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Hinten im Universum
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eBook325 Seiten4 Stunden

Hinten im Universum

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Über dieses E-Book

"Wie zwei glühende Kometen glitten wir durch den flüssigen Sternenhimmel und zum ersten Mal schaffte ich es, meine Sorgen wenigstens für diesen einen magischen Augenblick zu vergessen …"

2113 – Die Folgen des Klimawandels haben Deutschland zerstört. Jady kennt nichts anderes als den nie endenden Überlebenskampf, welcher ihr von Tag zu Tag mehr abverlangt. Als sie in Berlin durch einen fürchterlichen Sturm von ihrem Clan getrennt wird, stellt sich ihre Welt auf den Kopf. Plötzlich bedroht von einem mysteriösen Verfolger macht Jady auf ihrer Flucht eine alles verändernde Entdeckung …
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum20. Jan. 2018
ISBN9783742754783
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    Buchvorschau

    Hinten im Universum - Jasmin Hütt

    Kapitel 1

    Ich rannte um mein Leben. Mein Herz pochte, wahrscheinlich würde es einfach platzen. Aber ich wollte nicht aufgeben. Immer weiter. Sprinten, springen, Haken schlagen. Lange konnte das nicht mehr gut gehen, doch während mein Blut wie kochendes Wasser durch meine Adern pulsierte, wollte mein Geist kämpfen. Ich wollte kämpfen. Wieso sollte ich für eine Sache sterben, für die ich nichts konnte? Vor mir tauchte ein Baum aus der Schwärze der Nacht auf. Taumelnd wich ich ihm aus, mehr durch Zufall als absichtlich. Die Dunkelheit war mein Feind und die Schritte hinter mir wurden immer lauter. Mir musste dringend etwas einfallen. Wenn ich bis ins Lager käme … Fast unmöglich. Trotzdem, einen Versuch war es wert – vielleicht müsste dann nicht schon wieder Blut vergossen werden. Ganz nebenbei wäre auch mein erst fünfzehn Jahre langes Leben nicht so jäh zu Ende!

    Mit zusammengebissenen Zähnen legte ich noch mehr Tempo zu. Herunterhängende Äste schlugen mir ins Gesicht, doch ich bemerkte sie kaum. Im Nacken konnte ich fast den Atem des Mannes spüren. Was hatte ich ihm getan? Mein Blick trübte sich. Wütend schüttelte ich den Kopf, die Sicht klarte etwas auf. Wenn ich jetzt ohnmächtig würde, wäre alles verloren. Mit einem Satz sprang ich über einen verkohlten Baumstamm, doch es reichte nicht ganz und ein stechender Schmerz fuhr durch meine Wade. Aufhalten konnte er mich jedoch nicht.

    Der Mann war jetzt ganz nah. Noch zwei oder drei große Schritte, dann würde er ... Wie von Sinnen wich ich seitwärts aus. Dann konnte ich in der Ferne endlich unser Lagerfeuer erkennen. Hoffnung keimte in mir auf. Es musste einfach klappen! Noch gut dreihundert Meter. Warum wurde niemand auf mich aufmerksam? Ich wollte schreien, doch zwischen meinen gehetzten Atemzügen war nicht genug Zeit. Meine Lunge brannte förmlich, während die Rettung immer näher kam. Zweihundert Meter. Ich konnte es schaffen! Der Sprint meines Lebens, in Gedanken war ich schon in Sicherheit. Doch plötzlich schlug ich hart auf dem Boden auf. Mein Fuß musste irgendwo hängen geblieben sein. Kaum hatte ich das festgestellt, war er über mir. Jetzt schrie ich, doch es war zu spät.

