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DER VERTAUSCHTE KOFFER: Der Krimi-Klassiker!
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eBook302 Seiten4 Stunden

DER VERTAUSCHTE KOFFER: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Das vornehme Geschlecht der Staffes steht vor dem Aussterben. Es gibt nur noch den alten Kapitän Horatio Staffe und seinen Neffen Jimmy Warrender, der zu seiner Überraschung nach High Matcham auf den einsam gelegenen Stammsitz der Staffes eingeladen wird. In der Hoffnung auf ein reiches Erbe will Warrender seinen zuvor nie gesehenen Onkel Horatio besuchen. Auf der nächtlichen Fahrt nach Südengland bleibt sein Wagen nach einem Unfall stecken. Als er zu Fuß und mit seinem Koffer das nächste Dorf ansteuert, gerät Warrender in eine unheimliche Szene: Zwei Männer heben im Wald ein Grab aus. Als er flüchtet, greift sich Warrender versehentlich den Koffer der Totengräber. Nach einem angstvollen Marsch erreicht er endlich High Matcham. Der Inhalt des Koffers: 250.000 Pfund aus einem Postraub, der seit vier Monaten Englands Polizei in Atem hält!

Der Roman Der vertauschte Koffer von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1953; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum18. Okt. 2020
ISBN9783748761471
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    Buchvorschau

    DER VERTAUSCHTE KOFFER - Victor Gunn

    Das Buch

    Das vornehme Geschlecht der Staffes steht vor dem Aussterben. Es gibt nur noch den alten Kapitän Horatio Staffe und seinen Neffen Jimmy Warrender, der zu seiner Überraschung nach High Matcham auf den einsam gelegenen Stammsitz der Staffes eingeladen wird. In der Hoffnung auf ein reiches Erbe will Warrender seinen zuvor nie gesehenen Onkel Horatio besuchen. Auf der nächtlichen Fahrt nach Südengland bleibt sein Wagen nach einem Unfall stecken. Als er zu Fuß und mit seinem Koffer das nächste Dorf ansteuert, gerät Warrender in eine unheimliche Szene: Zwei Männer heben im Wald ein Grab aus. Als er flüchtet, greift sich Warrender versehentlich den Koffer der Totengräber. Nach einem angstvollen Marsch erreicht er endlich High Matcham. Der Inhalt des Koffers: 250.000 Pfund aus einem Postraub, der seit vier Monaten Englands Polizei in Atem hält!

    Der Roman Der vertauschte Koffer von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1953; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    DER VERTAUSCHTE KOFFER

    Erstes Kapitel

    Jimmy Warrender hatte wirklich die Nase voll. Alles ging heute schief. Die verstopfte Benzinleitung hatte ihn vor Winchester eine volle Stunde gekostet, und er konnte High Matcham jetzt nicht mehr rechtzeitig zum Abendbrot erreichen. Es war das erste Mal, dass sein braver kleiner Ford ihn im Stich ließ, und auch diesmal war eigentlich nicht das Auto schuld; irgendwo musste er schlechtes Benzin getankt haben. Die Uhr zeigte halb acht - planmäßig hätte er sich jetzt die Füße an der Türschwelle des Heims seiner Vorfahren abtreten sollen.

    Das Wetter war, seit er London verlassen hatte, ununterbrochen stürmisch gewesen, mit gelegentlichen Regenböen; aber jetzt, wie um seine Schwierigkeiten noch zu vergrößern, wurde der Sturm zum Orkan, der mit wilder Kraft durch den Neuen Wald fuhr. Die Straße war mit wirbelnden. Blättern und abgebrochenen Zweigen wie besät; unmöglich, jetzt Gas zu geben und ein ordentliches Tempo zu fahren. Selbst Jimmy wagte das nicht.

    »Das soll der Teufel holen«, sagte er übellaunig vor sich hin. So ein Märzwetter sollte polizeilich verboten werden. Das mochte für Grönland oder die Antarktis passen, aber es war nichts, was man sich in Südengland bieten zu lassen brauchte, wenn dem Kalender nach Frühlingsanfang sein sollte. Und als nun der kleine Wagen wieder einmal durch ein Stück offenes Gelände kam, fasste ihn der Wind von der Flanke und riss Jimmy das Steuerrad fast aus der Hand.

