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MISTY DEW 1: Schattenfeuer
MISTY DEW 1: Schattenfeuer
MISTY DEW 1: Schattenfeuer
eBook281 Seiten3 Stunden

MISTY DEW 1: Schattenfeuer

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Über dieses E-Book

An einem Frühlingstag verlässt Irene ohne nähere Angaben ihre Pferde-Ranch in den Bergen des Mistydew-County. Sie hinterlässt ihrer Cousine Joanne die kurze Nachricht, dass sie sich eine Weile zurückziehen will und verschwindet.
Da Irene ihre geliebten Pferde niemals ohne triftigen Grund im Stich lassen würde, vermutet Joanne zunächst, dass Irene unter dem Tod ihres guten Freundes Randy leidet, der kürzlich sein Leben bei einem Rodeounfall verloren hat.
Sie beschließt, ihrer Lieblingsverwandten die Zeit zu geben, die sie braucht.
Als Joanne nach Wochen immer noch keine Nachricht von Irene erhalten hat, beauftragt sie Will, einen alten Freund der Familie, ihre Verwandte zu finden.
Bei der Suche nach der Verschwundenen wird der Privatdetektiv von Julian, dem Sohn seines verstorbenen Freundes, unterstützt.
Als die beiden Männer Irene in Chicago aufspüren, kommen sie gerade rechtzeitig um sie aus einer misslichen Lage zu befreien.
In derselben Nacht bemerkt Julian, dass etwas nicht stimmt. Irene scheint von Albträumen geplagt, außerdem passieren um sie herum unerklärliche Dinge.
Julian, der vor Jahren mit dem Übernatürlichen zu tun hatte, vermutet einen Geist hinter den Geschehnissen. Dieser Vermutung steht Will ablehnend gegenüber, der ebenso wie Julian diesen Teil der Vergangenheit am liebsten vergessen würde.
Schließlich und endlich kann Julian ihn dazu überreden, ihm zu helfen.
Irene indessen, ist nicht überzeugt von der Geschichte, doch erkennt, dass sie alle gemeinsam zur Ranch müssen, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Da sie ihre eigene Vorstellung von der Situation hat, begibt sie sich in Gefahr, um ihre Freunde auf der Ranch zu beschützen und gerät dadurch mit Julian aneinander, der sich nicht ernstgenommen fühlt.
Trotz der Gegensätze entwickelt sich langsam eine Freundschaft zwischen allen Beteiligten.
Gemeinsam stellen sie sich im Kampf einem schier übermächtigen Gegner.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum21. Okt. 2014
ISBN9783737513340
MISTY DEW 1: Schattenfeuer
Autor

Agnete C. Greeley

A. C. Greeley lebt und schreibt in Wien. Seit Jahren arbeitet sie teilzeitbeschäftigt in der Altenbetreuung und widmet sich hauptberuflich dem Schreiben. Am liebsten schreibt sie fantastische Romane im Horror & Mystery-Bereich. 2010 erschien ihr Debütroman ‚Nebel der Vergangenheit‘, im Pro Business Verlag unter dem Pseudonym Acey W. Greeley (frisch von der Seele geschrieben). 2013: Mitautorin in der Anthologie: ‚Telefon!‘ im Phantastik-Buch Verlag. 2014 veröffentlichte sie ein Kurzgeschichten – eBook ‚Kleine Schattenwelten‘ über Neobooks 2014 kam ihr erster Roman aus der Misty Dew-Serie: Misty Dew 1 - Schattenfeuer auf den Markt. 2015 folgte Misty Dew 2 - Schattenwinter.

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    Buchvorschau

    MISTY DEW 1 - Agnete C. Greeley

    1. Prolog

    Der Regen prasselte unaufhörlich auf den dunklen Asphalt und der kalte Wind, der von Kanada herkam, ließ die schmächtige Gestalt frösteln. Der rote Wollmantel wärmte sie nicht genügend. Doch sie wusste, dass die schlimmste Kälte aus ihrem Inneren kam und sich nicht einfach abschütteln ließ, egal wie warm sie sich anzog.

