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MORD AUF FLÜSTERNDEM SAND - EIN FALL FÜR CHEFINSPEKTOR CROMWELL: Der Krimi-Klassiker!
MORD AUF FLÜSTERNDEM SAND - EIN FALL FÜR CHEFINSPEKTOR CROMWELL: Der Krimi-Klassiker!
MORD AUF FLÜSTERNDEM SAND - EIN FALL FÜR CHEFINSPEKTOR CROMWELL: Der Krimi-Klassiker!
eBook293 Seiten3 Stunden

MORD AUF FLÜSTERNDEM SAND - EIN FALL FÜR CHEFINSPEKTOR CROMWELL: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Der englische Badeort Marling-on-Sea ist berühmt für seinen herrlichen Strand. Eines Tages wird er zum Schauplatz eines grauenvollen Verbrechens. An einem Wellenbrecher wird ein toter Mann entdeckt: gefesselt, mit einem Seil an den Holzpfahl festgebunden.

Chefinspektor Bill Cromwell von Scotland Yard sucht den Mörder...

 

Der Roman Mord auf flüsterndem Sand von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1965; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr unter dem Titel Der Mann im Regenmantel.

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum24. Okt. 2022
ISBN9783755423959
MORD AUF FLÜSTERNDEM SAND - EIN FALL FÜR CHEFINSPEKTOR CROMWELL: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    MORD AUF FLÜSTERNDEM SAND - EIN FALL FÜR CHEFINSPEKTOR CROMWELL - Victor Gunn

    Das Buch

    Der englische Badeort Marling-on-Sea ist berühmt für seinen herrlichen Strand. Eines Tages wird er zum Schauplatz eines grauenvollen Verbrechens. An einem Wellenbrecher wird ein toter Mann entdeckt: gefesselt, mit einem Seil an den Holzpfahl festgebunden.

    Chefinspektor Bill Cromwell von Scotland Yard sucht den Mörder...

    Der Roman Mord auf flüsterndem Sand von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1965; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr unter dem Titel Der Mann im Regenmantel.

    Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

    MORD AUF FLÜSTERNDEM SAND

    Erstes Kapitel

    »Da, hörst du?«, flüsterte Roy Armitage.

    Er fasste den Arm des Mädchens an seiner Seite fester und zwang es stehenzubleiben. Nebeneinander verharrten sie regungslos an dem menschenleeren, in fahles Mondlicht getauchten Strand. Es war Ebbe. Die Sandfläche schien sich bis ins Unendliche zu dehnen.

    »Was?«, fragte Nora Jarrell zurück. »Was soll ich hören?« Und in ihrer Stimme klang eine Spur von Ungeduld mit.

    »Ich weiß nicht«, murmelte Roy. »Es ist eigenartig, fast unheimlich. Es kommt und geht. Die See kann es nicht sein. Sie ist jetzt viel zu weit draußen. Außerdem liegt sie vollkommen still; da ist nicht die kleinste Welle.«

    Nora wollte etwas antworten, aber er rüttelte sie sanft, und sie schwieg. Nun hörte sie es auch. Ein leises, unheimliches Flüstern, das von überall und nirgendwoher zu kommen schien. Es erstarb wieder. Und sie überlegte, ob sie es überhaupt wirklich vernommen hatte. »Roy, lass uns zurückgehen!«, bat sie erschaudernd.

    »Natürlich, wenn du dich fürchtest«, erwiderte Roy. »Seltsam... Nur ein undefinierbares Raunen ist zu hören, wenn man ganz ruhig steht. Aber es scheint so nah.«

    Er blickte über den endlosen breiten Strand.

    Weiter drüben, dort, wo die vielen kleinen Lichter funkelten, lag Bancombe, der bekannte Badeort. Nicht weiter als drei Meilen von hier entfernt. Die unzähligen Lämpchen der erleuchteten Landungsbrücke und der Uferpromenade hingen wie eine lange Perlenschnur über dem dunklen Wasser. Auf der entgegengesetzten Seite, vielleicht sechs Meilen entfernt, flimmerten die - im Vergleich dazu trübseligen - Lichter von Southwick. Und ganz in der Nähe, direkt hinter ihnen, dort wo der Strand endete, lag ganz im Dunkeln der kleine Ort Marling-on-Sea. Das heißt, auch dort brannten natürlich noch Lampen. Aber von hier aus waren sie nicht zu erkennen, weil die lange Düne mit der Grasnarbe auf dem Kamm die Sicht nahm.

