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DER RÄCHENDE ZUFALL: Der Krimi-Klassiker!
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eBook277 Seiten3 Stunden

DER RÄCHENDE ZUFALL: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

Dem jungen Zeichner Jeffrey Waring ist in seinem Viertel Raydon's Hill wiederholt die junge Cherry Anderson aufgefallen, allerdings konnte er sich noch nicht überwinden, die attraktive Frau anzusprechen. Bei einem Abendspaziergang staunt Jeffrey nicht schlecht, fliegt ihm doch plötzlich ein blutdurchtränkter Kanarienvogel vor die Füße. Dieser stammt offenbar aus einem nahe gelegenen Gebäude, dessen Verandatür offensteht. Neugierig nähert sich Jeffrey der Tür und findet im Wohnzimmer des Hauses die Leiche von Howard Lycepton, der mit einem Beil erschlagen wurde...

Der Roman Der rächende Zufall von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1954; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1956.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum8. Okt. 2020
ISBN9783748760023
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    Buchvorschau

    DER RÄCHENDE ZUFALL - Victor Gunn

    Das Buch

    Dem jungen Zeichner Jeffrey Waring ist in seinem Viertel Raydon's Hill wiederholt die junge Cherry Anderson aufgefallen, allerdings konnte er sich noch nicht überwinden, die attraktive Frau anzusprechen. Bei einem Abendspaziergang staunt Jeffrey nicht schlecht, fliegt ihm doch plötzlich ein blutdurchtränkter Kanarienvogel vor die Füße. Dieser stammt offenbar aus einem nahe gelegenen Gebäude, dessen Verandatür offensteht. Neugierig nähert sich Jeffrey der Tür und findet im Wohnzimmer des Hauses die Leiche von Howard Lycepton, der mit einem Beil erschlagen wurde...

    Der Roman Der rächende Zufall von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1954; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1956.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    DER RÄCHENDE ZUFALL

    Erstes Kapitel

    »Zum Teufel mit diesem Mädchen!«, brummte Jeffrey Waring gereizt.

    Dann blieb er erschrocken stehen, denn zum Teufel wünschte er das Mädchen am allerwenigsten. Auf jeden Fall fand er es im höchsten Maße beunruhigend, dass sie sich immer wieder in seine Gedanken drängte. Immer wieder sah er sie vor sich die dunkle Straße entlanggehen - schlank und zierlich, mit anmutigem Gang.

    »Idiot!«, sagte er wütend zu sich selbst.

    Dabei wusste er weder ihren Namen noch ob sie überhaupt in Raydon’s Hill wohnte. Während der letzten beiden Wochen hatte er sie lediglich einige Male gesehen. Und nun zerbrach er sich den Kopf darüber, ob sie eventuell schon seit Jahren in diesem Stadtviertel lebte und er sie erst jetzt bemerkt hatte. War er bisher blind gewesen?

    Seine letzte Begegnung mit ihr hatte gestern Morgen stattgefunden. Er war einkaufen gegangen, während Netta das Frühstück bereitete. Sie war Raydon’s Hill South herabgekommen, wahrscheinlich auf dem Weg ins Büro. Als sie aneinander vorübergingen, hatte er den zweiten flüchtigen Blick auf ihr Gesicht werfen können. Er musste sich eingestehen, dass sie das liebenswerteste Wesen zu sein schien, das ihm jemals begegnet war.

    Zum Donnerwetter! Schon seit zwei Tagen war die neue Bilderserie fällig, und er hatte noch immer nicht die leiseste Idee für ein Thema. Heute Abend war er einzig und allein aus dem Grunde spazieren gegangen, um sich eine aufregende Geschichte auszudenken. Stattdessen sinnierte er wieder über dieses Mädchen, dessen Namen er nicht einmal kannte. Während der letzten Woche hatte er mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt, ihr zu folgen und herauszufinden, wo sie wohnte. Aber das schien ihm ungehörig zu sein. Auf jeden Fall, sagte er sich immer wieder, ist sie bestimmt schon verlobt. Wahrscheinlich mit irgendeinem dürren Kerl, der ein Gesicht wie ein Fußabstreifer hat.