    Seit Wochen war diese Kälte ihr ständiger Begleiter.

    Unsicher betrachtete die junge Frau die dunklen Häuserfronten, deren Fenster wie leere Augen wirkten. Leer. Tot, wie er.

    Nein. Kopfschüttelnd beschleunigte sie ihre Schritte. Vielleicht schnappte sie tatsächlich über. Womöglich hätte sie erst gar nicht hierher kommen dürfen, dennoch warf sie immer wieder einen Blick hinter sich.

    Fahrig strich sie sich eine Strähne feuchten, blonden Haares aus dem schmalen Gesicht. Nichts, da war niemand. Da war - nichts. Vielleicht hätte sie nicht den vierten Cocktail trinken sollen, aber er half ein bisschen. Und er brachte die Stimmen in ihr zum Verstummen.

    Mit angespannter Miene betrachtete die Frau die dunklen Hauseinfahrten, die sie passierte. Nur rasch weiter! Sie wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis ER erneut auftauchen würde.

    Unwillkürlich beschleunigte sie ihre Schritte.

    Wohin musste sie noch schnell? Ach ja, nachhause.

    Sie lachte trocken auf. Nachhause in diese winzige Wohnung, wo die Fenster größtenteils undicht waren und das Türschloss nicht richtig funktionierte.

    Mit klammen Fingern schob sie ihren Kragen hoch. Eine letzte hilflose Geste, dem Wetter Paroli zu bieten.

    Der Regen hatte sie bereits komplett durchnässt.

    Hastig bog sie in eine Seitengasse ein. Fernab vom fröhlichen Lärm wirkte die Stadt auf einmal sehr einsam und sehr still. Ihre Absätze klackerten auf dem Bürgersteig, als sie, ihr Tempo erhöhend, an den alten Wohngebäuden vorbeieilte. Sie war alleine, sah nur einen obdachlosen Schwarzen, der in einer Hauseinfahrt schlief. Sie wankte an ihm vorbei, wohl wissend, dass er am nächsten Morgen wieder auf der Bank im Clybourn Park sitzen würde. Auch das kleine Café mit den alten hohen Glasfenstern war jetzt verlassen. In einigen Stunden würden, trotz Regen und Kälte, zwei Tische mit jeweils vier Stühlen unter der Markise stehen, einige Studenten würden dort sitzen und ihren Kaffee genießen. Immer in Erwartung des Frühlings, der nicht und nicht kommen wollte.

    Der Gedanke an den nächsten Morgen beruhigte sie. Alles ist vertraut.

    Vor einem großen grünen Eingangsportal blieb sie stehen und wandte sich noch einmal um. Inzwischen zogen flache Nebelfetzen in die enge Gasse und waberten entlang der Mauern hoch. Hier, zwischen den hohen Gebäuden, verlor der Wind an Kraft, wodurch sich der Chicagoer Nebel schleichend ausbreiten konnte.

    Hastig schloss sie die schwere Eingangstür auf und huschte in das finstere Stiegenhaus hinein. Sie brauchte einen Moment, um sich im dunklen, muffig riechenden Haus zurechtzufinden. Die altbekannte Panik kam in hinterhältigen Schüben wieder hoch. Nein, hier war nichts, hier konnte niemand sein. Das Tor war immer zugesperrt und irgendwo gab es ja auch einen Lichtschalter.

    Ja, suche ihn, komm schon, Licht vertreibt die Schatten.

    Fieberhaft tastete sie sich an der Mauer entlang. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Was, wenn jemand, etwas, hier auf sie wartete, lauerte?

    Nein, Blödsinn, hier konnte nichts sein. Nichts würde hier auftauchen, keine Stimmen aus dem Nichts. Nein, heute nicht, denn sie hatte genügend intus um bis in ihre tiefsten Träume hinein, zu Ruhe zu kommen. Für eine Weile, eine Nacht, einen Morgen.

    Aber wo war bloß der verflixte Lichtschalter?

    »Komm schon, denk nach, du weißt doch, wo er ist«, sprach sie sich selbst Mut zu.

