Er darf sein Kind nicht sehen: Sophienlust - Die nächste Generation 36 – Familienroman
Von Karina Kaiser
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Über dieses E-Book
Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt.
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
»Du brauchst mich wirklich nicht hinzubringen und auch nicht abzuholen. Ich bin doch schon neun und finde allein nach Hause.« Hanno Wenzel schaute seine Großmutter entrüstet an und fügte dann noch hinzu: »Alle anderen gehen auch allein.« »Was alle anderen machen, geht uns nichts an«, kam es in scharfem Ton zurück. »Ich bringe dich hin und hole dich auch wieder ab und damit basta. Hast du das verstanden?« »Ja, Oma.« Der Junge gab es auf, die Frau umstimmen zu wollen. Wenn er nämlich noch lange ungezogen war, die Oma nannte sein Verhalten jedenfalls so, wenn er also anderer Meinung war als sie, dann durfte er wahrscheinlich gar nicht zur Geburtstagsfeier von seinem Schulfreund gehen. Es war also besser, den Mund zu halten. Dann war die Oma wieder lieb und zufrieden. Tief enttäuscht lief er in sein Zimmer. Kurt Wenzel hatte sich nicht in die Debatte zwischen Oma und Enkel eingemischt, das tat er nur selten. Er war ja meist auf der Arbeit und hatte bei der Erziehung seines Enkelsohnes ohnehin kaum etwas zu sagen. Eigentlich war die Helga eine gute und vor allem fürsorgliche Frau, sie übertrieb diese Fürsorge nur manchmal. Was war denn schon dabei, wenn der Junge allein zu der Geburtstagsfeier seines besten Freundes ging? Bis zum Haus der Familie Richter waren nur etwa zweihundert Meter zurückzulegen. Das war nun wirklich nicht weit. »Ich finde, dass Hanno inzwischen alt genug ist, um allein irgendwohin zu gehen«
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Sophienlust - Die nächste Generation
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Buchvorschau
Er darf sein Kind nicht sehen - Karina Kaiser
Sophienlust - Die nächste Generation
– 36 –
Er darf sein Kind nicht sehen
Warum der kleine Hanno ohne Vater aufwachsen sollte...
Karina Kaiser
»Du brauchst mich wirklich nicht hinzubringen und auch nicht abzuholen. Ich bin doch schon neun und finde allein nach Hause.« Hanno Wenzel schaute seine Großmutter entrüstet an und fügte dann noch hinzu: »Alle anderen gehen auch allein.«
»Was alle anderen machen, geht uns nichts an«, kam es in scharfem Ton zurück. »Ich bringe dich hin und hole dich auch wieder ab und damit basta. Hast du das verstanden?«
»Ja, Oma.« Der Junge gab es auf, die Frau umstimmen zu wollen. Wenn er nämlich noch lange ungezogen war, die Oma nannte sein Verhalten jedenfalls so, wenn er also anderer Meinung war als sie, dann durfte er wahrscheinlich gar nicht zur Geburtstagsfeier von seinem Schulfreund gehen. Es war also besser, den Mund zu halten. Dann war die Oma wieder lieb und zufrieden. Tief enttäuscht lief er in sein Zimmer.
Kurt Wenzel hatte sich nicht in die Debatte zwischen Oma und Enkel eingemischt, das tat er nur selten. Er war ja meist auf der Arbeit und hatte bei der Erziehung seines Enkelsohnes ohnehin kaum etwas zu sagen. Eigentlich war die Helga eine gute und vor allem fürsorgliche Frau, sie übertrieb diese Fürsorge nur manchmal. Was war denn schon dabei, wenn der Junge allein zu der Geburtstagsfeier seines besten Freundes ging? Bis zum Haus der Familie Richter waren nur etwa zweihundert Meter zurückzulegen. Das war nun wirklich nicht weit.
»Ich finde, dass Hanno inzwischen alt genug ist, um allein irgendwohin zu gehen«, meinte er auf seine bedächtige Art, während er weiterhin damit beschäftigt war, Kartoffeln für das Mittagessen zu schälen. »Du entwickelst dich noch zur Superglucke. Er kann übrigens auch mit dem Bus zur Schule fahren, so wie die anderen Kinder auch.«
»Und wenn etwas passiert? Denk an seine Mutter.«
»Das war etwas ganz anderes«, erwiderte er aufmüpfig. »Melanie ist beim Surfen verunglückt.«
»Ja, und warum?« Helga Wenzel wartete auf die Antwort ihres Mannes. Und als diese ausblieb, rief sie ungehalten: »Weil sie nicht aufgepasst hat, weil sie dauernd an diesen Oliver – diesen Hallodri - gedacht hat. Sie hat sich gegrämt, weil er sie so mir nichts, dir nichts verlassen und mit dem Kind sitzen gelassen hat. Und nur er ist schuld daran, dass sie gestorben ist. Da kannst du sagen, was du willst.«
»Ja, ja, du hast ja recht«, grummelte er, stand auf und beförderte die Kartoffelschalen in den Bio-Mülleimer. »Ich gehe jetzt und mähe den Rasen. Du kannst ja in der Zwischenzeit versuchen, dich wieder mit unserem Enkel zu versöhnen.«
Er übersah ihre zornige Miene und gab Fersengeld. Wenn seine Angetraute in dieser gereizten Stimmung war, dann war es mit ihr kaum zum Aushalten. Dann war es besser zu gehen.