    »Ach, nichts als alberne Hirngespinste, Roy«, meinte das Mädchen, löste seine Hand von seinem Arm und trat einen Schritt von ihm fort. »Komm, lass uns gehen. Dieser Strand ist grausig. Ich weiß wirklich nicht, warum wir ausgerechnet hierherfahren mussten.«

    »Ach, gib ihm wenigstens eine Chance!«, protestierte Roy. »Du kannst doch den Strand nicht nach einem flüchtigen Blick in der Nacht beurteilen, wenn obendrein noch Ebbe ist. Außerdem - sieh doch nur, wie wundervoll das Mondlicht über dem Meer schimmert! - Da! Da war es wieder! Hast du es gehört? Was, zum Teufel, kann es bloß sein?«

    Abermals hing das feine, geisterhafte Raunen in der Luft. Fragend sah Roy sich um, nach einer logischen Erklärung dafür suchend.

    Nora war, im Gegensatz zu ihm, bedeutend realistischer.

    »Wahrscheinlich dieser stinkende Seetang«, äußerte sie abfällig, angeekelt die Nase rümpfend. »Widerwärtiges Zeug wie Krabben, Krebse, Würmer, oder was weiß ich.«

    Roy mochte nicht zugeben, dass der Tang, der den weichen, hellen Sand bedeckte, ziemlich unangenehm roch. Er war mit seiner Freundin für ihren gemeinsamen vierzehntägigen Jahresurlaub hierher nach Marling-on-Sea gefahren, weil er diesen kleinen Ort in sein Herz geschlossen hatte. Immer schon, seit er mit seinen Eltern als ganz kleiner Junge hier gewesen war. Damals, erinnerte er sich, hatte der Sandstrand golden und sauber in der Sonne dagelegen, ohne eine Spur von Seetang.

    »Krabben und Krebse würden ja wohl kaum ein Raunen hervorbringen, wie wir es eben gehört haben, Liebling«, wandte er ein. »Es ist so unfasslich, so trügerisch. Es geht nicht der geringste Wind; eine Luftströmung kann es also nicht sein. Ich dachte, es würde dir Spaß machen, vor dem Schlafengehen noch ein Stückchen den Strand entlangzuwandern...«

    »Spaß!«, fiel sie ihm scharf ins Wort. »Ich will dir mal was sagen! Ich finde den Strand so schäbig, so hässlich, wie ich noch nie einen gesehen habe! Marling-on-Sea! Du und dein goldener Strand! - Gehen wir doch endlich ins Hotel zurück.«

    Sie setzte sich in Bewegung, bevor ihm überhaupt Zeit zu einer Entgegnung blieb. Er folgte ihr niedergeschlagen und betrübt.

    Alles lief so ganz anders, als er erwartet hatte. Seit ihrer Ankunft im Sandy Beach Hotel hatte Nora fortwährend an allem etwas auszusetzen gehabt. Nichts hatte Gnade vor ihren Augen gefunden. Ihr Zimmer war nicht recht gewesen. Das Abendessen ebenso wenig - obwohl es, Roys Meinung nach, ausgezeichnet gewesen war.

    Seit Monaten hatte er diesen Urlaub vorbereitet. Ach, wie hatte er sich darauf gefreut! Zwei ganze Wochen allein mit Nora! Im Lauf dieser herrlichen, ewig langen vierzehn Tage hatte er vor, sie zu fragen, ob sie seine Frau werden wolle. Aber sie hatten sich schon gestritten, als sie in Roys Wagen die Fahrt angetreten hatten, und erst recht, als sie angekommen waren. Nora war in einer eigenartigen, selbstzerstörerischen Stimmung gewesen. Weder das entzückende Hotel noch Marling-on-Sea selbst hatten ihren Gefallen gefunden. Daraufhin war er mit ihr zum Strand hinuntergewandert, hoffend, sie hier ganz für sich zu haben. Aber der weite Strand, mit dem - bei Ebbe - dunklen, salzig riechenden Tang, hatte ihre ohnehin gereizte Stimmung nur noch verschlechtert.

