Gesucht wird: Nicos Vater: Sophienlust - Die nächste Generation 66 – Familienroman
Von Simone Aigner
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Über dieses E-Book
Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt.
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Hannah Wenzel lag rücklings auf dem Sofa, den linken Arm hatte sie über die Augen gelegt, um sie vor dem strahlenden Sonnenschein des Junitages zu schützen. Obwohl die warme Luft des Sommers durch die geöffnete Terrassentür ins Wohnzimmer drang, fror sie erbärmlich. Dagegen halfen weder ihre dicke Strickjacke noch die warme Wolldecke, die sie bis zum Kinn gezogen hielt. Auch die Kopfschmerztablette, die sie vor einer knappen Stunde genommen hatte, erfüllte ihren Zweck nicht. Keine Frage, sie war krank. Krank war sie selten, und nun war es gleich richtig schlimm. Sie fürchtete, zu wissen, woher ihr Zustand kam, und schalt sich leichtfertig und bequem. Doch dafür war es zu spät. Sie brauchte einen Arzt. »Mama?«, hörte sie das Stimmchen ihres Sohnes. Sie nahm den Arm von den Augen und blinzelte gegen das Blenden der Sonne an. Sie versuchte, auf dem Sofa aus dem Licht zu rücken, doch das ging nicht. »Hm?«, machte sie, nicht fähig, ein klares Wort zu sprechen. »Machst du mir den Deckel von der Sandkiste weg?«, bat Nico. »Klar«, nuschelte Hannah und setzte sich behutsam auf. Ein Kälteschauer überrann sie, als die Decke von ihr rutschte.
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Gesucht wird - Simone Aigner
Sophienlust - Die nächste Generation
– 66 –
Gesucht wird: Nicos Vater
Kann Hannah ihren Fehler von damals wieder gutmachen?
Simone Aigner
Hannah Wenzel lag rücklings auf dem Sofa, den linken Arm hatte sie über die Augen gelegt, um sie vor dem strahlenden Sonnenschein des Junitages zu schützen. Obwohl die warme Luft des Sommers durch die geöffnete Terrassentür ins Wohnzimmer drang, fror sie erbärmlich. Dagegen halfen weder ihre dicke Strickjacke noch die warme Wolldecke, die sie bis zum Kinn gezogen hielt. Auch die Kopfschmerztablette, die sie vor einer knappen Stunde genommen hatte, erfüllte ihren Zweck nicht. Keine Frage, sie war krank. Krank war sie selten, und nun war es gleich richtig schlimm. Sie fürchtete, zu wissen, woher ihr Zustand kam, und schalt sich leichtfertig und bequem. Doch dafür war es zu spät. Sie brauchte einen Arzt.
»Mama?«, hörte sie das Stimmchen ihres Sohnes. Sie nahm den Arm von den Augen und blinzelte gegen das Blenden der Sonne an. Sie versuchte, auf dem Sofa aus dem Licht zu rücken, doch das ging nicht.
»Hm?«, machte sie, nicht fähig, ein klares Wort zu sprechen.
»Machst du mir den Deckel von der Sandkiste weg?«, bat Nico.
»Klar«, nuschelte Hannah und setzte sich behutsam auf. Ein Kälteschauer überrann sie, als die Decke von ihr rutschte. Sie spürte schmerzhaft jeden Muskel und jeden Knochen im Körper. Ihre Knie wackelten bei dem Versuch, aufzustehen. Sie stützte sich am Couchtisch ab.
»Mama, bist du immer noch krank?«, erkundigte sich ihr Kleiner. Er hielt seinen Bagger unter dem Arm.
»Ein bisschen bin ich noch krank, Nico«, antwortete sie, und ihre Zähne drohten aufeinanderzuschlagen. Wie sollte sie in der Verfassung den Deckel von der Sandkiste wegbekommen? Sie war ja kaum in der Lage, aufzustehen. Außerdem hatte sie schrecklichen Durst. Vorsichtig setzte sie sich wieder und legte sich mit schwerfälligen Bewegungen die Decke um die Schultern.
»Nico, magst du mir bitte ein Glas Wasser bringen?«, bat sie. »Danach mache ich deine Sandkiste auf.«
Der kleine Junge nickte. Vorsichtig stellte er den Bagger auf den Boden, streifte seine dunkelblauen Crocs ab und lief auf Strümpfen in die Küche. Hannah sah, wie er sich abmühte, ein Glas unter den Wasserhahn zu halten, an den er mit seinen fünf Jahren noch nicht richtig herankam. Im Bad stand ein Schemelchen bereit, um gut ans Waschbecken zu kommen. In der Küche nicht.
