"...und darin fliegt eine Schwalbe": Meine Lieblingsgedichte
Von Wieser Verlag
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Über dieses E-Book
Viele wurden erstmals veröffentlicht, übersetzt oder dem Vergessen entrissen. Einige davon habe ich mir zum Geschenk gemacht, in der vorliegenden Sammlung zum Nachlesen, Wiederlesen oder Neulesen zusammengetragen, und lege sie nun auch der geschätzten Leserschaft ans Herz.
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"...und darin fliegt eine Schwalbe" - Wieser Verlag
Quellenverzeichnis
FATOS ARAPI
Sultan Murad und der Albaner
Sultan Murad steht vor dem gebundenen Sklaven.
Vom Pferd herab mustert er ihn mit den Augen:
gealtert, Wunden, Ketten …
»Skipetar«, fragt er ihn, »warum kämpfst du,
wenn du auch anders leben könntest?«
»Weil, Großmächtiger Sultan«, erwidert der Sklave,
»jeder Mensch in der Brust ein Stück Himmel hat
und darin fliegt eine Schwalbe.«
Aus dem Albanischen von Hans-Joachim Lanksch
H. C. ARTMANN
letzte schwalbe
letzte schwalbe
dunkle kleine
herzentsprungene
bring du meine grüße hinab
in das gilbe bergland
bring sie kärnten
wo noch die rote beere
im späten herbstlicht steht
wolken
wie schwarze bündel geschnürt
sind es
die mit dem schnee verbündet
kalte wunder an mir und den bäumen tun
mein sinnen wäre dem deinen gleich
trüge auch ich flügel
statt meine schuhe
ja
und die schnelle deiner augen
ein gefieder
dein korngroßes mutiges herz
und die freundschaft des windes
oder leichte des löwenzahns
in der du dich forthebst
letzte schwalbe
nachzüglerin
liebste aller spätbotinnen
ich bitte dich
nimm du meine traurigen grüße
in die wärme deines schnabels
bring sie durch regen und nebel
und tau durch den beißenden neumond
bis hin an den strauch
mit den roten beeren
MARTIN CAMAJ
Schwalbe
Schwarze Flügel
inmitten von Schneeflocken
in den Alpen
die Schwalbe
auf verspätetem Zug
gen Süden.
Mit Flügeln wie Laub
des Spätherbstes kämpft sie
gegen wirbelnde Winde an
dem höchsten Paß entgegen.
Jeder hat zwei Wege vor sich
und einen nur die Schwalbe:
weiß werden.
Aus dem Albanischen von Hans-Joachim Lanksch
KITO LORENC
Nalětnja krajina
Wulke módre worjoły słonca přzemja w runinje,
so poklaknu wjerški štomow, zešwikane z wětrom křidłow,
mjeztym korjenje delka, so třasuce hišće
pod železnym přimkom pazorow horka w hałzach,
hłubšo so rozlehnu do pódy, kotrejž swój třepot
posrědkuja, ha
so z črjódami krioty,
nastróžane, kaž kołwrótne hrjebaja horje,
dyrkotace
opłe somo
ane kožuchi, a nasypaja
swoje hruzli
kate hrodźišća na bitwišću
łukow a polow, z chwatkom pódla
ma
atej zelenje placnu swoje tu
ne
omo.
Zatrubja błyskate fanfary njebja,
zaprasknu zelenoćorne standarty zemje.
A njesłyšna, njesłyšana bitwa zo zahaji.
Frühlingslandschaft
Die großen blauen Sonnenadler bäumen auf in der Ebene,
hinknien die Wipfel, gepeitscht im Flügelwind,
während die Wurzeln unten, erschauernd noch
unterm stählernen Zugriff der Klauen oben im Geäst,
sich tiefer verkrallen ins Erdreich, dem sie ihr
Zittern mitteilen, davon die Heerhaufen der Maulwürfe
aufgeschreckt, wie irrsinnig losbuddeln hochwärts,
zuckende warme samtweiche Pelze, und aufwerfen
ihre Schützenstellungen im Schlachtgelände
der Felder und Wiesen, hastig neben
dem saftigen Grün aufpflanzen ihr fettiges Schwarz.
Losschmettem die blitzenden Himmelsfanfaren,
losknattem tapfer die grün und schwarzen Standarten der Erde.
Und der unerhörte, unhörbare Kampf beginnt.
KNUTS SKUJENIEKS
Uzrakstīts augustā
… Kad bezdelīgas ir nobriedušas,
Kad zvaigznes ir nogatavojušās –
Un tas ir augustā –
Un cilvēkam palēnām
Deniṇni izkalst balti,
Papīra lapa sāk dzestri blāzmot,
Un katram vārdam ir zemes garša.
