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Khalida: Der Aufstand der Verbannten
Khalida: Der Aufstand der Verbannten
Khalida: Der Aufstand der Verbannten
eBook397 Seiten5 Stunden

Khalida: Der Aufstand der Verbannten

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Über dieses E-Book

Khalida hat Salomea verändert. Entschlossen verfolgt sie das Ziel, den Geächteten Freiheit zu schenken. Auf der Suche nach Antworten schließt sie sich der Rebellengruppe Omega an und begegnet der Tochter jener Hexe, die einst den Fluch über die Verbannten aussprach. Noch nie war sie der Wahrheit über ihre eigene Vergangenheit so nah.
 
In Khalida muss sich auch Aleidis einer unangenehmen Wahrheit stellen. Noch immer verschwinden Kinder spurlos aus der Stadt und sie hegt den schrecklichen Verdacht, dass ausgerechnet ihr Vater dahintersteckt. Für ihre Freunde riskiert Aleidis mehr als nur ihr Leben.
 
In der Fortsetzung der Geschichte um die Stadt Khalida stellen Salomea und Aleidis sich unbekannten Gefahren und kämpfen um Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum8. Dez. 2022
ISBN9783347761155
Khalida: Der Aufstand der Verbannten
Autor

Angelika Siebel

Angelika Siebel (*1993, geb. Folkers) wurde in Oldenburg geboren und lebt seit 2012 in Hamburg. Nach ihrem Abitur machte sie Berufserfahrungen in verschiedenen Bereichen und Städten, um dann ihrer Leidenschaft nachzugehen und Psychologie zu studieren. 2020 machte sie ihren Abschluss in Klinischer Psychologie und Psychotherapie an der Medical School Hamburg. Seit Oktober 2020 befindet sie sich in der Ausbildung zur tiefenpsychologischen Psychotherapeutin. Bücher waren seit ihrer Kindheit ein heilsamer Weg, um vom Alltag und manchen Lebensherausforderungen abzutauchen. Die Inspiration durch den damals jungen Autor Christopher Paolini wuchs und eines Tages hatte sie einen solch eindrücklichen Traum, dass sie sich das erste Mal selbst ans Schreiben setzte. Für ihr Debüt „Sïmona – Zwischen Krieg und Frieden“ hat die Autorin viel Zeit in die historische Recherche des Zweiten Weltkrieges investiert. Sie selbst beschreibt das Werk als die Verarbeitung ihrer Kindheit und als Rettungsanker in ihrer Jugend. Durch ihr fundiertes psychologisches Wissen greift die Autorin auch in ihrem aktuellen Projekt „Khalida“ psychische Vorgänge, Verarbeitungen und Krankheiten auf, um diese dem Leser näher zu bringen und zur Selbstreflexion herauszufordern.

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    Buchvorschau

    Khalida - Angelika Siebel

    Teil 1

    Prolog

    Eisblaue Augen. Weißes Fell.

    Was hat mich hierhergeführt?

    Vor zweieinhalb Monaten hatte ich im Dorf auf unserem Hof gearbeitet, nachts von einer bunten, wunderschönen Stadt geträumt. Mein Aussehen war eine unglückliche Nebenerscheinung, nichts, das mich in Beziehung mit Menschen beeinträchtigt hätte. Ich schuftete vor Sonnenaufgang und beendete den Tag bei Untergang mit Schmerzen im ganzen Körper. Ich lag im Bett, oftmals in Angst. Doch ich stand wieder auf, wusste, was mich erwartet, ging einer Tätigkeit nach, die von Wert war für meine Familie und für die Bewohner in der Stadt.

    Dann brach der Winter ein und zum ersten Mal stellte sich die Angst vor ihrem Überfall als berechtigt dar: Ich wurde verschleppt – von einem großen dunklen Wolf. Nach einem beängstigenden Ritt, der Nacht in einer kalten nassen Zelle und darauffolgender ausführlicher Demütigung in einem Vogelkäfig geriet ich in die Obhut von Seolo. Geraten? Manch einer mag denken, dass das ein harter Ausdruck ist im Zusammenhang mit jemandem, der einen zu retten versuchte. Aber Schutz hatte mir diese Obhut nicht wirklich geboten. Seolo selbst, ja, dieser Mensch – oder Wolf? – hatte etwas in mir berührt, das ich zuvor noch nicht empfunden hatte. Eine schnelle Anziehung und Vertrautheit entwickelte sich, obwohl er zu lange sein wahres Leben vor mir versteckt hatte. Erst nach wiederholten Schleckereien durch mein Gesicht fand ich heraus, dass er der friedliche und riesige Wolf Bardou war. Der Name schien mir passend, ich habe ihn nach einer Geschichte von unserem Geschichtenerzähler Konradin benannt.