    Der letzte Schimmer des Tageslichts verschwand vom westlichen Himmel. Bösartig drohende Wolkenmassen jagten einander. Schon lange hatte Jimmy kein Haus mehr zu sehen bekommen, und allmählich kam er zu der Überzeugung, sein Onkel müsse in einer Wildnis leben.

    Sein Onkel...

    Wie würde ihn sein Onkel wohl empfangen, wenn er in High Matcham mit mehr als einer Stunde Verspätung auftauchte? Dumm, dass dies der erste Eindruck sein sollte, den der alte Herr von ihm erhielt; denn bisher hatte er ihn überhaupt noch nicht kennengelernt. Kapitän Horatio Staffe, früher bei der Kriegsmarine, stellte den feudalen Zweig der Familie dar: echter Landadel, so hochnäsig, dass bis jetzt kein einziger Staffe Jimmys Existenz überhaupt zur Kenntnis genommen hatte.

    Der kleine Wagen schlidderte auf dem Asphalt, und eine Gänsehaut lief Jimmy den Rücken herunter, als er sich am Steuerrad abmühte. Etwas Schwarzes, Schattenhaftes war kurz vor ihm über die Straße hinübergeschossen; nur mit Zentimeterabstand war er vorbeigekommen. Aus dem Augenwinkel warf er noch einen Blick auf dieses Wesen, das zwischen den windgepeitschten Bäumen verschwand, und stellte erleichtert fest, dass es wenigstens kein Gespenst gewesen war.

    »Das auch noch!«, sagte er böse. »Eine verstopfte Ansaugdüse, tobender Sturm und eine öde Wildnis sind wohl noch nicht genug! Ponys müssen auch noch die Straßen unsicher machen! Ich kann von Glück reden, wenn ich noch vor dem Schlafengehen ankomme!«

    Der Zwischenfall bewies ihm die Notwendigkeit, vorsichtig zu fahren. Er hatte ganz vergessen, dass man im Neuen Wald häufig streunende Wildponys antreffen kann. Das Tier war so plötzlich wie ein Gespenst vor seinem Scheinwerfer aufgetaucht, dass er nur mit Mühe und Not einem Zusammenprall entgangen war. Er mäßigte die Geschwindigkeit noch weiter und erlaubte seinen Gedanken, zu dem Thema seiner verehrten Familie zurückzukehren. Jimmys Vater hatte so tief unter den feudalen Staffes gestanden, dass Jimmys Mutter, obwohl sie deren einzige Tochter war, von ihnen bei der Eheschließung in Acht und Bann getan worden war.

    Das war heute alles vorbei, alle diese Menschen lebten nicht mehr. Jimmys Eltern waren schon kurz nach dem Krieg gestorben, und jetzt war der alte Kapitän, soweit Jimmy wusste, das einzige noch lebende Mitglied der Familie Staffe. Darum überraschte ihn ja der Brief seines Onkels so sehr, obwohl er doch nur ein paar Zeilen enthielt, die besagten, dass er, Onkel Horatio, Jimmy gern kennenlernen möchte, falls der junge Mann geneigt sein sollte, nach High Matcham zu kommen.

    Jimmy, Assistent des Leiters der Fernseh-Abteilung beim britischen Rundfunk in Lime Grove, hatte gerade seinen einwöchigen Urlaub, und da er weder für Golf noch ähnliche Laster viel übrig hatte, hielt er die Gelegenheit für gut, die Bekanntschaft seines betagten Verwandten zu machen. Sein Chef bestärkte ihn in diesem Vorhaben; denn es hatte sich bei ihm eine Unmasse von Manuskripten angesammelt, und er nahm an, dass Jimmy in einem alten Landhaus mit viel Muße sich diese Manuskripte vornehmen werde, da er dort keinen besseren Zeitvertreib finden konnte.

