Ein Duke für gewisse Stunden
Von Annie Burrows
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Über dieses E-Book
Allein und mittellos ist Prudence ausgerechnet auf die Hilfe des draufgängerischen Dukes angewiesen, der sich ihr unsittlich genähert hat. Umso aufgewühlter ist sie, als der schöne aber arrogante Fremde alles tut, um ihre Ehre zu retten. Verbirgt sich hinter der rauen Schale etwa ein respektabler Gentleman?
Annie Burrows
Annie Burrows wurde in Suffolk, England, geboren als Tochter von Eltern, die viel lasen und das Haus voller Bücher hatten. Schon als Mädchen dachte sie sich auf ihrem langen Schulweg oder wenn sie krank im Bett lag, Geschichten aus. Ihre Liebe zu Historischem entdeckte sie in den Herrenhäusern, die sie gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer älteren Schwester besichtigte. Weil sie so gern las und sich Geschichten ausdachte, beschloss sie, Literatur zu studieren. An der Universität lernte sie ihren Mann, einen Mathematikstudenten, kennen. Sie heirateten, und Annie zog mit ihm nach Manchester. Sie bekamen zwei Kinder, und so musste sie zunächst ihren Traum von einer Karriere als Schriftstellerin vergessen. Doch ihr Wunsch zu schreiben blieb, und nach mehreren gescheiterten Versuchen wurde ihr Roman "His Cinderella Bride" angenommen und veröffentlicht. Inzwischen sind weitere Regency-Romane von ihr erschienen.
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Buchvorschau
Ein Duke für gewisse Stunden - Barbara Kesper
IMPRESSUM
Ein Duke für gewisse Stunden erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2016 by Annie Burrows
Originaltitel: „In Bed With The Duke"
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON
Band 45 - 2017 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Barbara Kesper
Umschlagsmotive: Veronika Oliinyk/bradtzou/GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 04/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751506441
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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1. KAPITEL
Schändlicher Verführer!"
Gregory fuhr zusammen und zog sich die Bettdecke bis über die Ohren. Was war das für ein Gasthaus? Selbst in einem so hinterwäldlerischen Kaff sollte ein Reisender doch wohl nicht hinnehmen müssen, dass geistig verwirrte Frauenzimmer noch vor dem Frühstück in sein Zimmer drangen und herumkreischten.
„Diese Niedertracht!"
Offensichtlich hatte das Manöver mit der Bettdecke seine Abneigung gegen lärmenden Besuch nicht deutlich genug gezeigt, denn das Geschrei wurde eindeutig lauter. Und kam näher.
„Wohin soll das führen?"
Das möchte ich auch gerne wissen, dachte er aufgebracht, schlug mühsam die Augen auf und sah die Besitzerin jener schrillen Stimme direkt vor sich stehen und mit einem knochigen Zeigefinger bedrohlich vor seiner Nase herumwedeln.
„Wie konnten Sie nur?", schrie die Frau ihn an. Ihm mitten ins Gesicht!
Genug war genug. Er wusste, dass Gasthöfe zwangsläufig, nun … gemischte Kundschaft beherbergten. Trotzdem stand einem doch auch hier ein gewisses Maß an Privatsphäre zu? Zumindest in seinem eigenen Zimmer?
„Wer, äußerte er in dem unterkühlten Ton, der normalerweise jeden Domestiken verschreckt erbeben ließ, „hat Sie hier eingelassen?
„Wer mich eingelassen hat? Ich mich selbst natürlich! Sie schlug sich theatralisch auf die Brust. „Nie in meinem Leben war ich so aufgebracht!
„Nun, was erwarten Sie, wenn Sie ins Zimmer eines Mannes eindringen?"
„Oh!, rief die Frau erneut, wobei sie dieses Mal wie in Verzweiflung ihren Handrücken an die Stirn drückte. „Hat es je einen solchen Schurken gegeben? Nur eine völlig schwarze, verderbte Seele kann die Verführung einer Unschuld derart leichtfertig abtun!