    Bei dieser erhebenden Schlussfolgerung angelangt, wurde er plötzlich an sein eigenes Aussehen erinnert und fühlte sich äußerst unbehaglich. Er war dick. Es hatte keinen Sinn, sich darüber hinwegtäuschen zu wollen, er war klein, gedrungen - und dick. Und was noch schlimmer war, er trug eine Brille. Wenigstens beim Lesen.

    Wie konnte er also erwarten, dass ein Mädchen ihn jemals ein zweites Mal anblicken würde? Also hinweg mit diesem Traum!

    Diese letzte Feststellung über sein unzulängliches Äußeres entmutigte ihn völlig. Seine Schritte wurden schleppend. Das Bild, das er von sich selbst entworfen hatte, wirkte auf ihn wie eine kalte Dusche. Dabei war es völlig falsch. Gewiss, er war nicht von übermäßig großer Statur, und sein Gesicht war ohne Zweifel rund - aber es war eine sympathische, einnehmende Rundlichkeit. Und wenn er sich für dick hielt, so spielte ihm ohne Zweifel seine Einbildungskraft einen groben Streich, denn was er selbst als unerwünschte Fettmassen ansah, waren in Wirklichkeit nur gutproportionierte Muskeln.

    »Jeff Waring, alter Esel, du musst dir endlich die neue Bildserie ausdenken!«, rief er sich selbst zur Ordnung. »Mein Gott! Ein simpler Pressezeichner! Ich sehe jetzt schon ihr mitleidiges Lächeln, wenn sie das herausfinden würde!«

    Die Geringschätzung seiner Arbeit war genauso falsch wie das Bild, das er von sich entworfen hatte. Er lieferte den wöchentlichen Comic-Strip für den Sunday Globe. Diese Arbeit bekam er regelmäßig, aber was noch wichtiger war, die Zeichnungen erfreuten sich allgemeiner Beliebtheit und verschafften ihm ein anständiges Einkommen. Es war eine von jenen Bildgeschichten, die man jahrelang fortsetzen kann. Gelegentlich lieferte er auch noch Comic-Strips für Kinderseiten, und zweimal waren schon Karikaturen von ihm im Punch erschienen. Kurz gesagt, Jeffrey Waring war ein durchaus erfolgreicher Pressezeichner.

    Mit entschlossenem Gesicht schritt er jetzt weiter und versuchte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren: Bunty war blond und stets schrecklich aufgeregt. Ununterbrochen brachte sie sich und ihre Zwillingsschwester Babs in die unmöglichsten Situationen. Babs war dunkelhaarig... Jeffrey zog die Stirn kraus. Gewiss, Babs wirkte in seinen Zeichnungen ungewöhnlich hübsch, aber an dieses Mädchen aus Fleisch und Blut, das ihn so völlig durcheinanderbrachte, reichte sie keineswegs heran.

    Wieder riss Jeffrey sich zusammen. Gleichgültig, an was er dachte, stets musste sich das Fremde Mädchen in seine Gedanken zwängen. Babs und Bunty, das bezaubernde Zwillingspaar, waren Jeffreys geistige Kinder, die Hauptfiguren seiner wöchentlichen Strips. Aber er konnte rächt mehr an sie denken, ohne dass vor seinem inneren Auge die Vision eines schwarzhaarigen Mädchens auftauchte.

    Es hatte also keinen Sinn, sich noch länger etwas vorzumachen: Er hatte sich derartig in das unbekannte Mädchen verliebt, dass er sich nicht mehr auf seine Arbeit konzentrieren konnte. Sein Appetit hatte nachgelassen. Er wurde immer zerstreuter. Dabei war das Ganze einfach Wahnsinn. Netta war fest davon überzeugt, dass er ernstlich krank war - und damit hatte sie ja auch recht. Nur dass er von einer anderen Krankheit gepackt war, als sie vermutete. Vorhin hatte sie ihn stöhnend in seinem Studio vorgefunden und ihn energisch zu diesem Spaziergang fortgeschickt, weil sie glaubte, dass ihm frische Luft guttun würde.

