Heimliche Gefährten
Von Herbert Kummetz
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Über dieses E-Book
Musik und pumpen sich auf zu Autoritäten, flüstern ihm was ein. Julika horcht auf die Rufe aus einer anderen Welt, aber sie weiß, dass es schizophrene Episoden sind. Der alte Mann führt Befehle seiner Frau aus, die verstorben ist. Ihre Lebenswege kreuzen sich für ein paar Monate, zwei verlieben sich, einer wird gerettet und zündet ein Haus an. Die heimlichen Gefährten geben am Ende auf.
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Buchvorschau
Heimliche Gefährten - Herbert Kummetz
1
Heavy Night
Der Morgenstern kommt abends zu Alvin. Wenn er sich ausgezogen hat, unter seiner Bettdecke liegt, wenn die Nachttischlampe nicht mehr an ist. Und wenn Gott sei Dank der Gutenachtkuss vorbei ist. Er wartet auf ihn nicht mehr, er wartet auf den Morgenstern. Der Lichtschein unter der Türritze erlischt, als die Mutter gegangen ist. Verkrampft hat Alvin die Schlaf-gut-Zeremonie über sich ergehen lassen. Sie sehen jetzt fern. Ein Lastwagen brummt durch die Siedlung. Alvins Giraffe vom sechsten Geburtstag wirft plötzlich einen riesengroßen Schatten. Draußen hat der Bewegungsmelder die Hoflampe angeschaltet. Björn, der den Müll rausbringt. Alvin wirft sich hin und her. Wo bleibt der Morgenstern? Stattdessen Gedanken, nur Gedanken und dann noch mal Gedanken. Mathe morgen, eine Textaufgabe muss er noch abschreiben. Musik ist okay, das einzige Mal in der ganzen Woche, an dem er fast neben Ele sitzt, Elisabet Radacek. Die „sieht hammermäßig aus, hatte Björn mal gesagt. Da wusste Alvin noch nicht richtig, was bei Mädchen „hammermäßig
ist. Er hat inzwischen sein Wissen ergänzt. Um endlich einen Anfang bei ihr zu machen, könnte er fragen: „Wo kommt ihr eigentlich her? Radacek – so heißt man hier nicht. Und an die Fußballkarten muss er auf jeden Fall denken. Sie haben sich zum Tauschen verabredet, Jonas, Robbi, der Vandale und er. Seit der Sechsten heißt Yannik bloß „der Vandale
, weil er beim Fußball total losbolzt, ohne auf Opfer zu achten. Alvin gähnt, er wird schläfrig. Das Fahrrad hätte er heute putzen sollen ... morgen, ja morgen.
Wie stets steigt der Morgenstern aus einer schmutziggrünen Staubwolke. Menschengruppen in aschgrauen Kutten marschieren unaufhörlich im Zimmer herum. Bass und E-Gitarre vorweg, dann er, der Morgenstern. Er hebt die Drumsticks, die Klänge krachen. Mittendrin lässt sich Samantha von der fünfarmigen Deckenlampe des Kinderzimmers herab. Sie schlängelt direkt auf Alvin zu, flüstert und faucht. Was hat sie nur? Er ist sich keiner Schuld bewusst, Alvin wird es angst und bange. Er könnte losschreien, ballt die Hände zur Faust, hält an sich. „Man wird doch nicht brüllen, man wird doch nicht brüllen, zischelt Samantha ihm ins Ohr. „Wird man doch nicht. Das tut unser Junge nicht. Tut unser Junge nicht.
Sie trägt einen weiten Rock, der bis zur Erde reicht. Muster wie eine Kreuzotter, die hatten sie neulich in der Schule durchgenommen. Die Kreuzotter nervt, jedes Mal. Er fürchtet sogar ihren Auftritt, wenn er ehrlich ist vor sich selbst. Jedenfalls brauchte seinetwegen Samantha gar nicht mitzukommen. Alvin fühlte sich schon von Anfang an nicht wohl mit ihr.