    Dann, fast gleich darauf, ertastete sie den kleinen Hebel und legte ihn um. Schwach, aber stetig flammte das Licht auf. Erleichtert lehnte sie sich an die Wand.

    Vielleicht hätte sie doch nicht so viel trinken sollen, aber der Alkohol brachte die fremde Stimme in ihr zum Schweigen und vertrieb die unheimlichen Schatten, die überall dort lauerten, wo man es nicht erwartete.

    Darauf würde sie garantiert nicht warten, stattdessen eilte sie rasch die Stufen zum dritten Stock hoch. Den Aufzug mied sie, wie immer. Dort, in der Nische waren zu viele Schatten, und auch wenn das merkwürdig klang, genau diese Schatten waren es, die sie an ihrem Verstand zweifeln ließen.

    Als sie den zweiten Stock passierte, warf sie automatisch einen Blick aus dem Fenster. Von hier aus konnte man unschwer die verschwommenen Lichter des North Lasalle-Turmes erkennen. Morgen dann, zeitig in der früh, wenn der Wind noch schlief, würde der typische Frühjahrsnebel erneut alles in ein düsteres Grau verwandeln, während die Frau vermutlich noch tief schlafen würde. Falls sie das konnte, falls die Träume nicht früher zurück kamen, oder die Bilder.

    2. Kapitel

    Mistydew County - Eagleside-Ranch

    Julian hob vorsichtig ein weiteres Buch vom Nachtkästchen und betrachtete den Einband, ehe er ihn zu den anderen auf das Bett legte. Zum hundertsten Mal fragte er sich, wieso sie wegen einer erwachsenen, verschwundenen Frau so einen Aufstand machten. Aber da Will nachdrücklich gemeint hatte, er wäre noch jemandem einen Gefallen schuldig, hatte Julian nicht protestiert.

    Immerhin war er selbst dem älteren Mann mehr als nur einen Gefallen schuldig.

    Ehe seine Gedanken jedoch erneut in die Vergangenheit driften konnten, öffnete er resolut die Tür vom Nachtkästchen. Seufzend starrte er auf den himalayahohen Stoß mit Pferde- und Rancher-Zeitschriften. Kopfschüttelnd hob er das oberste Heft an und blickte auf das bunte Bild eines ebenso bunten Rodeoclowns. Daneben stand ein geschecktes Pferd, ein sogenanntes Paint Horse, eines von vielen Pferdearten der Staaten, die speziell für Cowboys gedacht waren. Julian runzelte nachdenklich die Stirn.

    »Diese Irene ist ein echter Pferdefreak«, murmelte er, während er sich erneut den Büchern zuwendete, die hier herumlagen.

    »Schau dir mal nur die Titel an«, fuhr er an Will gewandt fort.

    »‚Der mit den Pferden spricht‘, ‚Pferdeseelen verstehen lernen‘, ach ja, und dann das hier: ‚Das ABC des Barrel Racing‘. Hier gibt‘s fast nur solchen Kram.«

    Ein unverständliches Murmeln ertönte aus dem Schrankraum. Scheinbar war Will gerade mit irgendetwas beschäftigt. Unbarmherzig fuhr Julian fort.

    »Na, sag schon, Will. Ist diese Irene so was wie eine Pferdepsychiaterin? Ich meine, die Bücher, sie sind alle so«, da ihm das richtige Wort dazu nicht einfiel, hielt er inne.

    Aus dem Nebenzimmer kam erneut nur ein Ächzen. Will hatte wohl gerade einige Mühe, zu antworten.

    Julian grinste und warf einen Blick auf die offene Tür des Schrankraumes.

    »Will, was meinst du? Ist sie so was? Du weißt schon, so wie Robert Redford in diesem Film.«

    Ein Mann, etwa Mitte fünfzig mit einem Dreitagebart steckte den Kopf aus dem begehbaren Schrank. Seine düstere Miene verhieß nichts Gutes.

    »Junge, ich hatte gerade eine Begegnung mit einer Kiste. Einer verdammten Kiste, die mir beinahe auf den Kopf gefallen wäre, und du laberst etwas von Robert Redford. Mach einfach mal die Augen auf! Also, was siehst du?« Der ältere Mann rollte vielsagend mit den Augen, ehe er sich wieder in den Schrankraum zurückzog.