    Keuchend schreckte ich hoch. Es dauerte mehrere Minuten, bis ich vollständig realisiert hatte, dass es nur ein Traum gewesen war. Diesmal. Stöhnend rappelte ich mich hoch und schlug die Zeltplane beiseite. Mein Kopf schmerzte und ich fühlte mich wie zertrampelt. Schnell band ich meine spröden, aber langen schwarzen Haare zu einem schlampigen Zopf, bevor ich durch den schmalen Ausgang kroch. Draußen hatte es aufgehört zu regnen, doch die Sonne war hinter den Dunstschleiern kaum zu sehen. Also alles wie immer. Stickig, grau, hoffnungslos. Ein klassischer Tag im 22. Jahrhundert. Während ich versuchte, meinen Albtraum zu vergessen, betrachtete ich die noch schwelenden Reste unseres gestrigen Feuers. Eigentlich lohnte es sich nicht, es wieder in Gang zu setzen, denn wir würden wahrscheinlich die Regenpause nutzen und weiterziehen. Außerdem gab es auch nichts zu braten oder aufzuwärmen – unsere Vorräte waren erschöpft.

    Ich versuchte, auch darüber nicht weiter nachzudenken und ließ meinen Blick schweifen. Es musste noch früh sein, denn außer der derzeitigen Wache war niemand zu entdecken. Angelo war um die vierzig und eigentlich ganz in Ordnung. Er war mittelgroß, hatte kurzes, blondes Haar und durch einen Jagdunfall eine lange Narbe auf dem Arm. Zwar war ich nicht mit ihm verwandt, aber er gehörte seit ein paar Jahren zu unserem Clan. Wir hatten ihn in einer Ruinenstadt im Norden aufgegabelt, er hatte uns damals gewissermaßen das Leben gerettet.

    Angeblich hatte er sich vorher zusammen mit seiner Hündin Maja alleine durchgeschlagen, aber ich wüsste nicht, wie er das hätte schaffen können. Die Welt hatte sich verändert in den letzten Jahren, sehr verändert. Wir versuchten, als Jäger und Sammler zu überleben, doch immer wieder schwebten wir bei diesem Versuch aufs Neue in Lebensgefahr. Und ich war es sowas von leid. Leben um zu Überleben – wozu?

    Angelo redete nie über die Zeit vor unserer Begegnung und ich fragte nicht. Zum Dank für seine Hilfe hatten wir ihn aufgenommen, denn zwei weitere arbeitende und jagende Hände konnten wir gut gebrauchen. Normalerweise kam es so gut wie nie vor, dass Menschen die Clans wechselten oder sich zwei zusammenschlossen, da es für beide Seiten ein unkalkulierbares Risiko darstellte. Doch Angelo hätte uns wohl kaum geholfen, um uns hinterher umzubringen. Bisher war er Gold wert gewesen.

    „Morgen", murmelte ich.

    „Hey, Jady, begrüßte er mich. „Gut geschlafen?

    „Mhh, brummte ich. „Schlecht, wie immer. Seufzend setzte ich mich neben ihn. Kurz darauf knurrte mein Magen, na super. Er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, dass Hunger nun mal zum Alltag gehörte. Nicht, dass ich etwas gegen ein reichhaltiges Frühstück gehabt hätte, aber …

    „Wir haben nichts mehr, oder?", fragte ich leise. Seit mehreren Wochen war ich nicht mehr im Vorratszelt gewesen, weil es sonst wahrscheinlich mein letztes bisschen Hoffnung zerstört hätte.

    „Nein", antwortete er knapp.

    Nächste Frage, auch wenn die Antwort klar war. „Meinst du, wir brechen auf?"

    „Ja. Dein Vater wird es entscheiden, aber haben wir eine Option? Kein Essen, in zwei Zelten sind Löcher und das Wetter wird bald umschlagen. Natürlich, es lag ja auf der Hand. Aber Angelo war noch nicht fertig. „Es sieht nicht gut aus. Wir werden uns in eine Stadt wagen müssen.