Aber er mag die schönen Fantasien, die mit seinen heimlichen Gefährten auf ihn warten. Noch fehlt die schöne Tebasile mit den grünen Augen, die ihn suchen. Ja ihn, Alvin Feldhusen suchen sie! Meistens liegt sie unter seinem Bett. Wenn es losgeht, schwingt sie sich auf seine Bettkante und fragt ihn: „Du hast doch nichts dagegen?" Der Morgenstern haut plötzlich auf die beiden Trommeln, dass die Blätter der großen Efeutute auf Alvins Bücherregal ins Wackeln geraten. Tebasile wartet niemals eine Antwort ab, streckt ihre langen Beine. Erst das rechte Bein, dann das linke. Schließlich schweben beide Beine waagerecht über dem Bettvorleger. Ja, das kann sie. Alvin sieht, wie Waden und Knie sich deutlich abbilden. Hauteng sind ihre weißen Leggings. Jetzt müsste Alvin was sagen, er macht den Mund auf. Es soll bedeutend klingen, heraus kommt ein unverständliches Röcheln. Alvin beißt sich auf die Unterlippe. Plötzlich schwebt Tebasile über seiner Bettdecke. Alvin würde nachher zu sich sagen, etwa 20 Zentimeter Lufthöhe. Er sieht lauter Bluse vor sich, dahinter Brüste wie Kelche. Jede Brust hat den einen dunklen Punkt. Tebasile sieht er nicht mehr, ihm wird weiß vor Augen. Applaus, die Männer in den grauen Kutten klatschen wild. Der Morgenstern wischt das mit einer lässigen Handbewegung weg wie ein lästiges Insekt. Alvin ist sich sicher, dass er nur so tut als ob. Als ob ihm das mit dem Klatschen egal wäre. Von wegen! Dafür kennt man sich zu gut nach all den Nächten. Auch Alvin will klatschen, seine Hände zucken. Es geht nicht, er liegt beim abrupten Erwachen bäuchlings auf der Matratze.
Nach etlichen Wochen ihrer Beziehung hatte Tebasile einmal auf seiner Bettkante gesessen und nicht gefragt: „Darf ich? Sie fragte: „Soll ich mich nackig machen?
Alvin glaubte, dass er total rot anläuft und guckte angestrengt nach unten. Die Frage aber ging nicht weg. Da hob er den Kopf und schaute in ihre Augen. Das erste Mal, dass er überhaupt jemandem in die Augen schaute, soweit er sich erinnerte. Ein Schauder durchrann ihn, der nach seiner Berechnung minutenlang andauerte. Wie eine Welle durchlief es ihn, von den Schultern an, durch Rücken und Bauch. Die Gitarre kriegte gerade ihr Solo, so dass alles sehr feierlich war. Samantha hatte was mitbekommen und kreischte von der Deckenlampe: „Man wird doch nicht! Man wird doch nicht! Du bist unser großer Junge!" Alvin hatte sich vor ihrer Stimme erschrocken und war an jenem Abend hellwach geworden. Sein Blick fiel auf die schwarze Stofftasche mit dem Büffel-Schädel mit den drei Buchstaben W:O:A, die hatte ihm Björn im letzten Jahr zum Geburtstag geschenkt. Sie hing schief wie immer, die Giraffe schien sich keinen Millimeter bewegt zu haben. Die Efeutute befand sich im Schlaf, wie Alvin es auch sollte. Alles andere vorbei. Tebasile kam in jener Nacht nicht zurück, der Morgenstern hatte endgültig eingepackt. Nichts mehr. Nein, nicht ganz. Als Alvin sich von einer Seite zur anderen wälzte, spürte er eine feuchte klebrige Wärme in seinem Pyjama, die er bisher nicht kannte. Es war ihm peinlich gewesen wegen der Männer in den Kutten, die alles gesehen haben mussten.
Heute passiert ihm so was nicht. Alvin dreht sich auf die linke Seite. Er hört sein Herz schlagen, voller Spannung. Er kneift die Augen zu mit aller Macht. Die Bilder kommen nicht wieder. Tebasile ist weg. Ihre Bluse umflattert ihn – nein, es ist das schlaffe Oberteil des Kopfkissenbezugs.
Die drei abendlichen Begleiter weiß Alvin auch tagsüber um sich herum. Allerdings nicht immer vollzählig und selbst für ihn nicht immer sichtbar. Aber eine Ahnung hat er schon, wo sie gerade sind. Wenn es in der Klassenarbeit dumm läuft, kann er still zum Morgenstern rufen, der ist meistens in der Nähe. Tatsächlich fließen dann die Ideen in doppelter Geschwindigkeit aus dem Kugelschreiber. Mathe ist offenbar Morgensterns Lieblingsfach, genau wie bei Alvin. Da liegt manch guter Tipp in der Luft. Wenn Samantha und Tebasile dabei sind, geht eher was schief. Oder sie lassen ihn hängen. Alvin nimmt Tebasile in Schutz. Er findet, dass Samantha an allem schuld ist. In den Musikraum kommen alle drei mit, drängen sich auf die kurze Bank neben dem Klavier. Hoffentlich sieht sie dort keiner, dachte Alvin anfangs. Interessieren sie sich fürs Fach? Morgenstern bestimmt. Aber Samantha? Die hört sich beim Singen an wie ein defekter Handmixer. Das möchte er ihr eines Tages mal sagen, wenn sie wieder was zu kreischen hat.
