Wenn du mein Papa wärst …: Mami 2063 – Familienroman
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Beinahe lautlos schob sich die weiße Fähre durch das dunkelblaue Meer, begleitet von Fischschwärmen, die geduldig darauf warteten, dass die Bullaugen der Küche geöffnet wurden, um den einen oder anderen Leckerbissen herzugeben. Das Büfett im Speisesalon war längst abgeräumt. Die Passagiere hatten sich unter Deck zurückgezogen oder nach einem sonnigen Plätzchen auf dem Oberdeck Ausschau gehalten. Julia Lemke und ihre Tochter Anna hatten zwei Liegestühle auf dem Sonnendeck erobert. Das Mädchen lauschte einer Kassette über den Kopfhörer seines Walkman. Ab und zu flog ein Lächeln über das Gesichtchen, das zeigte, wie vertieft das Kind in die Geschichte war. Julias Blick aber war auf den Horizont gerichtet. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis das Ziel ihrer Reise auftauchte: Korsika, die Felseninsel im Meer. »Da schau her, meine Schwester hat mal wieder einen Platz an der Sonne ergattert.« »Musst du mich so erschrecken, Nelly?« Julia fuhr herum, als die junge Frau, die ihr zum Verwechseln ähnelte, ihren Arm berührte. »Tut mir leid, das wollte ich nicht. An was hast du denn gerade gedacht, meine Süße? An etwas Verbotenes? Sie sieht aus, als hätte ich sie bei etwas ertappt, meinst du nicht auch, Lars?« Nelly Renner, Julias Zwillingsschwester, trat einen Schritt zurück und schmiegte sich an die Schulter ihres Mannes. Mit einem Auge zwinkerte sie Anna zu, die nur kurz aufschaute, sich von den Erwachsenen aber nicht weiter stören ließ. »Ich glaube, du bist gerade ein bisschen unsensibel, mein Schatz«, sagte Lars, der an der Reling lehnte und seine Schwägerin aufmerksam betrachtete. »Ich bin manchmal auch ein richtiges Schaf!«
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Buchvorschau
Wenn du mein Papa wärst … - Carmen von Lindenau
Mami
– 2063 –
Wenn du mein Papa wärst …
Würdest du mich dann auch allein lassen?
Carmen von Lindenau
Beinahe lautlos schob sich die weiße Fähre durch das dunkelblaue Meer, begleitet von Fischschwärmen, die geduldig darauf warteten, dass die Bullaugen der Küche geöffnet wurden, um den einen oder anderen Leckerbissen herzugeben.
Das Büfett im Speisesalon war längst abgeräumt. Die Passagiere hatten sich unter Deck zurückgezogen oder nach einem sonnigen Plätzchen auf dem Oberdeck Ausschau gehalten.
Julia Lemke und ihre Tochter Anna hatten zwei Liegestühle auf dem Sonnendeck erobert. Das Mädchen lauschte einer Kassette über den Kopfhörer seines Walkman. Ab und zu flog ein Lächeln über das Gesichtchen, das zeigte, wie vertieft das Kind in die Geschichte war. Julias Blick aber war auf den Horizont gerichtet. Jetzt würde es nicht mehr lange dauern, bis das Ziel ihrer Reise auftauchte: Korsika, die Felseninsel im Meer.
»Da schau her, meine Schwester hat mal wieder einen Platz an der Sonne ergattert.«
»Musst du mich so erschrecken, Nelly?« Julia fuhr herum, als die junge Frau, die ihr zum Verwechseln ähnelte, ihren Arm berührte.
»Tut mir leid, das wollte ich nicht. An was hast du denn gerade gedacht, meine Süße? An etwas Verbotenes? Sie sieht aus, als hätte ich sie bei etwas ertappt, meinst du nicht auch, Lars?« Nelly Renner, Julias Zwillingsschwester, trat einen Schritt zurück und schmiegte sich an die Schulter ihres Mannes. Mit einem Auge zwinkerte sie Anna zu, die nur kurz aufschaute, sich von den Erwachsenen aber nicht weiter stören ließ.
»Ich glaube, du bist gerade ein bisschen unsensibel, mein Schatz«, sagte Lars, der an der Reling lehnte und seine Schwägerin aufmerksam betrachtete.
»Ich bin manchmal auch ein richtiges Schaf!« Nelly klopfte dreimal auf ihre Lippen, dabei sah sie betroffen zu Boden.
»Wolltet ihr nicht einen Kaffee trinken gehen?« Julia tat, als habe sie die Verunsicherung der Schwester nicht bemerkt.
»Waren wir schon, dabei sind wir uns ja auch einig geworden, dass es an der Zeit ist, dir etwas anzuvertrauen, was wir bisher noch niemandem gesagt haben.« Nelly schaute wieder auf und lächelte vielsagend.
»Und das wäre?« »Du denkst doch, dass ich Lars damals beim Abendessen kennengelernt habe.«
»Nein, denke ich nicht, ich weiß es.« Julia sah ihre Schwester skeptisch an. Schließlich war sie doch dabei, als die beiden sich zum ersten Mal trafen. Es war beinahe auf den Tag genau vor sechs Jahren.
Julia hatte sich für vier Wochen in einem Hotel auf Korsika einquartiert. Sie wollte in aller Ruhe darüber nachdenken, ob sie es sich zutraute, sich in ihrem Beruf als Physiotherapeutin selbstständig zu machen. Ein paar Tage, bevor der Urlaub zu Ende ging, überraschte Nelly sie mit ihrem Besuch. Sie hatte sich kurzfristig entschlossen, ihre Stelle in einem Krankenhaus aufzugeben und sich als Orthopädin niederzulassen. Sie war der Meinung, dass eine fähige Krankengymnastin die richtige Ergänzung für ihre Praxis wäre. Julia überlegte nicht lange und sagte zu, ein Entschluss, den sie nie bereut hatte.