    »Verrückt!«, murmelte Jimmy, als er an diese Manuskripte dachte. »Mein halber Koffer ist von diesem blöden Zeug voll, und ich zweifle sehr, dass ich dazu kommen werde, auch nur eines davon anzusehen. Wahrscheinlich sind doch dort viele Gäste, man wird auf die Jagd gehen... Das fehlte mir übrigens noch!«

    Auch an einem Pirschgang hatte er nicht das geringste Interesse. Er war mittlerweile so deprimiert, dass er es schon bedauerte, sich überhaupt auf diesen Ausflug eingelassen zu haben. Je mehr er an Onkel Horatio dachte, umso mehr bereute er, ihm telegrafiert zu haben, dass er pünktlich um halb acht Uhr bei ihm sein werde.

    Der Onkel musste wohl ein harter, strenger alter Mann sein, stolz und unbeugsam, der ihn ohne Zweifel mit kaum verhüllter Abneigung betrachten würde, da Jimmy für ihn nur das unglückliche Ergebnis des Fehltritts seiner jüngeren Schwester darstellte. Kein einziger der feudalen Staffes hatte es ihr je verziehen, dass sie den lustigen, jungen Mechaniker geheiratet hatte, der eines Tages im Schloss erschienen war, um das Sportkabriolett der Tochter des Hauses zu reparieren.

    Jimmy musste lachen, und seine Stimmung besserte sich, als er daran dachte, welchen Schock es für die feinen Staffes bedeutet haben musste, als dieser fröhliche, junge Mechaniker - Jimmys Vater - das Mädchen in ihrem eigenen Wagen entführte. Es war in der Tat für sie ein solcher Schlag gewesen, dass die ganze Staffe-Gesellschaft von dieser Minute ab jede Verbindung mit ihr abgebrochen hatte...

    »So eine Unverschämtheit!«, sagte Jimmy ärgerlich. »Man könnte denken, dass Papa aussätzig gewesen wäre! Ich weiß gar nicht, warum ich hinfahre, mir diesen verdammten Onkel anzusehen!«

    Während er weiterfuhr, der Wind ihm um die Ohren pfiff und der dunkle Wald auf beiden Seiten der Straße dahinglitt, sann er über seinen verstorbenen Vater nach. Die Staffes hatten gar keine Veranlassung gehabt, ihn so tief zu verachten: Er war zwar nie reich geworden, aber er hatte bis zu seinem Tode eine gute Stellung bei einer angesehenen Automobilfirma bekleidet; er hatte für seine Frau ausreichend gesorgt und seinem Sohn eine gute Erziehung angedeihen lassen.

    Lediglich ein Gedanke hatte Jimmy veranlasst, die Fahrt überhaupt zu unternehmen, und man muss leider gestehen, dass dieser Gedanke höchst materialistisch war. Warum hatte wohl der alte Mann, der wahrscheinlich schon mit einem Fuß im Grabe stand, den Wunsch ausgesprochen, ihn kennenzulernen? Dafür gab es doch nur eine logische Erklärung: Kapitän Horatio Staffe, ein Junggeselle, war vielleicht der letzte lebende Staffe, und darum war Jimmy für ihn wichtig geworden. Der alte Knacker, der seinem Ende nahe war, hatte bereut und wollte jetzt Jimmy beäugen, weil er ihm sein Geld zu hinterlassen gedachte. Und Jimmy war vernünftigerweise der Ansicht, dass er schon vollständig verrückt sein müsste, wenn er sich eine solche Gelegenheit entgehen ließe. Schließlich war er doch auch ein Mitglied der Familie, und - Donnerwetter, ja... es war durchaus möglich, dass er der vom Gesetz vorgeschriebene Erbe von High Matcham und dem Gut war. Daran hatte er bisher ja noch gar nicht gedacht! Er wusste so wenig von den Staffes, dass sie für ihn fast wie Fremde wirkten. Bei Lichte besehen waren sie es ja auch. Er war recht froh, dass nur noch einer von ihnen übriggeblieben war.

    »Sieh mal an!«, stieß er plötzlich hervor und bremste scharf.