Vorsichtig balancierte Nico das gut gefüllte Glas zu ihr, wobei immer wieder etwas Wasser über den Rand schwappte und eine Tropfspur auf dem dunklen Laminat hinterließ.
»Danke, mein Schatz«, murmelte Hannah. Das Glas fühlte sich kalt an und das Wasser noch viel kälter, und obwohl sie solchen Durst hatte, hatte sie Mühe zu trinken. Sie war einfach zu schwach für alles. Ängstlich ruhte der Blick ihres kleinen Jungen auf ihr.
»Mama, wann bist du denn wieder gesund?«, fragte er.
»Bald, mein Schatz.« Sie stellte das Glas auf den Tisch und unternahm einen neuen Versuch, aufzustehen. Für eine Minute die Zähne zusammenbeißen, das musste gehen. Ihr war schwindelig. Sie atmete flach und hoffte, dass sich ihr Kreislauf stabilisierte. Bis zur Terrassentür waren es nur wenige Schritte. Sie musste sich am Türstock abstützen.
Die Sandkiste stand in der prallen Sonne. Das war nicht gut. Sie musste den Sonnenschirm aufstellen, damit der Kleine geschützt war. Mit staksigen Schritten trat sie auf die Terrasse, kam noch bis zum Rasen und spürte, wie ihr die Beine wegknickten.
*
Waltraud Schulz saß mit ihrem Mango-Eistee im Garten unter dem Kirschbaum und war mit ihrer Häkelarbeit beschäftigt. Ein feines, blütenweißes Shirt sollte es werden, mit halbem Arm, ganz leicht und luftig. Das Wollknäuel lag in einem Körbchen, das neben ihrem Liegestuhl im Rasen stand. Die Handarbeit machte ihr Freude und der herrliche Tag auch. Sorgsam strich sie das halb fertige Vorderteil ihres neuen Kleidungsstückes auf ihrem Schoß glatt. Es war bisher alles sehr schön geworden und sah sehr ordentlich aus.
Waltraud wollte eben die Handarbeit wiederaufnehmen, als sie von nebenan den kleinen Nico schreien hörte. Das Geschrei ging ihr durch Mark und Bein. Eilig rappelte sie sich aus ihrem Stuhl in die Höhe und legte das Häkelzeug auf das Polster. Sie eilte zur Ginsterhecke, die am Zaun wuchs, und schob die Zweige auseinander. Nico schrie immer noch. Das Entsetzen fuhr ihr wie ein Hieb in den Magen. Auf dem Rasen lag Hannah Wenzel. Sie schien bewusstlos.
»Frau Wenzel? Hören Sie mich? Können Sie mich verstehen?«
Hannah blinzelte. Ihr Kopf dröhnte und ihr war so kalt. Mühsam bekam sie die Augen auf. Eine Frau beugte sich über sie.
»Frau Wenzel?«, fragte die Frau noch einmal.
»Hm«, machte Hannah.
»Ich bin Dr. Hartmann. Sie sind bewusstlos geworden. Ihre Nachbarin hat uns verständigt«, sagte die Frau.
Sie war bewusstlos gewesen? Plötzlich schwappte die Erinnerung hoch. Nico! Sie hatte ihm den Sandkasten aufmachen wollen. Wo war ihr Kleiner?
»Nico?«, brachte sie angestrengt hervor.
»Es ist alles gut, Frau Wenzel. Ihr Sohn ist hier, und Ihre Nachbarin ist bei ihm«, sagte Dr. Hartmann. »Sehen Sie mich bitte an«, fuhr sie fort. »Folgen Sie meinem Finger.« Die Ärztin hielt ihr den Zeigefinger vors Gesicht. Hannah bemühte sich, ihrer Aufforderung nachzukommen. Dr. Hartmann kommentierte nicht, ob sie alles richtig gemacht hatte, leuchtete ihr aber anschließend mit einer kleinen Lampe in die Augen. Als ob die Sonne nicht grell genug war. Die Ärztin fühlte ihren Puls.
»Nico«, murmelte Hannah und streckte eine Hand aus. Ihr kleiner Junge schluchzte auf, und plötzlich lag seine kleine Hand in ihrer.
»Mama, du musst aufstehen«, sagte er, von wilden Schluchzern unterbrochen.
»Ja, mein Schatz«, erwiderte Hannah und überlegte, ob sie die Worte ausgesprochen oder nur gedacht hatte.
»Frau Wenzel, wir nehmen Sie jetzt mit in die Klinik«, sagte die Ärztin.
Hannah zwang sich, die Augen zu öffnen. Die Sonne blendete gar nicht mehr. Entweder Dr. Hartmann stand im Licht, oder es schien keine Sonne mehr.