»Manchmal sind die Dinge aber anders, als sie scheinen«, erklärte Nelly nach einer Weile zögernd. »Ehrlich gesagt, Lars und ich kannten uns schon ein paar Stunden. Wir lagen uns in den Armen, bevor wir auch nur ein Wort miteinander sprachen.«
»Und wo soll dieser Ort eurer Begegnung gewesen sein?« fragte Julia nun doch ein wenig erstaunt.
»Ich bin damals auf der Suche nach dir durch den Garten des Hotels gestapft, und da stieg dieser wundervolle Mann mit dem göttlichen Körper aus dem Pool.«
»Und sie war derart von mir angetan, dass sie ohne Verzögerung in meine Arme sank. Sie hatte ihr Glück gefunden. Der Heiratsantrag ein halbes Jahr später war nur noch eine Formalität«, mischte sich Lars ein. Zärtlich zog er Nelly an sich und hauchte ein Kuss auf ihr Haar.
»Dass ihr so flott bei der Sache wart, hat euch offensichtlich nicht geschadet. Ihr seid noch immer verliebt wie am ersten Tag«, seufzte Julia. Sie gönnte ihrer Schwester das Glück von Herzen, doch manchmal beneidete sie sie ein wenig um diesen erfolgreichen jungen Architekten, der mit seinem frechen Lausbubenlächeln so viel Lebensfreude verbreitete.
»Ich bin nicht gesunken, du hast mich aufgefangen, weil ich über diesen herumliegenden Schwimmreif gestolpert bin«, erklärte Nelly nach einer Weile schmollend.
»Du bist gestolpert, weil du nur noch Augen für mich hattest, das bleibt sich gleich. Egal, seitdem liebe ich aufgeblasene Schwimmreifen. Ich hoffe, dass die liebste meiner Schwägerinnen mich nicht für unmoralisch hält, dass ich mich einfach so küssen ließ.« Lars sah Julia mit seinen hellen blauen Augen unschuldig an.
»Ich bin deine einzige Schwägerin.« Julia lachte laut auf, als Lars im gleichen Moment in Deckung ging, um Nellys unsanftem Seitenhieb auszuweichen.
»Und ich bin deine einzige Frau und bitte doch sehr darum, dass du dich nicht als unschuldiges Opfer darstellst.«
»Ich gebe zu, ich wollte mich gar nicht wehren.« Lars packte Nellys Hände und hielt sie fest. »Und ich gestehe, dass kein erster Kuss je überzeugender war.«
»Da schau her. Wie viele haben denn versucht, dich zu überzeugen?«
»Rate mal.«
Julia hörte nicht mehr zu, wie die beiden sich neckten. Im Westen tauchte gerade das gewaltige Gebirgsmassiv auf. Erst waren nur die gezackten Spitzen zu sehen, die aber dann schnell an Höhe gewannen, so als sei die Insel soeben aus dem Meer geboren. Die Schneehauben der Gletscher glitzerten wie eine Ansammlung Abertausender Irrlichter, die Julias Blick magisch anzogen. Nellys gelbes Sommerkleid, Lars’ Jeans, das hellblaue Hemd, nur noch Farbtupfer, die sich allmählich auflösten.
Das gleichmäßige Brummen des Schiffsmotors, das Krächzen der Möwen, die die Fähre umkreisten, das fröhliche Lachen der Kinder, die auf dem Deck herumtollten, alle Geräusche wurden auf einmal ganz dumpf.
Korsika, du gewaltige Schönheit im Meer, ich wollte dich nie wiedersehen, dachte Julia, aber ihre Erinnerungen hatten sie schon gefangen genommen, und in Gedanken befand sie sich wieder auf diesem langen Marsch durch die karge Gebirgslandschaft, der sie zu dem versteckten Gebirgsgasthof führte.
Rasende Wassermassen schossen nicht weit von dem Gehöft über die zerklüftete Gebirgswand, sammelten sich auf einem Felsvorsprung und fielen wie ein Vorhang aus seidigem Engelshaar dem Meer entgegen. So, als sei es erst gestern gewesen, nahm Julia den betörenden Duft der Maccie wahr, eine sandige hitzeschwere Süße, wie sie nur sonnenverdorrte Pflanzen verbreiten. Wieder sah sie die hochgewachsene schlanke Gestalt des Mannes vor sich, der zwischen Felswand und dem niederschlagenden Wasser stand und fotografierte. Gebannt hatte sie ihn betrachtet, bis er nach einer Weile hinter dem tosenden Vorhang hervorkam und sich ihre Blicke trafen.
Leon! So sehr sie sich auch wehrte, ihre Sehnsucht nach diesem Mann ließ sich nicht bezwingen.
»Julia, Kleines, wo bist du denn hingeraten?« Nelly beugte sich nach vorn und tippte sie an.
»Ein Abstecher in die Vergangenheit«, antwortete Julia leise.
»Sieh mich an, Julia.« Nelly strich sanft über das seidige kastanienfarbene Haar der Schwester. Der Schreck fuhr ihr in die Glieder, als sie die Tränen in den grünschimmernden Augen entdeckte. »Nicht, keine Tränen mehr, das hast du mir versprochen.«
»Mami, was ist denn?!« Anna hatte den Walkman zur Seite gelegt und schob das