Gedichte: Die besten und beliebtesten Dichtungen
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Buchvorschau
Gedichte - Johann Wolfgang von Goethe
Impressum
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)
Gedichte
Die besten und beliebtesten Dichtungen
ISBN 978-3-945909-60-7
1
Ideenbrücke Verlag
An den Mond
Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;
Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
über mein Geschick.
Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud’ und Schmerz
In der Einsamkeit.
Fließe, fließe, lieber Fluß,
Nimmer werd ich froh,
So verrauschte Scherz und Kuß,
Und die Treue so.
Ich besaß es doch einmal
Was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergißt!
Rausche, Fluß, das Tal entlang
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu!
Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst,
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.
Selig wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,
Was von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht.
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.
Der Fischer
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,
Ein Fischer saß daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll,
Kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
»Was lockst du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie’s Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist,
Und würdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew’gen Tau?«
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,
Netzt’ ihm den nackten Fuß;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war’s um ihn geschehn;
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.
Der König in Thule
Es war ein König in Thule,
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.
Es ging ihm nichts darüber,
Er leert’ ihn jeden Schmaus,
Die Augen gingen ihm über,
So oft er trank daraus.
Und als er kam zu sterben,
Zählt’ er seine Städt’ im Reich,
Gönnt’ alles seinen Erben,
Den Becher nicht zugleich.
Er saß beim Königsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Vätersaale,
Dort auf dem Schloß am Meer.
Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensglut
Und warf den heil’gen Becher
Hinunter in die Flut.
Er sah ihn stürzen, trinken
Und sinken tief ins Meer.
Die Augen täten ihm sinken:
Trank nie einen Tropfen mehr.
Erlkönig
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? —
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif? —
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. —
„Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir;
Manch’ bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand." —
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? —
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. —
„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein." —
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? —
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau:
Es scheinen