    Das hatte ich ebenfalls versucht auszublenden. Aber ich wusste, dass wir keine Wahl hatten, auch wenn ich es nicht glauben wollte. Stadt oder sterben. Zwar war es erst Mitte August, aber durch den Klimawandel würde der Winter nicht lange auf sich warten lassen und den würden wir auch mit den schützenden Ruinen nur schwer überstehen. Ich hasste diese Jahreszeit. In den letzten Jahren waren wir immer mit einem blauen Auge davongekommen, aber unser Glück konnte sich schnell zum Schlechten wenden.

    In diesem Moment öffnete sich ein weiteres Zelt und wie ein Blitz schoss Maja auf mich zu. Mittlerweile war ich beinahe sechzehn Jahre alt und hatte niemanden gleichaltrigen, mit dem ich vernünftig reden konnte. Meine einzige Gefährtin war Maja geworden. Die Hündin war überwiegend schwarz, hatte weiße Pfoten und Ohrspitzen sowie einige andere Tupfer. Schwanzwedelnd schleckte sie mir über die Stirn, jetzt war ich endgültig wach.

    „Hey, Süße", meinte ich. Nachdem sie auch meine Ohren gewaschen hatte, ließ sie von mir ab und Angelo musste die gleiche Prozedur über sich ergehen lassen. Eigentlich konnte er das gar nicht leiden, aber er hatte es immer äußerst schwer, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.

    Mit einem schwachen Grinsen drehte ich mich zu meinem Vater Mike, der nun auf uns zukam. Er war groß, athletisch gebaut und ihn brachte so schnell nichts durcheinander. Außerdem war er der Chief unserer Gruppe, denn er war der geborene Anführer. Für mich war er wie ein Fels in der Brandung und ich wüsste ehrlich gesagt nicht, was ich ohne ihn machen sollte. Sein Lebensmut und seine Entschlossenheit, unserem Schicksal zu trotzen, färbten auf mich ab. Auch, wenn ich den Sinn unseres verdammten Lebens noch nicht einmal annähernd verstanden hatte. Immerhin sprach so einiges gegen uns und unser Schicksal.

    „Moin, gähnte er. „Irgendwas Interessantes?

    „Nee, kam es sofort von Angelo. „Wird Zeit, dass wir weiterziehen. Der Regen hat aufgehört.

    „Finde ich auch. Die Nächte werden immer kälter … Da wir gerade in der Nähe der Hauptstadt sind, sollten wir langsam diese Richtung einschlagen. Ich fürchte, der erste richtig harte Sturm wird bald aufziehen."

    Auch wenn mir klar gewesen war, dass es so kommen würde, rieselte mir diese Aussicht wie kaltes Wasser den Rücken herunter. Mein Vater sah mich forschend an. Da er wusste, was damals passiert war, konnte er wohl das in mir herrschende Durcheinander erahnen. „Ich wecke die anderen", seufzte ich schnell und stand auf.

    „Mach das! Je schneller wir loskommen, desto besser."

    Insgesamt besaßen wir sechs Zelte und den Unterstand für die Vorräte. Meins war mit Abstand das Kleinste, aber dafür hatte ich es für mich allein. Auf die anderen fünf teilte sich der Rest unseres Clans auf: mein Vater, meine Großmutter, die ehemaligen Nachbarn meiner Eltern, mein fünfjähriger Cousin Luca mit Eltern und die Leóns, eine Familie aus der Hauptstadt. Naja, eigentlich hatte Deutschland seit dem schwarzen Jahr keine offizielle Hauptstadt mehr, aber die Ruinen waren noch da und als Orientierungspunkt nannten sie alle weiterhin so.

    Nachdem ich den Gong geläutet hatte, welcher als Signalton und Weckruf diente, beschloss ich, einfach nachzugucken. Es war eh egal. Hier im Nirgendwo konnte man sich relativ sicher sein, morgens wieder aufzuwachen, solange man nicht verhungerte. In der Hauptstadt dagegen würde es anders sein. Clans lebten von einem Tag zum anderen. Nie wusste man, ob man die Augen am nächsten Morgen wieder öffnen würde, denn die Gangs herrschten. Ganz einfach. Jetzt musste ich wissen, was wir zu bieten hatten.

