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SCHREI VOR DER TÜR: Der Krimi-Klassiker!
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eBook263 Seiten3 Stunden

SCHREI VOR DER TÜR: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Nebelnacht in London...

In einer einsamen Straße im Hafenviertel zerreißt der verzweifelte Schrei einer Frau die Stille.

Als die Reporterin Lorna West und ihr Verlobter Andrew Ferguson dort auftauchen, ist jedoch niemand zu sehen. Nur rote Flecken auf dem Pflaster: Blut!

Die Spur verliert sich im Nebel. Sie gehen ihr nach. Bis zu einem versteckten Winkel in einer finsteren Gasse. Und dort...

Der Roman Schrei vor der Tür von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1965; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1966.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum23. Nov. 2020
ISBN9783748765547
SCHREI VOR DER TÜR: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    SCHREI VOR DER TÜR - Victor Gunn

    Das Buch

    Nebelnacht in London...

    In einer einsamen Straße im Hafenviertel zerreißt der verzweifelte Schrei einer Frau die Stille.

    Als die Reporterin Lorna West und ihr Verlobter Andrew Ferguson dort auftauchen, ist jedoch niemand zu sehen. Nur rote Flecken auf dem Pflaster: Blut!

    Die Spur verliert sich im Nebel. Sie gehen ihr nach. Bis zu einem versteckten Winkel in einer finsteren Gasse. Und dort...

    Der Roman Schrei vor der Tür von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1965; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1966.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    SCHREI VOR DER TÜR

    Erstes Kapitel

    »Es ist Blut - frisches, feuchtes Blut!«

    Die Stimme des Mädchens, von Natur sonst weich und wohlklingend, klang rau vor Entsetzen. Ihre schmale, behandschuhte Hand klammerte sich an den Arm ihres Begleiters.

    »Ruhig, Lorna! Blut? Du musst dich irren.« Der junge Mann sprach nervös. »Der Teufel hol’ diesen Nebel! Du bist sicher bloß in irgendeiner Pfütze hier ausgeglitten.«

    »Nein, es ist keine gewöhnliche Pfütze«, unterbrach ihn das Mädchen erregt. »Es ist ganz nass und glitschig. Oh, Andrew, wie schrecklich!«

    Mit einem ungeduldig gemurmelten Ausruf zog Andrew Ferguson eine Taschenlampe aus seiner Manteltasche und richtete ihren Strahl auf den Bürgersteig.

    Ein eisiger Schreck durchfuhr ihn, als er auf eine Blutlache hinunterstarrte. Das Blut war noch nicht geronnen, ein Beweis, dass es erst vor wenigen Minuten vergossen worden war.

    »Mein Gott!«, entfuhr es Andrew. »Jemand muss eine Kugel abbekommen haben, kein Zweifel.«

    Er blickte sich beunruhigt um, während er Lorna ein bisschen näher zu sich zog. Es war nichts zu sehen, außer den wirbelnden, brodelnden Nebelschwaden im Lichtstrahl seiner Taschenlampe. Bei diesem Wetter machte die String Lane in Stepney einen wenig erfreulichen Eindruck. Selbst bei schönstem Sonnenschein war sie schon eine hässliche, verrufene Seitengasse im Londoner Osten.

    Was hatten diese beiden jungen Leute in einer solchen Gegend zu suchen? Was führte Lorna West, eine junge Journalistin, und den Ingenieur Andrew Ferguson um acht Uhr eines nebligen Oktoberabends durch diese verrufene Straße?

    Ihr Verlobter war von Anfang an gegen dieses Unternehmen gewesen; aber Lorna war ein eigenwilliges Mädchen, das genau wusste, was es wollte, und entschlossen war, seinen Willen durchzusetzen.

    Sie waren mit seinem Wagen von Streatham, wo Andrew mit seinen Eltern in einem geräumigen Haus wohnte, losgefahren. Schon bald nach ihrem Start hatte sich der Nebel in einem Maß verdichtet, dass Andrew beschloss, die ganze Sache abzublasen. Der Verkehr war mehr oder weniger zu einem Stillstand gelangt.

