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Café Hyena
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eBook137 Seiten1 Stunde

Café Hyena

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Über dieses E-Book

Ein verzauberter Roman über Freundschaft, Liebe, Abschied und die unstillbare Sehnsucht nach einem anderen Leben

Eliza und Ian, Rebeka und Lukas Elfman stammen aus Petrzalka, der monströsen Plattenbausiedlung bei Bratislava. Täglich jedoch queren die vier Freunde die Donaubrücke, um im Café Hyena zu sitzen, zu trinken, zu diskutieren, zu schreiben und zu träumen. Sie erfinden sich neu, schaffen ihren eigenen Ort, der frei ist von den Gespenstern der Vergangenheit und den Depressionen der Gegenwart. Und auch wenn dieser selbstgebastelte Kosmos zu zerbrechen droht, weil Elza sich in den Tänzer Kalisto Tanzi verliebt, Elfman aus Bratislava flieht und Rebeka in der Psychatrie landet, so gibt doch keiner von ihnen die Glückssuche auf. Denn die im Café Hyena erschaffene Welt bleibt auch ein Versprechen.
SpracheDeutsch
HerausgeberResidenz Verlag
Erscheinungsdatum5. Sept. 2017
ISBN9783701745586
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    Buchvorschau

    Café Hyena - Jana Beňová

    Rückspiegel

    I

    Petržalka – Galapagos

    Petržalka

    The shadow of my smile

    Petržalka

    My own style

    Petržalka

    The sound of my heart

    Petržalka

    Always on my mind

    Ein richtiger Knaller. In der Wohnung neben Ian und Elza wohnt ein älterer Herr. Der denkt schon jahrelang, Elza sei Ians Sohn. Er grüßt sie munter mit Servus und boxt ihr mitunter kumpelhaft gegen den Brustkorb.

    Der Nachbar kann Knallkörper nicht ausstehen. Wenn die Kinder wieder einmal welche abfeuern, dann rennt er auf den Balkon und brüllt: »Du Wichser!« Noch mal und noch mal. So beginnt die Vorweihnachtszeit in Petržalka: Duwichserduwichserduwichserduwichserdu.

    Der Nachbar ist kein Mensch, er ist im Grunde genommen selbst eine Knallerbse der besonderen Art. Ein Zündhütchen. Heute Nacht pilgert Elza zu seiner Wohnungstür, weil sie eine Unterhaltungssendung im Fernsehen durch die Wand hindurch mit anhören muss. Sie bittet ihn, doch etwas leiser zu drehen. Seine Augen glänzen: eine Mischung aus Alkohol und Tränen. »Also ich weiß ja nicht«, antwortet er zunächst erhaben, voller positiver Energie. »Das ist ja eine Sendung, die erklärt, wie wir unsere Tatra retten können, und da habe ich gedacht, dass alle, dass ja jeder …«, fügt der Nachbar dann schon eher winselnd hinzu.

    Elza kehrt in ihre Wohnung zurück, der Fernseher jenseits der Wand röhrt nicht mehr. Jetzt röhrt der Nachbar. »Ungarische Huren!« Noch mal und noch mal. Elza liegt im Bett und ihr rollen die Tränen. Immer wieder. Zur Rettung Petržalkas.

    Petržalka ist ein Gebiet, in dem Zeit keine Rolle spielt. Hier leben Wesen, von denen der übrige Teil der Weltbevölkerung denkt, dass sie gar nicht mehr existieren, dass sie längst ausgestorben sind. Die guten und auch die bösen. Die Kakerlaken hier sehen aus wie Dinosaurier, die Stimme des Nachbarn kommt nicht aus seiner Kehle, sondern durch die gefletschten Fangzähne eines Raubtieres.

    Elza rennt auf den Balkon, fischt eine Flasche aus dem Mülleimer und beugt sich zum Nachbarn hinüber. An der Wand steht ein leeres Aquarium. Sie wirft die Flasche gezielt dort hinein und läuft schnell wieder weg, um sich im Bett zu verstecken. Sie hört, wie der Nachbar auf den Balkon kommt, eine Weile ist es still. Elza zittert.

    »Blauer Portugieser«, entziffert der verwunderte Nachbar schließlich aus den Scherben. Dann senkt sich Frieden übers Land.