    Widerwillig musste er sich eingestehen, dass es nicht das erste Mal war, dass sich Nora in einer derart unerfreulichen Stimmung befand. Allerdings musste er ihr andererseits auch Gerechtigkeit widerfahren lassen. Im Allgemeinen war sie vergnügt und guter Dinge, stets bereit zu lachen, mit einem fröhlichen Funkeln in ihren wunderschönen braunen Augen.

    Er fühlte sich enttäuscht, leer, wie ausgehöhlt, als sie jetzt zum Hotel zurückgingen und dabei langsam den Kamm der niedrigen Dünen entlangschlenderten.

    Die Wellenbrecher mit ihren hohen Holzpfählen ragten in einiger Entfernung wie düstere, unbewegliche Schildwachen aus dem bleichen Sand. Da, nach einigen Schritten, fasste Roy abermals nach Noras Arm und zwang sie stehenzubleiben.

    »Halt, warte!«, flüsterte er. »Jetzt, jetzt musst du es doch auch hören!«

    »Ich hasse das!« Sie stand gespannt lauschend da. »Es - es ist mir nicht geheuer.« Sie klammerte sich fest an ihn. »Roy, ich fürchte mich! Komm doch endlich fort von diesem grauenhaften Strand.«

    Sie bebte am ganzen Körper. Und abermals sah er sich, nach einer logischen Erklärung für die wispernden, säuselnden Laute suchend, um. Es musste doch eine Begründung dafür geben! Stieg das feine Schwirren vom Tang auf, der sich, in der lauen Sommerluft langsam austrocknend, wand und zusammenschrumpfte?

    »Weshalb hast du mich denn bloß hierhergeschleppt? Ausgerechnet hierher?«, fragte Nora erregt, als sie weitergingen und ihre Angst langsam nachließ. »Ich hatte gehofft, wir würden baden, uns in der Sonne aalen. Wie soll man denn hier baden? Das Meer ist kilometerweit entfernt!«

    »Liebling, so ist es doch nicht immer. Nur bei Ebbe!« bemühte er sich geduldig, sie zu besänftigen. »Marling ist berühmt für seinen breiten Sandstrand. Bei Flut reicht das Meer weit herauf, und wir werden wundervoll schwimmen, glaube mir. Warte nur bis morgen früh. Wenn die Sonne scheint, sieht alles ganz anders aus.«

    »Da bin ich gespannt! Das wird ja märchenhaft sein!«, gab das junge Mädchen gereizt zurück.

    Roy war ein unkomplizierter und gutmütiger junger Mann von fünfundzwanzig Jahren. Hochgewachsen, ein wenig ungeschickt, sehr impulsiv, mit einem frischen, offenen Gesicht. Er arbeitete bei der Werbeagentur Chappin in London und hatte dort eine gute Stellung. Nora Jarrell war Sekretärin bei derselben Firma. Sie war ein temperamentvoller Typ. Ein starker physischer Reiz ging von ihr aus. Sie war unbestritten attraktiv, ja fast schön zu nennen. Roy liebte sie seit Monaten mit verzehrender Leidenschaft.

    Anwandlungen einer derart negativen Stimmung wie eben jetzt hatte sie schon ein-, zweimal gehabt. Und er suchte sich damit zu beruhigen, dass ihre Erschöpfung nach der langen Fahrt daran Schuld trug und Nora am kommenden Morgen schon wieder ganz die alte sein würde. Aus Erfahrung klug geworden, bemühte er sich, die Geduld nicht zu verlieren und Nora behutsam anzufassen. Trotzdem dämmerte ihm, dass er mit Marling-on-Sea wohl keine allzu gute Wahl getroffen hatte. Es war einfach zu ruhig. Und Nora liebte nun einmal Trubel und Menschen um sich herum.