    Ein Chaos aus Gefühlen folgte. Einerseits fühlte ich mich immer wohler bei ihm, andererseits trieb mich seine Verschwiegenheit nahezu in den Wahnsinn. Lange hatte es gedauert, bis er mir von Omega erzählte: einer Untergrundgruppierung, die plante das Regime der Machtführenden zu brechen und sich für Gleichberechtigung einzusetzen wünschte. Bisher war jedoch noch nichts aktiv umgesetzt worden.

    Während die Zuneigung zu Seolo wuchs, breitete sich die Bedrohung für mich an diesem Ort aus. Bis auf Ewa und Ana traten mir wenige Personen mit Neutralität, geschweige denn Freundlichkeit gegenüber. Neben den gehässigen Frauen versuchte vor allem Barghan mir das Leben zur Hölle zu machen. Eine verrückte Kombination aus Neugier und Abscheu zog ihn zu mir. Mehrfach wurde er übergriffig, glücklicherweise wurde ich immer rechtzeitig geschützt, doch zu keinem geringen Preis. Ewa wurde grausam zugerichtet, sodass wir sie unter den Schutz von Omega stellten. Barghan war außer sich vor Wut, seine Frau vermisst zu sehen, und ehe er diese an mir ausließ, übernahm Seolo die Züchtigung. Wenn ich daran zurückdenke, überkommt mich ein kalter Schauer. Doch tief in meinem Innern wusste ich immer, dass er es aus reiner Verzweiflung getan hatte. Diese Erklärung reichte jedoch nicht aus und ich bereitete mich auf meine Flucht vor. Dieser Abschied brach mir das Herz. Ich wusste aber, dass ich keinen weiteren Tag in der Verbanntenstadt unter der Herrschaft von Osric überleben würde. Sogar mein Versprechen gegenüber Ewa, die Stadt niemals ohne sie zu verlassen, hatte ich brechen müssen. Ich habe daraus gelernt, dass, wenn es um Leben und Tod geht, jeder Mensch doch für sich selbst entscheidet, es sei denn, er ist es gewohnt, in Gefahr zu leben. Und mir selbst war bis dato eine solch kontinuierliche Bedrohung unbekannt. Ich sah keine andere Möglichkeit als die Flucht. Also verschleierte ich mich wie eine von Osrics Mätressen und erreichte die lang ersehnten Stadtmauern Khalidas. Wie naiv ich doch gewesen war. Der Eintritt in diese Stadt ließ den letzten Vorhang vor meinen Augen fallen und offenbarte die harte Realität: Kinder ohne elterliche Liebe, Streben nach nicht erreichbarer äußerlicher Perfektion, Herabwertung aller Menschen, die „anders" waren und die Einsamkeit der Herzen, die spürbar wurde, sobald man in Kontakt trat. Egal ob der große Herrscher Rian in Person oder Wachmänner, Dienerinnen und Erzieherinnen, keiner und keine von ihnen wirkte wirklich glücklich.

    Doch eins wurde mir schnell klar: Die Kinder an diesem Ort unterschieden sich nicht viel von den Kindern aus unseren Dörfern. Natürlich hatten sie eine andere Erziehung genossen, konnten sich gewählter ausdrücken, lesen, schreiben und mehrere Sprachen sprechen, doch letztlich unterschied sich ihre kindliche Neugier in Bezug auf das Leben keineswegs von der, die ich als Kind selbst erlebt hatte. Nur sie hatten mich so lange an diesem Ort lebendig gehalten. Erst als meinerseits ein eindeutiger Regelbruch im Kontakt zu den Kindern offenbar wurde, musste ich mir einen Fluchtweg überlegen. Ganz egal wie sehr die Kinder mich – oder ich sie? – gebraucht hatten, wenn ich am Leben bleiben wollte, musste ich diesen Ort mit all den Fragezeichen in meinem Kopf verlassen. Warum war Rian misstrauisch hinsichtlich des Fluches über seine Brüder und deren Anhänger? Warum töteten sie gesunde Säuglinge? Was zog mich so zu den Kindern der Stadt und warum hatte Valira sterben müssen?

    Ob ich jemals Antworten auf diese Fragen erhalten würde?