    Davon war genug vorhanden, von dieser feuchtkalten Oktoberluft. Wenn Jeffrey Einsamkeit brauchte, um sich etwas einfallen zu lassen, dann störte ihn wahrhaftig niemand. Um zehn Uhr abends war Raydon’s Hill still und menschenleer. Und doch lag die breite London Road mit ihren hellen Neonlichtern und dem regen Verkehr ganz nahe. In fünf Minuten konnte man sie zu Fuß erreichen.

    Raydon’s Hill war ein eigenartiges Viertel. Einige Jahre vor dem Krieg war dieser Stadtteil von einem unternehmungslustigen Baumeister angelegt worden. Meist waren es Einzelhäuser, die hier entstanden waren, von einem Garten umgeben. Oben auf dem Hügel befanden sich ein öffentlicher Park und weiter unten zwei freie Plätze. Überall standen Bäume. Eine typische Gartenstadt im Kleinen, die trotz des Stilgemischs und der billigen Häuser unbedingt schön wirkte. Wenn man London in südlicher Richtung verließ, würde man kaum bemerken, dass dieser Vorort existierte. Es sei denn, man bog aus einem bestimmten Grund in Raydon’s Hill North ein - und diese Straße sah, wenigstens am Anfang, wie jede andere Vorstadtstraße aus.

    Sollte man sich allerdings in Raydon’s Hill North weiter hineinwagen, um vielleicht jemanden in Raydon’s Hill East zu besuchen, dann war es schon passiert. Denn oben auf dem Hügel lief die Straße am Park entlang und wurde urplötzlich zu Raydon’s Hill South. Ehe man sich’s versah, war man dann wieder auf der London Road gelandet. Raydon’s Hill West hatte man verpasst, und Raydon’s Hill East hatte sich mit unglaublicher Geschicklichkeit der Aufmerksamkeit des Fremden entzogen. Die Bewohner von Raydon’s Hill lächelten immer über die Schwierigkeiten ihrer Freunde, die sie besuchen wollten, denn für sie selbst war es ein Kinderspiel, sich zurechtzufinden. Man musste sich eben in diesem seltsamen Häusergewirr auskennen.

    Im Augenblick also ging Jeffrey Waring langsam Raydon’s Hill South entlang, dunkle Gärten auf der einen und eine schmale Wiese mit Bäumen auf der anderen Seite. Ab und zu glommen Lichter von den Häusern herüber, aber niemand außer ihm selbst war auf der Straße. Endlich kam Jeffrey auch die Erleuchtung für seine neue Bilderserie. Diese Ideen kamen ihm stets plötzlich, und wenn er sich darauf konzentrieren konnte, nahmen sie dann auch gleich Gestalt an.

    So müsste es gehen, dachte er, und sein Gesicht hellte sich auf. Bunty steigt in einen Autobus, es ist ziemlich stürmisch - da könnte man die Beine schön zur Geltung bringen -, dann rempelt sie ein Kerl an und stößt ihr die Handtasche aus der Hand... Hm! Und wo ist Babs? Richtig, die ist schon im Bus, ist vor ihr eingestiegen.

    Hier wurde sein Gedankengang jäh unterbrochen. Etwas Gelbes flatterte ihm vor die Füße. Wohl nur ein Blatt. Im Herbst fielen ja überall Blätter von den Bäumen. Jeffrey blieb zögernd stehen und starrte ins Dunkel. Für ein Blatt war dieser flatternde Gegenstand viel zu schwer gewesen, und er hatte auch deutlich einen dumpfen Aufschlag gehört. Seltsam... Er fingerte in der Finsternis herum und spürte endlich etwas Weiches - und Warmes. Er erschrak Dieser kleine, mollige Ball lebte... es war ein Vogel. Als sich Jeffrey halb umdrehte, fiel das schwache Licht einer entfernten Straßenlampe auf das kleine Wesen. Ein Kanarienvogel, und anscheinend schwer verletzt!

    »Na so was!«

    Er ging näher zur Laterne und fühlte, dass seine Hand klebrig war. Er hatte die unangenehme Vorstellung, dass der Vogel in seiner Hand starb. Er spürte noch eine schwache Bewegung, dann regte sich das Tierchen nicht mehr.