»Das geht nicht. Ich muss bei Nico bleiben. Können Sie mir nicht Medikamente geben? Es kommt bestimmt von der Zecke.« Die Sorge um ihren Jungen gab ihr die Energie, sich zu verständigen. Jetzt erst sah sie, dass außer der Ärztin auch noch zwei Sanitäter in ihrem Garten standen und eine Trage neben ihnen auf dem Rasen lag.
»Sie hatten einen Zeckenbiss?«, fragte Dr. Hartmann.
»Ja, es ist schon ein paar Tage her«, antwortete Hannah.
»Sind Sie gegen FSME geimpft?«
»Nein«, gab Hannah zu, und erneut plagte sie ihr Gewissen. Sie hatte es immer wieder vor sich hergeschoben. Nico war wichtiger, ihre Arbeit als Bibliothekarin, die sie, um Zeit für ihren Sohn zu haben, derzeit nur halbtags ausübte, und letzten Endes ging sie auch nicht gerne zum Arzt, und Spritzen hasste sie sowieso.
»Gut. Wir untersuchen in der Klinik, ob Sie sich durch den Zeckenbiss infiziert haben«, entschied Dr. Hartmann.
»Ich kann nicht in die Klinik. Nico…«, protestierte sie und wusste gleichzeitig, dass sie in ihrem aktuellen Zustand gar nicht für ihn sorgen konnte.
»Frau Wenzel, ich kann mich ein paar Tage um Ihren Kleinen kümmern«, hörte sie ihre Nachbarin sagen. Waltraud Schulz trat in ihr Blickfeld. »Wenn es Ihnen hilft, auch hier bei Ihnen im Haus. Da hat der Junge alles um sich, was er braucht«, schlug sie vor.
»Wirklich?« Dankbar sah sie zu Frau Schulz hoch. Tatsächlich erleichtert war sie nicht. Nico und die Nachbarin kannten sich kaum, doch eine bessere Lösung wusste sie auch nicht, schon gar nicht von einem Moment zum anderen und mit einem Hirn, das ihr kaum gehorchen wollte.
»Sicher«, versprach Waltraud Schulz. Nico weinte ununterbrochen.
»Schätzchen«, wandte Hannah sich an ihren Sohn. »Ich muss mit der Frau Doktor mitfahren, damit ich schnell wieder gesund werde. Frau Schulz passt so lange auf dich auf. Bist du ein großer Junge und zeigst ihr alles? Sie kann im Wohnzimmer auf der Couch schlafen.« Sie sah wieder zu der Nachbarin. »Die kann man ausklappen, dann ist genug Platz.«
»Machen Sie sich keine Sorgen. Ich habe drei Enkel. Wir kommen schon zurecht, nicht wahr, Nico?« Nico gab keine Antwort, stattdessen warf er sich auf seine Mutter und klammerte sich an ihr fest. Hannah strich ihm über den Rücken.
»In ein paar Tagen bin ich wieder daheim«, versprach sie und hoffte, sie konnte ihre Zusage einhalten. »Dann machen wir was ganz Schönes.«
»Ich will nix Schönes machen. Ich will, dass du hierbleibst.« Nico weinte immer lauter. Hannah bekam Herzrasen, und obwohl sie noch immer im Garten auf der Wiese lag, wurde ihr plötzlich entsetzlich schwindelig. Die Ärztin sagte etwas und band ihren Oberarm ab. Hannah brach der Schweiß aus. Nahm sie ihr etwa Blut ab? Hier, auf dem Rasen und während Nico zusah? Sie spürte einen Einstich in der Beuge des Ellbogens.
»Ich habe Ihnen einen Zugang gelegt, Frau Wenzel«, sagte Dr. Hartmann. »Sie bekommen jetzt eine Infusion, dann fahren wir in die Klinik.« Ihre Stimme kam von weit her, und Hannah glitt in gnädige Dunkelheit.
*
Nico saß auf dem Sofa, seinen sandigen Bagger neben sich, und konnte nicht aufhören zu weinen. Die Doktor-Frau hatte die Mama mithilfe von zwei Männern, die einen roten Anzug mit dicken silbernen Streifen getragen hatten, auf eine Liege gelegt, die man an zwei Stecken tragen konnte, und mitgenommen. Jetzt war er ganz alleine mit der Nachbarin, und er wusste auch gar nicht, wann die Mama wiederkam. Falls sie überhaupt wiederkam. Er wollte nicht mehr im Sandkasten spielen, er wollte auch keine Saftschorle und nichts zu essen, obwohl er schon ein bisschen Hunger hatte. Die Nachbarin saß auf Mamas Sessel und bot ihm ganz viel an, was er machen konnte. Zum Beispiel, der Mama ein Bild malen, damit sie sich freute, wenn er sie im Krankenhaus besuchen durfte. Er wusste doch gar nicht, wie er ins