    Am Ende des Strandes angekommen, stiegen sie die Stufen bis zu dem breiten, als eine Art Uferpromenade dienenden Grasstreifen hinauf. Alle paar Schritte stand eine einladende Bank. Ein Stückchen dahinter schlängelte sich eine Privatstraße entlang, die zu der eigentlichen Ortschaft Marling führte. Weitere Privatwege zweigten zu beiden Seiten ab. Das Gelände war Privatbesitz, besiedelt mit kleinen Häusern oder Bungalows, die meist von Rentnern bewohnt wurden. Eine alte, schon früh gegründete Gemeinde und einer der wenigen Orte an der Südküste, die von Omnibus-Reisegesellschaften und Tagesausflüglern noch verschont geblieben waren. Roys Meinung nach der ideale Ort, um ein Mädchen für sich allein zu haben.

    »Wer wohl da drüben in dem kleinen Palast wohnen mag?«, bemerkte Roy beiläufig, mehr um irgendetwas zu sagen, als aus wirklichem Interesse. Er wies in die Richtung eines hellerleuchteten, langgestreckten Gebäudes mit großen Veranden, das von zwei kleinen Türmchen flankiert wurde, die gar nicht zum Bungalowstil passen wollten. Eine große, halbrunde Auffahrt führte hinauf und öffnete sich unmittelbar vor der Villa zu einer Art Rondell, auf dem schimmernde, chromfunkelnde Straßenkreuzer parkten. Musik und Gesprächsfetzen drangen aus den weit geöffneten Verandatüren.

    »Nun, wer es auch immer ist, in Geld muss er jedenfalls schwimmen«, äußerte sich Nora neiderfüllt. »Die Leute da drin machen sich eine schöne Zeit. Feiern, Tanzen, das ist ihr Leben.«

    »Na also, du siehst, Marling ist doch gar kein so totes Nest!«

    »Phantastisch! Welche Aussichten - für uns!«, schnappte Nora prompt zurück. »Die werden gerade auf uns gewartet haben, um uns einzuladen, wie? Das ist doch ganz offensichtlich die Sommerresidenz irgendeines Nabobs. Wir hingegen - wir hocken in unserem muffigen Hotel, das so verstaubt und tot ist wie ein Altersheim!«

    »Das ist nicht fair!«, widersprach Roy heftig. Ihre bissige Art wurde ihm allmählich zuwider. »Du bist wirklich reichlich vorschnell in deinem Urteil! Das Sandy Beach Hotel genießt einen ausgezeichneten Ruf. Denk doch nur an das Abendbrot. Erstklassig! Und die Zimmer sind nett und gemütlich.«

    »Meins ist genauso schäbig wie das ganze Hotel.«

    Roy setzte zu einer Entgegnung an, zog es dann aber vor zu schweigen. Er holte tief Atem und zählte erst einmal bis zehn. Heute passte Nora aber auch rein gar nichts. Es war vollkommen sinnlos, sich auf lange Diskussionen mit ihr einzulassen.

    Sie bogen in einen der Wege ein, die vom Strand fortführten. Von hier aus war es nicht weit zum Hotel.

    Aber schon nach wenigen Schritten wurden sie durch den Lärm ärgerlich streitender Stimmen aufgehalten. Auf einer Kreuzung, von der zwei Privatwege abzweigten, stand eine kleine Gruppe erregt diskutierender Leute. Besonders zwei ältere Herren erhoben ihre Stimmen zu beachtlicher Lautstärke. Ein schlankes, blondhaariges junges Mädchen bemühte sich vergeblich, die beiden Kampfhähne zu trennen und zu beruhigen. Um diese drei hatte sich ein kleiner Kreis neugieriger Zuhörer gebildet, die hin und wieder mit einem Einwurf das Feuer wieder anfachten.

    ».Was ist denn da los?«, fragte Roy verwundert.