Verführung einer Unschuld? Die Frau musste mindestens fünfzig sein! Und sie war in sein Zimmer eingedrungen. Wo war da die Unschuld?
„Und was dich angeht!" Der Zeigefinger der Kreischenden wanderte zu einer Stelle links neben ihm. „Du … du Flittchen!"
Flittchen? Außer der verrückten Frau neben seinem Bett war darin auch noch ein Flittchen?
Ein kurzer Ausflug mit dem linken Fuß bestätigte ihm, dass, ja, in der Tat, sich in seinem Bett ein weiteres Paar Beine befand. Ein schlankes Paar Beine. Die, so musste er annehmen, dem besagten Flittchen gehörten.
Er krauste die Stirn. Er pflegte keine Flittchen mit in sein Bett zu nehmen. Noch sonstige Frauen. Immer, aber auch immer, besuchte er sie in deren Betten. Damit er sich, sobald er sie bis zum Hinschmelzen befriedigt hatte, absentieren konnte, um daheim in seinem eigenen Bett – wohin er sich gerade von Herzen wünschte – eine ruhige Nacht zu verbringen. Denn wäre er zu Hause geblieben, läge jetzt keine fremde Frau in seinem Bett. Noch, und das war ein wichtiger Punkt, würde dort irgendjemand wagen, vor ihm herumzuzetern.
„Mit diesem schändlichen Betragen lohnst du es mir?, klagte das überspannte Frauenzimmer. „Nach allem, was ich für dich getan habe? Die Opfer, die ich gebracht habe?
Ihre Stimme stieg höher und höher. Und wurde lauter und lauter. Dem zum Trotz schien sein Hirn in einen dichten Nebel gebettet. So dicht, dass es ihm ums Leben nicht gelang zu klären, warum eine Frau in seinem Bett war. Er konnte sie unmöglich dafür bezahlt haben. Weil er es noch nie nötig gehabt hatte, eine Frau für solche Dienste zu bezahlen. Wieso also war sie hier?
Was das anging, wieso war er hier? Und wie sollte er darüber nachdenken, solange diese Harpyie auf ihn einschrie?
Er hielt sich die Ohren zu.
„Undankbares Ding!"
Gott, er hörte sie immer noch!
„Madam, sagte er kalt und löste die Hände von den Ohren – es hatte offenbar keinen Sinn. „Senken Sie die Stimme.
„Die Stimme senken! Die Stimme senken? Oh ja, das würde Ihnen so passen, was? Damit Ihre schändliche Untat nicht laut wird!"
„Ich habe nie", entgegnete er entrüstet, „irgendeine schändliche Untat begangen." Noch solche Formulierungen benutzt, die viel eher auf die Bühne gehörten.
Er drückte die Handballen gegen seine Schläfen. Seine pochenden Schläfen. Wie viel musste er gestern Abend getrunken haben, um mit einem Flittchen im Bett gelandet zu sein, das abgeschleppt zu haben er sich nicht erinnern konnte, und um wie ein Papagei die ordinären Ausdrücke jener Frau nachzuplappern, die ihm anscheinend unbedingt eine … eine Szene machen wollte?
„Raus aus meinem Zimmer!", stieß er hervor.
„Sie erdreisten sich, mir Befehle zu geben?"
„Ich erdreiste mich?" Er riss die Augen auf, funkelte die Kreischende wütend an. Setzte sich auf. „Nein! Sie erdreisten sich! Erdreisten sich, in mein Zimmer einzudringen und derart unverschämte Reden zu schwingen!"
„Ja! Weil Sie mein zartes Lämmchen verführt haben! Mein …"
Am Ende seiner Geduld angekommen schoss er aus dem Bett hoch.
„Ich verführe keine unschuldigen Lämmchen!"
