Die wilde Schöne aus den Highlands
Von Margaret Moore
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Über dieses E-Book
"Ich stehe tief in Ihrer Schuld, Mr. McHeath." Bevor Gordon weiß, wie ihm geschieht, verschließt die sinnliche Lady Moira McMurdaugh seine Lippen mit einem leidenschaftlichen Kuss. Er verfällt der wilden Schönen mit Haut und Haar - ohne zu ahnen, dass sie sich schon bald als erbitterte Feinde gegenübertreten werden …
Margaret Moore
Margaret Moore ist ein echtes Multitalent. Sie versuchte sich u.a. als Synchronschwimmerin, als Bogenschützin und lernte fechten und tanzen, bevor sie schließlich zum Schreiben kam. Seitdem hat sie zahlreiche Auszeichnungen für ihre gefühlvollen historischen Romane erhalten, die überwiegend im Mittelalter spielen und in viele Sprachen übersetzt wurden. Sie lebt mit ihrem Mann, mit dem sie seit über 20 Jahren verheiratet ist, ihrer Familie und zwei Katzen in Toronto, Kanada.
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Buchvorschau
Die wilde Schöne aus den Highlands - Margaret Moore
IMPRESSUM
Die wilde Schöne aus den Highlands erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2011 by Margaret Wilkins
Originaltitel: „Highland Heiress"
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON
Band 24 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Birgitt Grollier
Umschlagsmotive: GettyImages_ FedevPhoto, Grape_vein
Veröffentlicht im ePub Format in 05/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733746643
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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1. KAPITEL
Schottische Highlands 1817
Über den Kamm des Hügels wehte ein herbstlicher Wind, der den Duft von Kiefernnadeln und Heidekraut mit sich trug. Ich war viel zu lange in der Stadt, dachte Gordon McHeath, als er über den Hügel weiter in Richtung des Dorfes Dunbrachie ritt. Tief atmete er die frische Luft ein. Nachdem er so viele Jahre in Edinburgh gelebt hatte, war er die Gerüche, den Lärm und die Menschenmassen einer hektischen Stadt gewöhnt und hatte fast vergessen, wie rein und klar die Luft der Highlands war. Hier unterbrachen nur zwitschernde Vögel und blökende Schafe die Stille.
Der Nordhang des Hügels links von ihm war dicht mit Ginster und Farn bewachsen, während sich auf der anderen Seite ein kleiner Wald aus Birken, Erlen und Kiefern erstreckte. Obwohl es erst September war, hatten sich die Blätter einiger Bäume bereits rot und golden verfärbt, und der laubbedeckte Boden wirkte feucht und schlammig. Durch das Gehölz erspähte Gordon einen rauschenden Fluss, in dem es im Frühjahr wahrscheinlich von Lachsen wimmelte.
Leider hatte er auch vergessen, wie unbarmherzig kalt der Wind in den Highlands sein konnte. Schwere graue Wolken trieben aus der Ferne unaufhaltsam auf ihn zu. Wenn er nicht in einen starken Regenschauer geraten wollte, musste er das Pferd, das er für diese Reise gemietet hatte, zu einem schnelleren Gang antreiben.
Als das Pferd zu traben begann, durchbrach das wilde Bellen eines Hundes die ländliche Stille. Es war weniger das Heulen eines Jagdhundes, sondern hörte sich vielmehr wie ein Wachhund an, der Alarm schlug. Vielleicht war es der Hund eines Schafhirten oder ein Hofhund, der ein Bauernhaus bewachte.
Gordon richtete sich in den Steigbügeln auf und sah sich um. Er konnte weder eine Schafherde noch ein Gehöft oder etwas anderes, das einen Wachhund erforderte, entdecken.
„Zu Hilfe! Helfen Sie mir!"