    Der erste Wegweiser seit vielen Meilen tauchte aus der Dunkelheit auf. Er brachte den Wagen so zum Stehen, dass seine Scheinwerfer die Tafel beleuchteten. Ein kleiner Seitenweg zweigte hier nach links ab. Der Arm des Wegweisers, der in diese Richtung wies, zeigte alles Wissenswerte: Denisford drei Meilen; Tolesley sechs Meilen; Matcham St. Paul elfeinhalb Meilen.

    Hier war die Seitenstraße, nach der er so lange Ausschau gehalten hatte. Er starrte sie zweifelnd an, denn ihr Aussehen gefiel ihm gar nicht. Die Hauptstraße, auf der er bis jetzt gefahren war, war schon einsam und wild genug gewesen; wie mochte erst diese Nebenstraße sein?

    Der Sturm brauste durch die Bäume. Ein paar kalte Regentropfen wurden Jimmy mit Gewalt ins Gesicht getrieben. Er startete wieder und bog in den Seitenweg ein.

    Noch bevor er Denisford erreichte, begegnete er zwei weiteren Ponys; aber er fuhr jetzt vorsichtig, und die Tiere hatten genügend Zeit, um zur Seite zu springen. Abgebrochene Zweige, die überall auf dem Wege lagen, erwiesen sich als unangenehmer. Zweimal hatte er schon anhalten und aussteigen müssen, um solche Hindernisse aus dem Wege zu räumen.

    Das Heulen des Sturms war auf diesem engen, sich windenden Weg verstärkt zu hören; denn auf beiden Seiten standen die Bäume dicht beieinander, und der Wind tobte ununterbrochen in ihren Kronen. Der Weg wies dazu noch unerwartete scharfe Kurven, plötzliche Senkungen und Steigungen auf.

    »Das ist ja hier wie in einem Alptraum von Walt Disney«, brummte Jimmy, noch missgelaunter als vorher. »Wie können Menschen nur in einer solchen Wildnis hausen!«

    Natürlich war nur das nächtliche Unwetter an seinem abfälligen Urteil schuld. Bei hellem Tageslicht, wenn eine sanfte Brise in den Bäumen geraschelt und der Sonnenschein Kringel auf die Straße geworfen hätte, wäre ihm die Landschaft ganz reizvoll erschienen. Dann hätte er sicher die Menschen beneidet, die in dem malerischen Dorf Denisford lebten, durch das er bald darauf fuhr. Heute Nacht beim Sturm war es angenehm, den gelben Lampenschein zu sehen, der aus den Fenstern der Landhäuschen herausstrahlte, und das gemütliche Licht, das aus dem Eingang eines freundlichen, kleinen Wirtshauses auf die Straße fiel. Seufzend unterdrückte er den Wunsch anzuhalten und sich ein Gläschen zu genehmigen. Er hatte ohnehin schon Verspätung.

    Hinter Denisford wurde die Straße wieder öde und unfreundlich. Er begann zu rechnen. Noch acht weitere Meilen bis Matcham St. Paul und dann, wenn er den Ort erreicht hatte, musste er noch das Haus seines Onkels suchen. Aus dem Namen dieses Hauses war zu schließen, dass es wahrscheinlich auf einem Hügel stand. In den Zeiten des Feudalismus bauten ja die adligen Gutsherren ihre Schlösser unweigerlich auf den Gipfeln von Hügeln, und seit seiner frühesten Jugend hatte sich Jimmy, sooft er von dem alten Stammhaus der Staffes hörte, dieses Heim als ein trutziges, von grauen Mauern umgebenes Schloss vorgestellt.

    »Schon fast acht Uhr«, sann er. »Selbst wenn von jetzt ab alles glatt geht, werde ich nicht vor halb neun anlangen. Eine volle Stunde Verspätung! Das ist genau die richtige Methode, wenn man einen guten Eindruck machen will!«

    Es war durchaus möglich, dass auch noch andere Gäste zum Essen geladen waren, und er malte sich im Geist aus, wie sein Onkel ihn vom oberen Tafelende her mit seinem Blick durchbohren würde, wenn er zur Tür hereinkam. Die andern Gäste zogen wohl nur die Augenbrauen etwas in die Höhe; aber selbst der Diener würde ihn kalt und missbilligend anschauen.