    So gut wie nichts, wie ich kurz darauf feststellen musste. Ein paar Wurzeln hatten wir, es war noch niemand hungrig genug gewesen, die zähen Teile zu essen. Auch unser materieller Besitz neigte sich dem Ende zu – kein Flickzeug, nur ein paar Signalraketen, Töpfe und Kleinkram. Als mir die Tragweite dieser Entdeckung bewusst wurde, durchfuhr mich ein eisiger Blitz. Schwankend hielt ich mich an einem Pfosten des kleinen Unterstandes fest. Klar, jede Person hatte noch ihre Waffen und persönliche Besitztümer, aber was war das schon?

    Maja riss mich aus meinem Schockzustand, indem sie meine Hand abschleckte. Schwanzwedelnd lief sie auf den Behälter mit den Wurzeln zu. Auffordernd schaute sie mich an. Klar, sie hatte auch Hunger. Ich musste trotz allem grinsen. „Da hat garantiert keiner was dagegen."

    Während ich ihr beim Fressen zusah, musste ich daran denken, wie wir ihr und Angelo vor fünf Jahren begegnet waren. Damals hatte ich in einer Art Sinneskrise gesteckt. Die Hündin hatte eine Verletzung an der Pfote gehabt, ich pflegte sie zusammen mit Angelo gesund. Die Verbundenheit mit dem leidenden Tier hatte mir komischerweise geholfen, einen Teil meiner eigenen Probleme abzuschütteln. Seitdem waren Maja und ich unzertrennlich. In den letzten Jahren hatte sich die quirlige Hündin als sehr zäh erwiesen und war jetzt eine treue Begleiterin ihres „Rudels". Zwar fraß sie uns auch noch die letzten Haare vom Kopf, aber sie hatte sich in unsere Herzen geschlichen. Außerdem waren ihre Qualitäten als Wachhund unersetzbar.

    Mit einem Blick nach draußen stellte ich fest, dass mittlerweile alle wach waren und sich um die Feuerstelle sammelten. Schnell stand ich auf, um mich zu ihnen zu gesellen.

    Kurz darauf dauerte es nicht lange, bis ich meine wenigen Habseligkeiten zusammengepackt und sie in einen zerschlissenen Rucksack aus Stoffresten gesteckt hatte. Dann rollte ich mit geübten Handgriffen mein Zelt so klein wie möglich ein und band es mit den Schnüren zusammen. Niemand hatte widersprochen, als mein Vater dem Clan eben eröffnet hatte, dass wir in die Stadt ziehen würden. Die anderen hatten es wohl geahnt.

    Nachdem alle fertig waren, schnallte ich mir mein Gepäck auf den Rücken. Obwohl es nicht besonders schwer war, würde es mich beim Laufen wahrscheinlich das letzte bisschen Kraft kosten. Wenn wir unterwegs nichts zu essen finden würden, standen die Chancen schlecht, überhaupt in der Hauptstadt anzukommen. Chancen. Warum dachte ich über Chancen nach? Die Vergangenheit hatte schließlich gezeigt, dass man nicht in Prozenten denken sollte. Die Leute, die vor einhundert Jahren gelebt hatten, hätten wahrscheinlich auch nicht gedacht, dass eine Art Apokalypse innerhalb des nächsten Jahrhunderts eintreten und das gesamte Staatensystem zusammenbrechen würde. Seufzend beobachtete ich meinen Cousin, der als Einziger nichts zu tragen haben würde. Eher würden wir später ihn tragen müssen.

    Dann ging es los. Wir wanderten den ganzen Vormittag. Ich lief am Ende der Gruppe, da ich keine Lust hatte, mich mit irgendwem zu unterhalten. Langweilig war mir nicht, denn ich hatte genug damit zu tun, nicht schlappzumachen. Der Hunger tat weh, bohrte mir ein riesiges Loch in den Bauch. Geregnet hatte es in der letzten Zeit genug, also war zumindest unser Trinkwasservorrat fast voll. Regenwasser war überhaupt die einzige Flüssigkeit, die man noch einigermaßen gefahrlos zu sich nehmen konnte. Bäche und Tümpel hatten bräunliche bis rot-grünliche Farben und stanken wie die Pest.