    »Mein Gott!«

    Unbewusst hatte Jeffrey diese Worte laut gesprochen. Das klebrige Zeug an seiner Hand war zweifellos Blut! Der Kanarienvogel war über und über mit Blut beschmiert - der kleine Kopf, die schlaffen Flügel, es tropfte sogar von den Federn. Das arme kleine Ding schien schrecklich aufgeschlagen zu sein.

    Keine Menschenseele war zu sehen. Aus den umliegenden Häusern drang nicht das kleinste Geräusch. Jeffrey starrte den toten Vogel an und hatte das unbestimmte Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Natürlich... das Blut! Es war unmöglich, dass dieser kleine Vogel so viel Blut verloren haben konnte, ganz gleich, wie schwer seine Verletzung gewesen war. Die Flügel schienen unbeschädigt, der zarte kleine Körper musste wohl zerquetscht worden sein. Aber die Federn waren förmlich in Blut getränkt. Woher stammte das viele Blut? Und überhaupt - wo war der Vogel hergekommen?

    Bestimmt nicht von weither. In seinem schwerverletzten Zustand konnte er ja nur ein paar Meter weit geflogen sein, vor allem, weil seine Flügel auch noch von Blut verklebt waren. Das kleine Geschöpf war von links gekommen, also von den Gärten. Jeffrey ging zur nächsten Pforte und blickte hinüber. Zwei Fenster und auch die Haustür waren erleuchtet. Ein völlig normales Bild. Jeffrey konnte schwaches Klavierspiel hören.

    Verwirrt drehte er sich um, reichlich nervös geworden. Er ging ein paar Schritte zurück und blickte durch das Gartentor des nächsten Grundstücks... Drei Bäume war in den steinernen Pfosten eingemeißelt. Manche Häuser haben so merkwürdige Namen, bestimmt standen nicht nur drei Bäume im Garten. Ein großes, weitausladendes Haus, viel protziger als die Nachbarhäuser. Die Halle schien gänzlich unbeleuchtet, aber als Jeffrey weiterging, konnte er die Seite des Hauses sehen. Er verhielt seinen Schritt, als er die Verandatür weit geöffnet sah. Aus dem Zimmer fiel ein schwacher Lichtschein in die Dunkelheit. Sicherlich war der Vogel von hier gekommen.

    »Hallo!«, rief Jeffrey. »Ist jemand da?«

    Dann kam er sich wie ein Narr vor. Was hatte es für einen Sinn, hier zu stehen und zu rufen? Er hastete zurück zur Gartenpforte mit der Aufschrift Drei Bäume und öffnete sie. Ein gepflasterter Weg führte zur Haustür, aber Jeffrey beachtete ihn nicht. Er rannte schräg über den Rasen des dunklen Vorgartens nach der Seite des Hauses, zur offenen Verandatür. Aber gerade, als er um die Ecke bog, geschah es.

    Es geschah so überraschend, dass Jeffrey völlig überrumpelt wurde. Aus der Dunkelheit heraus sprang ihn ein Schatten an. Er sah ihn nur für den Bruchteil einer Sekunde und hatte den Eindruck eines blassen Gesichtes mit hohen Wangenknochen, von starrenden Augen und vorstehenden Zähnen, einem zusammengekniffenen Mund... Der Schatten sprang ihn an wie das Ungeheuer aus einem Angsttraum. Dann fuhr ihm eine geballte Faust ins Gesicht und traf ihn mit voller Wucht am Kinn. Durch den Zusammenprall bereits nicht mehr fest auf den Beinen, wurde er durch den Schlag umgeworfen.

    Er musste wohl mit dem Hinterkopf hart aufgeschlagen sein, weil er das Bewusstsein verlor und fast eine Minute lang ohnmächtig dalag. Als er endlich wieder zu sich kam, fühlte er sich völlig benommen. Der Hinterkopf schmerzte ihm gewaltig, außerdem hatte er das Gefühl, dass seine Kinnlade ausgerenkt war. Er öffnete langsam den Mund und spie Blut aus. Sein Zahnfleisch musste verletzt sein. Er betastete vorsichtig sein Kinn - und plötzlich wurde ihm alles wieder klar. An seinem Kinn klebte Blut, obwohl die Haut nicht gerissen war.