    Jimmy war in dieser Hinsicht besonders empfindlich, denn im allgemeinen war er die Pünktlichkeit selbst. Auch heute hatte er sich reichlich Zeit genommen, um seinen Bestimmungsort bequem und rechtzeitig zu erreichen. Wenn nicht diese verstopfte Ansaugdüse gewesen wäre...

    »Verdammt und zugenäht«, brummte er und bremste. Diesmal war es kein abgebrochener Zweig, der ihm den Weg versperrte; es war fast eine ganze Baumkrone, die gerade auf seinen Kopf hinuntersauste. Nur die ausgezeichneten Bremsen und die Geschicklichkeit, mit der er noch in letzter Sekunde das Steuer herumriss, bewahrten ihn vor einem Unglück. Gerade vor seiner Stoßstange krachte die Krone auf die Straße. Er war auf etwas Derartiges gefasst gewesen, aber jetzt, als es geschehen war, nahm es ihn doch mit. Benommen kletterte er aus dem Wagen, warf ängstliche Blicke auf die sturmgepeitschten Baumwipfel und zog das Hindernis zur Seite. Er benötigte seine ganze Kraft dazu, es waren mächtige Äste.

    »Sieht fast aus, als ob ich mich schon glücklich schätzen kann, wenn ich überhaupt noch nach High Matcham komme«, sagte er sich, als er die Beule an seinem Kotflügel betrachtete. »Ebenso wahrscheinlich ist es, dass mich jemand im Morgenrot mit eingeschlagenem Schädel auf der Landstraße findet! Wie kann die Polizei nur dulden, dass die Bäume so über die Straße hinüberhängen!«

    In seiner begreiflichen Erregung vergaß er, dass der Sturm ganz ungewöhnlich heftig war - so heftig, dass er die Schlagzeilen für die Morgenzeitungen am nächsten Tage abgab; in weiten Gebieten hatte er große Zerstörungen angerichtet.

    Jimmy war froh, dass der Weg ein kurzes Stück weiter wieder breiter wurde; ohne neue Abenteuer erreichte er das Dorf Tolesley und fuhr hindurch. Nur noch etwas mehr als fünf Meilen bis Matcham St. Paul...

    Aber eine Meile hinter dem Dorf passierte ihm ein schlimmeres Unglück. Die Straße hatte sich wieder zu einem gewundenen Feldweg verengt und war überdies noch gefährlich bergig geworden. Auf kurze, steile Abhänge folgten starke Steigungen, die oft in Serpentinen aufwärts führten. Gebrochene Zweige und Blätter, die im Licht seiner Scheinwerfer herumwirbelten, dienten auch nicht gerade dazu, die Fahrt angenehmer zu gestalten.

    Da er mit der Zeit gegen die Gefahren der Fahrt abgestumpft war, fuhr er ohne zu bremsen, eine dieser steilen Strecken hinunter. Er ahnte nicht, dass die Straße an der tiefsten Stelle eine scharfe Kurve machte. Zu spät entdeckte er in der Biegung etwas Schattenhaftes, das sich außerhalb der Reichweite seiner Scheinwerfer genau in der Mitte der Straße bewegte. Als der kleine Wagen um die Kurve schlidderte, kam dieser Gegenstand in den Lichtkegel und entpuppte sich als ein Mädchen in dunklen Hosen und rotem Pullover auf einem Fahrrad.

    Trotz aller Anstrengungen gelang es Jimmy nicht ganz, an ihr vorbeizukommen. Ein Kotflügel erfasste das Schutzblech des Fahrrads, und das Mädchen flog über die Lenkstange, während ihr Rad wie ein lebendiges Wesen nach oben schnellte.

    Zu Tode erschrocken stürzte Jimmy aus dem Auto und rannte auf das Mädchen zu. Ein Stein fiel ihm vom Herzen, als sie von selbst wieder auf die Füße sprang und nun im vollen Licht seiner Scheinwerfer ganz außer sich vor Wut vor ihm stand.

    »Sie Straßenrowdy, Sie!«, schrie sie, und ihre Augen blitzten.

    Jimmy schluckte.

    »Sind Sie verletzt?«, fragte er nicht sehr intelligent.