    Die Flucht aus Khalida hatte mich beinahe auch das Leben gekostet. Es ist mir bis jetzt ein Rätsel, wie ich es zu dem Ledergerber Heimrik geschafft habe. Danach hatte mich Lomarin aufgefunden, kurz bevor ich in dem eisigen Winterwald erfroren wäre. Ja und dann – dann war ich davon überzeugt, dass ich sterben würde. Die Verletzung an meinem Bein und das darauffolgende Fieber hatten mich an die Grenze zwischen Leben und Tod gebracht. Auf nahezu wundersame Weise erholte ich mich nichtsdestotrotz. Und noch dazu war Seolo wieder an meiner Seite. Dass ich ihn wiedersehen würde, hatte ich spätestens vor den Stadttoren Khalidas abgeschrieben. Endlich hatte ich ihn wieder berühren, hören und sehen können.

    Irgendetwas veränderte sich jedoch in mir. Der merkwürdige Heißhunger auf rohes Fleisch nahm von Stunde zu Stunde zu. Und, während meine Verwundung ungewöhnlich schnell verheilte, machten wir uns auf den Weg durch den Wald. Nicht nur Rians, sondern insbesondere Osrics Männer – oder Wölfe? – waren dort auf der Suche nach mir. Nach derjenigen, die jegliche Chance Osrics auf die Gunst seines Bruders zerstört hatte. Eine pulsierende Eule namens Glühwürmchen, die ihrem niedlichen Namen keineswegs Ehre machte mit ihrer finsteren Erscheinung, wies uns den Weg durch den Wald. Die Hitze in meinem Körper hatte trotz der Winterkälte zugenommen. Warum? Das würde ich noch herausfinden. Irgendwann trafen wir auf Lomarin, der offenbarte, dass Seolo mir irgendetwas Wesentliches vorenthalten hatte. Ja, wie man sich denken kann, war meine Wunde nicht auf natürlichem Wege so schnell zugewachsen. Wie? Das weiß ich selbst nicht. Was ich weiß: Wenn ich jetzt in die Spiegelung meines Antlitzes sehe, erkenne ich mein eigenes Gesicht nicht wieder. Ich blicke in das Gesicht eines narbenlosen, weißen Wolfes. Na, warte!

    Kapitel 1

    Ich atme tief durch und nehme unzählige Gerüche gleichzeitig wahr. Die Erde des Waldes, die Rinden der Bäume, den Schnee, das Wasser, die Steine unter meinen Pfoten. Ein nicht gekannter Zorn fährt durch meine Glieder, gefolgt von einem Trieb, mich sofort auf ein Objekt zu stürzen. Nicht auf irgendein Objekt. Auf Seolo.

    Knurrend und Zähne bleckend sehe ich zu ihm auf, zum Wolf namens Bardou. Dunkelbraun, beinahe schwarz. Das erste Mal kommt er mir klein vor. Bin ich etwa größer? Jedenfalls hält mich nichts davon ab, mich mit einem Satz auf ihn zu stürzen. Ohne darüber nachzudenken, haue ich meine Zähne in sein dickes Fell. Fiepend springt er zurück. Oh, wie gerne ich ihm alles wörtlich an den Kopf werfen würde, aber so bleibt mir nur eine Wahl: Kampf. Jetzt beginnt er zu knurren, neigt seinen Kopf, legt die Ohren an und sieht mir mit flammenden Augen entgegen. Kurz zucke ich zusammen, der Anblick ist angsteinflößend. Doch dann höre ich mein eigenes Knurren. So, du willst mich also herausfordern? Das kannst du haben!

    Mit aller Kraft kralle ich mich an ihm fest. Bellen, reißen, fiepen, beißen. Ich bin größer und stärker!

    Wie hatte er mir das verschweigen können? Bin ich nun auch für immer verflucht? Nicht nur die Wut über seinen jetzigen Vertrauensbruch, sondern auch die Wut über den vergangenen in Verbindung mit Omega und Barghan schießt in mir hoch. Ein Biss in mein Ohr, ein fester Pfotenschlag in sein Gesicht. Unsere Körper trennen sich wieder voneinander, ich gehe ein paar Schritte zurück, nur um wieder Anlauf zu nehmen.

    „HALT!!!", schreit eine Stimme.

    Beide schrecken wir auf.

    „Verdammt noch mal! Mea, beruhige dich! Du musst fressen und zur Ruhe kommen!"

    Fressen? Super! Knurrend sehe ich wieder zu Seolo.

    „Reiß dich zusammen! Verwundet kommen wir nicht weiter!"

    Mein Körper bebt, meine Muskeln sind angespannt, zum Sprung bereit. Doch dann schnaufe ich mehrfach aus, versuche dem Drang nicht nachzugeben. Langsam gehe ich rückwärts ein paar Schritte. Seolo entspannt sich und stellt die Ohren wieder auf.

