im Grunde niemand über die Verwandtschaftsverhältnisse Bescheid. Schließlich lebten wir seit Ewigkeiten im Geäst und, wenn wir uns sicher genug fühlten, auf dem Boden des Waldes und in den Randgebieten der Savanne. Wenn zwei sich dabei näherkamen, Männchen und Weibchen, dann ergab sich einiges. Männchen und Weibchen, Weibchen und Männchen, Weibchen und Weibchen – ja, auch das gab es. Vor allem, wenn sie uns, den Männchen, mal wieder zeigen wollten, dass sie uns eigentlich gar nicht brauchten. Aber das ist eine andere Geschichte. Wann wir begonnen hatten, von Männlein und Weiblein zu sprechen, entsinne ich mich nicht mehr. Diese sprachliche Veränderung stellte sich dermaßen schleichend ein, dass sie völlig unbemerkt blieb.

    Genug der Überlegungen. Ich musste hinaus, das heißt, zu den andern. Wir hielten uns üblicherweise in einem recht überschaubaren Areal auf, sodass es mir ein Leichtes war, den Rest der Sippe zu finden. Sie alle saßen im Geäst zweier Baumkronen, die auf eine Weise ineinanderwuchsen, dass es kaum auffiel, wenn man von den Zweigen des einen Stammes auf die des anderen wechselte und umgekehrt. Costello thronte natürlich in der Mitte, der Pascha unseres Clans, mit dem Bauch offen nach oben, doch immerhin sein Geschlecht hing müde herab, und ich schöpfte Hoffnung, dass er die Rede, die ich zu halten vorhatte, nicht gleich unterbräche, indem er einer der Damen nachstieg. Um ihn, den unangefochtenen Herrscher, hockten sie herum: Lao und Carpediem in leises Gespräch vertieft, Bongo von Zeit zu Zeit aufhüpfend und eine seiner pseudoartistischen Kapriolen zum Besten gebend, Djamila wie gewohnt kokettierend und Lucy mit einem Neugeborenen – ich fasste es kaum, dass sie jeden Winter ein neues Kind zur Welt brachte.

    Ich ließ mich auf einer Astgabel nieder, die mir erlaubte, so gut wie allen ins Gesicht zu sehen. Ein prüfender Blick und ein Abwarten, ob Costello mein Ansinnen bereits im Ansatz ersticken würde, doch er schwieg. Daher begann ich meine Stimme zu erheben, die Familie zu adressieren, indem ich die Namen ihrer Mitglieder abwechselnd nannte, jeweils zwei auf einmal, damit niemand der Idee verfiele, mich zu unterbrechen und seinem Namen ein geflissentlich vorgebrachtes »Hier!« entgegenzuhalten. Ich sprach von den Gedanken, die ich mir gemacht hatte, von der Vorstellung eines Aufbruchs, der uns nicht nur vorbehalten war, sondern den wir umgehend angehen mussten, um seine Dynamik – die ich momentan unterstellte – am Gehen zu halten. Nur für einen Wimpernschlag fiel mir auf, welch rhetorischen Quatsch ich eigentlich daherquasselte, denn im Anfang ging es bloß darum, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und dazu war mir zugegebenermaßen jedes Mittel recht. Mit Begeisterung schwadronierte ich vor mich hin und hoffte, die Funken meiner Inbrunst würden übergreifen. Zuerst dachte sich ja niemand etwas dabei, und möglicherweise war der einzige Funkenflug, den meine Halbaffen, wie ich sie kosend zu bezeichnen pflegte, tatsächlich begriffen, jener eines Gewitters, der nach dem Einschlag eines Blitzes ganze Waldflure niederstreckt und das einfache Dasein, das wir fristen, in jedweder Beziehung bedroht. Ich redete und redete und redete. Etwas gelangweilt brummelte Bongo, lange Reden würden die Vernunft zu Asche brennen, doch ich hielt jede Regung in den mich anglotzenden Gesichtern generös für das heiß ersehnte Echo, jedes Hochziehen der Augenbrauen, jedes Naserümpfen. Aber sonst

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