    Julian hob die Augenbrauen, und ließ seinen Blick erneut über die mit Fotos und Pokalen reichlich bestücken Regale schweifen. Kopfschüttelnd musterte er ein orangerotes Glaspferd, das mittendrin stand.

    »Okay, ich sehe Glaspferde, Bücher und Fotos mit Pferden, Pferdepokale, eine blonde Frau auf Pferden, dieselbe neben Pferden, eine blonde Frau mit einem Pokal, mit einer Gürtelschnalle, mit Cowboys.« Er seufzte laut.

    »Schon geschnallt, sie hat‘s eindeutig mit Pferden«, rief er.

    Doch dann entdeckte er das andere Bild. Unauffällig stand es hinter einer Holzfigur. Das einzige Teil, das hier nicht reinpasste.

    »Außer bei dem hier«, fügte er leise hinzu. Er trat näher, und fischte den hübschen blauschwarzen Rahmen hinter der Darstellung einer schwarzen Sängerin hervor.

    Die Frau auf dem Bild war eindeutig Irene, auch wenn sie darauf jünger wirkte. Sie stand auf einer Bühne hinter einem Mikrofon. Sah ganz danach aus, als ob sie gerade sang.

    Er stieß einen leisen Pfiff zwischen den Zähnen hervor. Das war mal was Neues.

    »Jul, könntest du jetzt endlich mal deinen Arsch hier reinschwingen und einem alten Mann helfen, die Kisten runterzuheben? Hier drinnen gibt‘s Arbeit, falls du noch weißt, was das bedeutet«, murmelte Will griesgrämig.

    »Hmh, bin gleich bei dir, alter Mann.« Vorsichtshalber senkte er bei den beiden letzten Worten die Stimme, ehe er sich das Bild genauer besah.

    »Was sagt man dazu ...«, murmelte er leise.

    Irene Morris trug darauf ein figurenbetontes, langes blauschimmerndes Kleid, dessen Schnitt raffiniert einen Blick auf ein wirklich hübsches Bein freigab. Hellblonde Haare fielen in weichen Locken über die Schultern. Julian erkannte in den Augen das fröhliche Leuchten. Ja, der Fotograf hatte das wichtigste festgehalten. Er nickte anerkennend. Eine hübsche Frau, war sie schon, diese Irene Morris. Eindeutig. Doch das alleine war es nicht, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Dieses Foto war außerdem das Erste, das nicht zum üblichen Zeug in diesem Zimmer passte. Kein wildes Cowgirl, keine Pferde.

    Julian beschloss, sich später näher damit zu beschäftigen.

    Im begehbaren Schrank kämpfte Will noch immer mit irgendeiner Sache. Sein Fluchen genügte, um Julian endlich auf den Plan zu rufen.

    Seufzend ließ er das Bild im Regal liegen, und betrat den Schrankraum. Man konnte ja nie wissen.

    »Wurde auch schon höchste Zeit«, grummelte Will genervt, während er versuchte, eine Kiste runterzuheben, die bereits gefährlich über den Rand hing.

    Julian grinste, bevor er sich mühelos hochstreckte, um Will mit der Riesenschachtel zu helfen. Am Rande registrierte er, dass es mehrere leergefegte Regale gab.

    Einige Bügel hingen einsam herum, und klirrten leise gegeneinander, als er sie streifte. Entweder hatte Irene Morris nicht viele Kleidungsstücke gehabt, oder sie hatte nicht vorgehabt, so schnell wieder nachhause zu kommen. Julian tippte auf zweites.

    Problemlos hob er den staubigen, mehrfach mit braunem Klebeband zusammengepappten Karton hinunter. Eine zweite

    Kiste aus Holz stand gleich dahinter. Diese gammelte garantiert schon etwas länger einsam vor sich hin, so verstaubt, wie sie aussah. Jemand hatte, wohl als Schutz, seinerzeit eine rosafarbige Decke darüber ausgebreitet, die inzwischen die Farbe eines schmutzig-rosigen Marzipanschweines angenommen hatte. Von der Decke hingen alte Spinnweben.

