Fremdenzimmer: Ein Volksstück
Von Peter Turrini
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Über dieses E-Book
Das "Fremdenzimmer" muss frei bleiben
Das fordert Herta Zamanik, Mindestrentnerin, 62 Jahre alt, zum Leidwesen ihres Mannes Gustl, dem frühpensionierten Briefträger. Denn Hertas Sohn ist seit Jahren verschwunden, und sie will und kann die Hoffnung auf eine Rückkehr des verlorenen Jungen nicht aufgeben. Doch auch sonst führen die beiden ein eher tristes Dasein in einer kleinen Wohnung in der Peripherie von Wien. Sie haben sich auseinandergelebt über die Jahre, von gegenseitiger Liebe und Geborgenheit ist nicht mehr viel übrig geblieben.
"Dass einer, der unsere Sprache nicht versteht, mich versteht, das versteh ich nicht."
Eines Tages steht plötzlich der 17-jährige Samir im Wohnzimmer des Rentnerpaares, ein syrischer Flüchtlingsjunge, der offenbar auf der Flucht vor der Polizei ist und Unterschlupf sucht. Zunächst begegnet das Paar ihm mit Argwohn und den verbreiteten Vorbehalten. Bald schon aber scheint es, als würde Samirs Anwesenheit Herta und Gustl einander wieder näher und Wärme in das Leben der beiden bringen.
Subtile Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsthematik
In seinem neuesten Stück schreibt Peter Turrini über das Fremdsein im eigenen Haus und das Vertrautwerden mit der Fremde. Auf subtile Weise greift er die Flüchtlingsthematik auf - und zeigt, dass man sich oft besser versteht, wenn man nicht dieselbe Sprache spricht. Und wie schließt man die kulturelle Kluft zwischen Wien und Syrien? Am besten mit einer Partie Bauernschnapsen!
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Buchvorschau
Fremdenzimmer - Peter Turrini
Peter Turrini
Fremdenzimmer
Ein Volksstück
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
ZEIT DER HANDLUNG:
DIE BÜHNE:
PERSONEN:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
Theater in der Josefstadt (Uraufführung am 25. Januar 2018)
„Wir alle sind Flüchtlinge"
Peter Turrini im Gespräch über Fremdenzimmer
Peter Turrini
Zum Autor
Impressum
Weitere E-Books aus dem Haymon Verlag
ZEIT DER HANDLUNG:
Heute und jetzt.
DIE BÜHNE:
Ein leerer Raum. Der hintere Teil des Raumes ist eine kahle Mauer. Der Boden ist betoniert. Der Beton hat Risse, vereinzelte Grasbüschel wachsen zwischen den Rissen. Es sieht aus wie ein verlassenes Flugfeld. Die wechselnden Schauplätze dieses Stückes spielen immer in diesem leeren Raum und werden nur durch Licht und unterschiedliche Requisiten markiert.
PERSONEN:
Herta Zamanik, Mindestrentnerin (62 Jahre)
August „Gustl" Knapp, frühpensionierter Briefträger (60 Jahre)
Samir Nablisi, Flüchtling (17 Jahre)
1.
(Der leere Raum. Die Sonne geht auf, ihre Strahlen fallen auf die hintere Mauer. Musik erklingt.)
2.
(Ein Junge, der 17jährige Samir, kommt mit einem Ball und schlägt ihn immer wieder gegen die Mauer. Sein Oberkörper ist entblößt, sein Kopf ist zur Hälfte rasiert. Man hört eine Polizeisirene und das Geräusch eines schnell näherkommenden Wagens. Der Wagen bremst mit quietschenden Reifen. Man hört das Öffnen von Autotüren und laute Stimmen von Menschen. Samir läuft davon. Musik.)
3.
(Im Wohnzimmer von Gustl Knapp und Herta Zamanik. Die 62jährige Mindestrentnerin Herta Zamanik steht im Morgenmantel an der Mauer. Sie singt einen Schlager von Helene Fischer: „Und morgen früh küß ich dich wach".)
Herta:
Du gehst und sagst so nebenbei
Heut’ Nacht, da wird es spät
Du weißt, wir wollten tanzen geh’n
Ich weiß, daß es nicht geht.
Und irgendwann, da werd’ ich fragen
Sag mir, wann komm endlich ich
Du mußt mir nicht ganz gehören
Doch manchmal brauch’ ich dich …
4.
(Im Schlafzimmer von Gustl Knapp. Der 60jährige Gustl Knapp sitzt auf einem Stuhl vor der Mauer. Am Boden um ihn herum stehen selbstgebastelte Modellflugzeuge: vom B-52-Bomber bis zur einmotorigen Cessna 172. Gustl schaut vor sich hin. Musik.)
5.
(Im Wohnzimmer. Herta und Gustl sitzen nebeneinander auf Stühlen vor der Mauer. Sie starren vor sich hin. Musik.)
6.
(Im Wohnzimmer. Der Raum ist leer. Samir kommt in den leeren Raum und schaut sich vorsichtig um, an der Mauer stehen Stühle. Er schaut immer wieder nach links und rechts, als würde ihn jemand verfolgen. Herta kommt im Morgenmantel in den Raum. Sie sieht Samir und starrt ihn an.)
Herta:
(laut)
Schau Gustl, was da ist.
(Sie starrt Samir an. Er zieht sein Smartphone aus der Tasche und zeigt auf eine Steckdose an der Wand. Von draußen hört man das Schließen einer Türe und Schritte.)
Herta:
(laut)
Wo bist du denn so lang?
Gustl:
(von draußen)
Ich hab das Fahrrad in den Keller getragen.
(Gustl kommt in den Raum und sieht Samir, er starrt ihn an.)
Gustl:
Wer ist denn der?
Samir:
Samir.
Gustl:
Was? Wie? Was hat der gesagt?
Herta:
Irgendwas mit Samen.
Samir:
Samir Nablisi. Syria.
(Schweigen.)
Gustl:
Ein Wahnsinn. Da bringt man kurz ein Radl in den Keller und schon steht ein Ausländer in der Wohnung. Hat der was mit die Polizisten zu tun, die draußen im Hof herumrennen?
Herta:
Frag ihn.
Gustl:
Was will der?
Herta:
Frag ihn.
Gustl:
Kann der Deutsch?
Herta:
(zu Samir)
Deutsch?
Samir:
Deutsch.
Gustl:
Der soll was sagen.
Samir:
Österreich super. Neun Bundesländer.
Gustl:
Weiter.
(Schweigen.)
Gustl:
Der kann net Deutsch.
Herta:
(zu Samir)
Englisch?
Samir:
Yes.
Gustl:
Yes, was?
(Samir schweigt.)
Gustl:
Englisch kann er auch nicht.
Herta:
Du vielleicht?
Gustl:
Sag ihm, er soll verschwinden. Aber subito.
Herta:
(zu Samir)
Er will, daß du gehst. Jetzt, gleich. Also geh.
Gustl:
Ich kann sowas in meiner Wohnung nicht brauchen.
Herta:
Was soll das heißen, deine Wohnung? Das hör ich in letzter Zeit immer öfter. Ich wohn genauso da wie du. Also ist es auch meine Wohnung.
Gustl:
Die Wohnung läuft auf meinen Namen, ist das klar?
Herta:
Jeder Mensch braucht einen Platz auf der Welt, nicht nur du!