    Irgendwann konnte ich nur noch ans Ausruhen denken. Pause, was für ein schönes Wort! Außerdem kamen wir immer langsamer voran. Auch die restlichen Clanmitglieder kämpften jetzt mit sich, schleppten sich regelrecht weiter. Es musste bereits gegen Mittag sein, doch wenn wir jetzt anhielten, würden wir womöglich für immer sitzenbleiben. Ich ahnte, worauf mein Vater hoffte und der Gedanke ließ mich immer weiter geradeaus stolpern. Schließlich war es Mikes Aufgabe, uns durchzubringen. Oft fragte ich mich, warum er so standhaft ums Überleben kämpfte. Ob er auch ohne seine Tochter weitermachen würde?

    Zusammen mit Angelo schleppte Mike an der Spitze bereits die Trage mit Luca. Lange hatte er nicht durchgehalten, der Arme. Ich hatte keine Ahnung, woher die beiden Männer die Energie nahmen, aber sie schafften es irgendwie. Leise unterhielten sie sich, doch ich verstand sie nicht. Schließlich hielten sie an. Erleichterung auf allen Gesichtern.

    „Seht ihr da vorne den Anfang des Waldes?, fragte mein Vater. Wirklich! Ich hatte die Bäume am Horizont vor Erschöpfung ganz übersehen. „Wenn wir es bis dorthin schaffen, finden wir vielleicht etwas zu essen. Und natürlich machen wir Pause, fuhr er fort. Nickende Köpfe, das sahen sie ein.

    Dann ging es weiter. Es wurde eine sehr anstrengende Zeit. Wir mussten aussehen wie Zombies, während wir durch die Ebene schwankten. Meine Muskeln brannten, die Kopfschmerzen von heute Morgen waren wieder da. Nur Maja lief frisch neben uns her, ab und zu verschwand sie schnuppernd im Gestrüpp. Die Wurzeln schienen ihren Magen gut gefüllt zu haben, aber vermutlich hoffte sie auch auf eine Maus, die sich eventuell zwischen ihre Pfoten verirrte.

    Mein Magen war leer, und mein Mund fühlte sich an wie Schmirgelpapier. Das Atmen fiel mir auch schwerer, die Luft schien dicker und staubiger zu werden. Kurz hielt ich an und nahm einen tiefen Zug aus meiner Flasche. Sie war aus zerknittertem Plastik, von der ursprünglichen Beschriftung war nur noch volv lesbar. Es fühlte sich gut an, das kalte Wasser die Kehle herunterfließen zu spüren. Danach bekam ich wieder ein bisschen besser Luft.

    Schließlich waren es noch etwa zwei Kilometer. Immer weiter, rief ich mir ins Gedächtnis. Einen Fuß vor den anderen setzen, gar nicht so schwer. Wahrscheinlich würde ich irgendwann einfach zusammenbrechen. Herzinfarkt oder so, ein schneller Tod. Verlockend …

    Aber mit einem Mal wollte ich nicht. Es war wie in meinem Traum. Auch wenn ich sonst keine große Lust zum Leben hatte (es lohnte sich schließlich nicht sonderlich), erwachte plötzlich mein Kampfgeist. Verdammt nochmal, ich konnte doch nichts dafür, dass es der Welt so schlecht ging. Ich hatte das gute Recht, wie meine Vorfahren in Frieden, Freiheit und Sorglosigkeit zu leben. Deshalb sah ich es einfach nicht ein, hier so würdelos umzufallen. Auch wenn es in der Zukunft nicht besser werden konnte, würde ich meinem so unfairen Schicksal nicht einfach seinen Willen geben. Und nach einer weiteren halben Stunde traten wir endlich zwischen die Bäume.

