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Am Ende der Welt
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eBook254 Seiten3 Stunden

Am Ende der Welt

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Über dieses E-Book

Der Held oder eher Antiheld des Romans, der Kriminelle Robi Kuchta, kommt soeben aus dem Gefängnis, und schon verwickelt er sich in schwere Delikte, die ihn letztlich das Leben kosten. Immer an seiner Seite Lučkay, der suspekte Polizist, zuerst als Verfolger, dann als Freund und Helfer. Welche Rolle spielt er und wo liegen seine Interessen? Man bewegt sich in einer multikulturellen Unterwelt, wo Slowakisch, Ungarisch und Romanes in seltsamer Mischung gesprochen wird. Pain liefert ein überzeugendes Psychogramm seiner skurrilen Helden. Dazu Edgar Schütz im Falter: "Und ein Zeitdokument ist diese apokalyptische Bestandsaufnahme einer ebenso jungen wie planlosen Generation, die sich nicht einmal 100 Kilometer von Wien entfernt tummelt, allemal. Wohl nicht zu Unrecht wurde das Buch schon als die erste 'Punkballade der slowakischen Literatur' bezeichnet."
SpracheDeutsch
HerausgeberWieser Verlag
Erscheinungsdatum5. Nov. 2014
ISBN9783990470053
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    Buchvorschau

    Am Ende der Welt - Agda Bavi Pain

    2014

    AGDA BAVI PAIN

    Am Ende der Welt

    Jesoskéro Ňilaj – Altweibersommer

    Dunkelheit. Sie füllt den ganzen Raum aus, lastet jedoch nicht auf ihm. Die Leere ist noch satter so. Und das Ende des Tunnels kommt nicht. Es ist Nacht.

    Die Klotür geht mit einer bestimmten Bewegung auf und schlägt auch gleich wieder zu. Robi Kuchta ist drin. Das Schummerlicht der schwachen, flimmernden Neonröhre nimmt dem Gestank kein bisschen an Intensität. Der Zug schwankt. Robi stützt sich mit einer Hand an der Wand ab, mit den Fingern der anderen hält er seinen Penis und pisst alles um sich herum voll. Im Gesicht tote Hose. Abwesend guckt er geradeaus: ein detaillierter Plan der Toilettenmechanik. Natürlich spült er nicht – und so wie früher kommt beim Waschbecken auch kein Wasser. Robi versenkt seinen Blick in den schmutzigen Spiegel; sein rechter Mundwinkel verzieht sich kaum sichtbar in Richtung von etwas, das früher mal ein Lächeln war.

    Aus der Innentasche seines Sakkos holt er eine Plastiktüte. Wiegt sie in seiner Hand wie einen Goldbarren oder ein dickes Päckchen Banknoten. Schmeißt den Beutel in den Müll. Die Schienenstöße schlagen gegen die Metallräder des Zugs, läuten eine unbekannte Stunde, eine unbekannte Minute ein. Noch einmal schaut er in den Spiegel, diesmal ohne zu lächeln, und geht hinaus in den dunklen Gang.

    In ein paar Abteilen brennt Licht. Schwankend bleibt er vor den Glasscheiben der einzelnen Türen stehen. Für eine Sekunde bremst er leicht ab und checkt mit einem blitzschnellen konzentrierten Blick die Insassen. In einer Ecke des vierten Abteils macht sich eine Zeitung breit. Pravda. Die Wahrheit. Der große rothaarige Mann hinter der aufgeschlagenen Doppelseite hebt den Blick und schaut Robi an. Schüttelt die Zeitung mit seinen schlanken langen Fingern glatt und faltet sie zusammen.

    Robi schlendert langsam noch ein paar Meter weiter, dann geht er zurück und verkriecht sich in sein Abteil, das erste neben dem Klo. Er sitzt am Fenster und beobachtet den trüben Gang.

    Einen kurzen Moment später geht eine große dunkle Gestalt vorbei. Das Schloss der Klotür klackt. Auf dem Rückweg schaut der Mann Robi noch einmal an, ihre Blicke begegnen sich. Der Rothaarige sieht sich nervös um, stopft sich die Plastiktüte am Bauch hinter den Hosenbund und knöpft sein Sakko zu.

