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Die Hand erzählt vom Daumen
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eBook92 Seiten1 Stunde

Die Hand erzählt vom Daumen

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Über dieses E-Book

Plav spricht mit seinem Daumen, aber er verschließt sich vor der Welt. Plav ist sensibel und hochbegabt, lebt sein Talent aber nur nachts aus, wo er die Stadt auf der Suche nach Fundstücken durchstreift, mit und an denen er wie besessen arbeitet. Er schnitzt Figuren und Marionetten, baut Skulpturen aus Schrott; tagsüber arbeitet er in einer Spritzgussfabrik. Er fühlt sich fremd und empfindet dieses Fremdsein als Schuld. Er ist früh mit seiner Mutter aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen, nach Westberlin. Ihren schwierigen Sohn empfindet die Mutter zunehmend als Störung und Belastung. Als sie eine Beziehung zu einem deutschen Mann eingeht, eskaliert die Situation.

Thomas Podhostnik nimmt sich auch in seinem zweiten Roman dem Thema der örtlichen und sprachlichen Fremdheit an, der vermeintlichen Schuld, die daraus erwächst. In einer dem Film und der Malerei entlehnten, komprimierten Bildsprache reiht er auf drei Textebenen Szenensplitter aneinander, die das poetische Abbild eines Helden zeigen, den die Verzweiflung zur Provokation treibt, ein grausames Echolot, seine Gefängnismauern abzutasten: Wie viel kann sich der Fremde unter den Menschen erlauben, bevor er ausgestoßen wird?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum23. Sept. 2011
ISBN9783902844026
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    Buchvorschau

    Die Hand erzählt vom Daumen - Thomas Podhostnik

    978-3-902844-02-6

    Plav war am Morgen fertig. Der Frau fehlte noch der Kopf. Tabak und Blättchen fehlten. Er zog sich Socken an und Schuhe. Fuhr mit dem Fahrrad zur Tankstelle.

    Javaanse Jongens. Plav grinste die Verkäuferin an. Sie legte den Tabak auf den Tresen. Er wog das Päckchen in der Hand. Das sind niemals vierzig Gramm. Was? Das sind vielleicht zweiunddreißig Gramm, lass es sechsunddreißig sein. Die Verkäuferin nahm ein neues Päckchen von der Zigarettenwand. Das sind niemals vierzig Gramm, hast du eine Waage? Ich wette mit dir, ums Päckchen. Sie wog das Päckchen in der Hand und lächelte. Bitte, sagte sie, das macht dreiachtzig. Plav wog die Päckchen gegeneinander. Das sind vierzig Gramm, das merke ich gleich. Ich wette mit dir, um die Kasse. Die Verkäuferin trat einen Schritt zurück. Ich muss jetzt jemanden holen. Plav rückte seine Brille zurecht, sagte: OCB, blau. Er zog den Geldschein hervor und gab ihn ihr, zusammen mit einem der Tabakpäckchen. Das Päckchen kannst du ausmustern. Plav nahm sich ein beleuchtbares Feuerzeug aus dem Ständer. Während die Verkäuferin das Wechselgeld aus den Kassenfächern sammelte, drückte er das Licht gegen seine Handfläche.

    Lavoro come una bestia. Cavallo redete in seinen Spind hinein, tupfte mit dem Handtuch den Schweiß von der Stirn. Plav drehte eine Zigarette, rief: Der Bauch fällt dir noch auf die Füße! Mein Blinddarm arbeitet mehr!

    Cavallo sprühte Deodorant unter die Achseln, bevor er das frische Hemd überzog. Er setzte sich auf die Holzbank zwischen den Spinden und goss Milchkaffee aus der Thermosflasche in die Tasse. Plav steckte sich die Zigarette hinters Ohr und setzte sich ihm gegenüber. Er zog eine Flasche aus dem Rucksack, wischte mit der Hand die Feuchtigkeit vom Glas, hob die Flasche gegen das Licht und bewegte sie hin und her. Die Flasche war bis in den Hals gefüllt mit Brei. Plav drehte den Deckel ab und leckte die Breispritzer von der Deckelunterseite. Cavallo würgte mit herausgestreckter Zunge.

