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DIE GEHEIMNISVOLLE BLONDINE: Der Krimi-Klassiker!
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eBook296 Seiten4 Stunden

DIE GEHEIMNISVOLLE BLONDINE: Der Krimi-Klassiker!

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Über dieses E-Book

In einer nebeligen Oktobernacht geht der Textilkaufmann Peter Earnshaw mit dem Auto auf Mädchenjagd. Und er scheint Glück zu haben: Das blonde Mädchen, das zu ihm in den Wagen steigt, ist alles andere als zurückhaltend. Peter ahnt nicht, dass ihm der Tod auf den Beifahrersitz gestiegen ist...

Chefinspektor Cromwell übernimmt den äußerst rätselhaften Fall.

Der Roman Die geheimnisvolle Blondine von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1963; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum28. Dez. 2020
ISBN9783748769750
DIE GEHEIMNISVOLLE BLONDINE: Der Krimi-Klassiker!

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    Buchvorschau

    DIE GEHEIMNISVOLLE BLONDINE - Victor Gunn

    Das Buch

    In einer nebeligen Oktobernacht geht der Textilkaufmann Peter Earnshaw mit dem Auto auf Mädchenjagd. Und er scheint Glück zu haben: Das blonde Mädchen, das zu ihm in den Wagen steigt, ist alles andere als zurückhaltend. Peter ahnt nicht, dass ihm der Tod auf den Beifahrersitz gestiegen ist...

    Chefinspektor Cromwell übernimmt den äußerst rätselhaften Fall.

    Der Roman Die geheimnisvolle Blondine von Victor Gunn (eigentlich Edwy Searles Brooks; * 11. November 1889 in London; † 2. Dezember 1965) erschien erstmals im Jahr 1963; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im gleichen Jahr.

    Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

    DIE GEHEIMNISVOLLE BLONDINE

    Erstes Kapitel

    Als Peter Earnshaw langsam in seinem Riley die schlecht beleuchtete, nebelige Straße entlangfuhr, verspürte er nicht die leiseste Vorahnung, dass er innerhalb einer halben Stunde ein toter Mann sein würde...

    Um es auf den Punkt zu bringen, Peter Earnshaw war ein höchst unerfreulicher junger Mann. Augenblicklich trieb er sich hier herum, um ein junges Mädchen anzusprechen und aufzugreifen. Dies war seine Lieblingsbeschäftigung. Er verbrachte jede Woche ein, zwei Abende auf diese Art und Weise. Und es gab eine ganze Menge junger Mädchen in den Londoner Vororten Stretton und Norsham, die allen Grund hatten, es zu bereuen, auf seine süßen Redensarten hereingefallen zu sein. Mit einem Wort, Peter, Geschäftsführer eines Herrenbekleidungsgeschäftes in Stretton, war ein ausgesprochener Schmutzfink.

    An diesem frühen Oktoberabend schien kein Mond. Die Luft war mild. Ein dünner Nebel lag über Straße und Gärten. Heute versuchte Earnshaw sein Glück wieder einmal im Raydons-Hill-Bezirk in Norsham. Da er hier schon früher bei seiner zweifelhaften Abendunterhaltung Erfolg gehabt hatte, war er bester Laune und erwartungsvoll gestimmt. Er bog von der großen, aus der Stadt herausführenden London Road ab und rollte gemächlich die Raydons Hill North entlang. Eine ruhige, fast vornehme Villenvorortstraße. Nach wenigen Metern bereits führte sie in ein beinahe unwirklich anmutendes Reich der Stille und Abgeschlossenheit. Wer die geschäftige Hauptstraße mit ihren hellen Neonlichtern und dem regen Verkehr entlangeilte, kam gar nicht auf die Idee, dass eine derartige Oase der Stille so nahebei liegen könnte. Raydons Hill wirkte fast wie eine Kleinstadt, in sich abgeschlossen, mit einer gewissen Würde, exklusiv und zurückgezogen, wenn nicht fast verborgen. Der einzige, aber wesentliche Unterschied zu einer Kleinstadt bestand darin, dass es keine Geschäfte und keine Wirtshäuser gab.