    »Natürlich bin ich schwer verletzt, Sie Idiot!«, erwiderte sie. »So eine blöde Frage! Mein rechtes Knie ist ganz zerschlagen! Höchstwahrscheinlich bin ich für mein ganzes Leben ein Krüppel!«

    »Es tut mir schrecklich leid...«

    »Was nützt mir Ihr Beileid?«, fauchte sie. »Sie - Sie - Sie Mörder Sie! Sie gehören ja ins Zuchthaus!«

    »Aber...«

    »So aufs Geratewohl herumzufahren!«

    »Das bin ich keineswegs«, protestierte Jimmy. »Aber diese verdammten Blätter, die überall herumfliegen...«

    Er hielt inne. Er konnte nicht anders. Schon unter normalen Umständen musste dieses Mädchen, das vor ihm stand, ungewöhnlich hübsch sein. Aber jetzt, in ihrem Zorn, sah sie geradezu hinreißend aus. Im Licht der Scheinwerfer blitzten ihre dunklen Augen wie Edelsteine. Ihre roten Lippen waren geöffnet und ließen weiße, ebenmäßige Zähne sehen. In entzückender Unordnung quoll ihr dunkles, gewelltes Haar unter der marineblauen Mütze hervor, die in der Farbe zu ihren Hosen passte. Ihr schneller, stoßweiser Atem hob und senkte die kleinen Brüste, die sich unter dem roten Pullover deutlich abzeichneten. Mit einem Wort: sie bot wirklich einen höchst reizvollen Anblick, und Jimmy, der doch von den Fernseh-Studios an schöne Frauen gewöhnt war, starrte sie mit Begeisterung an.

    »Die fallenden Blätter! Eine ganz faule Ausrede!«, sagte sie und versuchte, in ihre Stimme so viel Verachtung wie möglich zu legen. »Sie fahren wie ein Verrückter herunter, und es ist ein rein« Wunder, dass Sie mich nicht ganz getötet haben.«

    »Zum Teufel, Kindchen, ich sagte Ihnen doch...«

    »Sägen Sie nicht Kindchen zu mir!«

    »Nun, schließlich sehen Sie doch wie ein kleines Mädchen aus!«

    »Jetzt werden Sie auch noch frech!« herrschte sie ihn an, trat einige Meter zurück und hob ihr Fahrrad vom Boden auf. »Ihr Glück, dass das Rad nicht allzu viel Schaden genommen hat!«

    »He!«

    »Was denn?«

    »Einen Augenblick!«

    Verwundert über seinen veränderten Ton starrte sie ihn an.

    »Einen Augenblick!«, wiederholte Jimmy grimmig. »Sie sind mir die Richtige! Mich schimpfen Sie einen Straßenrowdy und einen Mörder?«

    Die Empörung des unschuldig Verdächtigten stieg in ihm hoch und machte ihn für die Reize des Mädchens vollkommen unempfindlich. »Wo ist denn Ihr Rücklicht?«

    »Mein - mein Rücklicht?«

    »Ja, nun schlagen Sie eine andere Tonart an, wie?«, fuhr er fort. »Kein Wunder, dass ich Sie nicht gesehen habe! Als ich um die Ecke kam, konnte ich nur einen ganz verschwommenen Umriss wahrnehmen. Wissen Sie denn nicht, dass Sie sich strafbar gemacht haben?«

    Einen Augenblick lang schaute sie erstaunt zu ihm auf. Dann kam ein verwirrter Ausdruck in ihr gerötetes Gesicht. Behende sprang sie auf ihr Rad und fuhr los.

    »He! Halten Sie!«, brüllte ihr Jimmy nach.

    Sie kümmerte sich nicht um sein Rufen. Da sie die Frage nach dem Rücklicht nicht beantworten konnte, war sie geflüchtet. Jimmy sprang entrüstet in seinen Wagen und ließ den Motor ah.

