Sie liebt mich, sie liebt mich nicht …: Der Bergpfarrer 444 – Heimatroman
Von Toni Waidacher
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Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert.
Es war an einem Samstag im Juni, gegen zehn Uhr, als der Postbote einen Brief in den Briefkasten von Julia Nickl warf. Kurze Zeit später schaute Julia nach, ob sie oder ihr Lebensgefährte Post erhalten hatten. Julia, eine hübsche Frau von zweiunddreißig Jahren, war mitten in der Hausarbeit und entsprechend leger gekleidet; Jeans, T-Shirt, Hausschuhe. Die langen, dunklen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie war alleine zu Hause. Julia nahm den Brief heraus. Er war an sie adressiert. Sie drehte ihn um und las den Absender. Ihre Tante Sonja Niedermeyer, die in St. Johann lebte, hatte den Brief geschrieben. Julia lächelte. ›Tante Sonja gehört zu der kleinen Minderheit, die noch Briefe verschickt‹, dachte sie amüsiert, riss das Kuvert auf, nahm den Brief heraus und las, ihr Lächeln schwand. Die Tante, die ältere Schwester von Julias Mutter, teilte ihr mit, dass sie nach massiven Herzbeschwerden im Krankenhaus liege. Sie werde wohl mindestens zwei Wochen dort bleiben müssen und ihre drei Hunde, vier Katzen sowie einige Hühner müssten versorgt werden. Im Moment erledige dies eine Nachbarin, aber über einen längeren Zeitraum wollte Tante Sonja dieser das nicht zumuten. Nun fragte die Tante an, ob sie nicht für die Zeit ihres Krankenhausaufenthalts nach St. Johann kommen könne, um ihre Tiere zu versorgen und ihr Haus zu hüten. Julia begann an ihrer Unterlippe zu nagen. Ihre Hand, die den Brief hielt, war nach unten gesunken. Es war nicht so einfach, alles stehen und liegen zu lassen, um nach St.
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Buchvorschau
Sie liebt mich, sie liebt mich nicht … - Toni Waidacher
Der Bergpfarrer
– 444 –
Sie liebt mich, sie liebt mich nicht …
Toni Waidacher
Es war an einem Samstag im Juni, gegen zehn Uhr, als der Postbote einen Brief in den Briefkasten von Julia Nickl warf.
Kurze Zeit später schaute Julia nach, ob sie oder ihr Lebensgefährte Post erhalten hatten. Julia, eine hübsche Frau von zweiunddreißig Jahren, war mitten in der Hausarbeit und entsprechend leger gekleidet; Jeans, T-Shirt, Hausschuhe. Die langen, dunklen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie war alleine zu Hause. Simon, ihr Lebensgefährte, war schon am frühen Morgen mit einigen Kumpeln an den Ammersee zum Angeln gefahren …
Julia nahm den Brief heraus. Er war an sie adressiert. Sie drehte ihn um und las den Absender. Ihre Tante Sonja Niedermeyer, die in St. Johann lebte, hatte den Brief geschrieben. Julia lächelte. ›Tante Sonja gehört zu der kleinen Minderheit, die noch Briefe verschickt‹, dachte sie amüsiert, riss das Kuvert auf, nahm den Brief heraus und las, ihr Lächeln schwand.
Die Tante, die ältere Schwester von Julias Mutter, teilte ihr mit, dass sie nach massiven Herzbeschwerden im Krankenhaus liege. Sie werde wohl mindestens zwei Wochen dort bleiben müssen und ihre drei Hunde, vier Katzen sowie einige Hühner müssten versorgt werden. Im Moment erledige dies eine Nachbarin, aber über einen längeren Zeitraum wollte Tante Sonja dieser das nicht zumuten. Nun fragte die Tante an, ob sie nicht für die Zeit ihres Krankenhausaufenthalts nach St. Johann kommen könne, um ihre Tiere zu versorgen und ihr Haus zu hüten.
Julia begann an ihrer Unterlippe zu nagen. Ihre Hand, die den Brief hielt, war nach unten gesunken. Es war nicht so einfach, alles stehen und liegen zu lassen, um nach St. Johann zu fahren, um dort für zwei Wochen oder noch länger zu bleiben. Sie war bei der Stadtverwaltung Weilheim beschäftigt, und am Montagmorgen musste sie dort wieder ihren Dienst antreten.
Außerdem war da noch Simon, ihr Lebensgefährte.
Julia ging zurück in die Wohnung, setzte sich ins Wohnzimmer und überlegte. Zum letzten Mal war sie zu Weihnachten in St. Johann gewesen. Das war fast ein halbes Jahr her. Eine Art Heimweh befiel Julia. Sie war in dem kleinen Bergdorf in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen aufgewachsen, ihre Eltern lagen auf dem Friedhof dort begraben.
Zu Tante Sonja hatte sie immer ein gutes Verhältnis gehabt. Sonja war nie verheiratet gewesen und hatte auch keine Kinder. Sie war ihre einzige nähere Verwandte. Nun war die Tante, sie ging auf die dreiundsiebzig zu, krank und auf Hilfe angewiesen.
Die Zweiunddreißigjährige ging in den Flur, wo auf einem Board das Telefon stand, und rief Ihren Lebensgefährten an.
»Was ist denn?«, meldete er sich grußlos und ziemlich unwirsch.