Der verzweifelte Schrei einer Frau drang mitten aus dem Wald zu ihm. Durch das laute Hundegebell und das Rauschen des Flusses war er kaum wahrnehmbar, dennoch ließ sich die Furcht, die in den Worten mitschwang, nicht überhören.
Gordon stieß dem Pferd die Fersen in die Seiten und lenkte es vom Weg ab in die Richtung der Frau und des Hundegebells. Doch der Gaul war so bockig wie ein Esel und wollte nicht gehorchen. Es war eines der stursten Pferde, die er je geritten hatte.
Fluchend saß Gordon ab, warf die Zügel um einen nahe gelegenen Strauch und stieg so schnell er konnte den rutschigen Abhang zwischen den Bäumen hinunter.
Dabei riss er den Ärmel seines Reisemantels am Ast eines Weißdorns auf. Seine Reitstiefel und der Saum seines Mantels waren binnen Minuten von Schlamm verdreckt, und sein Hut wurde ihm von einem tief hängenden Zweig vom Kopf geschlagen. Als er ihn aufhob, rutschte er auf feuchten Blättern aus, stürzte zu Boden und glitt den Hang hinab, bis er endlich einen dicken Ast zu fassen bekam.
Unterdessen bellte der Hund unaufhörlich, und die Frau rief erneut um Hilfe. Es klang schon viel deutlicher, obwohl Gordon sie noch immer nicht sehen konnte.
Als er sich aufrichtete, erblickte er unweit des Flussufers einen riesigen schwarzen, furchterregenden Hund, der am Fuß einer hochgewachsenen, goldblättrigen Birke stand und kläffte. Gordon konnte die Rasse nicht benennen, aber es war eines der größten und hässlichsten Tiere, das er je gesehen hatte. Der Kopf und der Kiefer des Hundes waren außergewöhnlich breit, die Augen lagen weit auseinander, und die kleinen Ohren waren angelegt. Bedrohlich knurrend, und dabei unablässig sabbernd, wich das Tier nicht von der Stelle.
Gordon hatte schon einmal einen tollwütigen Hund gesehen: mit Schaum vor dem Mund, wilden Augen und torkelndem Gang. Diesen Anblick hatte er nie vergessen und war sich deshalb sicher, dass diese Bestie nicht tollwütig sein konnte. Dennoch hielt er vorsichtshalber Abstand.
„Sind Sie verletzt?" Die Stimme der Frau kam aus derselben Richtung wie das Knurren des Hundes. An ihrer vornehmen Aussprache erkannte Gordon, dass sie weder eine Bauersfrau noch eine Schafhirtin sein konnte.
„Nein", rief er zurück.
Wer war sie? Wo war sie? Er konnte niemanden sehen, weder neben dem Hund noch am Baum, es sei denn … Vorsichtig trat er näher und blickte prüfend die Zweige hinauf.
Da war sie! Sie hatte die Arme um den schlanken Baumstamm geschlungen und stand auf einem Ast, der trotz ihrer zarten Gestalt kurz davor war durchzubrechen.
Obwohl sie sich in einer durchaus gefährlichen Situation befanden, entging Gordon nicht, dass sie außergewöhnlich schön war, mit feinen Gesichtszügen, großen dunklen Augen und dunklen Locken, die unter ihrer narzissengelben Reithaube hervorlugten. Ihr Reitkleid war aus dem gleichen leuchtend gelben Samtstoff gefertigt. Offensichtlich handelte es sich bei ihr um keine Diebin oder Landstreicherin.
„Mir geht es gut. Sind Sie verletzt?", fragte er und überlegte, was er tun konnte, um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Zunächst einmal musste er den wild gewordenen Hund loswerden.
Da man in diesem Teil des Landes besser nicht unbewaffnet unterwegs sein sollte, trug er eine Pistole in seinem nachtblauen Gehrock bei sich. Er wollte das Tier jedoch nur im äußersten Notfall erschießen, weil es möglicherweise genau das tat, worauf es abgerichtet worden war: Unbefugte von privatem Land zu vertreiben.