    Oh, was riecht hier plötzlich so köstlich? Ein Kaninchen? Ein Reh? Ein Wildschwein? Schnuppernd strecke ich die Nase in den Himmel.

    „Oh nein, Mea! Das lässt du schön sein! Du kannst jetzt nicht auf die Jagd gehen! Sie sind überall!" Lomarin stellt sich mutig vor mich. Ich lege meinen Kopf schief und mustere ihn. So zerbrechlich, so klein. Der wird mich nicht vom Fressen abhalten. Ich kann das frische Fleisch förmlich schmecken.

    „NEIN!", schreit Lomarin erneut, doch meinen Instinkt kümmert das nicht. Entschieden springe ich die gefährliche Felswand hinauf. Ich schaffe es bis nach oben und blicke mich um. Ist das etwa normal? Wie weit kann ein Mensch – oder Wolf – sehen?

    Da! Wieder dieser Duft. Sofort setzen sich meine Beine in Bewegung. Es kann nicht fern sein. Ich achte gar nicht darauf, ob mich jemand sieht, genieße jeden Sprung und den kalten Wind im Gesicht. Die Bäume rauschen an mir vorbei.

    Dann bleibe ich instinktiv stehen. Lausche. Schnuppere. Ich sehe etwas: ein dickes, köstliches Wildschwein. Seine Hauer sind nicht klein. Doch wenn ich mich geschickt anschleiche und von hinten drauf springe, wird es mir sicher gelingen. Als ich mich bücke, knackt ein Ast. Das Wildschwein sieht auf. Na super, Mea. Anfängerfehler. Jagen Wölfe nicht eigentlich im Rudel? Als ich zum Sprung ansetze, quietscht das Schwein auf und rennt auf mich zu, als würde es schreien: „Wer ist hier jetzt die Beute?"

    Schnell weiche ich aus. Das Schwein dreht sich um und nimmt erneut Anlauf. Ohne darüber nachzudenken, lege ich den Kopf in den Nacken und ein klagendes Heulen hallt durch die Bäume.

    Dann springe ich auf das Schwein zu. Unglaublich wie stark es ist! Wie ein sich aufbäumender Stein schüttelt es mich immer wieder ab. Einmal schaffe ich es, meine scharfen Zähne in die dicke Haut zu jagen, doch ich verliere den Kontakt wieder.

    Plötzlich wirft mich etwas zur Seite. Verwirrt schüttle ich den Kopf und erblicke folgende Szene: Seolo, noch immer in seiner Wolfsgestalt, springt auf das Wildschwein zu, ein, zwei Bisse, dann ergibt sich das Tier unter ihm. Ein weiterer Biss in den Nacken und es liegt reglos dort.

    Blut. Leckeres Blut. Sofort springe ich auf das tote Wildschwein zu. Seolo tritt schnaufend zur Seite. Endlich frisches Fleisch zwischen den Zähnen, endlich ein sich füllender Magen. Mit jedem Bissen legt sich die Aufregung in mir. Mit jedem Bissen werden meine Gedanken klarer.

    Satt gefressen erblicke ich meine rot gefärbten Pfoten. Erschrocken sehe ich zu Seolo auf. Ich will ihn etwas fragen, doch aus meinem Maul kommt kein Wort. Eine plötzliche Erschöpfung setzt ein. Seolo weist mir den Weg und ich folge ihm vorsichtigen Schrittes durch den Wald. Wenn ich zurückblicke, erscheinen blutige Pfotenabdrücke im Schnee. Wenn ich Mensch wäre, würden jetzt Tränen über meine Wangen fließen. Bin das wirklich ich gewesen, die sich blutrünstig wie ein wildes Tier – nein als ein wildes Tier – auf ein Wildschwein gestürzt hatte?

    Angst steigt in mir auf. Angst vor erneutem Kontrollverlust. Verzweifelt wische ich meine Pfoten im Schnee sauber. Seolo blickt aufmerksam umher. Er scheint etwas zu riechen. Ich halte meine Nase in die Luft. Schweiß, Fell, Wölfe. Ich bin mir ganz sicher, dass der Geruch von einem Wolf stammt. Panisch sehe ich zu Seolo auf. Wenn wir sie wittern, dann wird es andersherum ähnlich sein, es sei denn, der Wind steht auf unserer Seite.

    Seolo läuft los. Die Panik lässt mich fliegen. Wir gelangen an die Klippe. Ich rutsche Seolo hinterher, mein Körper zittert vor Angst. Unten angekommen, stolpere ich in den Bach. Hektisch nutze ich das kalte Bad, um meine Nase und meine Pfoten zu reinigen.