    Einer der beiden Streitenden war ein hochgewachsener Mann von auffallend militärischer Haltung, mit grauen Schläfen und einem Schnurrbart. Trotz seiner nun offenkundigen Erregung wählte er seine Worte knapp und treffend. Sein Widersacher hingegen war von untersetzter Gestalt und grobknochig gebaut. Das Gesicht wurde von einer riesigen, hakenförmigen Nase beherrscht. Ein wildwuchernder brauner Bart bedeckte das Kinn. Dieser Mann war zweifelsohne ein temperamentvoller, ungeduldiger Zeitgenosse. Seine Stimme dröhnte laut durch die stille Nacht.

    »Daddy!«, bat das blonde Mädchen flehentlich. »Du kannst doch nicht hier, mitten auf der Straße, herumstreiten! So lass es doch gut sein. Komm mit nach Hause! - Colonel Andrews, hören Sie einfach nicht auf ihn, bitte!«

    »Entschuldigen Sie, schließlich hat mich Ihr Vater einen störrischen Kommissesel genannt. Das kann ich mir doch nicht bieten lassen, Miss Stanhope!«, gab der hochgewachsene, militärisch aussehende Mann zurück. »Ich möchte mich auf das entschiedenste gegen derartige Beleidigungen verwahren.«

    Das junge Mädchen, dessen sonnengebräunte Haut reizvoll von dem vollen, leuchtend blonden Haar abstach, gab sich nicht so leicht geschlagen. Sie ergriff ihren Vater beim Arm und zerrte ihn mit aller Kraft weiter - bis er sich unvermittelt wieder losriss und wie ein gereizter Stier zu seinem Gegner zurückkehrte.

    Roy und Nora gingen weiter. Der hitzige Streit dauerte an. Roy bemühte sich vergeblich zu begreifen, worum es eigentlich ging.

    Das einzige, was er kapierte, war, dass der Mann mit der Hakennase immer wieder auf die hellerleuchtete Villa wies und laut über jemanden namens Budge schimpfte. Das blonde Mädchen hatte es inzwischen offenbar aufgegeben, die beiden Kampfhähne trennen zu wollen.

    »Nanu, Sie, Mrs. Stout?«, grüßte Roy verwundert, als er die wohlgerundete Figur der Besitzerin seines Hotels bemerkte, die am Rande der kleinen Gruppe begierig jedes Wort verfolgte.         

    Tatsächlich, es war Mrs. Jennifer Stout, die Eigentümerin des Sandy Beach Hotel. An der Leine hielt sie einen prachtvollen Collie, mit dem sie sich offensichtlich auf dem abendlichen Spaziergang befunden hatte.

    »Guten Abend, Mr. Armitage!«, grüßte Mrs. Stout zurück. »Und Miss Jarrell. Was für ein wundervoller Abend, nicht wahr? Zu dumm, dass Colonel Andrews und Captain Stanhope sich schon wieder in die Haare geraten sind. Dabei sind die beiden langjährige Nachbarn. Aber jedes Mal, wenn sie sich über den Weg laufen, stecken sie wieder mitten im schönsten Wortgefecht.«

    »Die beiden Herren wohnen also ständig hier?«, erkundigte sich Roy mehr höflich als interessiert.

    »Oh, ja. Sie leben schon jahrelang hier. Colonel Ross Andrews ist der Präsident der Sandy-Beach-Anwohner-Interessengemeinschaft. Er ist ganz hingerissen von Mr. Budges abscheulichen Vorschlägen. Ich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich stehe auf Captain Stanhopes Seite.«

    »Eine kleine lokale Fehde, wie?«

    »Ich fürchte, es geht dabei um mehr als nur um eine persönliche Fehde zwischen zwei hitzköpfigen Männern«, gab Mrs. Stout zurück, offensichtlich mehr als bereit, sich weiter über dieses Thema auszulassen. »Es betrifft immerhin die ganze Ansiedlung. Stanhope, der schon vor mehreren Jahren von der Handelsmarine pensioniert wurde, ist der Kopf der Opposition. Seine Tochter, das bildhübsche Mädchen dort drüben, führt ihm den Haushalt - und hält nebenher noch ihren Vater in Schach. Ein prachtvoller Kerl, die kleine Penny!«

    »Ja, sie ist mir auch schon aufgefallen«, pflichtete Roy mit einem Seitenblick auf Nora bei. »Hier trifft die Bezeichnung Pfirsichhaut wirklich zu. Und wie wundervoll sonnengebräunt sie ist. Dieser Kontrast zu dem prachtvollen blonden Haar!«

    Nora schwieg, aber sie wurde ganz steif vor eisiger Ablehnung.