Anstatt die Pistole zu ziehen, hob Gordon einen Stein auf. In Schultagen war er ein ziemlich geschickter Kricketspieler gewesen. Als er den Stein nun auf das Hinterteil des Hundes warf, flehte er, dass er noch immer so gut zielen konnte.
Er traf das Tier so hart, dass es aufschreckte, doch leider nicht hart genug, um es in die Flucht zu treiben. Geschwind suchte er nach einem anderen geeigneten Wurfgeschoss, das schwer genug war, den Hund zu verjagen, ohne ihn ernsthaft zu verletzen. Als Anwalt konnte er sich die Klage eines wütenden Bauern ausmalen, dessen Hund getötet worden war, während er nur treu den Besitz seines Herrn verteidigt hatte.
„Der Ast knackt. Er wird brechen!", rief die junge Dame.
Und sie würde ganz tief fallen.
Gordon fand einen größeren, schlammigen Stein und konnte diesen gerade noch rechtzeitig auf das Tier schleudern, ehe er ihm aus der behandschuhten Hand glitt. In hohem Bogen und gefolgt von einem Schauer aus Schmutzbrocken, flog der Stein durch die Luft und landete direkt auf dem Rücken des Hundes.
Endlich flüchtete dieser und sprang durch die Bäume in Richtung Fluss davon, wo er durchs Wasser rannte und schließlich am anderen Ufer verschwand.
„Oh, haben Sie vielen Dank!, rief die Frau, als Gordon zum Baum eilte. „Ich hatte befürchtet, die Nacht hier oben verbringen zu müssen!
Jetzt konnte er sie besser sehen. Sie stand auf einem Ast, der nicht dicker als drei Zoll war, und bemühte sich, das Gleichgewicht zu halten. Passend zu ihrer Reitkleidung aus gelbem Samt trug sie Stiefel und hellbraune Ziegenlederhandschuhe. Sie konnte nicht viel älter als Anfang zwanzig sein. Ihre Haut war hell und schien ihm außergewöhnlich zart; ihre Lippen waren rosig und fein geschwungen, und mit ihren großen dunkelbraunen Augen sah sie ihn bewundernd an.
„Ich freue mich, Ihnen helfen zu können."
„Glücklicherweise waren Sie in der Nähe, antwortete sie, während sie unerwartet flink den Baum hinabkletterte. „Ich bin heilfroh, dass ich als kleines Mädchen so oft in den Lagerhäusern meines Vaters herumgeturnt bin. Sonst wäre mir heute vermutlich ein schlimmeres Schicksal widerfahren.
Lagerhäuser? Natürlich, ihr Vater musste wohlhabend sein. Das erklärte die vornehme Reitkleidung. Er fragte sich, ob sie noch andere Angehörige hatte, eine Mutter, vielleicht Geschwister oder sogar einen glücklichen Gemahl.
Doch er wurde abgelenkt, als sich der Saum ihres Kleides an einem kleinen Zweig verfing und er einen Blick unter ihren Rock erhaschen konnte. Ihm bot sich der bezaubernde Anblick ihres schlanken Fußes, der auch durch den Stiefel hindurch eine zierliche Fessel erkennen ließ. Ihre Wade war ebenso wohlgeformt und nur von einem dünnen Seidenstrumpf bedeckt …
Du lieber Himmel, was tat er? Oder vielmehr, was nicht?
„Bitte verzeihen Sie. Ihr Kleid hat sich verfangen."
„Ja, so ist es, gab die schöne Unbekannte zurück, während sie versuchte, es zu befreien. Ihre sanften Wangen röteten sich leicht. „Ich bin ohne Schwierigkeiten hinaufgeklettert, aus Angst, der Hund würde mir etwas antun, aber hinunterzusteigen ist etwas anderes.
„Erlauben Sie mir, Ihnen behilflich zu sein", bot er an, als sie den untersten Ast erreicht hatte.
