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Tinte ist bitter: Literarische Porträts aus Barbaropa
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eBook153 Seiten1 Stunde

Tinte ist bitter: Literarische Porträts aus Barbaropa

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Über dieses E-Book

Vor 25 Jahren erschien im Wieser Verlag ein Buch, das rasch für Furore sorgte und die literarische Debatte im gesamten deutschen Sprachraum beeinflusste: "Tinte ist bitter. Literarische Porträts aus Barbaropa". In diesem Band und in der nachfolgenden Essaysammlung "Die Vernichtung Mitteleuropas" hat Karl-Markus Gauß kenntnisreich und leidenschaftlich einen Kontinent vermessen, dessen Literatur im Westen bis dahin kaum beachtet worden war. Seine Porträts von ermordeten, exilierten, totgeschwiegenen Autoren aus Mähren und Galizien, Ungarn, Slowenien und Kroatien, aus Triest und Bukarest führten aus der Mitte an die Ränder Europas und aus der Vergangenheit mitten in die Gegenwart der politischen Umbrüche. In der vorliegenden Auswahl sind sie wiederzuentdecken: die große, zum Schweigen gebrachte Literatur "Barbaropas", die Hoffnung auf einen neuen europäischen Selbstentwurf, die Sprachlust eines Autors, der schon in seinen ersten Büchern als unverwechselbarer Stilist angetreten war.

Miroslav Krleža, Miklós Radnóti, Danilo Kiš, Oskar Jellinek, Ernst Sommer, Hermann Ungar, Fulvio Tomizza, Ciril Kosmač: Acht Essays, geschrieben vor gut einem Vierteljahrhundert. In ihrer Aktualität ungebrochen, zeugen sie heute zudem schmerzlich von den kulturellen und politischen Versäumnissen seither. In der vorliegenden Auswahl sind sie wieder zu entdecken: die große, zum Schweigen gebrachte Literatur "Barbaropas" und die Hoffnung auf einen neuen europäischen Selbstentwurf.
SpracheDeutsch
HerausgeberWieser Verlag
Erscheinungsdatum5. Nov. 2014
ISBN9783990470114
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    Buchvorschau

    Tinte ist bitter - Karl-Markus Gauß

    2014

    Miroslav Krleža

    oder

    Die Literatur darf nichts vergessen

    Als würde dies alleine ihn rechtfertigen und im Reich der Kultur, Zweigstelle Wien, beheimaten, wird er in nachgereichten Wiener Legenden gerne als Verehrer des Karl Kraus feilgeboten; ja, im gewiss ehrlichen Bemühen, damit auch sein Werk zu rühmen, hat man ihn gar zum »kroatischen Kraus« – ja was eigentlich: erhoben, ernannt, verdammt? Aber was hat, da schon Karl Kraus nichts für und nichts mehr gegen seine Verehrer von heute kann, ein ausländischer Dichter, zumal einer vom Balkan, was hat schon Miroslav Krleža, dieses Jahrhundertgenie, mit den Vergleichen zu tun, auf die man ihn bringt? »Das imposante Gebäude der europäischen Zivilisation ist aufgebaut auf den Knochen zahlloser besiegter europäischer Völker«, schrieb Krleža einmal, und es war gegen das Vergessen gerichtet, »daß es zwei Europas gibt. Neben dem klassischen westeuropäischen, museal-grandiosen, historisch-pathetischen Europa lebt noch ein zweites, das bescheidene, in die Ecke gedrängte, seit Jahrhunderten immer wieder unterworfene periphere Europa der östlichen und südöstlichen europäischen Völker. Dies sind die Völker im Baltikum, im Donau- und Karpatenraum und auf dem Balkan, denen es bestimmt ist, nicht innerhalb der europäischen Mauern zu leben, sondern antemural, eine Art Glacis bildend gegen die osmanische und mongolische Gefahr und gegen alle anderen Bedrohungen militärischer und politischer Art. In europäischer Sicht ist das Schicksal dieser Völker zwischen Baltikum, Karpaten, Adria und Balkan mit dem westeuropäischen Triumph der nationalen Waffen und Geister nicht zu vergleichen, denn die osteuropäischen Randvölker gehören jener Zivilisation zu, der es nicht vergönnt war, sich nach europäischem Standard zu entwickeln, weil stärkere Mächte ihnen jegliches Recht auf materielle und moralische Existenz bestritten haben.«