    »Du siehst selbst, Lorna, es hat keinen Sinn«, erklärte er ohne Umschweife. »Mit diesem Tempo werden wir nie ankommen. Es ist ohnehin ein verrückter Einfall von dir. Dieser Nebel gibt den Ausschlag.«

    »Wieso denn? Es ist noch nicht einmal sieben, und ich brauche erst um acht dort zu sein. Bis dahin schaffen wir es noch leicht.«

    »Mein lieber Dickkopf...«

    Der junge Mann unterdrückte sein impulsives schottisches Temperament und schwieg einen Moment. So sehr er Lorna liebte - und er liebte sie mehr als irgendetwas auf Erden - so sehr hing er auch an seinem Wagen, in dem sie nun saßen. Es war sein eigener Pratt-Ferguson-Spezial, ein grandioses Ding mit leistungsfähigem Motor und einer schnittigen Karosserie, ein ganz persönliches Produkt seines Geistes. Einen solchen Wagen in dem immer undurchdringlicher werdenden Nebel zu riskieren, grenzte, seiner Meinung nach, einfach an Wahnsinn.

    Er fing noch einmal von vorne an: »Wenn du erst um acht dort eintreffen musst, dann bleibt uns noch massenhaft Zeit, die Sache in aller Ruhe zu besprechen. Du bist so verflixt ungeduldig, Liebling! Kommst angerannt und überredest mich, Hals über Kopf nach Stepney zu fahren. Dabei habe ich nicht die entfernteste Ahnung, worum sich das Ganze dreht. Was ist das eigentlich für eine Verabredung, von der du dauernd sprichst?«

    »Ach, Andrew, ich hab’ dir doch schon alles erklärt!«, sagte das Mädchen ungeduldig. »Fürchtest du dich vor ein bisschen Nebel? Du, ein berühmter Rennfahrer? - Wenn wir hier herumsitzen, kommen wir natürlich nie irgendwo an...«

    »Na, wenigstens sind wir nun von der Hauptverkehrsstraße weg«, unterbrach sie Andrew. »Der Verkehr ist zwar überall so gut wie gelähmt. Der Nebel wird von Minute zu Minute schlimmer.«

    Er suchte nach seinen Zigaretten, hielt Lorna das Päckchen hin und zündete sich eine an, nachdem sie abgelehnt hatte. Dann betrachtete er sie in dem gedämpften Schein, der vom Schaltbrett ausging. Ihr leidenschaftliches, schön geformtes Gesicht, mit diesem lebhaften Ausdruck, der so charakteristisch für sie war, verfehlte nie seine Wirkung auf ihn. Wieder einmal - wohl zum tausendsten Mal - dachte Andrew, dass er mit dem hübschesten Mädchen der Welt verlobt war, und, wie schon so oft, überfiel ihn eine seltsame Scheu bei dem Gedanken, dass sie sich aus so einem Durchschnittstyp wie ihm etwas machen sollte.

    Er konnte ihre dunklen Locken über den wohlgeformten Ohren sehen, ihr reizvolles Profit und das Wissen über ihre gegenseitige Vertrautheit erfüllten ihn mit einem warmen Gefühl des Glücks.

    »Die ganze Geschichte ist absolut simpel«, sagte sie. »Ich habe mit einem Redakteur vereinbart, eine Artikelserie über den Alltag in Stepney und Wapping und in der Hafengegend ganz allgemein zu schreiben.«

    »Warum?«, fragte Andrew nüchtern.

    »Wir wollen es einmal vom Gesichtswinkel der Frau aus bringen«, setzte ihm Lorna auseinander. »Aber wie soll ich den bekommen, wenn ich nicht für eine Weile hier lebe? Ich möchte alles mit eigenen Augen sehen.«

    Sie redete voller Begeisterung. Als freiberufliche Journalistin mit einiger Erfahrung war Lorna immer begierig, neue Gebiete zu erforschen. Sie war an keine Zeitschrift vertraglich gebunden, aber ein gewisser Redakteur interessierte sich im Augenblick stark für einen Vorschlag, den sie ihm unterbreitet hatte. Ganz abgesehen von der recht einträglichen finanziellen Seite dieser Vereinbarung, hing auch Lornas beruflicher Ehrgeiz an dieser Idee.