Nun schrie die Frau noch lauter. Bedeckte ihre Augen und wankte zur Tür. Zur offenen Tür. Wo sie sich durch einen kleinen Auflauf Neugieriger drängen musste. Die alle in einer Mischung aus Empörung und Missbilligung in sein Zimmer spähten.
Ausgenommen ein dralles Mädel, das er als das Zimmermädchen erkannte. Selbiges glotzte ihn offenen Mundes an.
Was ihn darauf brachte, dass er splitternackt war.
Mit unterdrücktem Knurren stolzierte er zur Tür und knallte sie den Gaffern vor der Nase zu. Und schob zusätzlich den Riegel vor.
Eine Maßnahme, die er wohl zu spät ergriff, nachdem wer weiß wer alles durch sein Zimmer marschiert war, während er schlief.
Und zwar wie ein Toter. Was ganz unsinnig war. Wie hatte er überhaupt schlafen können? Als er beschlossen hatte, für die Nacht hier unterzukommen, war er überzeugt gewesen, überhaupt keine Ruhe zu finden, da er derartige Gasthäuser kannte. Dort pflegten nämlich plump beschuhte Reisende Tag und Nacht durch die Gänge zu trampeln und Kutschen in den Hof zu rattern, deren Kutscher laut ihr Posthorn bliesen, während im Schankraum die Bauern mit blökenden Stimmen ihre Weisheiten zum Besten gaben.
Dieses Mal allerdings hatte das Zimmermädchen ihn zu einer Dachkammer gebracht, zu der der Lärm nicht drang. War er nach den Ereignissen der letzten Tage so erschöpft gewesen, dass er in eine Art Koma gesunken war?
Unwahrscheinlich. Und erklärte auch nicht seine Benommenheit. Es war eher ein Gefühl, als hätte er ein Schlafmittel genommen. Nur dass er noch nie im Leben ein Schlafmittel genommen hatte. Und dass er sich gestern plötzlich dazu entschlossen hätte, konnte er einfach nicht glauben.
Er rieb sich die Stirn, doch vergeblich, in seinem Hirn lichtete sich nichts. Wenn er sich doch nur an das Geschehen des gestrigen Abends entsinnen könnte!
Angestrengt dachte er nach.
Er hatte sich kurz gewaschen und war dann zum Abendessen hinuntergegangen. Das Mahl war erstaunlich gut gewesen, und er wusste noch, dass er sich anschließend beglückwünscht hatte, einen Gasthof mit so gutem Essen erwischt zu haben. Danach – nichts mehr.
Könnten der Werkmeister und sein Komplize ihn auf dem Weg zu seinem Zimmer überfallen haben? Um sich an ihm zu rächen? Behutsam betastete er seinen Hinterkopf, doch da war nichts, keine Beule, keine Platzwunde. Nichts. Die Halunken hatten sich natürlich mit Stiefeltritten an ihm ausgelassen, als es ihnen gelungen war, ihn zu Boden zu strecken. Wo er nicht lange geblieben war, erinnerte er sich zufrieden und streckte die Finger seiner Rechten, deren Knöchel aufgeplatzt waren. Es war eines, die Kunst in einem Boxclub zu üben, wo den regelmäßigen Besuchern mit gebührender Achtung begegnet wurde, doch etwas ganz anderes war es, triumphierend aus einer zufälligen Prügelei mit ein paar Schlägern hervorzugehen, die weder gewusst hatten, wer er war, noch fair kämpften.
Doch das beantwortete weder die Frage, warum dieses Höllenweib in seinem Zimmer aufgetaucht war, noch erklärte es die Anwesenheit des weiblichen Wesens, mit dem er offensichtlich das Bett geteilt hatte, ohne sich auch nur im Geringsten an das Zusammentreffen mit ihm erinnern zu können.
Langsam wandte er sich um. Was für ein Frauenzimmer konnte er in dem heruntergekommenen Gasthaus eines öden kleinen Ortes aufgestöbert haben?