    »Großer Gott! Blut! Das muss der Kerl an der Hand gehabt haben«, murmelte Jeffrey und erhob sich schwankend. »Und dieser Kanarienvogel ist auch ganz blutig...«

    Er starrte seine rechte Hand an. Noch immer hielt sie den zerschmetterten kleinen Körper fest umschlossen. Er blickte um sich, aber er war allein. Aus den offenen Verandatüren drang leise Musik - und dann sprang irgendwo ein Motor an. Keine Menschenseele war zu sehen, nicht einmal der Schritt eines nächtlichen Spaziergängers auf der Straße zu hören.

    Jeffrey war so verstört, dass er schon glaubte zu träumen. Es war der typische Alptraum... Aber sein brummender Schädel überzeugte ihn bald, dass dieses Erlebnis nicht nur ein böser Traum war. Als er entschlossen um die Hausecke bog, wurde die Musik lauter. Er überquerte die Veranda und betrat das Zimmer. Auf der Schwelle blieb er überrascht stehen

    Die Vorhänge waren zurückgezogen, von einem kleinen Tischchen an der Wand schien ein bläuliches Licht. Dort stand ein Fernsehapparat, auf dessen Bildschirm ein Ballett tanzte. Jeffrey erkannte, dass es die Television Lovelies waren, er sah sie immer gern. Aber im Augenblick interessierten sie ihn keineswegs.

    Seine Aufmerksamkeit galt vielmehr dem kleinen Vogelbauer, das auf einem Tischchen vor dem Fenster stand. Der Käfig war leer, die Tür stand weit offen. Er war also hier richtig. Der tote Kanarienvogel musste aus diesem Zimmer gekommen sein - und wahrscheinlich auch dieses üble Subjekt, das ihn so gänzlich unvorbereitet zusammengeschlagen hatte.

    Das Ganze gab aber keinen Sinn. Das Zimmer war leer. Hatte er vielleicht einen Einbrecher bei seinem nächtlichen Raubzug gestört? Das wäre denkbar. Aber welche Rolle spielte der Kanarienvogel bei dieser undurchsichtigen Angelegenheit? Warum war das Tierchen so bestialisch getötet worden?

    Vielleicht hat das kleine Ding angefangen zu zwitschern, dachte Jeffrey kopfschüttelnd. Das muss diesen Kerl wild gemacht haben, und er hat es daraufhin einfach aus dem Bauer genommen, zerquetscht und aus dem Fenster geworfen... Hier setzten seine Überlegungen aus. Nein, ganz so einfach kann es nicht gewesen sein. Wo kommt das viele Blut her?

    Und warum war der Fernsehapparat eingeschaltet? Einbrecher interessieren sich doch normalerweise nicht für das Fernsehprogramm, wenn sie irgendwo einsteigen! Jeffrey hätte zu gern gewusst, ob überhaupt jemand im Haus war. In keinem der anderen Fenster war Licht zu sehen. Jeffrey entschloss sich, das Haus wieder zu verlassen.

    Aber er hatte noch keine zwei Schritte getan, als er erschrocken stehenblieb. Unmittelbar neben dem großen Clubsessel, der vor dem Fernsehapparat stand, lag ein Mann.

    »Ja, aber...«, begann Jeffrey.

    Dann schwieg er aus zwei Gründen. Erstens, weil er ohnehin nur ein Krächzen herausgebracht hatte, und zweitens, weil ihm das, was er sah, die Sprache verschlug. Während er um den großen Sessel herumging, bemerkte er, dass der Mann seltsam verzerrt dalag. Neben seinem Kopf war der Teppich von Blut durchtränkt.

    Trotz seiner Erschütterung fielen Jeffrey im gleichen Augenblick zwei weitere Tatsachen auf. Der Schädel des Mannes war auf grausamste Art eingeschlagen, und dicht daneben lag auf dem Teppich ein-Beil.

    Und die Mädchen tanzten immer noch...