    „Mea."

    Ich blicke mich um. Lomarin steht dort.

    „Mea, du musst dich zurückverwandeln. Du musst das nicht allein tun. Ich bin da. Hier ist eine Decke. Hab keine Angst. Das Zurückverwandeln ist nicht so schmerzhaft wie die Verwandlung in einen Wolf. Sie strengt zunächst nur an. Komm her."

    Unsicher trete ich aus dem Bach auf ihn zu. Ich schnuppere an der Decke und erinnere mich: Ich werde nackt sein, wenn ich wieder ein Mensch bin. Das wird immer besser hier. Ich habe keine Kleidung mehr. Doch ich vertraue Lomarin. Seolo hingegen knurre ich erneut an und er versteht. Er neigt den Kopf und verschwindet dann in der Höhle. Nackt ist der letzte Zustand, in dem ich ihm gegenübertreten will. Schon als Wolf fühle ich mich durch seinen Verrat schutzlos ausgeliefert.

    Lomarin nimmt meinen Kopf in seine Hände. Seine grauen Augen sehen tief in meine. „Atme, Mea. Atme. Schließ die Augen und konzentriere dich auf deinen Herzschlag."

    Ich folge seiner Anweisung.

    „Und nun lass los. Sag es dir: ‚Ich lasse los‘. Lass dich zurückfallen in deine wahre Existenz. Erinnere dich an das Körpergefühl deines Menschseins."

    Ich atme. Ich lasse mich fallen. Ich erinnere mich. Und ich sinke in mir zusammen. Eiseskälte umhüllt meinen nackten Körper. Sofort legt Lomarin die Decke um meinen zitternden Leib.

    „So ist es gut, Mea. Du hast es geschafft. Es ist vorbei."

    Lomarins beruhigende Stimme dringt in mein Herz und Tränen finden leise ihren Weg hinaus. Keinerlei Scham kommt auf, ich fühle mich sicher in seiner Umarmung. Langsam treten wir auf die kleine Höhle zu, bedacht darauf, meine nackten Füße nicht zu verletzen. Das ist also der Fluch.

    Kapitel 2

    Im Innern der Höhle kleidet sich Seolo an.

    „DU!", fauche ich bei seinem Anblick und will wieder auf ihn zuspringen. Doch Lomarin hält mich fest.

    „Lass mich los!!, brülle ich. „Wie hast du mir das verschweigen können? Und wieso überhaupt? Warum bin ich verdammt noch einmal verflucht wie ihr?

    Lomarin lässt es zu, dass ich an Seolo herantrete. Mit funkelnden Augen stehe ich vor ihm, jetzt wieder kleiner. Ich muss zu ihm hinaufsehen.

    „Du bist ein Feigling", spucke ich aus.

    „Mea. Er berührt meine Schultern und zieht die Decke weiter um meinen schlotternden Leib. „Du musst dich aufwärmen.

    Ich bin zu müde, um Widerworte zu geben, und lasse mich an das kleine Feuer führen. „Habt ihr noch etwas zum Anziehen?", frage ich und strecke meine Fußspitzen aus der Decke, um sie am Feuer zu wärmen.

    „Ich habe noch etwas dabei, ja." Lomarin greift Hose, Hemd und Fellweste aus seinem Beutel. Die beiden Männer verlassen kurz die Höhle, damit ich mich umkleiden kann. Als ich an meinem nackten Körper hinabsehe, fallen mir die Schrammen und blauen Flecken auf. Ich hoffe, dass Seolo mindestens genauso viele hat. Schnell kleide ich mich an, stülpe meine Stiefel über, die die Verwandlung überstanden hatten, und setze mich in die Decke eingewickelt wieder ans Feuer.

    Beide Männer kommen nach wenigen Momenten schweigend in die Höhle und setzen sich dazu. Finster sehe ich zu Seolo auf. Sein Gesicht ist wie gewohnt verschwommen aus dieser Entfernung.

    „Warum?" Eine konkretere Frage fällt mir nicht ein. Nur dieses Wort schwirrt in meinem Kopf umher. Lomarin verschränkt erwartungsvoll die Arme und sieht zu Seolo.

    „Wir hätten dich verloren. Es war die einzige Rettung."

    „Ein Fluch war die einzige Lösung?"

    „Ich sah keine andere. Lomarin auch nicht."

    „Und dann habt ihr euch gedacht, ihr bestellt eine Hexe und die soll den Fluch über mich ausweiten und dann werde ich wieder gesund?"

    „Nein." Lomarin kann sich ein amüsiertes Zucken seines Mundwinkels nicht verkneifen.