    »Und was hat das mit deiner Verabredung zu tun?«

    »Ich will Mrs. Dowsett aufsuchen. Vor ein paar Tagen gab ich in zwei Tageszeitungen Anzeigen auf, um hier in der Gegend eine passende Unterkunft zu finden. Eine der Zuschriften, die ich erhielt, kam von Mrs. Dowsett«, erklärte ihm Lorna, sichtlich bemüht, nicht die Geduld zu verlieren. »Ich hatte den Eindruck, dass ihr Angebot das richtige für mich ist. Sie bewohnt eine recht komfortable Wohnung und ist bereit, sie mit mir zu teilen, solange ich will. Und es würde mich nur fünf Pfund pro Woche kosten.«

    »Das scheint mir ziemlich teuer zu sein«, wandte Andrew mit echt schottischer Vorsicht ein.

    »Unsinn! Das ist billig«, beharrte Lorna.

    »Woher willst du das wissen? Vielleicht ist es irgendein schmutziges Loch in einer üblen Hintergasse...«

    »...weshalb wir, mein lieber, armer Dummkopf, nach Stepney fahren und uns die Wohnung ansehen«, beendete Lorna gereizt. »Ich bin nicht ganz so naiv, dass ich Mrs. Dowsetts Angebot unbesehen annehme. Wir haben uns heute zur Lunchzeit recht nett in einem Restaurant unterhalten...«

    »Oh, du hast diese Frau bereits getroffen?«

    »Natürlich hab’ ich das. Sie ist überraschend nett - ein bisschen zu stark aufgeputzt vielleicht, ein wenig zu viel Make-up, aber das stört mich nicht. Sie hat mir gleich angeboten, sie Millie zu nennen.«

    »Du lieber Himmel!«

    »Was ist denn falsch daran? Millie ist ein hübscher Name. Wir haben uns für heute Abend verabredet. Ich versprach, um acht Uhr bei ihr zu sein, so dass sie mir die Wohnung zeigen kann. Andrew, du musst doch verstehen, dass ich sie nun nicht versetzen kann! Ich glaube, sie braucht das Geld.«

    »Das mag ja sein, aber sie wird gewiss begreifen, dass du bei diesem Nebel nicht kommen kannst«, protestierte er. »Schau dich doch um, Mädchen! Dick wie Bohnensuppe! Es geht einfach nicht, Lorna.«

    Lorna spähte durch die beschlagene Windschutzscheibe.

    »Es ist wirklich ein bisschen viel«, gab sie zu. »Was für ein Pech, dass es gerade heute Abend so neblig sein muss!«

    »Kannst du die Frau nicht anrufen?«

    »Ich weiß nicht. Sie sagte nichts davon«, antwortete Lorna und biss sich auf die Lippen. »Das habe ich vergessen, sie zu fragen. Komm schon, Andrew - lass uns weiterfahren.«

    »Schau, Lorna, sei vernünftig, gib es auf!«, drängte er. »Ich bin in jedem Fall ganz und gar gegen diese verrückte Idee von dir. Der Gedanke, dass du hier in diesem finsteren Viertel leben willst, ist mir einfach unerträglich. Wapping! Stepney, Shadwell! Die übelste Gegend im Londoner Osten. Weiß Gott, was einem hübschen Mädchen wie dir hier alles zustoßen kann!«

    Sie lachte leichtherzig.

