Mami 1780 – Familienroman: Er nannte es Vaterliebe
Von Torwegge Claudia
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"Mami, wo gehen denn die Sterne hin, wenn die Nacht vorbei ist?" Die kleine Amelie rieb sich schlaftrunken die Augen und sah, obwohl sie todmüde war, ihre Mutter erwartungsvoll an. Mami wußte einfach alles, und sie konnte auch immer so wunderschöne Geschichten erzählen. Nina Mertens, die am Bett der Kleinen saß, strich ihrer Tochter liebevoll eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. "Die Erde dreht sich, und wenn bei uns die Sonne aufgeht, dann wird es Nacht auf der anderen Seite der Welt. Dann scheinen dort die Sterne vom Himmel und auch der Mond", erklärte sie. Die junge Frau war eine hübsche, mädchenhafte Erscheinung, sehr schlank, sehr grazil, mit langen blonden Haaren und samtbraunen Augen. Ihre kleine Tochter Amelie sah ihr sehr ähnlich - nur, daß ihre Augen nicht braun wie die ihrer Mutter, sondern strahlend blau waren. "Aber nun schlaf schön, mein Liebling, es ist schon spät…" "Auf der anderen Seite der Welt - wohnt dort mein Vater?"
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Mami 1780 – Familienroman - Torwegge Claudia
Mami -1780-
Er nannte es Vaterliebe
Roman von Torwegge Claudia
»Mami, wo gehen denn die Sterne hin, wenn die Nacht vorbei ist?«
Die kleine Amelie rieb sich schlaftrunken die Augen und sah, obwohl sie todmüde war, ihre Mutter erwartungsvoll an. Mami wußte einfach alles, und sie konnte auch immer so wunderschöne Geschichten erzählen.
Nina Mertens, die am Bett der Kleinen saß, strich ihrer Tochter liebevoll eine blonde Haarsträhne aus der Stirn.
»Die Erde dreht sich, und wenn bei uns die Sonne aufgeht, dann wird es Nacht auf der anderen Seite der Welt. Dann scheinen dort die Sterne vom Himmel und auch der Mond«, erklärte sie. Die junge Frau war eine hübsche, mädchenhafte Erscheinung, sehr schlank, sehr grazil, mit langen blonden Haaren und samtbraunen Augen. Ihre kleine Tochter Amelie sah ihr sehr ähnlich – nur, daß ihre Augen nicht braun wie die ihrer Mutter, sondern strahlend blau waren. »Aber nun schlaf schön, mein Liebling, es ist schon spät…«
»Auf der anderen Seite der Welt – wohnt dort mein Vater?« fragte das Kind leise und stockend. Nina sah sie entgeistert an.
»Wer hat dir denn das erzählt?« fragte sie.
»Tante Meyer«, antwortete Amelie.
»Natürlich, Tante Meyer. Wer sonst«, sagte Nina ein wenig ärgerlich. Die redselige Frau Meyer, die im Erdgeschoß des Mietshauses wohnte, in dem sie lebten, steckte nur allzu gerne ihre Nase in anderer Leute Angelegenheiten, in Dinge, die sie nichts angingen. Und was es mit Amelies Vater auf sich hatte, das ging sie nun wahrhaftig nichts an. Andererseits war sie eine herzensgute Seele und sehr hilfsbereit. Sie paßte – gegen ein kleines Taschengeld – auf Amelie auf, während Nina im Büro eines Steuerberaters arbeitete. Sie holte sie nachmittags aus dem Kindergarten ab und ging manchmal auch mit ihr auf den Spielplatz. Tante Meyer war ein rührend guter Mensch, aber sie wußte alles besser und war schrecklich neugierig.
Und wo Amelies Vater sich aufhielt – so dachte Nina – darüber sollte sich die alte Dame nun wahrhaftig keine Gedanken machen.
Nina unterdrückte einen Seufzer. Nicht einmal sie wußte, wohin das Schicksal ihn verschlagen hatte.
»Tante Meyer hat gesagt, er könnte mir ruhig mal eine Ansichtskarte schreiben von dort, wo er ist«, sagte Amelie und kuschelte sich in ihr Kopfkissen. »Ist er weit weg, Mami?«
»Er ist wahrscheinlich irgendwo im Urwald, und dort gibt es keine Post«, entgegnete Nina ein wenig heftiger, als es eigentlich ihre Art war. Aber Ulfs spurloses Verschwinden war etwas, was sie bis heute noch nicht verwunden hatte. Er war eines Tages aus ihrem Leben verschwunden, und sie hatte seither nichts, nichts mehr von ihm gehört. Nach einem heftigen Streit war er von ihr weggegangen und hatte nie mehr etwas von sich hören lassen. Er wußte nicht einmal, daß er ein Kind hatte, eine Tochter, die nun inzwischen fast fünf Jahre alt war.
Es war nicht so, daß er von einem Tag zum anderen verschwunden ist, dachte sie voll Bitterkeit. Wir hatten schon vorher öfters mal eine kleine Auseinandersetzung oder auch einen Streit. Das war, weil wir uns fremd geworden, weil unsere Gefühle füreinander abgekühlt sind, die Liebe erloschen ist – und heute weiß ich auch, wieso. Er hat damals eine andere Frau kennengelernt, eine, die interessanter, schicker und hübscher war als ich und die ihm etwas bieten konnte. Ich war ihm gleichgültig geworden, schrecklich gleichgültig.«
Nina und er hatten sich auf einem Faschingsfest kennengelernt – sie, die kleine Sekretärin, und er, der junge Arzt mit den hochfliegenden Plänen von einer ehrgeizigen Karriere. Auf seltene Tropenkrankheiten wollte er sich spezialisieren und hatte schon einen längeren Aufenthalt in den Tropen geplant.