Ausgiebig betrachtete er das Mädchen, das aufrecht im Bett saß, das Oberbett bis hoch ans Kinn gezogen.
Anders als er erwartet hatte, war sie ein hübsches kleines Ding mit einer Mähne kastanienbrauner Locken und großen braunen Augen.
Er war außerordentlich erleichtert. Sein Gedächtnis mochte er verloren haben, aber wenigstens nicht seinen Geschmack.
Prudence rieb sich die Augen. Schüttelte den Kopf. So etwas hatte sie noch nie geträumt. Jedenfalls nichts so Schlimmes. Manchmal hatte sie Albträume von ihrer Tante Charity, denn die Mutter ihrer Schwester war eine jener kalten, schroffen Frauen, die einem Mädchen hier und da Albdrücken verursachen konnten, doch nie – nicht einmal in den bizarrsten Fieberträumen – hatte ihre Tante derartigen Unsinn geredet. Und in keinem Traum war je ein nackter Mann in ihr Zimmer eingedrungen. In ihr Bett!
Er war zur Tür gegangen und hatte sie zum Glück geschlossen, leider erst, nachdem sie bemerkt hatte, dass der Wirt ihre Brust beglotzte. Ihre nackte Brust. Warum hatte sie nicht überlegt, ob sie nackt war, ehe sie sich aufgerichtet hatte? Und warum war sie nackt? Wo war ihr Nachtgewand, ihr Nachthäubchen? Und wieso war ihr Haar nicht brav geflochten? Was war hier los?
Der nackte Mann an der Tür fuhr sich mehrfach durch das kurz geschnittene Haar, als hätte er Kopfweh. Und er brummelte irgendetwas vor sich hin.
Ein nackter Mann?
Ihr wurde ganz übel. Sie erinnerte sich deutlich, dass sie sich noch vor einer Minute an diesen Mann geschmiegt hatte. Und er hatte sie in seinen Armen gehalten. Ein … ein schönes Gefühl. Allerdings hatte sie da noch gedacht, dass sie träumte, jemand umarme sie, sodass sie sich endlich behütet fühlen könnte. Geliebt.
Stattdessen hatte er womöglich …
Sie schluckte. Was er mit ihr gemacht hatte, wusste allein der Himmel.
Und nun stand er zwischen ihr und der Tür. Die er gerade verriegelt hatte.
Bleib weg! Nicht umdrehen. Bloß nicht umdrehen.
Er drehte sich um. Betrachtete sie forschend.
Steuerte das Bett an.
Sie öffnete den Mund, wollte um Hilfe schreien. Doch ihre Kehle war so ausgetrocknet, dass nur eine Art entrüstetes Krächzen herauskam.
Verzweifelt versuchte sie, in ihrem Mund Feuchtigkeit zu sammeln, damit sie endlich um Hilfe rufen konnte.
Nur, wer sollte ihr helfen? Der Wirt, der sich eben noch einen gründlichen Blick auf ihre Brüste gegönnt hatte?
Tante Charity, die hier hereingestürmt war und sie Flittchen geschimpft hatte?
Obwohl … es sah gerade nicht so aus, als müsste sie um Hilfe rufen. Der Mann blieb stehen. Stemmte die Hände in die Hüften und bedachte sie mit wütenden Blicken.
Jäh erkannte sie das Gesicht. Weil sie ihn endlich direkt anblickte. Und nicht nur seine breiten, nackten Schultern. Oder den von Blutergüssen bedeckten Brustkorb. Oder auf … Nun, sie hatte noch nie zuvor einen nackten Mann gesehen, da musste sie das einfach anschauen. Was sie nicht sollte, wie sie genau wusste.
Aber egal, nun, da sie sein Gesicht sah, wusste sie, sie war ihm schon begegnet. Gestern Abend. Im Speiseraum.