    Eine dünne Wolke aus feinem Staub stieg auf, als Julian sie Will hinunterreichte.

    »Puh, hier hat aber schon länger niemand saubergemacht«, konstatierte er irritiert.

    Dennoch hatten sie wenige Sekunden später in Gemeinschaftsarbeit die beiden Kisten ins Zimmer auf den hellen Teppich bugsiert.

    Missmutig verzog Will das Gesicht, als sich eine weitere Staubwolke löste und die Partikel ihn in der Nase kitzelten.

    »Verd ...«, Er musste niesen.

    »Gesundheit, alter Mann«, meinte Julian freundlich, ehe er sich die beiden Dinger näher besah.

    »Hm, wonach suchen wir eigentlich genau? Ich meine, was haben wir überhaupt?«

    »Joanne hat gesagt, dass Irene vor einigen Wochen einfach mir nichts dir nichts, verschwunden ist. Sie hat zwar einen Brief hinterlassen, in dem sie erklärt hat, dass sie ‚irgendwohin‘ geht um für sich zu sein«, er fischte einen abgegriffenen Zettel aus der Hosentasche und glättete das Papier.

    »Aber sie hat keine genauen Angaben gemacht. Nichts, was uns helfen könnte, sie aufzuspüren. Joanne glaubt, das Ganze hat mit ihrem Kumpel Randy McLachan zu tun, der vor ein paar Monaten von einem Bullen getötet wurde, und macht sich große Sorgen. Irene hat zuerst normal weitergemacht, und dann Hals über Kopf ihre Pferde und die Farm verlassen, was ihr überhaupt nicht ähnlich sieht.« Schulterzuckend fuhr Will fort.

    »Keine weiteren Nachrichten mehr, keine näheren Erklärungen. Niemand weiß, wohin sie ist. Ihre Kreditkarten sind nicht benutzt worden, bis auf einmal, da hat sie«, er studierte nochmal den Zettel in seiner Hand.

    »Sechstausend Dollar abgehoben. In Kalispell. Danach nichts mehr.« Schulterzuckend schob er den Zettel wieder in die Hosentasche.

    »Hm, was genau macht Joanne jetzt so zu schaffen?« Julian sah nach wie vor keinen Anlass zu übertriebener Sorge.

    »Dieser Freund, Randy, er ist tot, da ist es doch verständlich, wenn ihre Cousine mal Abstand braucht und verschwindet. Vegas, New York, ein Trip durch die Wildnis, das hatten wir alles schon. Ich meine, Irene ist wie alt? Vierundzwanzig, fünfundzwanzig? Was macht das hier also zu einem solchen Notfall?«

    Will zuckte mit den Schultern.

    »Naja, sie ist eben Hals über Kopf weg, hat ihre heißgeliebten Pferde einfach im Stich gelassen. Ich meine, sieh dich doch um. Passt so gar nicht zu ihr. Und vor allem gibt’s da noch diesen Mike Reynolds, das ist ein bekannter Pferdeflüsterer aus Wyoming. Sie hatte sich für einen Workshop bei ihm angemeldet. Dieser fand genau eine Woche nach ihrem Verschwinden statt. Ist doch seltsam, wenn sie so viel Wert auf die Tiere legt, und dann mir nichts dir nichts einfach so verschwindet. Ich kenne ja diesen Reynolds-Typen nicht persönlich, aber der ist so eine Berühmtheit unter den Pferdemenschen. Seine Workshops sind sehr gefragt und teuer. Man muss sich schon lange vorher anmelden. Und Joanne, ich kenne sie schon lange, ihr Vater war ein Freund von mir. Sie lässt sich normalerweise nicht so schnell ins Bockshorn jagen. Das ist eigentlich Grund genug für mich, der Sache nachzugehen.« Er wirkte einen Augenblick nachdenklich.