    »Wenn du glaubst, dass du so leichten Kaufes davonkommst, mein Schätzchen, dann bist du aber schwer im Irrtum«, murmelte er. »Mein Gott! Mich beschimpft sie, und dabei hat sie an ihrem verflixten Rad noch nicht einmal ein Rücklicht!«

    Der kleine Wagen fuhr an - aber nur, um sofort in ein neues Unglück hineinzulaufen. Dicht vor Jimmy stürzte krachend ein Baum quer über den Weg. Es geschah so plötzlich, dass Jimmy keine Zeit blieb, den Aufprall abzuwehren.

    Er trat hart auf die Bremse, aber das nützte nur wenig. Der Wagen fuhr trotzdem hart auf das Hindernis auf, und Jimmy wurde gegen das Steuerrad geworfen. Er spürte einen heftigen Schmerz in der Brust, und kleine Zweige peitschten sein Gesicht. Der Motor starb, man hörte nur noch das Brausen des Sturms - und ein unheilverkündendes Zischen. Dampfwolken stiegen vom Kühler hoch.

      Zweites Kapitel

    »Oh, verdammt!«, stöhnte Jimmy Warrender in seinem Schmerz.

    Das volle Ausmaß der Katastrophe war ihm noch nicht bewusst geworden. Noch war in seinen Ohren nur das Pfeifen des Sturms, und er hatte das Gefühl, als ob ihm das Steuerrad durch die Brust hindurchgegangen wäre.

    Aber eine vorsichtige Untersuchung bewies ihm, dass alle seine Rippen noch intakt und an ihrem normalen Platz waren. Der Schmerz ließ allmählich nach.

    Warmer Dampf stieg ihm in die Nase, und er riss sich zusammen, als ihm dämmerte, was das zu bedeuten hatte.

    »Au!«, sagte er böse. »Da ist etwas entzwei!«

    Entzwei war milde ausgedrückt. Unglücklich starrte er auf den Riss im Kühler, aus dem jetzt heißes Wasser sickerte, während der Dampf abnahm.

    »Verflucht!« wütete Jimmy und fügte noch einige nicht ganz salonfähige Ausdrücke hinzu.

    Das war wirklich Pech. Sich hilflos auf einer finsteren, einsamen Straße vier oder fünf Meilen von dem nächsten Ort zu befinden, war gerade das, was ihm noch gefehlt hatte. Merkwürdigerweise fiel ihm in diesem Moment der Prüfung ein, dass ihm das Mädchen in dem roten Pullover nun endgültig entwischt war und dass er sie nicht wieder zu sehen bekommen würde. Unvernünftigerweise gab er ihr die Schuld an dem Unglücksfall. Wenn er sich ihretwegen nicht aufgehalten hätte, wäre er schon wenigstens eine Meile entfernt gewesen, als der Baum auf die Straße niederbrach.

    Darauf, dass ein zweites Auto auf diesem Wege entlangkommen würde, konnte er bei der Einsamkeit und Verlassenheit der Strecke gar nicht hoffen. Und so überkam ihn die Verzweiflung. Er konnte jetzt nicht mehr vor halb elf oder elf nach High Matcham kommen. Was ihm dann sein Onkel sagen würde, wagte er sich gar nicht vorzustellen.

    »Ach was! Soll der alte Knacker sagen, was er will!«, murmelte Jimmy und betrachtete sein kaputtes Auto mit betrübten Blicken. »Wie sollte er jetzt weiterkommen?«

    Die Antwort darauf war einfach: zu Fuß gehen. Gewiss, wenn er sich in den Wagen setzte und wartete, würde wohl irgendwann einmal ein anderes Auto auf diesem Wege entlangkommen. Aber mit Sicherheit konnte man sich auch darauf nicht verlassen. Denn hier war er, das wurde ihm immer klarer, am Ende der Welt.

    Seine Brust schmerzte noch, aber er wusste, dass er sich nicht ernsthaft verletzt hatte. Sein Auto war schlechter weggekommen: auch die Steuerung war anscheinend beschädigt. Das bestätigte sich, als er den Motor anspringen ließ und versuchte, nach rückwärts aus den Zweigen des Baumes herauszufahren. Der kleine Wagen fuhr zwar ein oder zwei Meter, aber ein schleifendes Geräusch warnte Jimmy, dass es besser sei, von solchen Versuchen Abstand zu

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