    Robi dreht sich um, schaut nach draußen in die rotierende Finsternis, den verschwindenden Oberleitungsmasten hinterher. Wie oft hatte er Angst, dass er beim Abspringen vom Zug gegen einen dieser Betonstiele klatscht. Er sitzt allein im Abteil.

    Der rothaarige Lulatsch zwängt sich mit Mühe zwischen den dicken Bäuchen der ihm Entgegenkommenden durch.

    Robi verrenkt sich fast den Hals: Er schaut nach allen Seiten und hebt den Blick zur Decke des riesigen Bahnhofs von Košice. Von klein auf schon konnte er nicht genug von diesem Gefühl kriegen. Dem Gefühl, das ihn bei der Rückkehr nach Hause packte, nach den ersten unsicheren Schritten auf der weichen Heimatscholle. Er steht inmitten des Marmors oder Granits und ihm ist ganz leicht, die Hände in den Taschen, den Kopf perfekt kahl geschoren. Abgetragenes graues Sakko, weißes Hemd und schwarze Hose, an den Füßen glänzende kastanienbraune Lackschuhe. Das Sakko hat nicht mehr die stolze und breitschultrige Form wie früher: Die rechtwinkligen Kanten mit den Schulterpolstern sind entlang der tatsächlichen Schultern ein ordentliches Stück nach unten gesackt. Die zusammengeschrumpfte Plastiktüte ist alles, was er hat, nicht hat. Die Menschenmenge schlägt Wellen um ihn, die Leute rempeln ihn an, sie haben es eilig, zur Arbeit zu kommen. Zum ersten Mal kehrt er nach so langer Zeit zurück, nach einer ganzen Ewigkeit.

    »Bahnsteig zwei, Gleis sechs, ist soeben eingefahren Schnellzug 601 Ružín aus Bratislava über Trnava, Leopoldov, Žilina und Poprad/Tatra«, verkündet nach dem Gong eine unterkühlte Frauenstimme.

    Auch sie hat er ewig nicht gehört. Robi begibt sich nach draußen – durch den Eingang, dem Menschenstrom entgegen. Den eigentlichen Ausgang am anderen Ende des Bahnhofs passiert gerade eine große dunkle Gestalt mit roten Haaren. Auf der linken Seite des kurzen Gangs stehen Mädchen wie gemalt: Sie offerieren den Wachturm, kostenlos. Der Glaube stellt so seine Forderungen, doch er hat auch viel zu geben. Und Jehova ist besonders freigiebig.

    »Na? Wie laufen die Geschäfte?«, fragt Robi beiläufig.

    Er lächelt den Mädchen zu.

    Der Park vor dem Bahnhof ist mit Hunderten Krähen übersät. Und mit herumstehenden, -sitzenden oder -liegenden asketisch aussehenden Personen unterschiedlicher Hautfarbe. Zwischen ihnen wuselt ein ausgemergelter Mann herum, mit einem langen Stab wühlt er die Papierkörbe durch, die besseren Sachen schmeißt er zu einem Kind in einen Kinderwagen. Vor dem Eingang zum Bahnhof sind kleine Zigeuner beim Hütchenspiel. Sie locken Touristen mit der Aussicht auf einen anständigen Gewinn und tun so, als gehörten sie nicht zusammen. Sie schließen untereinander Wetten ab und gewinnen jedes Mal. Wenn einer von den zuguckenden Gewinngeilen auf das Theater anspringt und auf einen der Kunststoffbecher setzt, rücken sie ganz eng zusammen, damit er nichts sieht, nicht einmal seinen eigenen Fuß, den er vorausschauend auf den Becher gestellt hat, unter dem sich das gelbe Schaumstoffbällchen verbirgt. Wenn die Menge wieder auseinandertritt, ist der Ball natürlich in einem ganz anderen Becher, und der Fünfhunderter des Betrogenen wechselt ebenfalls seinen vorübergehenden Aufenthaltsort. Sollte es irgendwelche Einwände geben, könnte es passieren, dass gleich das ganze Portemonnaie umzieht. Und zu allem Überfluss stolpert der Betreffende auch noch unglücklich und bricht sich an der Bordsteinkante den Unterkiefer. Alle würden das bezeugen.