    In den Wohnungen von Petržalka musizieren und plaudern alle Wände. Hier frischt man Lieder wieder auf, von denen man dachte, dass die Welt sie längst vergessen hat. Hier steht die Zeit still, die Radios sind jahrelang auf ein und denselben Sender eingestellt. Der Zeiger, der den Sender auf der Skala einst anzeigte, ist irgendwann ins Innere des Gerätes gefallen. Auf den Boden des Heimatmuseums. Elza stellt fest, dass im Radio immer noch Ein Ständchen zum Geburtstag gesendet wird. Das kennt sie noch aus ihrer Kindheit. Während des Sozialismus lief die Sendung bei jedem Frisör.

    Elza bittet ihren Nachbarn, er solle die Ständchen und Glückwünsche doch bitte nicht so laut hören. Der Nachbar steht in seiner Wohnungstür, barfuß und mit einer Unterhose bekleidet. Er heult. Bei der Blasmusik hat er an sein totes Mütterchen denken müssen.

    Seine beiden Söhne kommen ihn besuchen: »Reiß dich zusammen, Papa! Mit dir geht es immer weiter bergab! Was ist nur los mit dir? Rufst mich über das tschechische Netz von Eurotel nach Österreich an? Dafür muss ich doch blechen. Guck dich doch an, du Depp! Merk dir’s doch! Ich sag dir was und zwei Wochen später weißt du nichts mehr davon.«

    »Keine Details bitte! Ich möchte keine Details wissen«, fleht der Vater.

    Elza beschließt, den Söhnen auf der Straße vor dem Haus aufzulauern und sie zu ersuchen, ihre Familienprogramme nicht so laut und bitte schön nicht bis drei Uhr morgens zu senden. Nachdem sie einen halben Tag lang vor der Haustür herumgehangen hat, stellt sie schließlich fest, dass sie die Söhne des Nachbarn gar nicht von den anderen jungen Männern in Petržalka unterscheiden kann. Alle sind groß und aufgedunsen, haben kahl geschorene Köpfe und Pfannkuchengesichter.

    Elza: Als Kind schien mir das Land jenseits des Flusses gefährlich. Ich wohnte mit meinen Eltern in der Altstadt. Die Alte Brücke war für mich stets der Beginn einer unberechenbaren Reise – so wie der Fußgängerweg, der links über dem Abgrund hing und unter dem sich der braune Fluss dahinwälzte. Eine Grenze, an der ein Sonntagsspaziergang zum Kampf ums nackte Leben wurde. Deshalb sollten dort nur Erwachsene entlanglaufen, also über Achtzehnjährige.

    Vom Ufer unserer Stadtseite aus beobachtete ich oft den Lunapark – das Tor Petržalkas. Ich versuchte, dem lodernden Blick der Sphinx auszuweichen. Sie bewachte den Eingang des Parks und täuschte dabei Spiellust vor. Pferdchen, Enteriche und Schwäne von riesiger Gestalt und in kräftigen Farben sausten wie in einem luftdicht abgeschlossenen Karussell herum. Sie kreisten in einer diabolisch abgesteckten Bahn. Auf ihnen kreisten jauchzende und kreischende Kinder. Diese unerbittlich kreisende Bewegung verschluckte die Landschaft.

    Es gab keine Flucht – der Kreis ließ sich nicht durchbrechen. Einige Kinder hatten eine schlechte Entscheidung getroffen – sie hielten sich krampfhaft an den störrischen Nacken künstlicher Pferde fest und weinten.

    »Das nenne ich Leben«, sagte der Karussellbesitzer, er wandte das Gesicht dem Himmel zu und ließ das Karussell noch schneller sausen.

    An manchen Tagen sah der Lunapark völlig heruntergekommen aus, wie für immer geschlossen. Nur ein paar Karussells und eine Schießbude waren in Betrieb. Auf dem schlammigen Gelände strichen nur die Karussellbesitzer herum. Diese tragischen Figuren sahen aus, als stammten sie aus den Zeiten, als man in England zum Schornsteinreinigen Kinder in die Schlote schickte.

    Im blauen Auto des Autodroms sitzend, bleibt mir beim Zusammenprall mit dem roten die Luft weg. Wenn sich unser Gespräch ums Karussell dreht, erzählt Vater immer von dem Schwan, der sich einmal mitten in der Runde losgerissen hat, samt den beiden Kindern, die darin saßen.