Tā top augusts.
Geschrieben im August
… Wenn die Schwalben und Sterne
Reif sind –
Und das ist im August –
Und die Schläfen allmählich
Bleichen und dorren,
Beginnt das Papierblatt sich abendkühl zu färben,
Und jedes Wort schmeckt nach Erde.
So kommt der August zustande.
Aus dem Lettischen von Valdis Bisenieks.
RUDOLF JUROLEK
Život je možný
Ked’ jediným výsledkom
je prejdená cesta,
únava v nohách,
vietor, ten nepokoj krajiny,
obloha nad tým: ešte jeden svet.
Život je možný.
Das Leben ist möglich
Wenn alles, was herauskommt,
der durchschrittene Weg ist,
die Müdigkeit in den Beinen,
der Wind, diese Unruh der Landschaft,
der Himmel darüber: noch eine Welt.
Das Leben ist möglich.
Aus dem Slowakischen von Christa Rothmeier
HERTHA KRÄFTNER
Abend
Ich möchte mit der Abendröte gehn,
tief mit dem Rot nach ferne.
Ich möchte in dem Abendrot vergehn,
und möchte in den Winden wehn,
die ohne Ziele rauschend gehn
und steigen in die kühlen Sterne.
INGRAM HARTINGER
Hohe Buchstabensee
Es bleibt dir, wohin du auch gehst: Nimm das Schiff.
Nimm das frühe Schiff. Wenn du das getan hast, fall
nicht zurück. Hau ab und denk selber nach. Träum
dich frei von Nachtfährnissen. Sieh alles selber. Nichts
ist genauso wie ein anderes Nichts. Dann anderes Land
in Sicht. Immer anders. Dort neue Klänge. Zu sagen
dies. Lebensvoll. Auf die eine oder andere Weise. Los.
Weg. Weg von der Ästhetik der Angst. Los, geh schon.
Du brauchst nichts, um ein Gedicht zu machen. Am
wenigsten die Angst. Das frühe Schiff. Nimm es.
SREČKO KOSOVEL
Potovanje
In tu in tam. Le bežno potovanje.
Drevo in stolp. In hiša. Gora. Hrib.
Kot žalost mrzla. Kakor tihe sanje.
Odhajaš. Truden in težak utrip.
Postaja. Restavracija. In listje
se siplje raz kostanje preko miz.
In tista dama. Tiha je in sama.
Pogled. Rjavo listje. Bežen vtis.
Tujina: kot jesen in kot neznanka
vsa bežna mrzla. Tu pri nas topló.
Leteče listje. Proti Karavankam.
Tunel: v poltemi sije nje oko.
Reise
Und hier und dort. Nur eine flüchtige Reise.
Baum und Turm. Und Haus. Berg. Hügel.
Wie kalte Schwermut. Wie stille Träume.
Du fährst fort. Müder und schwerer Puls.
Bahnstation. Restaurant. Und das Laub
rieselt durch Kastanienäste über Tische.
Und diese Dame. Sie ist still und allein.
Blick. Braunes Laub. Flüchtiger Eindruck.
Fremde: wie der Herbst und wie die Unbekannte
ganz flüchtig, kalt. Hier bei uns Wärme.
Fliegendes Laub. Gegen die Karawanken.
Tunnel: im Halbdunkel leuchtet ihr Auge.
Aus dem Slowenischen von Ludwig Hartinger
EDVARD KOCBEK
Die Lipizzaner
Das Journal berichtet:
Die Lipizzaner
haben bei einem historischen Film mitgewirkt.
Das Radio erklärt:
Ein Millionär hat Lipizzaner gekauft,
die edlen Tiere waren
während des ganzen Fluges über den Atlantik ruhig.
Und das Lehrbuch lehrt:
die Lipizzaner sind dankbare Reitpferde,
sie stammen vom Karst, sind von geschmeidigem Huf,
schmuckem Trab, feurigem Naturell
und hartnäckiger Treue.
Und doch füge ich für dich hinzu, mein Sohn,
daß es unmöglich ist, diese unruhigen Tiere
in eindeutige Schablonen zu stecken:
gut ist es, wenn der Tag leuchtet,
die Lipizzaner sind schwarze Fohlen,
und gut ist es, wenn die Nacht herrscht,
die Lipizzaner sind weiße Stuten,
am besten aber ist es,
wenn der Tag aus der Nacht kommt,
denn die Lipizzaner sind weißschwarze Possenreißer,
Hofnarren Ihrer Hoheit,
der slowenischen Geschichte.
Andere haben heilige