    Raydons Hill stellte das Lieblingsprojekt eines unternehmungslustigen Städteplaners dar, der diesen Vorort wenige Jahre vor dem zweiten Weltkrieg angelfegt hatte. Villenstraßen liefen fächerförmig von der Krone des Hügels aus in alle Richtungen. Oben, auf der Kuppe, dehnte sich eine weite Grünfläche, die fast wie ein Dorfplatz wirkte. An einer Seite lag ein großes Herrenhaus, das diese Rasenfläche überblickte, das Haus am Hügel.

    Besucher, die ihre in Raydons Hill wohnenden Freunde zum ersten Mal aufsuchten, verirrten sich meist hoffnungslos in diesem Gewirr von Straßen und Sträßchen, engen Gassen und Parkwegen, die den Stadtteil kreuz und quer durchzogen. Raydons Hill North führte zunächst den Hügel hinauf, um oben im Halbkreis am Raydons Crescent entlangzulaufen und hier ihren Namen plötzlich unverständlicherweise in Raydons Hill South zu ändern. Irgendwo zweigten hier die Raydons Hill West und die Raydons Hill East ab. Aber auf den ersten Anlauf war es fast unmöglich, diese zu finden. Um die Verwirrung vollständig zu machen, gab es noch eine zweite, ausgedehnte Grünfläche, den sogenannten Bush – vermutlich die einsamste Stelle dieser Gegend.

    Peter Earnshaw schien die einzige lebende Seele zu sein, die um diese Zeit noch unterwegs war. Als er an dem prunkvollen Herrenhaus auf der Kuppe des Hügels vorbeifuhr, fragte er sich träge, wer wohl heutzutage noch einen solchen Kasten bewohnen mochte. Seine Gedanken wurden jedoch jäh durch eine schlanke Mädchengestalt in einem dunklen Mantel abgelenkt, die in diesem Moment aus dem Parktor eben dieses Besitzes kam. Der helle Schein der Straßenlaterne beschien sie deutlich. Sie war sehr jung. Ihr blondes Haar trug sie zu einem altmodischen, tief im Nacken sitzenden Knoten geschlungen. Das feingeschnittene, kaum geschminkte Gesicht war auffallend hübsch. Gleichzeitig jedoch wirkte es irgendwie verkrampft und mürrisch.

    Peter schaltete herunter, fuhr langsam bis zu ihr vor und beugte sich aus dem Fenster.

    »Guten Abend, meine Schöne!«, rief er munter.

    Das Mädchen zögerte. Ihre ganze Haltung drückte nichts als schroffe Ablehnung aus. Ihr Gesichtsausdruck wurde, wenn möglich, noch hochmütiger. Sie sah ihn mit eiskalten Augen an. Peter schüttelte sich affektiert.

    »Na, na! Weshalb sehen Sie mich denn so vernichtend an, Mädchen«, meinte er grinsend. »Ich will ja gar nichts von Ihnen. Ich bin nichts weiter als ein harmloser, hilfsbereiter Mensch. Kann ich Sie vielleicht ein Stückchen mitnehmen?«

    Verblüfft brach er ab. Das Mädchen wandte sich schweigend um und ging davon. Peter zuckte die Achseln und fuhr wieder an. Pech gehabt! Halb so schlimm. Sie wäre sowieso nicht sein Typ gewesen. Mit hoffnungsvoller Miene setzte er seinen Weg die Raydons Hill South entlang fort und bog dann in die Raydons Hill West ein. Kein Mensch war mehr unterwegs. Er nahm die kurze Verbindungsstraße, die zum Bush führte und drehte eine Ehrenrunde. Abermals Pech gehabt. Es gab nur diesen einen Zugang, der augenscheinlich zugleich auch die Ausfahrt war. Zwar führten zwei Fußwege hier entlang: die Bush Passage oben auf der Kuppe und hier unten der Bush Place. Aber beide waren für Autos viel zu schmal. Nachdem Peter einmal um den kleinen Park herumgefahren war, rollte er gemächlich wieder auf die Raydons Hill West hinaus.