    »Hör mal, Andrew, glaubst du eigentlich, wir leben immer noch im vorigen Jahrhundert? Was für eine Vorstellung hast du bloß? Dunkle Hintergassen mit Gaslaternen und Straßenräuber hinter jeder Ecke? Der Londoner Osten ist heutzutage absolut respektabel.«

    »Woher willst du das wissen?«, widersprach er heftig. »Das glaubst du bloß, mein Kind. Ich wiederhole dir, mir gefällt die Idee nicht, dass du...«

    Er brach ab, weil ihm seine Vernunft sagte, dass jeder weitere Protest von seiner Seite sie nur noch widerspenstiger machen würde. In den zwölf Monaten, die er sie kannte, war ihm klargeworden, dass Lorna nicht nur ein Mädchen mit durchaus eigenen Ansichten war, sondern überdurchschnittliche Intelligenz und Unternehmungsgeist besaß. Eine sprühende, kraftvolle Elektrizität lag ihrer Persönlichkeit zugrunde, für die er große Bewunderung hegte. Manchmal, um ganz ehrlich zu sein, hatte er sogar ein bisschen Angst vor ihr.

    »Wir verschwenden nur Zeit, wenn wir hier herumsitzen und warten«, fuhr Lorna fort. »Ich gebe dir recht, was den Nebel betrifft. Er wird immer schlimmer. Es hat keinen Sinn weiterzufahren. Glücklicherweise befindet sich der Bahnhof Streatham Hill direkt dort über der Straße.«

    »Was ist das nun wieder für ein Vorschlag?«

    »Du kannst doch deinen Wagen hier stehenlassen, nicht wahr?«, fragte sie. »Wir brauchen nur den Zug zum Victoria-Bahnhof zu nehmen und

    dort in die U-Bahn umzusteigen. Ihr kann der Nebel nichts anhaben. Es gibt eine Station in Stepney, und von dort ist es nicht mehr weit zur String Lane, wo Millie Dowsett wohnt.«

    »Du meine Güte, es ist dir also ernst?«

    »Natürlich ist es mir ernst damit!«

    »Schieb doch die ganze Geschichte noch ein bisschen auf!«, bat er. »Ich bin sicher, dass der Eisenbahnverkehr durch diesen Nebel völlig durcheinandergeraten ist.«

    »Nicht die U-Bahn. Nebel kann ihr nichts anhaben«, beharrte Lorna. »Auch wenn die Eisenbahn ein bisschen Verspätung haben wird, schadet das nichts.«

    Er sah ein, dass keinerlei Aussicht für ihn bestand, sie umzustimmen, und ihm nichts übrigblieb, als nachzugeben. Der Gedanke, seinen heißgeliebten Wagen an einem solchen Ort einfach stehenzulassen, war ihm ungemein zuwider. Selbst, dass er sich hier sicher außerhalb des Straßenverkehrs befand und seine Türen mit Spezialsicherheitsschlössern und das Steuer mit einem Lenkradschloss versehen waren, bedeutete für ihn keinen Trost.

    Kurz danach, als er feststellen musste, dass der Zug zum Victoria-Bahnhof pünktlich auf die Minute abfuhr, als existierte der Nebel überhaupt nicht, verschlechterte sich seine Laune noch um ein beträchtliches. Aber er versagte sich jeglichen Kommentar, und Lorna begnügte sich mit einem mutwilligen Zwinkern.

    Sie trafen ohne Verspätung am Victoria-Bahnhof ein und wechselten von dort zur U-Bahn über.

    Nun waren sie hier in Stepney, eingehüllt vom dichten Nebel und mit einer Blutlache zu ihren Füßen.

    »Was kann bloß passiert sein?«, fragte Lorna mit nicht ganz sicherer Stimme. »Schau, dort sind noch mehr Blutflecken am Bürgersteig!«

    »Was auch immer passiert ist, Lorna, es muss gerade ein oder zwei Minuten, bevor wir hier aufkreuzten, geschehen sein. Das Blut ist ganz frisch«, flüsterte er. »Wo sind wir eigentlich? Wie weit ist es noch zu der Wohnung dieser Frau?«

    »Ich weiß es nicht genau, aber jedenfalls befinden wir uns schon in der String Lane. Ich sah das Straßenschild an der Ecke, als wir von der Hauptstraße abbogen. Mrs. Dowsetts Wohnung muss ganz in der Nähe sein.« Ihre Stimme hob sich ein wenig. »Was spielt das jetzt für eine Rolle? Jemand ist gefährlich verletzt worden. Es muss sich ein Unfall ereignet haben.«