Hanno hatte sich inzwischen auf sein Bett gelegt und schaute verdrossen an die Zimmerdecke. Die Oma war heute mal wieder besonders streng. Nichts durfte er allein machen, nichts! Dauernd passte sie auf ihn auf. Und das würde sie wahrscheinlich auch noch tun, wenn er erwachsen war. Sie würde ihn nachher auch zu der Geburtstagsfeier von Maxim begleiten und am Abend wieder abholen, genauso, als wenn er noch in den Kindergarten ginge. Und warum das alles? Weil er keine Mutti mehr hatte und einen Papa auch nicht. Die Mutti war gestorben, als er noch ein ganz kleiner Junge gewesen war. Und der Papa? Den kannte er gar nicht. Aber die Großeltern sprachen nicht gut von ihm. Ein Luftikus und Hallodri sollte er sein, einer, der nichts ernst nahm, nur herumlungerte und nicht zur Arbeit ging.
»Der treibt sich irgendwo herum und denkt überhaupt nicht an sein Kind«, sagte der Opa oft, und die Oma setzte dann giftig hinzu:
»Nur gut, dass der Kleine uns hat. Der elende Kerl hätte ihn bestimmt in ein Kinderheim gegeben.«
Kinderheim? Hanno stellte sich darunter ein hohes Gebäude mit vergitterten Fenstern vor. So etwas hatte er schon mal im Fernsehen gesehen. Schlimm war es dort, ganz schlimm. Dann blieb er schon lieber bei den Großeltern, auch wenn deren Haus nur klein und er wenig Platz zum Spielen und Toben hatte. Aber es gab immer ein leckeres Mittagessen, er bekam auch ab und zu Eis, Schokolade und Gummibärchen – und Hilfe bei den Hausaufgaben.
Er durfte nur nicht laut sein und seine Freunde nicht mit nach Hause bringen. Das war zu anstrengend für die Großeltern. Na ja, sie waren eben schon recht alt und brauchten ihre Ruhe.
In diesem Augenblick kam die Oma ins Zimmer, setzte sich zu ihm und sagte: »Du kannst dich gleich nach dem Essen umziehen.«
»Was soll ich denn anziehen?«
»Die neue Jeanshose und das blau-weiß karierte Hemd. Und wasche dich ordentlich und putze deine Schuhe. Das Geschenk für deinen Freund habe ich schon eingepackt.« Helga Wenzel strich ihrem einzigen Enkel flüchtig über das blonde, etwas wellige Haar, stand auf und sagte noch: »Wir gehen dann um 14 Uhr los.«
»Ja, Oma.«
Hanno verzichtete darauf, seine Großmutter noch einmal zu bitten, ihn allein zur Familie Richter gehen zu lassen. Sie konnte recht böse sein, wenn er seinen eigenen Willen durchsetzen wollte. Also war es besser, still zu sein und sich auf einen Nachmittag mit Maxim und den anderen Kindern zu freuen.
*
Oliver Brandis saß an diesem Abend in seiner erst vor Kurzem bezogenen Wohnung und nippte an einem Glas Weißwein. Er war recht zufrieden mit sich, denn er hatte in seinem Leben alles erreicht, was er sich schon als Schuljunge vorgenommen hatte. Er war Augenarzt geworden und hatte mehr als zehn Jahre in Kamerun gearbeitet, wo er vielen armen Menschen durch seine Arbeit zu einer besseren Lebensqualität verholfen hatte. Für seine Träume hatte er auf vieles verzichtet, auf so manchen Urlaub und auch auf eine feste Beziehung. Seine Liebe zu einem Mädchen hatte er aufgegeben. Manchmal dachte er noch an sie, an Melanie Wenzel, das Mädchen mit den langen weizenblonden Haaren, mit dem er einen Sommer lang zusammen gewesen war. Sicher war sie längst verheiratet, hatte Kinder und dachte überhaupt nicht mehr an ihn, der sie schließlich ohne eine Erklärung und von heute auf morgen verlassen hatte.
Inzwischen hatte er die Praxis seiner Mutter übernommen, so wie sie es schon lange gewollt hatte, damit sie sich endlich zur Ruhe setzen konnte.
Verstehen konnte er das schon, sie ging auf die Siebzig zu und vertraute ihrem eigenen Können nicht mehr so recht. Nun wäre er dran, hatte sie oft gesagt. Er sollte da weitermachen, wo sie aufgehört hatte, und sollte sich Frau und Kinder anschaffen.
Frau und Kinder? Wie stellte sie sich denn das vor? Er hatte doch nie Zeit. Und eine Frau, wie er sie brauchte, gab es wahrscheinlich gar nicht.
Melanie Wenzel kam ihm wieder in den Sinn. Damals hatte sie noch bei ihren Eltern gewohnt, in einem Dorf in der Nähe von Maibach.
Ich sollte mal hinfahren, überlegte er. Natürlich nicht zu den Wenzels.
Melanies Eltern hatten ihn schon damals stets und ständig mit schiefen Blicken gemustert. Einen Mann, der noch studierte und somit noch kein Einkommen hatte, konnten