Obwohl er sich noch nicht ganz sicher war, was er tun wollte, streifte Gordon seine schmutzigen Handschuhe ab, stopfte sie in die Manteltasche und trat einen Schritt nach vorn.
Ich sollte sie nicht berühren, dachte er, das wäre nicht anständig.
Andererseits waren dies auch außergewöhnliche Umstände.
Sie nahm ihm die Entscheidung ab, indem sie einfach die Hände auf seine Schultern legte. Er ergriff ihre Taille, dann sprang sie von der Birke hinunter.
Es ging alles so schnell, und ihre vertrauliche Geste kam für ihn so völlig unvorbereitet, dass er beinah das Gleichgewicht verlor und sie beide gefallen wären, hätte er nicht unverzüglich die Arme um sie gelegt.
Er kannte nicht einmal ihren Namen, und dennoch … sie in den Armen zu halten, fühlte sich so unglaublich … richtig an. Nein, mehr als nur richtig. Es fühlte sich wundervoll an, als ob diese Frau aus irgendeinem Grund in seine Arme gehörte.
Dies war wohl der kühnste Gedanke, der sich je in seinen nüchternen Anwaltsverstand eingeschlichen hatte.
Schlimmer noch, er errötete wie ein Schuljunge, obwohl er schon neunundzwanzig Jahre alt war und nicht zum ersten Mal eine Frau in den Armen hielt.
„Bitte sehr, nun sind Sie sicher wie in Abrahams Schoß", sagte er lächelnd und versuchte, ungezwungen zu wirken.
„Danke, dass Sie mich gerettet haben. Ich wüsste nicht, was ich ohne Sie getan hätte, Mr …?"
„McHeath. Gordon McHeath, aus Edinburgh".
„Ich stehe in Ihrer Schuld, Mr Gordon McHeath aus Edinburgh."
Noch nie hatte das Wort Schuld schöner geklungen.
Und plötzlich, ohne Vorwarnung und ehe er überhaupt merkte, was geschah, stellte sich diese unglaublich schöne, ihm völlig unbekannte Frau auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
Ihre Lippen waren weich, ihr Körper geschmeidig und wohlgeformt; ihre Berührung entfachte sofort ein leidenschaftliches Feuer in ihm.
Instinktiv und ohne zu überlegen, folgte er einem tiefen Verlangen und zog sie in seine Arme. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er ihren Kuss erwiderte. Voller Begehren glitten seine Lippen über ihren Mund, bis sie ihm Einlass gewährte und er mit seiner Zunge die warme Feuchtigkeit genussvoll erkundete. Langsam, mit sanften Berührungen strich er über ihren Rücken. Sie bog sich ihm entgegen, und durch den Stoff ihrer Kleider konnte er spüren, wie sich ihre Brüste an seinen Oberkörper schmiegten. Dieses Gefühl ließ sein Herz einen Moment lang stillstehen, dann hob und senkte sich seine Brust unter raschen Atemzügen.
Als sie mit den Händen seinen Rücken hinauffuhr und schließlich seine Schultern umfasste, erschienen ihm diese Berührungen beinahe vertraut und überaus köstlich.
Gütiger Himmel. Noch nie war er so geküsst worden. Noch nie hatte er so geküsst. Er wünschte, dieser Kuss würde niemals enden …
Dann fiel ihm ein, dass er kein Casanova war, sondern ein Anwalt aus Edinburgh. Und sie musste eine junge Dame aus vermögender Familie sein, die neben Vater und Brüdern vielleicht sogar einen Ehegatten besaß.
Fast im selben Moment zog auch sie sich zurück, so unvermittelt, als wäre ein Keil zwischen sie getrieben worden. Eine tiefe Röte überzog ihr Gesicht, und sie schluckte schwer. Scheinbar suchte sie genau wie er verzweifelt nach den passenden Worten.