Julias Miene verschloss sich und ihre braunen Augen schienen sich noch mehr zu verdunkeln. Wieder einmal sagte sie sich, dass ihre Beziehung sich sehr verändert hatte. Durfte sie ihn nicht stören, wenn er mit seinen Kumpeln unterwegs war? In dieser Sekunde entschloss sie sich, dem Ruf der Tante zu folgen und nach St. Johann zu fahren. Sie sagte kühl: »Ich muss für einige Zeit nach St. Johann. Die Tante ist krank geworden und liegt im Krankenhaus. Ihre Haustiere müssen versorgt werden. Ich werd’ gleich losfahren und schätze, dass ich zwei Wochen, möglicherweise auch länger, bleiben muss.«
»Du musst doch am Montag in die Arbeit«, war Simons einziger, nüchterner Kommentar. Ihm schien ihre Abwesenheit egal zu sein.
»Ich werd’ Montagfrüh anrufen und zunächst einmal zwei Wochen Urlaub beantragen. Es ist kaum anzunehmen, dass man mir den Urlaub ablehnt. Schließlich handelt es sich um einen Notfall.«
»Dann bist du also gar nicht da, wenn ich heut’ Abend heimkomm’?«, fragte Simon.
»Nein. Aber du hast ja meine Handynummer. Falls es dich interessiert, ob ich in St. Johann gut angekommen bin, kannst du ja mal nachfragen.«
»Warum so spitz, Julia? Bist du sauer? Weshalb denn? Ich … Himmel – ein Fisch! Ich muss aufhören, Julia! Einer hat angebissen, ich muss ihn herausholen …«
Die Leitung war tot. Simon hatte die Verbindung einfach unterbrochen, ohne jeden Abschiedsgruß. Julia starrte auf die Wand, indes ihre Hand mit dem Hörer langsam nach unten sank. ›Ein Fisch! Einer hat angebissen …‹. Es klang wie Hohn in ihren Ohren.
Sie stellte den Hörer in die Ladestation zurück und ging gedankenverloren ins kleine Gästezimmer, in dem auch ein kleiner Schreibtisch mit einem Laptop darauf stand.
Julia wusste nicht, ob sie enttäuscht oder sauer sein sollte. Simon hatte nicht einmal gefragt, weshalb die Tante im Krankenhaus lag. Der Fisch an der Angel war wichtiger gewesen. Ihre Gedanken schweiften zurück in eine Zeit, in der Simon und sie unzertrennlich gewesen waren, in der er ihr alle Wünsche von den Augen ablesen wollte.
Die Liebe war dem Alltag gewichen. Sie lebten zwar unter einem Dach, aber ihre innige Zweisamkeit war zu einer reinen Zweckgemeinschaft geworden. Simon schien jegliches Interesse an ihr verloren haben. Er fuhr lieber mit einigen Kumpeln oder Kollegen zum Angeln an irgendeinen Fluss oder See …
Manchmal tat sein Desinteresse, wie eben jetzt, ihr weh. Und Julia fragte sich immer öfter, warum sie nicht längst die Konsequenzen gezogen und sich von Simon getrennt hatte. Die Hoffnung, dass er sich ändern und alles wieder so wie früher werden würde, sollte sie wohl endgültig aufgegeben. Und die Gefühle, die sie mal für ihn empfunden hatte, waren, wenn sie ehrlich war, auch erkaltet.
Julia setzte sich an den Computer und suchte die Telefonnummer der Bergklinik in St. Johann heraus. Dann rief sie an, sie bat, mit dem Zimmer ihrer Tante verbunden zu werden.
»Frau Niedermeyer hat Telefon und TV nicht gebucht«, erhielt Julia Bescheid. »Ich verbinde Sie mal mit der Station. Einen Augenblick bitte …«
»Danke.«
Es dauerte ein wenig, dann meldete sich eine Schwester. Julia bat, ihre Tante sprechen zu dürfen.
Die Krankenschwester sagte: »Sie können nur über mein Telefon mit ihr sprechen. Ich muss es allerdings zu ihr aufs Zimmer bringen. Wenn Sie sich ein bissel gedulden.«
»Gerne«, erwiderte Julia.
Es dauerte nur eine halbe Minute, dann meldete sich die Tante mit schwacher Stimme: »Julia, bist du’s?«
»Ja, Tante. Grüß dich. Ich hab’ deinen Brief erhalten. Wie geht's dir – und weshalb musstest du ins Krankenhaus?«
»Eine bakterielle Entzündung des Herzmuskels. Der Arzt meint, damit ist net zu spaßen. Es geht mir gar net gut. Wie schaut’s denn aus? Kannst du für ein paar Tage herkommen?«
»Ich zieh’ mich nur um, pack’ ein paar Klamotten und was man sonst so braucht zusammen und fahr dann gleich los, Tante. In spätestens zwei Stunden sehen wir uns. Darf ich dich was fragen, Tante?«
»Frag’, Madel.«
»Wann schaffst du dir endlich ein Handy an? Und warum hast du das Telefon in deinem Zimmer net gebucht? Kommt’s dir wirklich auf die paar Euro an? Du bist ganz schlecht zu erreichen, und den Schwestern bereitest du nur Umstände, wenn du net direkt angerufen werden kannst.«
»Mit dem neumodischen Zeug, wie einem Handy, kenn’ ich mich net aus«, antwortete Sonja. »Das Telefon hab’ ich net gebucht, weil ich’s net brauch’. Das Geld kann ich mir sparen. Du hast mich ja erreicht.«
Julia schwankte zwischen Seufzen und Lächeln. »Ist schon in Ordnung, Tante. Bis bald!« Sie legte auf. Tante Sonjas Sparsamkeit war fast schon sprichwörtlich. Abgesehen davon war sie ein liebenswerter Mensch und sie freute sich schon auf sie. Und sie freute sich auf St. Johann.
*
Julia erreichte Garmisch-Partenkirchen und fuhr von dort aus