    Seolo ergreift das Wort: „Nachdem die Hexe Mikasi starb, gelang ihrer Tochter Nahimana die Flucht aus Rians Gefangenschaft. Auch sie ist eine Hexe. Damals wurde sie im Wald von Osrics Männer erwischt. Sie wurde gezwungen, Mikasis Grab zu erschaffen. Den Leib hatten sie aus dem Graben vor den Stadtmauern geborgen. Rian hatte keine Ahnung, welche Bedeutung ihr Körper noch haben würde. Als das Hexengrab fertig war, musste sie den Hexenkristall berühren. Nur eine Hexe kann dies tun und den letzten magischen Akt der verstorbenen Hexe abwehren und verwenden, anstatt davon getroffen zu werden. Osric wünschte einen Trank, der den Fluch Mikasis über ihn und die Verbannten beinhaltete. Doch dieser Trank sollte nur Wirkung zeigen, wenn derjenige, der ihn verabreicht, in seinem Gegenüber wahre Schönheit erblickt. So wollte er sicherstellen, dass nur er entscheiden konnte, wer Teil seiner Volksschar werden würde."

    „Wozu?"

    „Ich denke, er plant, diesen Trank eines Tages Rian zu verabreichen, um ihn ebenfalls dem Fluch auszusetzen und ihn in der Rudelhierarchie zu unterdrücken."

    „Wäre es nicht sinnvoller gewesen, den Fluch aufheben zu lassen?"

    „Wie man einen Fluch aufhebt, weiß nur die Person, die ihn ausgesprochen hat."

    „Und du dachtest dir: Mea stirbt. Also auf zu Osrics Geheimschrank und sie verfluchen?"

    „So einfach war das nicht, erwidert Seolo. „Glaub mir, dir diesen Trank zu verabreichen, war so schwer wie den Schürhaken zu schwingen. Ich hätte es nicht gemacht, wenn ich nicht dein Leben damit geschützt hätte!

    „Seit wir uns kennen, hast du drei Mal versucht mein Leben zu retten. Beim ersten Mal machtest du mich zur Sklavin, beim zweiten Mal schlugst du mich mit einem Eisen und beim dritten Versuch gabst du mir ein Gift mit einem Fluch! Vielleicht solltest du endlich damit aufhören!", brülle ich in die Höhle und meine Stimme hallt an den Felswänden wider.

    „Da muss ich ihr recht geben, Seolo", kommentiert Lomarin trocken.

    Seolo steht wütend auf.

    „Verdammt! Was hättest du denn getan, hm? Sie im Wald dem Tod überlassen? Sie von Barghan vergewaltigen und zu Tode schlagen lassen? Sie sterben lassen, nach allem, was ihr schon geraubt wurde? Ich verstehe, dass du wütend bist, Mea. Oh ja! Das bin ich auch! Und ich mache mir wohl mehr Vorwürfe als ihr beide zusammen! Ich werde meine Entscheidungen nie rückgängig machen können! Aber verdammt noch mal: Ich liebe dich!!!" Nun ist es seine Stimme, die widerhallt.

    Stille.

    Lomarin sieht zwischen uns her, steht auf und verlässt die Höhle. Jetzt sage ich kein Wort mehr und starre ins Feuer. Er setzt sich stumm neben mich. Nah genug, dass ich nur meine Hand ausstrecken muss, um ihn zu berühren, weit genug entfernt, um selbst entscheiden zu können.

    „Du bist kein Feigling, flüstere ich. „Ich will einfach nur noch zurück zu meinem alten Leben.

    „Ich nicht, erwidert er und blickt zu mir auf. Er hebt die Hand und berührt mein Gesicht. „Ich will dich.

    Müde schließe ich die Augen und schmiege mich in seine Hand.

    „Du kannst es vermutlich nicht mehr aus meinem Munde hören. Aber es tut mir leid, Mea. Ich habe nur versucht dich am Leben zu halten." Jetzt steigen ihm Tränen in die Augen. Ich greife in seinen Nacken und ziehe ihn an mich. Dieser Kuss fühlt sich wie der erste an. Ein angenehmes Kribbeln fährt durch meine Glieder. Wir setzen uns voreinander und ich schlinge die Beine um ihn. Er ist alles, was ich noch habe. Wie könnte ich ihn fortstoßen? Unsere Lippen verschmelzen miteinander, am liebsten würde ich ihm noch näher und noch näher kommen. Er küsst meinen Hals, verweilt kurz in meinem Haar, atmet tief ein und küsst mich erneut. Er legt mich auf den Rücken, sein gelöstes Haar fällt über seine Schulter und kitzelt mich am Schlüsselbein. Ich greife unter sein Hemd und streiche seinen Rücken hinauf. Das Keuchen hallt an den Höhlenwänden wider. Ich kann ihn durch den Stoff hindurch zwischen meinen Beinen spüren.