    »Wissen Sie, Mr. Montgomery Budge hat nämlich den Stein ins Rollen gebracht«, fuhr Mrs. Stout redselig fort. »Dort drüben, das ist sein Haus Bellevue.« Sie deutete auf das langgestreckte, niedrige Gebäude mit den beiden Türmchen. »Er ist Millionär, das sieht man ja. Dienstboten noch und noch... Jeden Abend Partys und Feste. Dabei ist er erst achtundvierzig und wirkt bedeutend jünger. Sie haben doch bestimmt schon von Montgomery Budge gehört?«

    »Meinen Sie den Hotelmillionär?«

    »Ja. Überall hat er seine Hotels. Über das ganze Land verstreut... Und jetzt will er unsere Sandy-Beach-Siedlung auch noch schlucken. Sie in ein kleines Monte Carlo verwandeln, wie er sagt.« Mrs. Stouts Stimme bebte vor Entrüstung. »Ein Hotelhochhaus, Schwimmbassins, ein Spielkasino, Ziergärten - und so weiter.«

    »Eine himmlische Idee!«, rief Nora begeistert aus.

    »Es tut mir leid, Miss Jarrell - aber da stimme ich leider nicht mit Ihnen überein.« Es war verwunderlich, dass die kleine, rundliche Frau einen so kalten Ton anschlagen konnte. »Der Charme von Marling-on-Sea hat immer in seiner Ruhe und Abgeschiedenheit gelegen. Unser Strand ist berühmt wegen seiner Ausdehnung und seines feinen Sandes. Das Ufer fällt so allmählich ins Meer ab, dass es der ideale, sicherste Badeplatz für Kinder ist.«

    »Montgomery Budge?«, grübelte Roy laut vor sich hin. »Ich dachte, er lebte in London und hätte außerdem noch einen Landsitz in der Grafschaft Shropshire? Dann ist dieses prachtvolle Anwesen da drüben wohl nur so eine Art Sommersitz für ihn?«

    »Ja, genau«, bestätigte Mrs. Stout. »Bis zu diesem Sommer haben wir ihn allerdings kaum zu sehen bekommen. Seine Frau und die Kinder waren wohl öfter hier, um das Meer und die Sonne zu genießen. Aber er kam eigentlich nur an Wochenenden heraus - und auch dann nur gelegentlich. Dieses Jahr scheint er allerdings für den ganzen Sommer hier seine Zelte aufgeschlagen zu haben. Er ist jetzt schon seit Wochen hier und leitet seine Kampagne selbst.«

    Nora lachte.

    »Für einen Sommersitz ist das da allerdings das reinste Schloss«, meinte sie. »Ich muss schon sagen, ein schöneres Sommerhaus habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Springbrunnen... Personal... Rauschende Partys. Ist das ein Leben!«

    »Dagegen wäre ja auch gar nichts einzuwenden, wenn er sonst hier alles beim alten ließe«, versetzte die Hotelbesitzerin schroff. »Aber diese fixe Idee von ihm, hier ein noch mondäneres Blackpool schaffen zu wollen, ist geradezu unerträglich. Er versucht jetzt jeden einzelnen Bungalow, jedes Häuschen aufzukaufen. - Nicht einmal vor meinem Hotel macht er halt. Er betont fortwährend, dass die Vorbedingungen hier geradezu ideal seien, und das will ich ja auch gar nicht leugnen. Marling liegt gerade in bequemer Entfernung von London, die Landschaft ist abwechslungsreich und reizvoll. Aber wir wollen nun einmal nicht, dass aus unserem verträumten Refugium ein Rummelplatz wird. Ich lebe jetzt zwanzig Jahre hier, ich habe mühsam und mit großer Geduld meinem Hotel einen ausgezeichneten Namen geschaffen, und ich denke gar nicht daran, das Feld zu räumen. Ich kämpfe bis aufs Messer, darauf kann er sich verlassen!« Flammende Empörung loderte aus ihren Augen. »Und eine Menge anderer Leute sind ganz meiner Meinung. Eine niederträchtige Idee, dieses liebliche, friedvolle Stückchen Erde in eine laute, künstlich aufgezäumte Imitation von Saint-Tropez verwandeln zu wollen.«