    »Ich kenne auch Irene ganz gut. Nicht so, wie Joanne, dafür war Irene zulange in Europa. Dänemark, Österreich, wo auch immer. Dauerte ein Weilchen, bis sie hierher zog. Aber, naja, sie war immer schon anders.«

    Nachdenklich hielt er inne, ehe er leise weitersprach.

    »Ein hübsches Ding und sehr klug. Hat ein Händchen für Pferde. Sie ist so«, er suchte nach dem richtigen Wort.

    »So natürlich, und einfühlsam. Geht mehr nach Gefühl bei den Tieren. Nie lässt sie jemandem im Stich. Einmal da hat sie«, als ob er schon zuviel verraten hatte, stockte er mitten im Satz.

    Julian runzelte die Stirn.

    »Hat sie was?«

    Will sah aus, als wäre es ihm unangenehm, bereits so viel gesagt zu haben.

    »Nicht so wichtig. Nur eines, ein Gefühl sagt mir, dass sie in Schwierigkeiten steckt. Joanne denkt das übrigens auch, also genügt das erstmal.« Es schien, als wollte er noch etwas dazu sagen, doch dann wandte er sich der Pappschachtel zu.

    »Okay machen wir dieses Ding hier zuerst auf.«

    Julian nickte und fischte sein Messer vom Gürtel. Als er die Klinge herausspringen ließ, hielt er sie prüfend hoch. Die scharfe Schneide funkelte im Licht der Deckenbeleuchtung.

    Will verdrehte die Augen.

    »Ja, du hast ein tolles Messer. Könntest du dann mal endlich weitertun?«

    Julian grinste.

    »Dann wollen wir mal.«

    Er fuhr gezielt mit dem Messer an den Klebebändern entlang, die sich wie Butter durchschneiden ließen. Julian suchte nach einer Aufschrift, irgendwas, das auf den Inhalt schließen ließ.

    »Hm, die Kiste ist nicht angeschrieben.« Als er den dicken Pappdeckel hinunterhob, schlug ihm sofort ein herber Pferdegeruch entgegen.

    »Oh Mann, das Zeug stinkt.« Naserümpfend schob er eine blaue Pferdedecke beiseite.

    »Pferde stinken nicht, du bist nur ein Weichei und nichts mehr gewöhnt«, entgegnete Will darauf. Doch Julian ignorierte ihn, und zog stattdessen einen Pokal hervor.

    »Was haben wir denn da? Schau, schau, scheint, als hätten wir hier tatsächlich die Randy-Box«, meinte er trocken, während er dem älteren Mann das goldene Ding hinhielt.

    »Schau dir das an. Frontierdays, Cheyenne, 2007. Erster Platz. Und hier«,

    Er zog eine riesige Gürtelschnalle hervor.

    »Fort Worth, 2010, Freedays-Rodeo. Na fantastisch. Was für ein Held.«

    »Ja, vermutlich hat Irene sein ganzes Zeug hier für ihn aufbewahrt.«

    Will griff nach einer dünnen Mappe und schlug sie auf. Es beinhaltete mehrere Zeitungsausschnitte und Bilder von diversen Rodeos. Er zog ein loses Foto daraus hervor und betrachtete es nachdenklich, ehe er es an Julian weiterreichte.

    »Hier, das ist er wohl, und daneben Irene.«

    Julian musterte den kräftigen Cowboy, der breit in die Kamera grinste, die Hand um die Schultern der Vermissten gelegt.

    »Auch wenn ich nicht so auf Anabolika stehe, aber dieser Randy, wirkt er nicht, wie der klassische Frauenschwarm?«

    Stirnrunzelnd besah sich Will das Bild erneut.

    »Hm, naja, vermutlich schon, keine Ahnung, und nein, die beiden hatten nichts miteinander«, fügte er hinzu. »Zumindest hat Joanne mir das versichert.«

    »Hm, das besagt gar nichts. Wer weiß, ob Cousinchen alles weiß. Es könnte ja mal was gewesen sein. Ein One Night Stand nach einem erfolgreichen Rodeo, irgendwas in der Richtung. Und Liebeskummer ist ein tolles Argument für eine solche Flucht, besonders, wenn einer so stirbt wie dieser Randy.« Nachdenklich nahm Will ein weiteres Foto hervor. Diesmal zeigte es nur Irene, die frech in die Kamera grinste. Julian deutete vielsagend darauf.