    Auch Robi, der leger am Taxistand vorbei ins Zentrum der Altstadt schlendert. Unbewusst registriert er aus dem Augenwinkel einen Škoda, einen gelben Hundertzwanziger. In dem Moment, in dem er den Blick voll auf ihn richtet, steht bereits eine Tür offen. Aus dem Innern dringt nervöse Punkmusik, Schwaden von Zigarettenrauch wabern hervor. Robi bleibt stehen. Neigt seinen Kopf ein wenig, um besser sehen zu können.

    »Steig ein«, ertönt es aus dem Auto: Leutnant Lučkay.

    Als Robi noch in Freiheit gewesen war, hatten sie Glück miteinander gehabt: Mit Ausnahme einiger weniger Fälle hatte nie jemand anderer die Untersuchungen geführt. Auch beim letzten hatte Lučkay angefangen, aber dann irgendwie die Kontrolle darüber verloren; das Ganze war ihm aus der Hand geglitten wie eine schleimige lebendige Schlange, und Robi musste ins Gefängnis.

    Der Motor hustet zweimal, bevor er ruhig und gleichmäßig zu brummen beginnt. Das große Plastikgerippe, das am Rückspiegel hängt, wird lebendig. Das Auto fährt los, rattert über die Straßenbahntrasse und stürzt sich im Kreisverkehr in die Blechlawine hinein.

    »Astrein«, sagt Robi, »ich hab nich mal Geld für’n Taxi.«

    Demonstrativ reckt er seinen Arm durchs offene Fenster nach draußen. Genießerisch kostet er die Fahrt aus.

    »Wo soll’s hingehn?«, fragt der Leutnant und schaut seinen Beifahrer nicht einmal an. »Hörst du?«

    Mit beiden Händen hält er das Lenkrad. Dass Robi ihn anstarrt, bemerkt er nicht. Die Asche von seiner Zigarette fliegt überall herum.

    »Richtung Demos.«

    Robi dreht sich um. Er betrachtet die vorbeiziehende Stadt, die sich in der Zwischenzeit so verändert hat, dass er sie kaum noch wiedererkennt. Lauter Pfandleiher und Secondhandläden. Häuser mit frischen Fassaden leuchten rot und grün, anderswo unappetitlich gelb oder rosa. Supermärkte und Bierlokale locken anonyme Konsumenten von der Straße in ihr Inneres. Auch Banken gibt es mehr. Und bunte Leuchtschriften. Sachen wie Lacke und Farben, Haushaltwaren oder Obst und Gemüse. Gemischtwarenhandlung. Eine andere Welt.

    »He, Vajsz, warum bist’n hergekomm’? Hier is jetzt ewig Ruhe gewesen«, unterbricht Lučkay nach einer Weile die Stille.

    Robi schaut aus dem Fenster: Die Bäume rücken mit den warmen Farben raus. Den Leuten rascheln die ersten vertrockneten Blätter unter den Füßen. Der Himmel wird blasser. Und: Die Sonne, schon mutiger, streckt ihre kleinen goldenen Morgenhörner hervor.

    »Jesoskéro Ňilaj!«, schreit Robi. Er guckt immer noch durch die Scheibe.

    »Was?«

    »Altweibersommer.«

    Aber Lučkay kapiert nicht. Als wäre ihm etwas Wichtiges durchs offene Fenster abhandengekommen.

    »Altweibersommer is am schönsten in Košice. Und außerdem bin ich hier zu Hause, oder?«

    Ihre Blicke treffen sich. Lučkay brummt nur zustimmend. Trotzdem versteht er nicht, was das Wort bedeutet; eigentlich weiß er überhaupt nicht, was er von der ganzen Sache halten soll. Sie stehen vor einer roten Ampel. Durch die Fensterscheiben der nagelneuen Autos um sie herum, die mindestens aus zweiter bis dritter Hand sind, drängen dezibelweise wummernde Discoklänge ins Freie. Robi ist nicht nach Tanzen.

    »Siehst immer noch genauso jung aus.«

    »Da, wo ich gewesen bin, da wird man nich älter.«

    Lučkay deutet mit einem Schnaufen durch die Nase die Interjektion eines Lachens an, nur eine einzige Silbe: ha!