    Großmutter geht mit mir ins Spiegelkabinett, und als es uns nicht gelingt, wieder herauszukommen – kein Weg, keine Tür, Spiegel sind keine Fenster, nichts, nur ich und Oma, Oma und ich und unsere immer blasser werdenden Gesichter in den Spiegeln, eine halbe Stunde irren wir herum –, rufen wir nach dem Mann, der uns die Eintrittskarten verkauft hat, er soll uns herausführen. Uns den Weg zeigen.

    Ein paar Jahre später verlaufen sich Mama und Oma in Petržalka. Sie steigen in den richtigen Bus, doch in die falsche Richtung. Statt sie zurück in die Stadt zu bringen, fährt er sie tiefer und tiefer ins Innere der Wohnsiedlung.

    Als sie schließlich ganz verstört aussteigen, ist es schon dunkel und es schneit. Sie werden nie mehr nach Hause kommen, sie werden nie mehr aus Petržalka herausfinden. »Wie kommen wir bitte nach Bratislava?«, spricht Mama aufgelöst ein Fräulein an der Haltestelle an. »Aber Sie sind doch schon … Sie sind hier in Bratislava«, antwortet das Fräulein verwundert.

    Mama lächelt hilflos. »Ich meine, in die Stadt Bratislava.« Nachdem sie die Brücke wieder überquert hatten, fragte Mama Oma, ob sie bemerkt hätte, was für ein merkwürdiges Gesicht das Mädchen gehabt hatte. Ein Quarkpfannkuchen.

    Als Ian und ich das erste Mal miteinander schlafen wollen, offenbart er mir, dass er in Petržalka wohnt. Ich schrecke nicht zurück. (Ich werde mir bewusst, dass ich nicht zurückschrecke.)

    Die Brücke ist gefährlich, vor allem, wenn man sie zu Fuß überquert. Der Fluss ist viel zu nah. Die Grenze zwischen Wasser und Luft ist provokant. Ich fürchte, dass ich irgendwann einfach springen werde. Ganz unvorbereitet, ohne einen einzigen traurigen Gedanken, ohne den Ausruf hops!, kein Drama und kein Entscheidungsprozess – statt normaler Schritte dann eben einfach ein Sprung.

    Die größte Lust zu springen habe ich im Winter. Eingepackt in etliche Schichten warmer Kleidung fühlt man sich undurchdringlich und unantastbar. Und man sehnt sich nach einer Veränderung. Wie ein Nomade sich nach einer Veränderung des Horizonts sehnt, so sehne ich mich im Winter nach der Veränderung meines Aggregatzustands. Im Vergleich zu einem weiteren unsicheren, täppischen Schritt auf der vereisten Oberfläche der Brücke wird so ein Sprung wie Fliegen sein. Dann der Augenblick an der Grenze zwischen den Welten. Verlängert um jenen Moment, als ich zwar schon im Wasser liege, es aber noch nicht durch die Schichten der Kleidung bis zum Körper hindurchgedrungen ist. Es sickert nur langsam durch, es ist schwer und grün wie Mentholbonbons – es füllt die Taschen, dringt in die Schuhe ein.

    Ein Pfannkuchen stieg in den Bus ein. Der Typ streckte mir seine fetten, tätowierten Arme hin. Ich machte besser die Augen zu. Damit ich die Figuren, die durch die Flammen galoppieren, nicht ansehen musste, und auch den Pfannkuchen nicht, der gerahmt wurde von der Landschaft mit Mond draußen vor dem Fenster. Ich ließ mich mit geschlossenen Augen davontragen und durchrütteln.

    Vielleicht waren es gerade die Bilder Petržalkas, die Ian vor Jahren für einige Zeit erblinden ließen. Er beschloss, lieber nichts zu sehen, sich nicht umzusehen, es nicht zu beobachten, es gar nicht beachten zu müssen – Petržalka.

    Ian erzählt, wie ihn nach vielen Jahren einmal ein Freund aus seiner Kindheit besuchte, der 1968 nach Kanada emigriert war. Dieser Freund hatte eine Weile aus dem Fenster von Ians Wohnung in Petržalka geschaut und seine einstige Heimatstadt daraufhin nie wieder besucht. »So lebst du also jetzt«, hatte er gesagt, Ian auf die Schulter geklopft, und dann war er ohne irgendeine Spur zu hinterlassen nach Hause gereist. Er hat sich seitdem nie

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