    Mein Vater blieb stehen und ich ließ mich und meine Sachen einfach an der Stelle hinfallen, an der ich gerade stand. Die anderen machten es ähnlich. Mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegend, gönnte ich mir noch ein paar Schlucke Wasser und versuchte, zu Atem zu kommen. Irgendwann wurde es besser. Während meine Sinne wieder schärfer wurden, sah ich in die Baumkronen. Verstaubtes Grün … Die hatten ja Blätter! Ich traute meinen Augen kaum, denn sonst kannte ich Bäume als verkohlte Baumstümpfe oder bestenfalls tote Gerippe mit ein paar verbliebenen Ästen. Es war sehr, sehr lange her, dass ich einem lebenden Objekt begegnet war.

    Bevor ich etwas sagen konnte, bemerkte mein Vater leise: „Es gibt noch Hoffnung, Leute. Die Natur lässt sich nicht so schnell unterkriegen, dies ist der beste Beweis. Wir Menschen waren echt bescheuert, aber jetzt sind wir mit unserer Umwelt wieder gleichgestellt. Mit der Zeit wird sich alles erholen, da bin ich mir fast sicher!"

    Ich setzte mich auf, um unsere neue Umgebung besser betrachten zu können. Hier unter den Baumkronen war es ziemlich düster. Hinter uns sah ich die Ebene durch den Waldrand schimmern, aber sie schien weit weg. Wie zwei verschiedene Welten. Wir befanden uns auf einer kleinen Lichtung, die durch die Baumkronen ein natürliches Dach hatte. In der anderen Richtung dominierte das Unterholz, besonders weit reichte die Sicht nicht. Dazwischen ragten Stämme auf, Nadelbäume und Laubbäume gemischt. Schmale Pfade schlängelten sich durch das Dickicht, ein sehr gutes Zeichen. Wenn die Spuren einigermaßen frisch waren, dann war das der Beweis, dass es hier Wild gab. Wild konnte man jagen – und essen! Hoffentlich war das Glück heute auf unserer Seite. Da sich Tiere am einfachsten im Wald fangen ließen, war das auch der Grund für unseren Gewaltmarsch zwischen die Bäume gewesen.

    Schließlich erhob sich mein Vater. Woher nahm er nur die Kraft? Genauso Angelo, die beiden sahen noch so frisch aus! Sicherlich würden sie zusammen losziehen, um ein paar Fallen aufzustellen und hoffentlich auch mit den Schleudern oder Bogen etwas zu erwischen.

    „Jady und Alex, sucht doch am besten schon mal ein bisschen trockenes Holz zusammen und macht Feuer. Schaden kann es nicht, sei es auch nur gegen die Kälte, wenn wir nichts fangen sollten. Aber ich bin guter Dinge. Ruht euch aus, aber haltet die Augen offen, falls es hier noch andere Zweibeiner geben sollte. Unwahrscheinlich, aber möglich. Wir sind in spätestens zwei Stunden zurück", verteilte Mike die Aufgaben. Dann verschwand er mit Angelo zwischen den Bäumen. Maja rannte ihnen hinterher.

    Ich gönnte mir eine halbe Stunde Pause, dann stand ich langsam auf und lehnte mein Gepäck gegen einen Stamm. Zertrampelt werden musste es schließlich nicht, egal, wie wertlos es sein mochte. Dann guckte ich in die Runde: Luca schlief inzwischen, seine Eltern hatten ebenfalls die Augen geschlossen. Mia, meine Großmutter, hatte sich ein paar Schritte von unserem Lagerplatz entfernt und nahm gerade einen Baum genauer in Augenschein. Alex erhob sich ebenfalls. Er war der Sohn der Leóns, die gerade in ihrem Gepäck kramten. Kurz begegneten sich unsere Blicke, doch ich presste meine Lippen fest zusammen und er sah hastig weg. Während Alex sich wortlos in die Richtung, in der mein Vater und Angelo verschwunden waren in den Wald schlug, ging ich entgegengesetzt auf die Suche. Das Ausruhen hatte gutgetan und die Aussicht auf gebratenes Fleisch ließ mich meine schmerzenden Füße fast vergessen.