    »Zu blöde Gegend! Weiß der Teufel, warum ich ausgerechnet hierher fahren musste!«, schimpfte er schlechtgelaunt vor sich hin.

    Trotzdem gab er nicht so schnell auf. Zweimal umkreiste er den ganzen Stadtteil, wozu er allerdings höchstens zehn Minuten brauchte. Dann war seine Laune auf dem Nullpunkt angekommen. Jetzt reichte es ihm. Wütend nahm er Richtung auf die London Road, als er plötzlich ein Mädchen in kurzem roten Regenmantel entdeckte. Sie stand wenige Meter von ihm entfernt auf dem Bürgersteig und wartete ganz offensichtlich sein Näherkommen ab. Peter war wie elektrisiert von ihrem wunderschönen, fast schulterlangen, blonden Haar. Es fiel ihr offen bis fast auf die Schultern. Freizügig stellte sie ihre langen, schlanken Beine zur Schau. Einen kleinen roten Hut hatte sie frech und unternehmungslustig auf ihren Kopf gestülpt.

    Das ganze Bild war ziemlich vielversprechend! Peter schaltete herunter und glitt im Schneckentempo an das Mädchen heran. Wieder lehnte er sich lächelnd aus dem heruntergekurbelten Fenster.

    »So einsam, meine Schöne?«, fragte er seidenweich. »Hätten Sie Lust, ein bisschen spazieren zu fahren?«

    Das Mädchen zögerte kurz, dann lächelte sie auch.

    »Kommt drauf an«, erwiderte sie vorsichtig.

    »Na, steigen Sie auf alle Fälle erst mal ein«, meinte er überredend, beugte sich herüber und öffnete die Tür. »Was macht denn so ein hübsches Mädchen noch so spät abends allein auf der Straße?«

    »Weshalb nicht, ich kann doch Spazierengehen?«, gab sie schnippisch zurück, stieg aber trotzdem ein, wobei sie beachtlich viel von ihren aufreizend schönen Beinen zeigte.

    »Allzu neu ist Ihr Wagen ja nicht«, stellte sie dann fest. »Habe ich Sie nicht schon mal irgendwo gesehen?«

    »Das ist gut möglich.»

    »Wohnen Sie hier in der Nähe?«

    »Nein. In Stretton«, entgegnete Peter, animiert durch die Vertraulichkeit des Mädchens. »Wohne nicht schlecht da. Ein nettes kleines Appartement. Wie wär’s mit einem Drink? Wollen Sie sich’s nicht mal ansehen?«

    Das Mädchen lachte hell auf.

    »Sie sind ja nicht gerade ein Zeitverschwender, was?«, fragte sie.

    »Ich wette, Ihre Frau hat nicht die geringste Ahnung, dass Sie so etwas –«

    »Nichts Frau. Bisher bin ich noch nicht verheiratet.«

    »Das sagt ihr alle«, gab sie spöttisch zurück.

    Trotzdem war ihr ganzes Verhalten nach wie vor freundlich und keineswegs abweisend. Peter freute sich, dass er sie getroffen hatte. Das schimmernde blonde Haar gefiel ihm ausnehmend gut, ebenso ihr voller roter Mund. Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen, der Rock war ziemlich weit zurückgeglitten. Peters Blut begann zu sieden. Donnerwetter, selten war er einem Mädchen begegnet, das derart aufreizend wirkte.

    »Nein, ehrlich, ich bin nicht verheiratet!«, beteuerte er abermals. »Wie steht es? Ich meine, fahren wir nun auf einen Drink zu mir?«

    »Mein Gott! Sie haben’s aber eilig!«, lachte das Mädchen. »Hier ist es so schön still und ruhig. Unterhalten wir uns doch ein bisschen.« Sie rutschte etwas dichter an ihn heran. Peter Earnshaw nutzte die Gelegenheit, um ihr Knie zu streicheln. Sie schob seine Hand nicht beiseite. Als er ihr ins Gesicht sah, blitzten ihre Augen im Schein der Straßenlaterne halb spöttisch, halb belustigt auf. Ihre Gesichter waren sich sehr nah, und er bemerkte deutlich ihr dickes Make-up und den freigebig benutzten Lippenstift. Höchst vielversprechend! Und noch vielversprechender die unverhüllte Einladung in ihren Augen.