    »Weltuntergang! Mensch, Vajsz, hast dich überhaupt nich verändert«, schüttelt er den Kopf samt Lächeln. »Du bringst’s fertig und machst aus’m Knast einfach so’n poetisches Hawaii! Lauter lachende schwarze Schauspielerinn’ mit Kränzen um’n Hals!«

    Voller Desinteresse raunzt Robi ihn an: »Also wenn ich hier poetisch bin, dann bist du ’n Droschkenkutscher.«

    Stumpfsinnig gucken sie durch die dreckige Frontscheibe des alten Škoda. Es ist schon eine ganze Weile grün, aber die Autos wollen sich partout nicht in Bewegung setzen. Vorn ist anscheinend irgendwas los.

    »Was macht’n der Dödel da?!«

    Lučkay trommelt auf dem Lenkrad herum, steckt den Kopf aus dem Fenster und fuchtelt mit den Armen. Auch Robi schlägt mit dem Handrücken gegen die Frontscheibe.

    »Hup doch mal!«

    Endlich kommt die Kolonne in Gang. Lučkay fährt bei Rot. Er biegt zur Markthalle am Dominikanerplatz ab und bahnt sich seinen Weg durch die zähe Melasse aus Menschen. Er kommt nur langsam voran und flucht: Der Markt ist voll. Letzten Endes bremst er doch noch und parkt. Macht den Motor aus. Mit einer Hand greift er sich mechanisch in den Schritt, berührt mit der geballten Faust nur leicht den Hosenschlitz. Er checkt seine Fingernägel, stützt sich mit dem linken Ellbogen aufs Lenkrad und hebt sein Gesicht.

    »Hör mal.« Lučkay dreht sich zu Robi um. Offensichtlich ist es was Ernstes. »Ich könnt Hilfe gebrauchen. Hörst du?«

    Robi starrt vor sich hin: »Hm?«

    »Vor zwei Monaten ham se mich bei uns gefeuert.«

    Robi hebt verwundert die schlappen Augenbrauen und lächelt mit geschlossenem Mund.

    »Und?«, sagt er beiläufig.

    Einen Moment lang schaut er Lučkay an, aber wirklich nur einen Moment. Der macht mit der Hand schon wieder zwischen den Beinen rum. Robi starrt wieder vor sich hin. Blinzelt. Sein Blick verliert sich im übervölkerten Markttreiben, zwischen Kisten mit Obst und Haufen aus schmutzigem Gemüse.

    »Ich müsste mich bei den’ irgendwie einschleim’.« Lučkay blinzelt vielsagend. »So was in der Art, dass mir viel an dem Job liegt, verstehste? Dass ich ohne die Arbeit nich weiterleben kann und so. Dass sie mich wieder nehm’ solln. Tja, und du könntest mir zuarbeiten, irgend’n Tipp geben oder so. Was grad so Interessantes abgeht. Weißt schon, was ich mein. Hm? Hörst du?«

    Robi sagt gar nichts, er trommelt mit den Fingerkuppen auf dem Handgriff an der Tür herum, offensichtlich glaubt er Lučkay nicht.

    »Hab verstanden. Gib mir mal deine Nummer, ich meld mich.«

    Blitzartig zückt Lučkay einen Stift, und mit fahrigen Bewegungen schreibt er die Ziffern auf ein Stück Papier, das er Robi reicht. Der schaut den Zettel nicht mal an und steckt ihn in die Hintertasche seiner schwarzen Stoffhose. Grußlos steigt er aus.

    Als würde im unterirdischen Halbdunkel Leim über seine Netzhäute rinnen. Er blinzelt, versucht damit den Blick freizukriegen, wie mit Scheibenwischern. Nur schwer kann er die Silhouetten der Gestalten und die Winkel des Raums erkennen und er reibt sich die tränenden Augen. Wie benommen geht er über die Schwelle. Das Demos: In der Bar hat sich zur Abwechslung gar nichts verändert. Die verschwitzten Steinwände und die feuchte Luft mixen den ewig gleichen Trödelladencocktail aus Zeit und Raum. Auch die großen zusammenfaltbaren Rosen aus rotem Krepppapier, die früher an den Spitzen von Winkelementen flackerten, sind bis jetzt nicht von den Wänden gefallen, und auch die Tischdecken sind noch nicht zu Staub zerbröselt.