    Der Regen der letzten Tage schien nur zum Teil auf den Waldboden durchgekommen zu sein, denn die Feuchtigkeit war trotz der schwülen Luft fast wieder abgetrocknet. Sehr gut, denn dadurch war es nicht schwer, einigermaßen dürres Holz zu finden. Kurze Zeit später hatten wir für ein kleines Feuer genug zusammen und schichteten es in der Mitte unserer kleinen Lichtung auf.

    Mia hatte einmal erzählt, dass Feuer früher mit Streichhölzern oder Feuerzeugen binnen Sekunden entzündet wurde, aber so einen Luxus hatten wir nicht. Daher musste ich mich mit zwei Feuersteinen begnügen, doch mit einem bisschen trockenen Gras und Reisig funktionierte es auch. Bald fraßen sich lodernde Flammen am Holz nach oben. Nachdem ich noch ein paar dickere Äste nachgelegt hatte, war Warten angesagt. Den Rest des Holzes ließen wir neben dem Feuer für später liegen. Normalerweise wäre ich jetzt Beeren, Pilze oder andere essbare Pflanzen suchen und sammeln gegangen, aber ich war so erschöpft, dass ich mich auf dem Boden zusammenrollte und kurze Zeit später einnickte. Ausnahmsweise träumte ich nichts und schlief wie eine Tote.

    Geweckt wurde ich von lautem Geschrei. Ich schlug die Augen auf und zuckte zusammen, als ich nur wenige Meter vor mir ein graues, zotteliges Geschöpf entdeckte. Es sah furchterregend aus, verklebt von Dreck und Eiter aus mehreren Wunden. In seinem Fell hingen Zweige und Blätter. Ich erstarrte, war plötzlich hellwach und konnte viel klarer denken. Um mich herum brüllten meine Gefährten, vermutlich um den Wolf, den ich erst jetzt erkannte, zu vertreiben. Ich nahm meinen Blick nicht von dem Tier und wusste auch so, dass die anderen sich langsam zurückzogen. Warum war ich nur so dicht am Unterholz eingeschlafen?! Meine Dummheit, aber das war jetzt unwichtig.

    Während mir diese Gedanken in Bruchteilen von Sekunden durch den Kopf gingen, drehte der Wolf sich vollends zu mir. Ein Schauer lief mir den Rücken herunter, als ich in seine irren Augen sah. Das war doch nicht normal, irgend-etwas stimmte mit ihm nicht – schließlich brannte in nur wenigen Metern Entfernung ein Feuer. Ja, das war es! Da meinen Mitstreitern außer dem Geschrei, vor dem dieses Biest genau wie vor uns Menschen eigentlich Angst haben müsste, anscheinend nichts einfiel, was mir helfen könnte, fasste ich einen Entschluss. Noch war dieses verrückte Tier weit genug entfernt.

    Ich ging vorsichtig in die Hocke, während der Wolf begann, einen Schritt in meine Richtung zu machen. Dann überlegte er sich es anders und setzte zum Sprung an. Das war gar nicht gut, aber auch egal, ich war schon hochgefedert und landete nach wenigen Schritten direkt neben unserem Lagerfeuer. Was für ein Glück, dass sich unter unserem Holz zum Nachlegen auch ein Ast befand, an dem noch trockene Blätter hingen! Schnell sprang ich auf und zog ihn einmal durch das Feuer. Sofort brannte er lichterloh und ich schwenkte ihn zwischen mich und den Wolf, der mittlerweile direkt vor mir stand.