    Cavallo aß aus einer Tupperbox Gurkenscheiben und Salami. Plav klopfte den Essensbrei aus der Flasche, verteilte ihn mit der Gabel auf dem Teller, sagte: Schmeckt gut sämig. Hirse und Dinkel, mit Berglinsen und Mungobohnen. Er steckte den Finger in den Brei und hielt ihn Cavallo an den Mund. Die weißen Würmer sind Spaghetti. Die Flocken, die aussehen wie Schuppen, Hafer. Die grünen Fitzelchen Kresse. Selbst gezogen auf meiner Plantage. Ein Wattebett, einen Meter auf dreißig Zentimeter. In einer Blechwanne mit daumendick Wasser, damit es Feuchtigkeit zieht. Auch die Feuerbohnensprossen. Cavallo rann der Schweiß über die Stirn, er sah zur Seite, auf die Spindwand. Plav stahl ihm eine Salamischeibe aus der Tupperbox. Ich habe die bauchigen Flaschen neben dem Altglascontainer gefunden, in einem Sechserträger aus blauem Draht. Zwei haben gefehlt, eine war zerbrochen. Kleinfingerdick ist das Glas. Wie britische Milchmänner sie haben. Im Rucksack sind noch die anderen zwei, für Mittag und Nachmittag. Für unterwegs und zwischendurch habe ich Einmachgläser. Er warf die Salamischeibe Cavallo in die leere Tasse. Niemals werde ich satt, alles verbrennt. Darum bin ich schneller und stärker, ich rieche besser. Dir drückt die Scheiße aus allen Löchern. Ist das auch Kresse da, fragte Cavallo und zeigte auf den Spind, den Plav offen gelassen hatte. Plav trat den Spind zu. Ein Bubikopf. Frisst du den auch, fragte Cavallo, er öffnete beim Lachen den Mund bis zum goldenen Backenzahn.

    Später krempelte Plav das blaue Hosenbein bis unters Knie. Er balancierte auf der Holzbank barfuß auf einem Bein, streckte die Arme zur Seite wie der Seiltänzer auf dem Seil und machte eine Kniebeuge, dann noch eine. Cavallo stellte seinen beschuhten Fuß mit der Stahlkappe Plavs nacktem Fuß entgegen. Cavallo ging in die Hocke, keuchte, verlor das Gleichgewicht, mit rotem Kopf setzte er sich. Plav lachte und rief: Mein Bein kann, wie ich will! In diesem Moment trat der Lehrling in die Umkleide. Cavallo zog den Mund in die Breite, als wolle er lächeln. Weil du so leicht bist, sagte er. Du musst nichts heben, du bist ein dünner Draht. Der Lehrling steckte sich Kartoffelchips in den Mund, die er mit seinen dicken Fingern aus der Chipstüte zog. Plav streckte Cavallo den nackten Fuß ins Gesicht. Lutsch mich am Zeh, vielleicht gibt’s Kraft! Er griff nach der Zigarette hinterm Ohr. Ein Schweißtropfen fiel ihm von der Nasenspitze, seine Zehen wurden langsam weiß. Das Hosenbein spannte um seinen Oberschenkel und die Ader über dem Schienbein schwoll. Er machte eine Kniebeuge und noch eine. Der Lehrling hielt ihm die Feuerzeugflamme vors Gesicht. Plav packte ihn am Arm, rief: Ich schaffe zwanzig, mit dem fetten Lehrling auf dem Rücken! Der Lehrling verschluckte sich. Das Feuerzeug und die Chipstüte fielen zu Boden. Ums Weihnachtsgeld!

    Ich habe sie beobachtet. Sie können mit den Arbeitern und verstehen die Abläufe. Wie lange sind Sie jetzt Maschinenführer? Gefällt Ihnen die Arbeit? Der Abteilungsleiter mit der Glatze und den behaarten Unterarmen drückte mit den Fingern der einen die Finger seiner anderen Hand. Plav saß mit dem Rucksack auf dem Schoß und dem Bubikopf in der Hand dem Abteilungsleiter gegenüber, sagte: Dödelarbeit. Was ich da denken muss, zieh ich mir aus dem Rückenmark. Plav stellte den Bubikopf unter seinen Stuhl. Ein Klima hier, als ob du die Hand in eine Plastiktüte steckst, mit einem Einmachgummi ums Handgelenk. Mach das mal. Der Abteilungsleiter deutete auf das Gitter in der Wand über dem Aktenschrank und in die Zimmerecke. Eine Belüftungsanlage. Den Luftbefeuchter habe ich gekauft. Ich habe von trockener Luft manchmal Nasenbluten. Er klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. Wollen Sie meine linke Hand werden? Ich bin Ingenieur, hier versteht mich keiner, Sie haben Abitur. Plav lachte und schüttelte den Kopf, er zog aus dem Rucksack die Rollschuhe mit weißen Schnallen und schwarzen Rollen, die nicht mehr rund waren. Im Rucksack schlugen die Flaschen gegeneinander. Er habe die Rollschuhe hinterm Zaun gefunden. Dort, wo er habe hinpissen wollen, habe er sie glänzen sehen. Plav zeigte dem Abteilungsleiter einen Riss in der Schnalle, das Leder war schon bröselig. Ich habe eine Nadel zu Hause. Wie mein Mittelfinger so lang und gebogen. Eine echte Sattlernadel. Hinten abgeflacht, für besseren Griff. Die geht durch Leder, einfach so.

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