Er hatte ganz allein an einem Tisch in einer Ecke gesessen. Und gefährlich ausgesehen. Nicht nur wegen der Schwellung an seinem Kinn oder weil eins seiner Augen sich violett zu verfärben begann, oder weil seine Fingerknöchel zerschrammt waren, als hätte er einen Boxkampf hinter sich. Es war die eisige Aura, die ihn umgab. Die Kälte, die seine stahlgrauen Augen ausstrahlten und jeden vor dem Versuch einer Annäherung warnten.
Ihr war nicht aufgefallen, dass er sie beobachtet hätte, was aber der Fall gewesen sein musste. Irgendwie musste er erfahren haben, dass sie ein Zimmer für sich allein hatte, musste ihr gefolgt sein und dann …
Doch von dem Punkt an herrschte Leere in ihrem Kopf.
Er hatte sie nicht grob angefasst, sonst hätte sie irgendwo Schmerzen haben müssen. Obwohl – vielleicht hatte sie sich nicht sonderlich gewehrt. Mochte geahnt haben, dass es sinnlos gewesen wäre, bedachte man die sichtlich ausgeprägten Muskeln dieses kraftvollen großen Körpers.
„Das wird nicht funktionieren!"
„Entschuldigung?", brachte sie mühsam über die Lippen.
„Das hier … Der große, gefährliche, nackte Mann machte eine den Raum umfassende Geste und zeigte dann auf sie selbst. „Dieser Versuch, mich zu kompromittieren.
Kompromittieren? Seltsame Wortwahl. Wenn hier jemand kompromittiert wurde, war es doch wohl sie.
Sie räusperte sich, wollte etwas erwidern, um ihn auf seinen Irrtum hinzuweisen, doch er wandte sich abrupt ab, ging im Zimmer umher und raffte diverse Kleidungsstücke vom Boden auf, knüllte sie zusammen und warf sie ihr hin.
„Zieh dich an und verschwinde!", knurrte er. Und dann zog er obendrein die Bettvorhänge zu, wie um sie nur nicht mehr sehen zu müssen.
So konnte sie wenigstens unbeobachtet in ihre Kleidung schlüpfen – offenkundig die vom gestrigen Abend, die hier verstreut gelegen hatte, als hätte sie sie sich in heller Verzückung vom Körper gerissen und einfach fallen gelassen.
Was ihr gar nicht ähnlich sah. Sie pflegte ihre Sachen stets sorgsam zu falten, um alles, was sie beim Aufstehen brauchte, zur Hand zu haben. Eine Angewohnheit aus ihren ersten zwölf Lebensjahren, als es oft lebensnotwendig gewesen war, ein Quartier jederzeit auf die Schnelle räumen zu können.
Doch mit Gedanken an frühere Zeiten würde sie sich nun nicht lange aufhalten. Wenn es je an der Zeit war, sich rasch aus dem Staub zu machen, dann jetzt. Sie musste sich, so schnell es nur ging, sittsam bekleiden und aus dem Zimmer kommen, ehe der riesige, wütende, nackte Mann es sich anders überlegte und sie festhielt.
Hastig zerrte sie ihr Hemdchen aus dem Kleiderbündel und zog es an. Griff nach dem leichten Korsett. Und überlegte kurz. Es würde dauern, bis sie es angelegt hätte, und dann die Schnürung! Besser nur flink das Kleid anziehen und sehen, dass sie hier verschwand.
Als sie durch die Bettvorhänge lugte, sah sie, dass der Mann auf einem Stuhl saß und gerade ein Paar zerschrammte, ziemlich ausgebeulte Stiefel zur Hand nahm.
Das erinnerte sie. Ah, Schuhe! Wo waren ihre Schuhe?
Dort, neben der Tür. Schön ausgerichtet, nur lag einer auf der Seite.
Sie raffte ihr Schnürleibchen an sich und wartete, bis der Mann – jetzt in Hemd und Reithosen – nach dem zweiten Stiefel griff. Er wirkte nicht wie jemand, der seine Würde opferte, um auf einem Bein hinter ihr herzuhopsen. Als er also den Fuß in den Schaft schob, stürzte sie zur Tür.