    Friedrich Torberg, approbierter Nachfolger und selbst ernannter Sachwalter des Karl Kraus auf Erden, hat den, der all dies schrieb, hat Miroslav Krleža einmal als »altösterreichischen Rebellen« bezeichnet: Rebell gemildert durch Kakanien, Kommunist, aber von harmlos-pannonischer Verstiegenheit, mochte dies bedeutet haben sollen, und so sehr es auch überrascht, dass ausgerechnet Torberg dieses eine Mal einen radikal anders Gesinnten nicht in die Nichtigkeit verdammte, sondern zu würdigen versuchte – freilich doch wiederum nur, indem diesem das Andersgesinnte gestutzt wurde, bis nur mehr das Gesinnte übrig war, das in Torbergs eng geschnürtes Gesinnungskorsett passte –, so wenig einfallsreich ist doch der Versuch gewesen, den schärfsten Kritiker der Donaumonarchie gleichsam zu deren liebenswert-ungezogenen Sohn zu machen. Die gar nicht so sanfte Besitzergreifung Krležas, der bald zum balkanprovinziellen Jünger des Karl Kraus ausgerufen, bald, und viel schlimmer, zum Heimatdichter einer größeren kakanisch-mitteleuropäischen Heimat von gestern verniedlicht wird, diese Besitzergreifung konnte ihren kruden Zugriff bisher recht unangefochten sicher führen, hatte sie doch bloß Krležas ganzes Werk, nicht aber auch dessen allgemeine Kenntnis gegen sich. Ein Name, dessen man sich schmücken kann, ohne fürchten zu müssen, dass das, wofür er steht, auch weiter bekannt geworden ist; eine Figur, ungestraft hin- und herzuschieben auf jenem Schachbrett, an dem sich in mitteleuropäisch-illuminierten Cafés kongresserprobte Saloneuropäer darum bemühen, matte geistige Frische zu zeigen – nicht viel mehr ist Miroslav Krleža zuletzt in Österreich gewesen, während in Deutschland, zugegeben, seine Unbekanntheit ohnehin so enorm ist, dass er nicht einmal in kultursnobistischer Absicht gerühmt wird, eben weil mit ihm so wenig verbunden wird, dass kein fahler Schimmer des Ruhms auf den Ruhmredner selber abfiele.

    Der einstige k. u. k. Kadett Miroslav Krleža hat sich ein schriftstellerisches Leben lang mit Österreich, mit der in einem Weltkrieg auseinandergebrochenen Monarchie der Habsburger, mit Anspruch und Wirklichkeit des riesigen k. u. k. Staatsgebildes auseinandergesetzt, und immer wieder beschäftigte er sich in leidenschaftlichen Polemiken und weit gespannten Studien, in Romanen und Essays, Novellen und Reden, Bekenntnissen und Analysen mit »Österreich«, mit österreichischen Künstlern und Politikern, Hoffnungen und Illusionen … Doch war es kein trauerndes Requiem für Habsburg, wie der ironische Titel einer seiner Erzählungen und einer Prosasammlung lautet, kein Requiem auf die entschwundene Donaumonarchie, die Krleža anstimmte, kein Abgesang auf die Habsburger und ihr vorgeblich übernationales Reich. Nein, in den vierzig Bänden, die Krležas Œuvre fassen – ein Œuvre, das für die Literatur des 20. Jahrhunderts schon in einer einzigartigen Vielfalt der Formen hingebreitet liegt – ist Österreich nie eine melancholisch betrauerte Größe, nie eine Kategorie des Humanen und sein Ende daher auch kein Anlass der Wehmut. »Österreich« stand in Krležas so widersprüchlichem wie unverwechselbarem Werk von Anfang an als Name der Verführung zum Schlechten, der Versuchung, der Unterdrückung, der Demoralisierung, und mit kalter Verzweiflung gleich wie mit heißem Zorn zeichnete Krleža ein ganz anderes Österreich als jenes, das uns gemütlich-altösterreichische Rebellen und deren so gar nicht rebellische Verklärer anempfehlen; Krležas Mitteleuropa war habsburgisch verdüstert und ganz verschieden von dem, das heute vielenorts wie ein versunkenes Atlantis kakanischer Humanität besungen wird.