    Erregende Wärme stieg in ihm auf. Seine Jagd in Raydons Hill war nicht vergeblich gewesen. Er hatte sein Wild gestellt. Es war in die Falle gegangen.

    »Was für wunderschönes Haar du hast, meine Süße«, schmeichelte er plump. »Wie kommt es, dass ich dich gar nicht kenne? Du bist es doch, die mich heute Abend angerufen hat, nicht wahr? Wie steht’s? Wollen wir jetzt nicht doch auf einen Drink zu meiner hübschen kleinen Wohnung hinüberfahren?«

    »Warum denn diese Hast? Man soll nichts überstürzen. Wir haben doch noch so viel Zeit, mein Goldjunge«, murmelte sie. »Mir gefällt es hier. Hast du eine Zigarette für mich?«

    »Ich habe jetzt keine Lust zu rauchen. Wie ist es – kommst du nun mit zu mir oder nicht?«

    »Also gut«, gab sie nach. »Aber ich begreife wirklich nicht, warum du es so eilig hast!« Das Mädchen kuschelte sich noch etwas enger an ihn. »Warum willst du dich denn nicht vorher noch ein bisschen mit mir unterhalten? Bitte, nimm die Hand von meinem Knie.«

    Sie richtete sich auf, machte ihre Handtasche auf und holte eine kleine Packung Pralinen heraus.

    »Willst du auch eine?«

    »Um Gottes willen, nein!«

    Die verführerische Blondine neben Peter wählte sorgfältig aus, steckte eine Praline in den Mund und kaute genussvoll. Er hing mit den Augen an ihren roten Lippen und wartete ungeduldig. Wirklich der geeignete Zeitpunkt, um Schokolade zu essen!

    »Was, zum Teufel, isst du denn da?«, erkundigte er sich gereizt.

    »Pralinen. Sagte ich doch schon. Mit Likörfüllung – Cognacbohnen. Mein Lieblingskonfekt. Willst du nicht doch eins?«

    Er lehnte unhöflich ab.

    »Du solltest dir’s überlegen«, meinte sie achselzuckend und nahm sich ein neues. »Du ahnst nicht, was du dir entgehen lässt!«

    Obwohl das Mädchen ganz beiläufig sprach, schien sie aufs äußerste gespannt zu sein. Ihre wachen, beweglichen Augen beobachteten ständig die leere Straße. Sie atmete ungewöhnlich heftig.

    »Nun komm schon – nimm doch eine!«, bedrängte sie ihn beharrlich. Mit ihren rotlackierten, spitzen Fingernägeln nahm sie ein Stück Konfekt aus der Schachtel und hielt es ihm an die Lippen. »Sie schmecken ausgezeichnet!«

    Er lachte und öffnete den Mund.

    »Da! Sind sie nicht wirklich gut?«

    Das Mädchen beugte sich plötzlich vor und küsste Peter mitten auf den Mund. Überrascht fuhr er zurück und schnappte nach Luft.

    »Zum Teufel! Fast hätte ich mich an dem verdammten Ding verschluckt«, fuhr er auf. »Was soll das sein? Eine Cognacbohne? Daran beißt man sich ja die Zähne aus!«

    »Du bist ja albern! Alle Pralinen, die mit Cognac gefüllt sind, haben eine harte Kruste – sonst würde die Flüssigkeit doch auslaufen«, protestierte sie vergnügt. »Du musst die Praline aufbeißen. Los. Versuche doch schon.«