Schließlich kam sie ihm zuvor. „Es … es tut mir leid, Mr McHeath, sagte sie mit zitternder Stimme, unfähig, ihre Erregung zu verbergen. „Ich kann mir nicht erklären, was in mich gefahren ist. Ich bin für gewöhnlich nicht so … Ich meine, hoffentlich denken Sie nicht, dass ich leichtfertig fremde Männer küsse.
Er war nicht gerade ein Fremder, verstand aber, was sie sagen wollte. „Auch ich küsse gewöhnlich keine Frauen, denen ich nicht vorgestellt wurde."
Sie trat weiter zurück und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Es muss die Anspannung gewesen sein. Oder die Erleichterung. Und die Dankbarkeit, natürlich."
Das erklärte zweifellos ihr Verhalten, aber welche Entschuldigung hatte er dafür, ihren Kuss mit solcher Leidenschaft zu erwidern?
Einsamkeit. Sein Herz, das vor Kurzem gebrochen oder zumindest verwundet worden war. Ihre Schönheit. Das Verlangen, die Arme einer Frau um sich zu spüren, auch wenn es nicht die von Catriona McNare waren.
Tatsächlich hatte diese unerschrockene junge Dame, die vor ihm stand, nichts mit der sanftmütigen, braven Catriona McNare gemeinsam.
„Darf ich fragen, wo Sie wohnen, Mr McHeath? Ich bin sicher, mein Vater würde Sie gern kennenlernen. Eine Einladung zum Abendessen ist das Mindeste, um unsere Anerkennung für Ihre unerwartete Hilfe zum Ausdruck zu bringen."
Sie spricht von ihrem Vater, nicht von einem Ehemann, dachte er erleichtert.
„Ich wohne in McStuart House."
Schlagartig änderte sich ihr Verhalten. Was hatte er bloß gesagt? Sie versteifte sich, und ihre sinnlichen Lippen kräuselten sich vor Verachtung.
„Sind Sie ein Freund von Sir Robert McStuart?", fragte sie mit eiskalter Stimme, in der nichts mehr an ihren leidenschaftlichen Kuss erinnerte.
„Ja. Wir sind zusammen zur Schule gegangen."
Ihr Gesicht rötete sich, diesmal nicht aus Verlegenheit, sondern offenkundig vor Wut. Was zum Teufel mag Robbie getan haben, dass sie so aufgebracht reagiert? fragte er sich.
Da es um Robbie ging, fielen ihm einige Gründe ein. Dazu gehörte allemal die Verführung einer Frau – und es gab nichts Schlimmeres als den Zorn einer verschmähten Frau, das hatte seine Erfahrung als Anwalt gezeigt.
„Hat er Ihnen von mir erzählt?, fragte sie, die Fäuste in die Hüften gestemmt. „Haben Sie deshalb gedacht, Sie könnten mich einfach so küssen?
„Sir Robert hat keine einzige junge Dame erwähnt, als er mich einlud", gab Gordon aufrichtig zurück und versuchte, trotz ihres feindseligen Verhaltens ruhig zu bleiben. „Ich möchte auch darauf hinweisen, dass ich immer noch nicht Ihren Namen kenne, und außerdem haben Sie mich geküsst."
Ohne sich von seiner Antwort beirren zu lassen, fuhr sie mit hoch erhobenem Kopf fort. „Ich danke Ihnen, dass Sie mir heute geholfen haben, Mr McHeath, aber jeder, der mit Robbie McStuart befreundet ist, kann es zwangsläufig nicht mit mir sein!"
„Offensichtlich", brummte er, als sie auf dem Absatz kehrtmachte und davoneilte.
Sobald sie aus der Sichtweite von Gordon McHeath verschwunden war, raffte Moira MacMurdaugh ihre Röcke hoch und rannte den ganzen Weg zurück nach Hause.