    Miroslav Krleža war so sehr fixiert auf die Nachtseiten des habsburgischen Reiches, in dem doch einst die Sonne nicht unterzugehen vermochte, dass er seine Gestalten, wenn er sie als Helden der Oberflächlichkeit kenntlich machen wollte, bevorzugt mit österreichischen Attitüden ausstaffierte; eine Vorliebe für den pompösen Salonmaler Hans Makart etwa, wie sie der dümmelnde k. u. k. Großgespan i. P. Titus Andronicus Fabriczy-Glembay in dem Schauspiel Die Glembays gleich anfangs zeigt, lässt schon darauf schließen, dass hier ein Titan der Geschwätzigkeit angetreten ist, seinen bis in die tiefsten Abgründe hinein oberflächlichen Charakter ein Theaterstück lang vorzuführen. Und erst recht wenn leis im Hintergrund die Walzermelodeien erklingen und die »Straußlimonade« zu sprudeln beginnt, schafft Krleža über derlei österreichische Ingredienzen rasch eine unerträgliche Verdickung der Atmosphäre zu zäher Dummheit und Niedertracht. Sogar sein Selbstbild als Autor, seinen Entwurf als Dichter schärfte Krleža sich über eine Reihe grandioser Essays, Verwerfungen fast allesamt, in denen er sich bevorzugt von österreichischen Schriftstellern abzugrenzen und abzuheben versuchte. Selbst dort, wo er bewunderte, ja eben dort, kritisierte er unnachsichtig scharf, kenntnisreich wie aus vertrauter, doch mit Bedacht gemiedener Nähe. Über Hugo von Hofmannsthal, der gerne zum Repräsentanten jenes konservativ-humanen Österreich angerufen wird, dessen Untergang von 1918 in den abschüssigen Weg zu größeren europäischen Katastrophen geführt habe, über Hofmannsthal und seinen Niedergang vom feinsinnigen Knaben Loris zum Feuilletonisten der habsburgischen Militärmacht urteilte er 1928: »Die Schönheiten Hofmannsthals sind schön wie die planimetrischen Verhältnisse englischer Parkanlagen, die für herrschaftliche Genüsse herbstlicher Stimmungen geschaffen sind. Es ereignete sich aber, daß diese lyrischen Parks Kriegsgebiete wurden, daß dieses poetische Europa von einem Wirbel blutiger Kriege fortgeweht und der Poet Hofmannsthal kaiserlich-königlicher Oberleutnant wurde, dem nichts anderes übrig blieb, als patriotischer Hymniker zu werden. «

    Zweifellos war es unter allen österreichischen Dichtern tatsächlich Karl Kraus, den Krleža am meisten – oder besser: noch am ehesten – geschätzt hat. Der kompromisslose Kampf gegen Kriegstreiber und Kriegsgewinnler und der Wunsch, dieser »großen Zeit« der großen Verbrechen ein unbestochener Zeuge zu sein, verband ihn so wie die gewaltige Rhetorik und Sprachmacht gewiss mit ihm. Doch hat Krleža die selbst gewählte Beschränkung des Karl Kraus zwar geachtet, doch für sich selbst verworfen: Auch er hat sich die Presse zum entlarvten und höhnisch bloßgestellten Feind gemacht, seine künstlerische Energie jedoch nie für diesen aufgebraucht, im Gegenteil. Krležas Lebenswerk, weit verzweigt in Erzählungen, Romanen, Novellen, Gedichten, Theaterstücken, wissenschaftlichen Studien, kritischen Abhandlungen, politischen Pamphleten und Essays, war dem Ideal der Totalität verpflichtet, im Ganzen wie in jedem seiner Teile, und von hier aus, von dieser Überzeugung, dass die Welt, deren zerborstene Einheit die Kunst wiederherzustellen hat, reicher und komplexer ist als grelle Spiegelungen in verkommenen Presseerzeugnissen, hat er das Werk des Karl Kraus für sich verworfen.