    »Grüß dich, Vajsz, lange nich hier gewesen!«, zerreißt der Kellner Laci den alten Sack voll leisen monotonen Gebrabbels.

    Der Laci. Hat’s auch noch nicht geschafft zu sterben.

    »Sévas!«

    Robi geht breitbeinig schwankend hinüber zum Tresen.

    »Balevas«, greift er lakonisch nach der ausgestreckten Hand und lässt sich seinen Arm ordentlich durchschütteln. Er ist froh, als sich die Umklammerung löst.

    »Monte, da staun ich ja, dass es das hier überhaupt noch gibt, na echt.«

    Er klopft mit seinen Fingernägeln auf den Tresen. Der eintätowierte »SMRT« auf den Fingern seiner rechten Hand tänzelt in rhythmischen Wellenbewegungen. Er schlürft ein Dezi Borovička und spült mit Soda nach. Mit dem Schleier der Erinnerungen vor Augen schaut er sich in der Bar um.

    »Na? Was geht, Urlauber?!!«, wird Robi von einem großen, wuchtigen Kerl um die vierzig begrüßt, der plötzlich neben ihm steht. »Sévas, Verbrecher!«

    »Hallo«, antwortet Robi desinteressiert.

    »Höllo! Papu! Erkennst mich nich?«, redet der Bursche weiter.

    Er fährt sich mit der Hand über seine kurz geschnittenen blonden Haare. Robi betrachtet ihn für einen Moment. Er nimmt einen Schluck Borovička.

    »Kein’ scheiß Dunst?«

    »Blas mir ein’, dann vielleicht.«

    »Hamburger, wie wär’s damit?«

    »Szia«, reicht ihm Robi entschuldigend als Erster die Hand.

    Hamburger reichen aber die Finger nicht: Er drückt einmal zu, greift sofort um und zieht Robis Hand zu sich. Das zweite Zudrücken kommt dann erst mit dem alten Gruß der Blutsbrüder: Daumen in Daumen verhakt, Handfläche auf Handfläche. Er bringt Robi zum Rotieren, bis der die Augen verdreht. Robi kommt ins Taumeln.

    »Zwei Dezi Borovička«, ruft er Laci zu und dreht sich wieder zu Hamburger um. »Also wie jetzt? Wie steht’s?«

    »Mein Goldjunge, erzähl du.«

    »Gibt nix zu erzählen.« Er stützt sich mit den Ellbogen auf den Tresen, reckt seinen Körper nach hinten, legt seinen Kopf fast in den Aschenbecher. Er sieht Hamburger an und lächelt verlegen: »Alles Scheiße«, formt er langsam seine Worte. Es ist eher ein Zischen.

    »Ich weiß, ich weiß«, stimmt Hamburger zu.

    Die Hände in den Taschen seiner Trainingshose aus Ballonseide, mustert er die nervös wippenden Spitzen seiner Edelturnschuhe. Kumpelhaft klopft er Robi auf die Schulter.

    »Wart mal, Papu, ich muss da noch was erledigen. Egy pillanat, Moment …«, sagt er mit antrainiertem Zigeunerakzent und verschwindet hinter dem Vorhang des Separees nebenan.

    »Was is’n jetzt los?!!«, hört man kurz danach Geschrei aus dem Nachbarraum.

    Robi merkt erst jetzt, dass es eine Weile still gewesen ist. Dumpfe Schläge und das Klirren von Glas bringen den Fußboden zum Beben.

    »Von wegen fester Boden unter’n Füßen«, grummelt Robi.

    Laci poliert Gläser.

    »Was sagst du?« Er dreht sich um.

    »Nix.« Robi lehnt sich nach vorn, damit er besser zu verstehen ist. »Nur weil der Boden so wackelt, da sag ich, man kann gar keinen festen Boden unter’n Füßen haben.«

    Laci, ganz gefesselt von seiner Arbeit, nickt nur.

    Robi schaut zu dem Raum, aus dem der Lärm kommt. Er dreht sich ganz herum, lehnt mit dem Rücken am Tresen, und durch den Spalt im Vorhang beobachtet er, was dort drinnen vor sich geht. Drei kahlköpfige Arschlöcher dreschen hirnlos auf vier Männer ein. Eigentlich sind es noch kleine Jungs. Hamburger hüpft von den dreien am eifrigsten herum, er will irgendwas von den Jungs, aber man kann ihn kaum verstehen.