    Huuuuu, huhuhuhuuuu.

    Ein großes Tier flattert in die Höhle. Glühwürmchen. Erschrocken setzen wir uns auf.

    „Löscht sofort das Feuer!", zischt Lomarin.

    Kapitel 3

    Wie erstarrt sitzen wir in der Dunkelheit und lauschen. Glühwürmchen ist wieder ins Freie geflogen, ihr wehklagender Laut dringt durch den Wald, irgendwo hinter dem Rauschen des Baches. Seolo drückt mich an sich. Ich kann seinen schnellen Herzschlag spüren. Ein Heulen erklingt. Seolos Druck wird fester. Sie sind ganz nah. Direkt über uns? Sie müssen das erloschene Feuer doch riechen?

    Ich höre ein Schlittern, Steine purzeln den Hang hinab. Nur das kalte Mondlicht erhellt den Bach und dringt in die Höhle. Schritte. Schnaufen. Dann ein großer Schatten vor dem Höhleneingang. Ein Wolf. Er erblickt uns sofort. Langsam kommt er auf uns zu. Ich vergesse zu atmen. Der Wolf schnuppert an Lomarins Gesicht.

    „Born", flüstert Lomarin.

    Keine Gefahr?

    Der Wolf stupst ihn an, blickt zu uns hinüber und neigt den Kopf. Dann dreht er um, springt aus der Höhle und klettert den Hang hinauf. Ein kurzes Bellen erklingt. Ein Warnruf. Wir bleiben noch ein paar Minuten bewegungslos sitzen, lauschen. Dann ist alles still.

    „Born ist ein Omega-Mitglied. Er wird sie fortgelockt haben. Das war unheimlich knapp. Wir müssen uns ruhiger verhalten. Ich werde über Nacht herausfinden, wo wir erneut Unterschlupf finden können. Seolo, halt du Mea warm. Wir können nicht erwarten, dass sie sich innerhalb eines so kurzen Zeitraumes erneut verwandelt. Ich bin in ein paar Stunden zurück. Glühwürmchen wacht über der Schlucht."

    „Danke, mein Freund. Seolo umarmt Lomarin zum Abschied. „Pass auf dich auf.

    Lomarin nickt mir zu, verschwindet aus der Höhle und lässt seine Kleider zurück, die Seolo kurz nach dem bekannten Reiß-Geräusch aufsammelt und in die Höhle bringt.

    Eine merkwürdige Atmosphäre macht sich breit. Ist es eine plötzliche Schüchternheit? Warum zögern wir? Waren wir uns doch eben so sicher.

    „Du hast sicher noch viele Fragen", mutmaßt Seolo und setzt sich neben mich, damit ich sein Gesicht im Halbdunkel erkennen kann.

    „Ehrlich gesagt habe ich gerade wenige Gedanken. Du?"

    „Oh ja …, beginnt er. „Du warst beeindruckend als Wölfin.

    „Ich war wütend."

    „Nicht nur das."

    „Was meinst du? Dass ich keine Narbe hatte? Ja, das hat mich auch sehr beeindruckt – oder verstört. Alles so scharf zu sehen war absolut neu."

    „Erinnerst du dich daran, wie der Trank wirkt?", fragt er und greift nach meiner Hand. Sofort breitet sich das Kribbeln aus.

    „Wenn du meinen Worten nicht traust, dann weißt du spätestens jetzt, dass ich dich wahrhaftig wunderschön finde, Mea. Ich habe noch nie einen solch großen und prächtigen Wolf gesehen."

    „Ich bin also wirklich größer als du?" Ich überspiele meine Verlegenheit mit einem Grinsen.

    „Oh ja! Unabhängig von deinem verheilten Gesicht, hast du die prächtigste Erscheinung, die ein Wolf unserer Art bisher gezeigt hat. Und dazu bist du der erste weibliche und weiße Wolf. Du bist einzigartig. Und beängstigend. Ich habe mich schon des Öfteren in einem Zweikampf wiedergefunden, doch deine Verletzungen spüre ich noch immer. Du bist unheimlich stark."

    „Wie kannst du so viel Schönheit in mir sehen?" Ich berühre instinktiv meine vernarbte Gesichtshälfte.

    „Du hast ein starkes Herz. Das habe ich vom ersten Tag an gespürt."

    „Welche Verletzung tut am meisten weh?"