    »Kein Verkehrsunfall; denn hier gibt es keinen Verkehr.« Andrew war sichtlich beunruhigt. »Außerdem ist die Blutlache auf dem Bürgersteig, ganz nah an diesem alten Hauseingang.« Er hob seine Taschenlampe und leuchtete einen verwahrlosten Hauseingang mit zwei oder drei abgetretenen Stufen davor an. »Auf den Stufen ist kein Blut.«

    Alle seine früheren bösen Ahnungen überfielen ihn nun wieder mit doppelter Kraft. Es reizte ihn zu sagen: Der Londoner Osten ist heutzutage eine absolut respektable Gegend, nicht wahr? Doch er unterdrückte den Impuls. Es war überflüssig, es Lorna noch extra unter die Nase zu reiben.

    Während des kurzen Schweigens, das folgte, wurde er sich plötzlich der völligen Stille ihrer Umgebung bewusst. Der Nebel verschluckte jeden Laut. Es war, als seien er und Lorna die einzigen Menschen im Umkreis von Meilen. Nicht einmal der Lärm des Verkehrs drang von der Hauptstraße bis hierher. Nichts als die nasskalte, einhüllende Stille des Nebels...

    »Wie kann ein Mann nur so viel Blut verlieren?«, fragte Lorna, unwillkürlich flüsternd. »Meinst du, es stammt von einer Stichwunde? Das scheint noch das Nächstliegende zu sein... Ach, du lieber Himmel, wer weiß, ob wir nicht einen ganzen Schauerroman wegen nichts erfinden? Vermutlich kommt das alles auf ein starkes Nasenbluten hinaus...«

    »Nein, Lorna. Nasenbluten hinterlässt hier und dort einen Tropfen - wenn überhaupt etwas«, widersprach Andrew. »Jeder Mensch mit Nasenbluten benutzt als erstes sein Taschentuch. Hier handelt es sich um eine viel gefährlichere Sache.«

    Er machte ein paar Schritte und blieb dann stehen. Was er nun sah, bestätigte seinen früheren Verdacht. Blutflecken, große, feucht schimmernde Blutflecken in ziemlich regelmäßigen Abständen waren auf dem holprigen Pflaster des Bürgersteigs zu erkennen. Während Andrew der Spur folgte, den Strahl seiner Taschenlampe nach unten gerichtet, wurde ihm klar, was sich ereignet hatte.

    »Dort, nahe bei diesem alten Hauseingang, fand der Überfall statt«, sagte er sachlich. »Dabei muss der arme Kerl das Blut verloren haben. Doch er war noch nicht erledigt, er schaffte es wegzugehen, und während er ging, blutete er ununterbrochen weiter.«

    »Glaubst du das wegen dieser Blutflecken, Andrew?«, fragte Lorna mit einem unterdrückten Schaudern. »Dann kann er noch nicht weit gekommen sein; wenn wir uns beeilen, holen wir ihn sicher ein. Der Arme braucht schnellstens Hilfe.«

    Andrew, mit seinem Vorurteil gegen diese Stadtgegend, war innerlich überzeugt, dass eine Messerstecherei zwischen irgendwelchen Verbrecherbanden stattgefunden haben musste. Es mochte immer noch gefährlich sein für ihn und Lorna, sich hier aufzuhalten. Wer sagte ihm denn, dass nicht Mitglieder der Bande, irgendwo verborgen im Nebel, herumlungerten, denn es war eindeutig, dass der Mordversuch fehlgeschlagen war. Das Opfer, wenn auch schwer verletzt, hatte es geschafft, sich aus dem Staub zu machen.

    Eines stand mit Sicherheit fest: Das war kein Ort für ein Mädchen wie Lorna.

    »Es ist eine richtige Spur«, sagte das Mädchen eifrig. »Los, Andrew, wir müssen ihm nach!«

    »Lass es«, murmelte Andrew lahm.