Sie waren bald unzertrennlich gewesen, hatten jede freie Minute miteinander verbracht. Sie planten ein gemeinsames Leben, und Ulf hatte sogar Aussicht auf eine eigene, gutgehende Arztpraxis. Ninas Onkel, der eine große Praxis auf dem Lande hatte, wollte sich bald zur Ruhe setzen und suchte nach einem passenden Nachfolger. Doch das entsprach ganz und gar nicht Ulfs Vorstellungen. Nina jedoch machte die Hoffnung auf ein ruhiges Leben auf dem Land unsagbar glücklich. Sie liebte die zauberhafte Gegend, mochte das kleine Städtchen gern, in dem ihr Onkel lebte und hatte dort manch schöne Ferien verbracht. Die Menschen waren freundlich, und sie hatte viele Bekannte und Freunde. Es wäre wunderbar, so dachte sie, dort zu leben und mit Ulf zusammen in der Praxis arbeiten zu können. Er hätte sich um die Patienten und sie sich um die anfallenden Schreibarbeiten und den Praxisbetrieb kümmern können. Sie malte Ulf die Zukunft in den leuchtendsten Farben aus und wunderte sich, daß er nicht genau so begeistert war wie sie.
Immer wieder vertröstete er sie mit Ausflüchten und allerhand Ausreden, wollte sich nicht festlegen.
Er wartete auf seine große Chance, und die kam dann auch. Ulfs Professor bezog seinen ehrgeizigen, begabten Schüler in ein riesiges Forschungsprojekt mit ein. Das bedeutete natürlich anstrengende, langwierige Forschungsarbeit und Auslandsaufenthalte. Am Ende aber winkte wissenschaftliche Anerkennung, eine Professur und wahrscheinlich auch noch ein gutbezahlter Posten in der Pharma-Industrie. Ulf war begeistert und fühlte sich – im Gegensatz zu Nina – am Ziel all seiner Erwartungen.
Und dann gab es da noch etwas, das ihn in seinen Plänen bestärkte und was Nina nicht wußte: die Tochter seines Professors. Yvonne war eine bildschöne, kapriziöse, junge Frau. Sie waren schon einige Male miteinander ausgegangen, und Ulf war von ihr fasziniert. Sie sah nicht nur hinreißend aus, wußte auch interessant zu plaudern, war gewandt im gesellschaftlichen Umgang und hatte tausend einflußreiche Freunde. Sie war eine erfolgreiche Golf- und Tennisspielerin und besaß ein edles Reitpferd. Sie spielte mit Ulf Tennis, ritt mit ihm aus. Es schmeichelte dem jungen Mann, daß Yvonne ihn bei allen möglichen Gelegenheiten so offensichtlich bevorzugte, daß sie ihm zu verstehen gab, daß er ihr gut gefiel.
Yvonne und er? Eine bessere Verbindung konnte man sich gar nicht vorstellen. Nicht nur, daß Yvonne einfach eine tolle Frau war, temperamentvoll, schön, charmant und von sportlicher Eleganz, gewandt im Umgang mit Menschen. Nein, sie war dazu auch noch genau das, was er sich unter einer Lebensgefährtin vorstellte – eine Frau, die seiner Karriere nützlich sein würde, die ihm aufgrund ihrer Beziehungen viele Türen öffnen konnte. Es dauerte nicht lange, da wurden sie überall, wo man gesehen werden mußte – auf Partys, auf wichtigen Veranstaltungen, auf großen Festen und Kongressen – zusammen gesehen. Für Ulf gab es nur noch Yvonne und noch einmal Yvonne – er war von dieser Frau hingerissen. In Fachkreisen galt er schon als der zukünftige Schwiegersohn des Professors und wurde dementsprechend hofiert. Nina war vergessen.
Nina ahnte von alldem nichts. Sie wunderte sich zwar über seine Kühle, seine häufigen Ausreden, wenn er wieder einmal eine Verabredung platzen ließ. Sie suchte die Schuld bei sich, denn die beginnende Schwangerschaft – die sie Ulf noch nicht gebeichtet hatte – machte sie müde und reizbar. Sie hatten öfter Streit und kleine Auseinandersetzungen. Sie warf ihm vor, daß er zu wenig Zeit für sie habe, sich nicht um sie kümmere und daß er viel mehr mit seinen Kollegen und auch mit der Tochter seines Professors zusammen sei als mit ihr. Er beschuldigte sie, kleinkariert, grundlos eifersüchtig und spießig zu sein. Immer wieder versuchte sie, sein Verhalten mit der vielen Arbeit wegen des Projektes, an dem er vorgab zu arbeiten, zu entschuldigen. Immer noch – so erzählte er ihr – plane er einen längeren Tropenaufenthalt, und die Vorbereitungen dafür kosteten eben viel, viel Zeit. Er machte ihr Vorwürfe, daß sie seiner wissenschaftlichen Karriere im Weg stehe. Hatte er sich nicht schon vor langer Zeit vorgenommen, noch bevor sie sich kennenlernten, entweder für zwei oder drei Jahre in die Tropen zu gehen, um seltene Tropenkrankheiten an Ort und Stelle zu erforschen, oder sich um eine Anstellung an einer der großen Universitäts-Kliniken in