In der Sache mit Ele hilft ihm niemand von den dreien, sie wollen davon nichts wissen, so scheint es. Alvin hat es noch nicht geschafft, die Frage anzubringen, mit der er bei Elisabet einen Anfang machen wollte. Dafür hat letzte Woche ein anderer Junge sie wahrscheinlich genau das gefragt. ‚Linn‘ oder so ähnlich muss der andere heißen. Und ihm hat Ele geantwortet, Alvin hat es genau beobachtet. Seitdem schwankt er in seiner Meinung, wer von den beiden ein bisschen mehr hammermäßig aussieht, Tebasile oder Ele. Schade, er kann seinen Bruder in dieser Angelegenheit nicht zu Rate ziehen. Vielleicht, dass sich bei Elisabet etwas bewegt hat. Jedenfalls guckt sie häufiger als sonst in seine Richtung. Das weiß Alvin, weil in seiner Federtasche eine alte Kinokarte steckt. Auf der Rückseite macht Alvin jedes Mal einen Strich, wenn Eles Augen zu ihm wandern.
2
Erde an Alvin
Meine alten Freunde dürfen nicht wissen, dass ich diese neuen Freunde habe. Der Vandale würde mich für total gaga halten. Dass ich im Schulchor singe, ist für ihn schon abartig genug. „Kannste da bei Weibern einparken?, ist seine wichtigste Frage dazu. Mit dem kann man Fußball spielen, sonst nichts. Robbi finde ich nicht so extrem. Singen ist nicht seins, aber er mag trotzdem Musik bei Dr. Sternke-Hasenreuther. Wir hätten fast unter den Tischen gelegen vor lauter Feixen, nachdem er seinen Namen angeschrieben hatte. „Man hat den Namen den man hat
, sagte er, ohne sich im Geringsten über uns aufzuregen, „ich bin ‚Dr.Sternke‘ bei euch, das genügt. Von da an nannten wir ihn unter uns „Sternchen
. Er ist moderner als die anderen Lehrer, er macht lustige Bemerkungen. Manchmal versteht er sogar, worüber wir unter uns Jungs lachen. „Mit ‚Sternchen‘ baut man was fürs ganze Leben ist so ein Spruch von Robbi. Das hat er von einem Plakat, gleich bei der Einfahrt zur Schule. „Mit uns baut man für ein ganzes Leben
, steht drauf, ein Haus mit Swimmingpool ist zu sehen und grinsenden Kindern. Robbis Spruch hätte glatt von mir stammen können. Passt irgendwie. Dr. Sternke spricht manchmal nebenbei so Sachen aus, auf die es wirklich ankommt im Leben. Ich meine jetzt nicht Musik, das ist ja bloß sein Fach. Ich hatte sogar schon mal die Idee, Dr. Sternke von meinen heimlichen Gefährten zu erzählen. Vor allem vom Morgenstern, könnte ihn doch interessieren. Gleiche Musikrichtung und so. Aber das geht nicht. Samantha würde sich total aufregen.
Mittags in der Schulmensa am Achtertisch. Ich sitze bei den anderen. Und auch wieder nicht. Weil die neuen Freunde ja noch da sind. Irgendwie drücken sich Morgenstern, Samantha und Tebasile mit auf die Bank. Ich bin froh, dass die Männer in den Kutten nicht zu sehen sind. So viel Platz ist hier nicht.
Vor vielen Wochen fiel es mir leicht, bei den Kumpels zu hocken. Wir haben uns einen abgelacht über wer weiß was, gefrotzelt und gestänkert, wie das so ist unter Jungs. Meine Schutzblase von Freunden. Aber dann hatte ich den Unfall mit dem Fahrrad, scheiße, kein Helm und dann noch freihändig, ich will nie wieder ein Held sein. Fünf Wochen hatte ich gekriegt. Ich will sagen: Krankenhaus, Doktorlaufen, Ruhigliegen und so was.
Sie kamen dann einfach zu mir im Krankenhaus. Nachts, wenn alles still war. In der ersten