Sora
Von R. R. Alval
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Buchvorschau
Sora - R. R. Alval
1
Mein Name ist Sora. Ich bin ein Mensch. Ein freier Mensch. Noch. Sollten sie mich irgendwann entdecken, werde ich es nicht mehr sein.
Wie die Millionen anderen Menschen, die diese Erde besiedeln – einst mit freiem Willen.
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, in welchem Jahr die Grauen gekommen waren. Wie lange es her war. 15 Jahre? Mehr? Nur, dass es Silvester gewesen war. Bis heute weiß ich nicht, ob sie lautlos kamen oder mit Getöse. Die Knallerei, um die bösen Geister zu vertreiben, während man feuchtfröhlich das neue Jahr begrüßte, war zu laut gewesen. Böse Geister, dass ich nicht lache. Ja, die Knaller hatten die Geister verscheucht. Gute wie Böse. Den Stoßdämpfer zwischen den Welten. Er war zerplatzt wie eine Seifenblase und hatte die Grauen auf die Menschheit losgelassen. Es war bloß eine Vermutung, aber von irgendwo mussten sie gekommen sein.
Die Menschen waren unvorbereitet, ahnungslos und hilflos wie Babys gewesen, die sich plötzlich einem T-Rex gegenüber sahen. Leider hatten wir sehr schnell erkennen müssen, dass wir chancenlos waren.
Wir nannten sie die Grauen; wegen ihres Äußeren. Keine Ahnung, was sie waren.
Dämonen vielleicht.
Nichts fühlende Kreaturen, die nach den Seelen der Menschen gierten. Nicht, weil sie sich von denen ernährten. Seelen stellten für sie Müll dar. Eine Sache, derer man sich entledigen musste, um dienende Marionetten zu erhalten. Leere menschliche Hüllen, die sie mit ihrer eigenen Essenz füllten. Puppen. Mit toten Augen und penetranten Körpergerüchen, da die Grauen ihre Nase entweder nur zur Deko benutzten oder keine Gerüche wahrnahmen. Körperpflege war für die Leeren – so nannten wir seelenlose Menschen – etwas, das nicht zu ihren Aufgaben zählte. Ebenso wenig wie schlafen. Dementsprechend rochen sie und sahen sie aus.
In den letzten Jahren war ich erwachsener geworden, als ich es vorher je hätte werden können. Ausgestattet mit dem Instinkt zum Überleben. Dem eines Raubtiers. Fressen oder gefressen werden. So einfach war das. Und doch unendlich komplizierter. Schon mal eine Waffe in der Hand gehalten? Und damit jemanden getötet? In meinem Leben vor den Grauen – und vor der Geburt meiner Tochter – hatte ich in der Bank gearbeitet. Am Schalter. Ich hatte mit Kunden zu tun gehabt, mit Geld, mit Zahlen. Aber nicht mit Waffen. Schön wäre es damit zu prahlen, dass wir Menschen damit die Grauen erledigten.
Das war nicht der Fall.
Damit töteten wir die Leeren. Sie mochten keine Seele mehr haben, aber sie bluteten wie jeder andere Mensch auch. Und sie stießen auch eben solche Schmerzensschreie aus.
Die meisten.
Mein erster Toter war ein Unfall gewesen. Meine Waffe ein Kugelschreiber. Eine komische Wahl, ich weiß. Doch es war die einzige Möglichkeit gewesen, mir dieses seelenlose, stinkende Wesen vom Leib zu halten. Ich hatte um mich geschlagen und schließlich den erstbesten Gegenstand gegriffen, der mir in die Hände geraten war. Ich hatte ihn durch das linke Auge direkt bis in sein Gehirn getrieben. Er war fast augenblicklich tot gewesen. Richtig tot. Mein Herz hatte dermaßen gerattert und gepoltert, dass ich vor Panik fast umgefallen wäre.
Statt umzufallen, hatte ich mich übergeben.
„Siehst du was?" Wolf, der große Mann hinter mir, hatte seine Stimme gesenkt, während er die Straße hinter uns im Auge behielt.