    Jeffrey überkam ein unwiderstehliches Verlangen, den Fernsehapparat abzuschalten. Die tanzenden Gestalten standen in groteskem Gegensatz zu dem Bild, das sich hier bot. Jeffrey erschien es sündhaft, in diesem Raum des Todes noch länger solche Darbietungen zu dulden, aber er beherrschte sich, denn ein anderes, noch stärkeres Verlangen packte ihn. Mit steifen Knien wankte er aus dem Zimmer. Er verließ es auf dem gleichen Weg, den er gekommen war - durch die Verandatür. Dann rannte er in panischem Schrecken davon.

    Ein einziger Gedanke beherrschte ihn: weg von diesem Schreckensort - nur weg! Wieder sah er den eingeschlagenen Schädel des Mannes vor sich, den Ansatz zur Glatze, die grauen Haare an den Schläfen. Die leblosen, starren Augen verfolgten ihn. Endlich erreichte er die Gartenpforte und riss sie auf. Seine Hand umklammerte immer noch den toten Kanarienvogel, ohne dass er sich dessen bewusst war. Er strauchelte über einen Stein und stolperte zu einer in der Nähe stehenden Laterne, an der ausgerechnet in diesem Augenblick zwei Frauen vorüberkommen mussten.

    Um die Situation vollends zu verschlimmern, enthüllte das Laternenlicht unbarmherzig Jeffreys Gesicht. Es war kaum verwunderlich, dass die ältere der beiden Frauen beim Anblick dieses blutverschmierten Gesichtes,-seiner wildblickenden Augen und der rotgefärbten Hand, die einen undefinierbaren Gegenstand umklammert hielt, hysterisch zu schreien begann.

    »Beruhigen Sie sich doch!«, keuchte Jeffrey. »Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe. Ich wollte nicht...« Jetzt erst wurde er sich bewusst, dass er noch immer den blutdurchtränkten Kanarienvogel in der Hand hielt. »Herr im Himmel! Ich hatte ganz vergessen... Mord! Drüben in dem Haus.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung ins Dunkle. »Da ist ein Mann...«

    Er schwieg betroffen, denn jetzt begann auch die zweite Frau durchdringend zu schreien. Beide starrten Jeffrey aus vor Schreck geweiteten Augen an, und nach einem erneuten Aufkreischen machten sie kehrt und liefen davon. Im Unterbewusstsein hörte Jeffrey, wie sich Fenster öffneten.

    »Hallo! Warum laufen Sie davon...?!«

    Fassungslos raste er hinter den beiden Frauen her. Der Gedanke, ihnen eine solche Angst eingejagt zu haben, erschreckte ihn. Er hatte nur noch das idiotische Verlangen, sie zu überholen und ihnen alles zu erklären. Das Ergebnis dieser Verfolgungsjagd kann man sich unschwer ausmalen. Sobald die beiden Frauen merkten, dass er hinter ihnen herlief, wuchs ihre Furcht ins Unermessliche, und ihre jämmerlichen Angstschreie zerrissen die nächtliche Stille.

    Seltsamerweise gelang es ihnen, Jeffrey zu entkommen. Inzwischen aber war Raydon’s Hill South auf den Beinen.

    Diese ruhige und stille Straße, die sonst um diese Zeit völlig leer war, wimmelte plötzlich von Menschen. Und da stand auch schon ein baumlanger Mann in Polizeiuniform vor Jeffrey Waring und packte ihn am Arm.

    »Was soll eigentlich das Ganze?«, fragte der Bobby barsch.

      Zweites Kapitel

    Jeffrey Waring begann zu stottern. Leider muss festgestellt werden, dass seine unartikulierten Laute nichts mit der menschlichen Sprache gemein hatten. Der baumlange Polizist leuchtete mit seiner Taschenlampe Jeffrey ins Gesicht und kam zu einem völlig falschen Schluss.

    »Wohl geprügelt, wie?«, fragte er drohend. »Was war das für ein Geschrei?«

    »Diese Frauen!«, jammerte Jeffrey und kam damit immerhin zur Sache. »Sie haben alles falsch verstanden... Warum, zum Teufel, müssen Frauen immer gleich hysterisch schreien, wenn

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