So rasch es ging, schlüpfte sie in ihre Schuhe und riss dann am Türgriff.
Die Tür blieb zu.
Blieb einfach zu, so sehr sie auch zerrte, so wild sie den Knauf drehte.
Und inzwischen musste der Mann auch den zweiten Stiefel angezogen haben, denn sie hörte Schritte hinter sich.
In ihrer Angst ließ sie das Schnürmieder fallen, um mit beiden Händen zu ziehen. Doch sie war nicht schnell genug. Er war hinter ihr, streckte die Hand aus. Über ihrem Kopf.
Und löste den Riegel.
Den Riegel! Vor blinder Hast hatte sie den Riegel völlig vergessen!
„Erlauben Sie", sagte der Mann, öffnete die Tür und machte eine spöttische Gebärde der Höflichkeit.
Dann legte er die andere Hand auf ihren Rücken.
Und schob sie hinaus auf den Gang.
Das Ungeheuer. So ein grober, gemeiner, abscheulicher Mann! Er hatte sie nicht einmal ihr Schnürmieder aufheben lassen! Nicht dass sie tatsächlich mit einem solchen Stück Unterwäsche in den Händen hätte in dem Gasthof umherlaufen wollen.
Aber trotzdem … Ihre Unterlippe bebte. Wenn ihr Körper nicht so ausgetrocknet gewesen wäre, wären ihr bestimmt die Tränen gekommen. Sie rieb sich die Augen, was aber auch nicht half. Außer dass ihr davon ganz schwindelig wurde – es war, als schwanke der Boden unter ihren Füßen.
Und da war noch etwas merkwürdig. Die Zimmer waren um den Treppenabsatz gruppiert, und alles schien verkehrt herum zu sein. Gestern bei ihrer Ankunft hatte sie nicht viel Zeit gehabt, sich umzusehen, doch dieses Podest unter dem Dach hatte sich ihr eingeprägt. Die Treppe mündete in eine Art Galerie, der gegenüber das eine Zimmer lag; die anderen beiden befanden sich rechts und links davon. Sie war in dem Raum rechts einquartiert worden. Nun aber stand sie auf der linken Seite, also war sie gerade gar nicht in ihrem Zimmer gewesen.
Sondern in seinem.
Aber warum? War sie gestern quasi im Halbschlaf ins falsche Zimmer getaumelt?
Nein … nein … sie konnte sich deutlich erinnern, dass sie sich eben zum Schlafen bereit machen wollte, als ihre Tante mit einem Becher heißer Milch hereinkam.
Ein Geräusch aus dem Zimmer, in dem der Mann sich noch immer befand, ließ sie entsetzt zusammenzucken. Sie durfte hier nicht herumtrödeln. Was, wenn er sie doch noch zurückholte?
Auf wackligen Beinen schlich sie sich über die Galerie, vorbei an der Tür, hinter der ihre Tante und ihr … Sie schüttelte den Kopf. An den neuen Mann ihrer Tante mochte sie einfach nicht als ihren Onkel denken. Er war nicht mit ihr verwandt. Es war schlimm genug, ihr Heim mit ihm teilen, doch schlimmer noch, den alten Geizhals wie ein Familienmitglied behandeln zu müssen.
Sie stockte an der Schwelle der Tür, die offen stand. Das war ihr Zimmer. Ganz bestimmt. Bett und Waschtisch waren genau da, wo sie sein sollten. Und die kleine Dachgaube mit dem Fenster, von dem man hinaus auf die Einfahrt schauen konnte.
Aber – wo waren ihre Sachen? Ihr Koffer sollte am Fuß des Bettes stehen, daneben ihre Hutschachtel, und alles, was sie zur Morgentoilette brauchte, auf dem Waschtisch.
Verwirrt stolperte sie zu dem Zimmer, das ihre Tante und der