    Zugleich wütend und tiefschürfend, in höchste polemische Schärfe zugespitzt war Krležas Kritik an österreichischer Kunst und Literatur, und unbedingt und kompromisslos ist auch die Verwerfung, die er dem »österreichischen Prinzip« in der Politik angedeihen ließ; natürlich galt sie zuerst den staatstragenden Schichten und deren großösterreichischen Ideologien, nicht minder aber schloss sie auch die »kaiserliche Hofratspolitik« der Sozialdemokratie, die »marxistische Winkeladvokatur« jener Austromarxisten ein, die den Traum einer fortdauernden Hegemonie der »Deutschösterreicher« über die in das Reservat einer bloß kulturellen Autonomie entlassenen Slawen der Donaumonarchie träumten …

    Zeitlebens ist der gewesene Kadett Krleža in österreichischen Fragen kein kühler, kein interesseloser Beobachter geworden, und noch im hohen Alter tönte meist Empörung und Verachtung auf, wenn er sich der österreichisch-ungarischen Welt von gestern besann. Noch sein letzter, grandioser Monumentalroman Zastave – Die Flaggen ist auch der Auseinandersetzung mit der Donaumonarchie gewidmet, und wenn Krleža mit zunehmendem Alter zunehmendes Interesse am Entwurf einer anderen übergreifenden europäischen Ordnung zeigte, zog er deren kulturellen Umriss doch niemals nach dem Schattenbild der alten Donaumonarchie, ja stets gleichsam gegen diese. Und doch war sein schneidend scharfer, sprachgewaltiger Spott allem Habsburgischen, sein enzyklopädisch gebildeter Hohn allem mitteleuropäisch Entflammten gegenüber keine verspätete Grablegung einer ohnehin längst abgestorbenen Welt. Nein, Krleža hat nicht Gespenster geweckt, um sie ihrer Geisterhaftigkeit zeihen zu können, es ging ihm nicht um nachgetragenen Hass, sondern um das Gedächtnis der Menschen, um das Gedächtnis – also um die Zukunft, eine Zukunft aus gestalteter Vergangenheit.

    Nach Jahren erzwungenen Schweigens und eines von Gestapo und Ustaschi zugleich überwachten und bedrohten Hausarrestes wandte sich Miroslav Krleža 1945 mit einem fulminanten Essay an die Öffentlichkeit. Sein Entwurf einer sozialistischen, aber nicht parteipflichtigen Kunst, einer gesellschaftskritischen, aber nicht ideologisch verschnittenen Literatur hatte ihm in den dreißiger Jahren nach dem Hass der konservativen gefährlicher noch den der stalinistischen Kulturverweser eingetragen, die Jagd auf Abweichler in den eigenen Reihen machten. Was er nun in kämpferisch-streitbaren Essays zur Kultur und Kulturpolitik forderte, entzündete zwar sogleich wieder die alte kalte Bürokratenwut gegen ihn, indes, beschimpft, bedroht, verleumdet, konnte sich Krleža nun doch behaupten, ohne seine Position preisgeben zu müssen oder sich ins Schweigen zurückdrängen zu lassen.

    »Unser Volk«, meinte er 1945 in seinem Essay Literatur heute, der andere Verpflichtungen der Kunst als jene durch Partei und Bürokratie durchaus anerkannte, »unser Volk, das an fremden Herden und fremden Tischen Almosen aus fremder Hand empfangen hat, jahrhundertelang hungrig und nackt wie Vieh, das fremde Herren geschoren und gehäutet haben … ist das Thema unserer Literatur. Mit den Augen der Literatur beschaut sich das Volk durch die Jahrhunderte, und damit sein Gedächtnis nicht wie eine Wolke im Wind verfliegt, darf die Literatur nichts vergessen. « Nichts darf die Literatur vergessen, niemanden darf sie vergessen … Das erste Werk, das Krleža dem Gedächtnis

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