    Aber dieses Vieh schien von Sinnen zu sein, es haute immer noch nicht ab! Es fixierte bloß den brennenden Ast und duckte sich knurrend. Doch in diesem Augenblick war der Wolf abgelenkt und vergaß genau wie ich alles um uns herum. Ausgerechnet Alex ließ ihm von hinten einen dicken Stein auf den Schädel fallen und der Wolf kippte bewusstlos um. Ich atmete tief ein, vor Anspannung hatte ich die Luft angehalten.

    „Danke", sagte ich und sah Alex kurz an. Mit seinen kurzen braunen Haaren, den hellbraunen Augen und dem sommerlichen Teint wirkte er oft unscheinbar, aber er konnte genauso den Draufgängertypen spielen. Hastig warf ich meinen Ast auf das Feuer. Endlich kehrte auf der kleinen Lichtung Ruhe ein, allen war der Schrei im Halse stecken geblieben.

    Mia fand die Sprache zuerst wieder: „Gott sei Dank", meinte sie und umarmte mich. Kurz darauf hörten wir Gekläff, dann stürzte Maja auf die Lichtung und mit einer kleinen Verzögerung auch Mike und Angelo, der ein kleines Reh auf der Schulter trug.

    Mein Vater setzte gerade an: „Was ist pass…", da fing Mia wieder an zu schreien.

    „Maja, brüllte sie. Diese hatte gerade an dem Wolf schnüffeln wollen und zuckte zusammen. Mit eingekniffenem Schwanz lief sie zu Großmutter. „Tut mir leid, Süße, flüsterte diese und streichelte den verunsicherten Hund. Erst an die beiden Männer, dann an uns alle gewandt fuhr sie fort: „Der Wolf da tauchte plötzlich auf und wollte Jady angreifen. Er war überhaupt nicht scheu, hatte weder Angst vor uns Menschen noch vor dem Feuer und unser Geschrei hat ihn auch nicht aus der Ruhe gebracht. Ich würde sagen, er hat Tollwut. Deshalb habe ich Maja zurückgepfiffen, denn sie kann sich genau wie wir anstecken. Und das wäre ein Todesurteil!"

    „Ich glaube auch, pflichtete ihr mein Vater bei. „Gut, dass du so schnell reagiert hast. Essen können wir ihn nicht. Er ist nur bewusstlos, oder?

    „Ja", antwortete Alex.

    Mike warf Angelo einen Blick zu. „Wir müssen ihn aus dem Lager schaffen. Mia, du kannst dich schon mal mit dem Reh beschäftigen, Alex, kümmere dich um das Feuer und Jady, setz dich hin und entspann dich. Ach, und noch was: Ich würde sagen, wir übernachten hier, es lohnt sich nicht, heute noch weiterzuziehen. Außerdem müssen wir es am ersten Tag mit der Strecke ja nicht gleich übertreiben."

    Während Alex das Feuer vergrößerte und ordentlich auflegte, lehnte ich mich an einen Baum und sah Mia dabei zu, wie sie mit flinken Fingern das Reh ausnahm. Wie lange hatte ich kein Fleisch mehr gegessen? Vielleicht hätte mir eher der Vorfall von eben keine Ruhe lassen sollen, aber irgendwie ließ mich die ganze Sache kalt. Wilde Tiere waren eine seltene Todesursache, ich hatte einfach Pech gehabt. Vor längerer Zeit dagegen hatte ich einmal unfreiwillig ein Gespräch zwischen meiner Großmutter und meinem Vater belauscht, bei dem es um meinen psychischen Zustand ging. Deshalb war ich froh, dass ich trotz des Schocks noch klar denken konnte und meine Instinkte genau wie mein Reaktionsvermögen funktionierten. Egal war mir auch, dass der Wolf jetzt mit umgedrehtem Hals irgendwo im Gebüsch lag, denn Mike und Angelo kamen gerade zurück.

    „Wie geht es dir?", fragte mein Vater und setzte sich neben mich.

    „Gut. Wie war die Jagd?", fragte ich zurück.

    „Wir haben ein paar

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