    Ungeduldig bemüht, das scheußliche Ding endlich aus dem Mund zu bekommen, grub er seine kräftigen Zähne tief hinein. Es knackte hörbar, und die klebrige Flüssigkeit lief ihm in den Mund. Er schluckte. Plötzlich trat ein Ausdruck maßlosen Entsetzens in seine Augen. Er versuchte zu sprechen. Aber er brachte nichts als ein heiseres Krächzen hervor. Sein ganzer Körper wurde von einem wilden Krampf geschüttelt. Sein Atem ging keuchend und stoßweise. Der Krampf steigerte sich bis zum Unerträglichen – das Mädchen beobachtete die Wirkung mit gierigem und zugleich fast ängstlichem Ausdruck. Als er über dem Steuerrad zusammensank, entspannte sie sich. Im Wagen war es tödlich still. Der Mann regte sich nicht mehr.

    »Ich wusste doch, es würde ganz leicht gehen«, seufzte sie befriedigt.

    Vollkommen gelassen spähte sie die Straße entlang. Leer. Kein Mensch zu sehen. Vor ein paar Minuten war ein Wagen vorbeigefahren, und auf der anderen Straßenseite waren laut lachend ein paar Leute entlanggegangen. Aber jetzt lag alles wieder still und verlassen da. Das Mädchen beugte sich vor und presste ihren Mund gegen die stille, schlaffe Wange des Mannes; ein deutlich sichtbarer Abdruck blieb zurück. Nach und nach nahm ihr Gesicht einen Ausdruck triumphierender Zufriedenheit an. Ihre vollen roten Lippen öffneten sich unbewusst, die weißen Zähne blitzten in einem grausamen Lächeln auf. In ihren Augen schimmerte ein Licht, das schon fast irrsinnig wirkte.

    Aber nur sekundenlang. Dann war es wieder verschwunden, ihr Gesichtsausdruck wurde wieder normal. Vorsichtig schlüpfte sie aus dem Wagen und ging ruhig davon. Sie schritt vollkommen gelöst dahin und atmete gleichmäßig und ruhig.

    Mein Gott! Wie leicht es gewesen war. Das Mädchen im roten Mantel rieb sich unbewusst ihre behandschuhten Hände und kicherte leise in sich hinein. Keine lebende Seele war ihr begegnet, niemand hatte sie gesehen. Sie war sicher, keine Fingerabdrücke zurückgelassen zu haben. So ging sie durch den dichter werdenden Oktobernebel und beschleunigte allmählich ihr Tempo etwas. Vielleicht etwas zu sehr. Denn als sie in die Raydons Hill South einbog, wäre sie fast mit einem jungen Mann zusammengestoßen, der aus der entgegengesetzten Richtung kam.

    Als er ihre blonden Haare sah, bat er höflich um Entschuldigung, obwohl er ihr hübsches Gesicht nur im Vorbeigehen undeutlich bemerken konnte. Aber ihr roter Regenmantel war ausgesprochen auffallend. Raydons Hill war noch nicht so modern, dass es Neonbeleuchtung besaß. Und in dem gelben Lampenschein der Gaslaternen behielt alles seine natürliche Farbe.

    Der junge Mann wandte sich halb um und sah dem jungen Mädchen nach. Er hatte eine verschwommene Erinnerung, sie schon einmal gesehen zu haben; er wohnte selbst hier in Raydons Hill. Natürlich! Es musste das Mädchen mit der kleinen Wohnung in Raydons Hill West sein. Wie war doch gleich ihr Name? Es wollte ihm nicht einfallen. Aber sie war ein ziemlich flottes Ding, soviel wusste er. Die Gerüchte über sie und ihren vielseitigen Lebenswandel wollten nicht verstummen.

    Seine Gedanken sprangen schnell auf etwas anderes über. Nigel Sinclair war kein Mensch, der sich lange mit unwichtigen Dingen beschäftigte. Im Moment brannte ihm etwas anderes auf der Seele. Er war auf dem Wege zum Haus Nr. 20, Am Weißen Tor genannt. Dort wohnte nämlich seine Braut. Warum, in drei Teufels Namen, war Heather nicht, wie verabredet, zum Kino gekommen? Er war beunruhigt. Das war im Allgemeinen nicht ihre Art. Noch nie zuvor hatte sie ihn so schlecht behandelt. Eine Frechheit, ihn einfach zu versetzen!