    In Wirklichkeit war er nicht weniger darauf erpicht als sie, der Spur zu folgen, weil er hoffte, sie würde sie aus dieser gefährlichen Zone herausführen. Sein Hauptinteresse konzentrierte sich darauf, Lorna sicher in belebte und erleuchtete Straßen zurückzubringen. Diese schmale, verlassene Straße flößte ihm tiefstes Unbehagen ein.

    Als sie ihr Ende erreicht hatten, sah er, dass eine enge Gasse links davon abzweigte. Eine Straßenlaterne stand dort; in ihrem Schein las er das Straßenschild: Bishop’s Passage. Die String Lane war offenbar eine Sackgasse, denn außer diesem engen Durchgang schien kein anderer Weg aus ihr herauszuführen.

    Die Blutspur setzte sich fort. In unregelmäßigen Abständen leuchteten immer wieder die unheimlichen roten Flecken im Schein der Taschenlampe auf.

    Bishop’s Passage war noch finsterer und enger als die String Lane, mit geheimnisvollen Torwegen hier und da. Ein Geruch hing in der Luft - ein eigenartiger, unangenehmer Geruch, der Andrew an Kloaken und Abwässer erinnerte. Eine Straßenlaterne am entfernten Ende glomm trübe durch den Nebel.

    An der Ecke blieb Andrew stehen. Wieder war ein Blutfleck zu seinen Füßen. Er ging weiter. Ein Schild an der Mauer verkündete, dass sie nun die Packet Street betraten. Immer noch regte sich kein Zeichen menschlichen Lebens. Nicht einer einzigen Menschenseele begegneten sie. Es war, als durchstreiften sie eine verlassene Stadt. Andrew konnte kaum glauben, dass sie sich in Wirklichkeit nicht weit von den geschäftigen Hauptstraßen wie der Commercial Road und der Whitechapel High Street befanden.

    »Warte!«, rief ihm Lorna zu. »Schau dir das hier an, Andrew! Es ist nicht nur ein Fleck. Eine riesige Blutlache!«

    »Tatsächlich, direkt am Randstein, nahe beim Laternenpfahl«, bestätigte er, während er sich über den großen feuchtglänzenden Blutfleck beugte. »Der arme Teufel hat sich offensichtlich hier an diesem Laternenpfahl festgehalten. Man sieht es an den verschmierten Blutspuren auf der Ölfarbe hier. Er scheint stark zu bluten. Vermutlich sammelte er hier Kraft, um sich über die Straße zu schleppen.«

    Er spähte angestrengt durch die Nebelwand, aber er konnte die gegenüberliegende Straßenseite nicht erkennen. Für ihn war nur wichtig, dass es sich um eine größere und belebtere Straße als jene Seitengassen handelte. Es begegnete ihnen sogar jetzt schon hin und wieder die schattengleiche Gestalt eines anderen Fußgängers, tauchte kurz aus dem milchigen Nebel auf, ging vorbei und verschwand wieder.

    »Los, mach schon!«, drängte Lorna. »Wenn er hier die Straße überquert hat, dürfte es nicht schwierig sein, auf der anderen Seite wieder seine Spur aufzunehmen. Schrecklich, sich vorzustellen, dass der Arme ununterbrochen blutend immer weitergeht, ohne dass sich eine Menschenseele um ihn kümmert! Komm, Andrew!«

    »Wirklich, Lorna, lass es doch sein! Jetzt hat es doch keinen Sinn mehr!«, widersprach Andrew. »Inzwischen hat sich längst jemand seiner angenommen. Wir kommen nun wieder in eine belebtere Gegend...«

    Er verstummte, weil er bemerkte, dass er zu sich allein redete. Lorna war verschwunden. Sie hatte sich doch tatsächlich daran gemacht, die breite Straße zu überqueren. Im Stillen fluchend folgte er ihr.

    Auf der anderen Straßenseite fand er seine Verlobte ungeduldig auf ihn wartend.

    »Wo hast du deine Taschenlampe?«, fragte sie.

    »Es ist doch einfach hirnverbrannt, hier nach der Spur zu

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