    „Die am Rücken. Du hast ihn ordentlich zerkratzt. Es brennt."

    „Gut so, sage ich zufrieden, sein Mundwinkel zuckt amüsiert. „Zieh dein Hemd aus, fordere ich ihn auf.

    Er zögert nicht lang. Ich setze mich hinter hin und ertaste im Dunkeln seine Wunden. Er zuckt zusammen. Meine Finger ertasten etwas Feuchtes. Blut? Ich beuge mich vor und puste vorsichtig über seine Haut. Sein Körper spannt sich an.

    „Es ist kalt. Also entweder du wärmst mich jetzt oder ich verwandle mich", lacht er. Ich küsse seinen Nacken. Wie sehr ich mich auch hingeben will, etwas hält mich davon ab. Es ist dunkel, kalt und gefährlich. Ich bin müde von den Strapazen der Verwandlung. Nein, so soll es nicht geschehen. Ich schmiege mich an seinen Rücken. Ein Zischen entkommt seinem Mund. Meine Finger krabbeln an seiner Seite herum nach vorn zu seinem Bauchnabel.

    „Dann los, Bardou", flüstere ich. Oh, was für ein Kampf! Alles in uns schreit nach Umarmung, nach Verbindung, nach Nacktheit. Aber nein. Wir wissen beide, dass dies nicht der Zeitpunkt ist. Seolo atmet tief durch und umfasst meine Hände an seinem Bauch.

    „Dann muss ich mich aber verwandeln."

    Ich weiß genau, was er meint. Er steht auf, dreht sich zum Eingang mit dem Rücken zu mir und entkleidet sich. Zwar ist er verschwommen und die Nacht hat die Höhle erobert, doch allein die Vorstellung, dass er nackt dort steht, macht mich verrückt. Plötzlich dreht er sich um und kommt auf mich zu.

    „Ein letzter Gute-Nacht-Kuss", flüstert er, beugt sich zu mir hinab und gibt mir einen zärtlichen, langen Kuss auf die Lippen. Immer wieder zuckt es in mir, ihn zu berühren. Aber aus irgendeinem Grund wage ich es nicht. Ich genieße jede Sekunde dieses Kusses. Dann löst er sich von mir, kehrt in den Eingang zurück und verwandelt sich. Ein großer Schatten erhebt sich, dort, wo er gestanden hat. Bardou kommt auf mich zu und legt sich eng neben mich.

    Es überkommt mich ein Gähnen und ich kuschle mich in sein Fell hinein. Fell. Wolf. Ich bin ein Halbwolf. Wann würde ich mich wieder verwandeln müssen? Die Erinnerung an den Schmerz lässt mein Herz schneller schlagen und meinen Körper erschaudern. Hoffentlich würde ich ohne Hunger aufwachen. Ich und der größte Wolf? Wohin führt mein Weg? Und wie kann das Herz eines Mannes solche Faszination und Liebe mir gegenüber empfinden?

    Kapitel 4

    Aleidis

    „Ich lösche das Licht für Euch, Herrin."

    „Ich danke Euch, Siusan."

    Meine Kammerzofe schließt bedacht die Tür und ich bin allein. Schon wieder ist ein Tag verstrichen. Fünf Tage und Nächte zähle ich heute Abend, seit Salomea uns verlassen hat. Welch grausames Schicksal! Meine Gedanken stehen kaum einen Augenblick still. Wieso hatte sie fliehen müssen? Warum hatte sie nicht bleiben dürfen? Ich hatte ihr unmaskiertes Gesicht erblickt und ja, es war ein Schock, der mich damals durchfahren hatte. Dennoch entsprang diese Überraschung keineswegs einer empfundenen Abscheu. Ich hatte zuvor noch nie ein solch verletztes Wesen gesehen. Sind Narben ein Grund, jemanden nicht willkommen zu heißen? Sie hatte diese sicherlich nicht frei gewählt! Sie ist eine Dame wie jede andere, möchte ich meinen. Wenn mir dieses Schicksal zuteil gewesen wäre, wäre ich schließlich auch nicht direkt hinter einer Maske oder vor den Stadtmauern versteckt worden.

    Mich berührt Salomeas Weg und das Erfahrene bereitet mir Sorgen. Die arme Valira! Warum hatte man auf sie geschossen?

    Fragen über Fragen und ich weiß nicht, wie es mir gelingen kann, befriedigende Antworten zu erhalten. Hier liege ich in meinem herrschaftlichen Bett, die kunstvoll bemalte Decke anstarrend. Selbst im Mondlicht erkenne ich die prachtvoll gekleideten Damen, die

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