    Als er am Park entlangging, kam er an einer abgestellten Riley-Limousine vorbei. Er schenkte ihr kaum Beachtung, denn er war sehr verliebt in Heather Craig und jetzt sehr in Sorgen. Sie hätte ihn im Foyer vom Luxor-Kino erwarten, oder doch zumindest dort treffen sollen. Er hatte fast eine halbe Stunde auf sie gewartet, aber sie war nicht erschienen.

    Unwillkürlich ging er langsamer, dann blieb er stehen und wandte sich um. Seltsam... dieser Mann im Riley – er hatte so eigenartig ausgesehen. Wie er da über dem Steuerrad zusammengesunken kauerte... Nigel hatte ihn im Vorbeigehen nur flüchtig wahrgenommen. Und das Befremdliche an der Haltung des Mannes kam ihm erst jetzt zum Bewusstsein.

    »Seltsam«, murmelte Nigel und runzelte die Stirn. »Schläft er – oder ist er krank?«

    Er zögerte unschlüssig. Wenn er jetzt umkehrte, und der Mann okay war, stand er, Nigel, wie ein ausgemachter Dummkopf da. Aber trotzdem... Er ging die menschenleere Straße bis zum Wagen zurück. Der Mann lag immer noch regungslos über dem Steuerrad zusammengekrümmt da. Wirklich seltsam!

    »He, Sie!«, wandte er sich vorsichtig an den Mann.

    Das Fenster neben dem Fahrersitz war ganz heruntergedreht. Als der Mann nicht antwortete, langte Nigel hinein und schüttelte den Regungslosen an der Schulter. Immer noch keine Antwort.

    »He, Sie! Sind Sie in Ordnung?«, fragte Nigel, der zusehends unruhiger wurde.

    Es war ganz offensichtlich. Mit dem Mann im Wagen stimmte irgendetwas nicht. Er konnte doch nicht so fest schlafen. Er musste krank sein. Nigel Sinclair, der nicht die geringste Ahnung von Erster Hilfe hatte, überkam ein Gefühl der Hilflosigkeit. Aufgeregt und nervös blickte er sich um. Aber kein Mensch war zu sehen.

    »Verdammt nochmal! Was, zum Teufel, macht man in so einem Fall?«, schimpfte er unterdrückt vor sich hin. Natürlich! Netta! Das war das Richtige! Netta würde todsicher wissen, was zu tun war. Selbstverständlich! Die gute alte Netta! Netta wusste immer Rat! Hastig eilte Nigel auf das Weiße Tor zu. Es war nicht mehr weit bis dorthin. Netta Haversham war Heathers Tante, eine tüchtige Frau, die niemals die Nerven verlor.

    Er machte, dass er ans Ziel kam. Das Haus war kleiner als die meisten anderen dieses recht eleganten Villenvorortes. Wohlgeborgen in einem gut gepflegten Garten lag es ein Stück von der ruhigen Straße entfernt. Nigel stieß das Tor auf und stürzte den kurzen Pfad zur Eingangstür hinauf. Ungestüm trommelte er dagegen. Es dauerte eine Weile, bis sich etwas rührte, und er fluchte leise vor sich hin.

    »Dieses verdammte Fernsehen!«, schimpfte er ungeduldig. Gleichzeitig klingelte er Sturm und klopfte abermals.

    »Ich wette, Bruce und Netta hocken wieder vor diesem albernen Kasten und bemerken nichts um sich herum. Wie üblich.«

    Verzweifelt, wie er war, stieß er die Briefklappe auf und spähte in die Diele hinein... zu seiner Erleichterung sah er Netta gerade von der Küche her auftauchen. Sie sah zierlich und gepflegt aus – wie immer – und trug ein Tablett in den Händen.