    »Papu, und du, was sitzt du hier so rum wie’n Lenin!«, geht er auf einen blutverschmierten Burschen los, der in einer Ecke sitzt. Er haut ihm gleich noch ein paarmal voll auf die Zwölf.

    Es sieht so aus, als wär’s mit dem Knaben vorbei, er liegt mit abgewendetem Blick reglos da, gegen die Steinwand gelehnt. Aber das interessiert Hamburger nicht. Anschließend schnürt er einem anderen Burschen mit einer Tischdecke die Kehle zu und zerschlägt effektvoll einen Aschenbecher auf seinem Kopf. Mit dem hat er sichtlich die größten Probleme. Sosehr er sich auch anstrengt, der Kerl sitzt ruhig da, mit einem verträumten Lächeln und übereinandergeschlagenen Beinen. Als er sieht, dass er da nicht weiterkommt, wendet er sich dem Nächsten aus dem Quartett zu und tritt ihm auch schon in den Bauch, sodass sich der Spacko kaum noch auf den Händen halten kann, auf allen vieren kriecht er über den Boden. Hamburgers Komplizen sind mehr oder weniger nur zur Show dort. Zwar verabreichen sie hie und da einem der Jungs großzügig einen beißenden Schlag in den Bizeps oder treten einem andern mit einem imposanten Kickbox-Ausfallschritt in die Visage, doch ihre Rolle besteht am ehesten darin, die Opfer zu schützen, damit sie sich nicht vor der gerechten Dingsda aus dem Staub machen. Der Strafe. Der Vergeltung.

    »Was glotzt’n so?«, fährt einer von Hamburgers Komplizen Robi mit lispelndem Mund an. Und gleich fängt er sich auch genau dort einen Hieb von Hamburger ein. Aber Robi ist entweder blind, oder er hat überhaupt keine Angst.

    »Macht der hier dauernd so Party?« Er dreht sich ruhig wieder zu Laci um, als er an der ganzen Sache keinen Spaß mehr hat.

    Laci nickt und zuckt mit den Achseln. Ja, das auch. Hin und wieder. Er steht mit verschränkten Armen hinter seinem Tresen zwischen Kästen mit dem besten Gesöff und wartet auf Bestellungen. Niemand trinkt was. Am liebsten würde er so eine Bande von Bettlern auf die Straße setzen.

    »Warum sagst’n dem nich mal was? Móre! Der schraubt doch die szegény Spackos dermaßen auseinander, dass die armen Schweine hinterher nur noch stottern könn’!«

    »Damit ich auch eine in die Fresse krieg?«

    »Hm.«

    »Kennst’n doch. Kannst dir ’n Hamburger ohne Ketchup vorstellen?«

    Robi will das aber irgendwie nicht in den Kopf, er kriegt’s nicht runter: Er hat sich abgewöhnt, harte Sachen zu trinken. Irgendwann waren die vom Selbstgebrannten verätzten Rohrleitungen seines Verdauungstrakts verheilt, aber jetzt streiken sie, drehen ihm zur Warnung den Magen um.

    »Na echt. Ich hab ’ne Idee: Balevas!«, sagt er und hebt sein Glas.

    »Auf dein Woll!«, wünscht Laci.

    »Sauf dich voll!«

    Er trinkt das Dezi auf ex.

    »Wie lang hast’n eigentlich gesessen?«

    Robi lächelt abwesend und hebt die Augenbrauen.

    »Ewig …«

    »Also wie jetzt?«, reißt Hamburger Robi aus seinen Grübeleien.

    Robi zuckt zusammen. Er schaut Hamburger an – der tut so, als wäre nichts.

    »Nix. Trink.«

    Robi gibt ihm einen Borovička.

    »Du machst hier super ein’ auf tollen Hirsch, Monte, aber wie ich seh, verdrischst ja immer noch bloß so jungsche Spackos.«

    »Tja weißte, Papu – nix Pinkepinke, nix große Liebe! Das solltest du aber wissen, Papu

    Hamburger schnuppert an dem Glas. Man sieht, dass er sich vorbereitet: Er erweitert den Durchflussquerschnitt seiner Kehle.

    »So is eben die Natur!«

    Er

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