    »Nun, wenn das die Randy-Box ist, und danach sieht es aus, dann hatte er auffallend viele Fotos von Irene gesammelt, findest du nicht auch?«

    Ein dezentes Klopfen an der Tür riss die beiden aus ihren Gedanken. Kurz darauf schaute Matt Taylor, der Farmhelfer rein. Die halblangen, dunklen Haare hingen ihm in die Stirn, was seinem besorgten Gesichtsausdruck noch mehr Tiefe verlieh.

    »Ich hab Sandwiches gemacht. Vielleicht kommt ihr mal runter und gönnt euch eine Pause.«

    Er musterte flüchtig die staubige Bescherung auf dem hellen Teppich und runzelte die Stirn.

    Julian nickte freudig, ehe er sich erhob und seine staubigen Hände an der Jeans abwischte.

    »Gute Idee. Die zweite Kiste schauen wir uns nachher an.«

    Will wirkte noch immer gedankenverloren.

    »Matt, sag mal, wie lange bist du schon hier?«, fragte er den jungen Mann.

    »Im Mai sind’s zwei Jahre. Wieso?«

    »Ich dachte, du wüsstest vielleicht, ob Randy und Irene etwas am Laufen hatten?«

    Will hielt ihm das Foto mit den Beiden unter die Nase.

    Matt nahm es ihm behutsam aus der Hand und besah es sich genauer.

    »Hm, Randy war in letzter Zeit öfter hier. Das fiel schon auf. Allerdings hat er nichts Genaues gesagt«, er deutete auf die Kiste.

    »Aber sein Zeug hat sie schon immer hier aufbewahrt. Kommt öfters vor. Die meisten Cowboys haben kein richtiges Zuhause, auch wenn sie immer wieder die gleichen Farmen betreuen. Randy zog in der Hauptsaison immer mit dem Rodeozirkus herum. Da waren seine Trophäen hier gut aufgehoben.« Noch einmal betrachtete er das Foto, ehe er es Will zurückgab.

    »Obwohl, könnte schon sein, dass er vielleicht ein bisschen auf sie stand«, fügte er nachdenklich hinzu.

    »Und wie kommst du jetzt darauf?«

    »Naja«, schulterzuckend setzte sich Matt auf einen Hocker, der neben der Tür stand.

    »Er kam zum Schluss öfter, brachte ihr alles Mögliche mit. Bei jeder Party hier auf der Ranch, jedem Barbecue war er dabei, sang, erzählte Witze und so was.

    Als ich damals hier angefangen habe, war das irgendwie noch anders. Da hatte Irene einen Typen aus New York an der Angel. John Brighton oder so ähnlich. Ein Manager halt, mit einem tollen Geschäftsauto, und feinen Anzügen. Der kam ein paar Mal her. Machte einen auf Surfertyp. Braungebrannt, sportlich. Ein dezent verächtlicher Ton schwang in seinen Worten mit.

    »Irene verbrachte sogar ein ganzes Wochenende mit ihm in New York. Aber dort ist wohl etwas passiert, denn als sie nachhause kam, war sie eine Zeitlang auffallend ruhig. Johns Besuche wurden weniger, die Anrufe. All das, was man halt so mitbekommt. Irene war eine Weile ziemlich still, aber irgendwann machte sie einfach weiter wie zuvor. Ich glaube nicht, dass sie noch Kontakt zu diesem Kerl hat.« Julian war hellhörig geworden.

    »Moment, sie hatte einen festen Freund und das war nicht der Rodeo-Cowboy?«

    Matt schüttelte den Kopf.

    »Nein, das war nicht Randy, sondern ein unsympathischer Stadttyp, mit einem ungesunden Hang zur Eifersucht.« Matts Stimme hatte für einen Moment einen harten Klang angenommen.

    »Als der nicht mehr kam, tauchte Randy plötzlich regelmäßig hier auf. Er hat

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