    »Ich komme ja schon... ich komme ja schon!«, hörte er ihre muntere Stimme. »Es ist ja nicht nötig, gleich die Tür einzuschlagen.«

    Sie setzte das Tablett auf einem kleinen Tisch ab. Es dampfte nur so aus den Tassen – offensichtlich der allabendliche Kaffee. Dann ging sie mit ruhigen Schritten zur Tür und öffnete.

    »Nanu! Du bist es?«, fragte sie überrascht. »Wo ist denn Heather? Ich dachte, ihr seid im Kino?«

    »Ist Heather da?«

    »Was für eine Frage! Nein, natürlich nicht.«

    Netta war eine anziehende Erscheinung von etwa fünfunddreißig Jahren. Sie hatte dunkle, intelligente Augen, zu denen das volle, natürlich gelockte, ebenfalls dunkle Haar ausgezeichnet passte. Nigel drängte an ihr vorbei in die Diele und gestikulierte wild mit den Armen.

    »So natürlich ist dein Natürlich nicht! gar nicht, Netta!«, protestierte er atemlos. »Wenn sie nämlich nicht hier ist – wo ist sie dann? Sie hatte versprochen, zum Kino zu kommen. Ach Gott! Fast hätte ich’s vor Aufregung vergessen! Draußen, ein Stück die Straße hinunter, sitzt ein Mann in seinem Auto, der mir den Eindruck macht, als ob ihm schlecht geworden wäre. Er sieht so komisch aus, ganz über dem Lenkrad zusammengesunken. Ich habe ihn an der Schulter gerüttelt, aber er rührte sich nicht. Du bist doch eine Kanone in Erster Hilfe, Netta. Könntest du nicht...«

    »Nun mal langsam, mein Junge«, unterbrach ihn Netta Haversham völlig unbeeindruckt. Sie behandelte ihn wie ein allzu temperamentvolles Kind.

    »Nun reiß dich mal zusammen und drück dich etwas klarer aus. Was soll all dies wirre Gerede von einem Mann im Auto und Heather, die nicht am Kino war? Hol erst mal tief Luft! So! Was ist nun eigentlich passiert?«

    »Nichts ist passiert!«, schnappte Nigel beleidigt. »Ich hatte nur gehofft, Heather hier vorzufinden. Wenn ihr nur nichts zugestoßen ist...«

    »Sei doch nicht albern! Was sollte ihr denn schon auf dem Weg von hier zum Kino zugestoßen sein?«, meinte Netta, immer noch in demselben etwas gönnerhaften Tonfall. »Aber komm doch herein. Der Kaffee wird allmählich kalt. Und du weißt, was Bruce für ein Theater macht, wenn er seinen Kaffee nicht so heiß bekommt, dass er sich den Mund daran verbrennt.«

    Sie nahm das Tablett auf und stieß mit der Schulter die nur angelehnte Salontür auf. Ihr Mann saß behaglich in einem Ohrensessel, der dem Fernsehapparat zugekehrt war. Der große, gemütliche Raum wurde von einer einzigen Lampe spärlich erhellt. Auf der flimmernden Scheibe waren zwei ziemlich unheimlich aussehende Gestalten anscheinend gerade in einen heftigen Streit verwickelt. Bruce Haversham hob abwehrend die Hand, als Nigel zu sprechen ansetzte.

    »Gleich! Später!«, bremste Haversham unwillig. »Es ist gerade der spannendste Augenblick! Gleich muss die Entscheidung fallen.«

    »Zum Teufel mit deinem Stück!«, brauste Nigel auf. »Draußen im Auto sitzt ein Mann, der krank ist, oder was weiß ich! Und ich habe keine Ahnung, was ich mit ihm anfangen soll. Ich dachte, Netta wüsste vielleicht Rat...«

    »Du bist wirklich eine Landplage, Nigel«, fiel ihm der ältere Mann verdrossen ins Wort. »Warum musst du denn immer wie ein Wilder hier hereingestürmt kommen? Jetzt habe ich den Faden verloren. Ich dachte, du

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