    »Na, na! Eben war es noch Blackpool, jetzt ist es schon Saint- Tropez«, mischte sich Nora belustigt ein. »Also, was mich anbelangt, ich hätte gegen Saint-Tropez nichts einzuwenden!«

    Roy Armitage warf Nora einen wütenden Blick zu, schwieg aber.

    »Es ist ja ganz verständlich, Miss Jarrell«, versuchte Mrs. Stout lächelnd zu begütigen, »dass solch eine grundlegende Umwandlung jungen Leuten wie Ihnen bestimmt gefallen würde. Das ist ja auch nur natürlich. Aber deswegen müssen Sie noch lange nicht glauben, dass wir hier eine kleine Kolonie altmodischer Tapergreise wären. Junge Ehepaare kommen mit ihren Kindern jedes Jahr wieder zu uns. Und es ist eine reine Freude, dieses kleine Volk hier fröhlich und unbekümmert toben zu sehen.« Sie machte eine kleine Pause und wechselte übergangslos das Thema. »Wir haben hier im Augenblick unseren richtigen kleinen Bürgerkrieg. Mr. Budge ist fest entschlossen, uns hier alle aufzukaufen. Aber die Hälfte aller Anwohner ist ebenso entschlossen, es nicht dazu kommen zu lassen. Colonel Ross Andrews, dem Sunny Point gehört, ist dafür, zu verkaufen. Captain Stanhope hingegen, der Besitzer von Moorings, ist der Führer der Opposition. Dabei sind das jetzt alles nur kleine Vorhutgefechte, um sozusagen das Gelände zu sondieren. Oh, ja, unter der ruhigen Oberfläche friedlicher Ferienstimmung gärt es hier heftig, und der offene Kampf kann jeden Tag ausbrechen.«

    »Und wer, denken Sie, wird gewinnen?«, erkundigte sich Roy.

    »Wir natürlich!« kam es prompt und ohne jeden Zweifel zurück. »Mr. Budge mit all seinem Geld kann uns gestohlen bleiben. Zum Verkauf zwingen kann er uns nicht! Gewiss, es gibt Dummköpfe genug, die sich von seinen schönen Sprüchen einlullen lassen. Deshalb ist nächste Woche auch wieder eine Sitzung anberaumt. Es wird eine Menge Gerede dafür und dagegen geben. Und Sie dürfen dessen versichert sein, dass auch ich vortragen werde, was ich dazu zu sagen habe!«

    Das Mrs. Stout gehörende Sandy Beach Hotel stand auf eigenem Grund und Boden. Zu beiden Seiten schlossen sich Bungalows und Ferienhäuschen an. Das blendendweiß verputzte Gebäude ragte zwischen den kleineren, meist dunklen Nachbarhäusern hervor wie ein Ozeandampfer zwischen emsigen Schleppern. Das langgezogene Hotel war im Schweizer Landhausstil erbaut. Es hatte eine Veranda auf allen vier Seiten, sowie einen Balkon im ersten Stock, ebenfalls rundherum gebaut. Ein grün gestrichenes Spalier, an dem sich bunte Blumen emporrankten, gab der Front ein freundliches Aussehen. Ein weiter, kiesbestreuter Vorhof und ein breiter, rund um das Haus angelegter Weg boten hinlängliche Parkmöglichkeit. Der in der Mitte liegende, von zwei Buchsbäumen flankierte Haupteingang war

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