Wie konnte sie nur so töricht sein? Und ungestüm und unverzagt? Sie hätte ihn niemals küssen, geschweige denn berühren dürfen. Ein einfacher Dank hätte genügt, und er wäre weitergezogen.
Als er sie umarmte, hätte sie sich ihm sofort entziehen sollen, auch wenn sein Kuss in ihr Gefühle hervorrief, die sie bisher nur aus französischen Romanen kannte – verwirrende Gefühle wie Sehnsucht, Begehren und Leidenschaft.
Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Robbie McStuart künftig diese Begegnung in seinen Erzählungen ausschmücken würde, denn Gordon McHeath würde ihm sicherlich davon berichten. Bald gäbe es noch mehr Tratsch über sie in Dunbrachie, und dieses Mal lag die Schuld ganz allein bei ihr.
Noch größere Sorgen bereitete ihr die Vorstellung, wie ihr Vater reagieren würde, wenn er von ihrem Benehmen erfuhr.
Er hatte bis jetzt sein Versprechen gehalten und schon seit sechs Monaten keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. So lange hatte er noch nie durchgehalten. Es machte sie ganz krank, wenn sie darüber nachdachte, dass ihr leichtfertiges Handeln ihn wieder zu unmäßigem Trinken verleiten könnte.
Vielleicht würde Mr McHeath Robbie gegenüber auch gar nichts erwähnen? Letztendlich war er für die unschickliche Umarmung genauso verantwortlich wie sie.
„Sie sind zurück, Mylady! Sind Sie gestürzt? Haben Sie sich verletzt?", rief der stämmige grauhaarige Stallmeister aufgeregt.
Jem kam vom Eingang der Ställe zu ihr gelaufen, als sie den Hof betrat, der an eine hohe Steinmauer grenzte, die schon zur Zeit König Edwards I. und William Wallaces das Herrenhaus umgeben hatte.
„Ja, ich bin gestürzt, aber nicht verletzt. Ist Dougal zurückgekehrt?", erkundigte sie sich nach ihrem Pferd.
„Ja, er ist hier, der Halunke, antwortete Jem. „Wir waren drauf und dran, Sie zu suchen. Ihr Vater wird sehr erleichtert sein, Sie zu sehen.
Erneut schalt sie sich dafür, dass sie sich von diesem gut aussehenden Mr McHeath dazu hatte verleiten lassen, ihn zu küssen und zu umarmen … selbst wenn er ein attraktiver Mann war – groß, mit rotbraunem Haar, kantigem Gesicht und braunen Augen – und er sie an eine der griechischen Statuen erinnerte, die sie in London gesehen hatte. Inständig hoffte sie, dass sie nicht zu spät kam …, bis ihr einfiel, dass sie den ganzen Alkohol weggeschlossen hatte und als Einzige den Schlüssel zu diesem Vorrat besaß. Und Dunbrachie war nicht wie Glasgow, wo ihr Vater einfach nur die Straße hinunter zum nächsten Wirtshaus zu gehen brauchte.
Sie lief geschwind durch den neueren Teil des Herrenhauses, den der vorige Earl hatte erbauen lassen, vorbei an der Küche und der Vorratskammer, der Waschküche und dem Speiseraum der Bediensteten.
Der wunderbare Duft von frischem Brot und gebratenem Rind stiegen ihr in die Nase und rief Erinnerungen an glücklichere Tage hervor. Sehnsuchtsvoll dachte sie an die Zeit, bevor ihr Vater Titel und Besitztümer geerbt und zu trinken begonnen hatte.
Schließlich erreichte sie den Haupttrakt des Hauses und den Gang, der zur Bibliothek, zum Arbeitszimmer ihres Vaters und in den Salon führte. Der Salon gehörte zum neueren Teil des Gebäudes, die Eingangshalle mit ihrer dunklen Eichenvertäfelung, das Arbeitszimmer und die Bibliothek zum alten Teil. Seit seiner Errichtung war das Herrenhaus mehrfach renoviert