Tanjas Traum vom großen Glück: Der Bergpfarrer 291 – Heimatroman
Von Toni Waidacher
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Über dieses E-Book
Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert.
»So, Frau Müller, ich hab' Ihnen die Hose leicht gekürzt, und an Ihrer Jacke hab' ich die Seitennaht etwas ausgelassen. Wenn S' einmal schauen mögen?« Tanja Brügger legte die Kleidungsstücke vor sich auf den Tresen, doch die ältere Dame winkte ab. »Ach, lass nur gut sein, Madel. Ich weiß auch so, dass du und deine Mutter immer gute Arbeit leisten.« Sie spähte über Tanjas Schulter hinweg, wo sich hinter einer meist offen stehenden Tür die kleine Arbeitsstätte befand. »Ist die Mutti denn heut' gar net da?«, fragte sie. Tanja schüttelte den Kopf. »Sie ist in die Stadt g'fahren, weil s' was zu erledigen hat. Am Nachmittag wird s' aber wieder zurück sein.« »Da kann sie aber recht stolz auf dich sein, dass sie eine Tochter wie dich hat, mein Kind.« Tanja lächelte. »So, finden Sie?« »Aber ja doch. Dass du schon in der Lage bist, einen ganzen Tag lang hier alles allein zu meistern, zeugt von großer Reife!« Tanja lächelte weiter, seufzte aber leicht genervt auf. Zwar war es immer schön, gelobt zu werden, aber ihrer Meinung nach war dieses Lob völlig fehl am Platze. Immerhin war sie schon zwanzig, also längst kein Kind mehr! Und in dem Alter waren die meisten berufstätig.
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Buchvorschau
Tanjas Traum vom großen Glück - Toni Waidacher
Der Bergpfarrer
– 291 –
Tanjas Traum vom großen Glück
Dabei liegt das Gute doch so nah
Toni Waidacher
»So, Frau Müller, ich hab’ Ihnen die Hose leicht gekürzt, und an Ihrer Jacke hab’ ich die Seitennaht etwas ausgelassen. Wenn S’ einmal schauen mögen?« Tanja Brügger legte die Kleidungsstücke vor sich auf den Tresen, doch die ältere Dame winkte ab.
»Ach, lass nur gut sein, Madel. Ich weiß auch so, dass du und deine Mutter immer gute Arbeit leisten.« Sie spähte über Tanjas Schulter hinweg, wo sich hinter einer meist offen stehenden Tür die kleine Arbeitsstätte befand. »Ist die Mutti denn heut’ gar net da?«, fragte sie.
Tanja schüttelte den Kopf. »Sie ist in die Stadt g’fahren, weil s’ was zu erledigen hat. Am Nachmittag wird s’ aber wieder zurück sein.«
»Da kann sie aber recht stolz auf dich sein, dass sie eine Tochter wie dich hat, mein Kind.«
Tanja lächelte. »So, finden Sie?«
»Aber ja doch. Dass du schon in der Lage bist, einen ganzen Tag lang hier alles allein zu meistern, zeugt von großer Reife!«
Tanja lächelte weiter, seufzte aber leicht genervt auf. Zwar war es immer schön, gelobt zu werden, aber ihrer Meinung nach war dieses Lob völlig fehl am Platze. Immerhin war sie schon zwanzig, also längst kein Kind mehr! Und in dem Alter waren die meisten berufstätig. Aber irgendwie schien niemand in St. Johann das so richtig zu begreifen, am wenigsten ihre Mutter selbst!
Doch Tanja enthielt sich eines Kommentares und packte stattdessen die zwei Kleidungsstücke in eine Baumwolltragetasche, aus Umweltgründen gab sie nie Plastiktüten heraus, die sie anschließend der Frau Müller überreichte.
Die beglich den Rechnungsbetrag, wobei sie auch nicht an einem kleinen Trinkgeld sparte, wofür Tanja sich freundlich bedankte, und verabschiedete sich.
Sobald sie wieder allein im Laden war, atmete Tanja erleichtert auf. Frau Müller war wirklich eine gute Kundin und eine nette, liebenswerte alte Frau – aber gerade hatte Tanja sich regelrecht zusammenreißen müssen, ruhig zu bleiben.
Das jedoch lag nicht an Frau Müller selbst, sondern vielmehr daran, dass Tanja sich im Moment einfach nicht wohlfühlte. Sie war unzufrieden mit sich, mit ihrer Arbeit, mit ihrem Leben hier in St. Johann und überhaupt mit der ganzen Welt!
Zwanzig Jahre war sie jetzt alt. Vor einem Jahr hatte sie ihr Abitur gemacht, und seitdem arbeitete sie auf Drängen ihrer Mutter mit ihr zusammen in deren Laden.
Die kleine Änderungsschneiderei bestand schon seit vielen Jahren. Ihre Eltern hatten sie damals von der Vorbesitzerin übernommen, und nach dem Tod von Tanjas Vater vor fünf Jahren hatte ihre Mutter sie erst einmal allein weitergeführt, weil Tanja ja noch zur Schule gegangen war. Allerdings hatte sie immer schon nachmittags ein wenig ausgeholfen.
Tanja strich sich eine widerspenstige Strähne ihres schulterlangen blonden Haares aus dem Gesicht. Sie hatte immer gern ausgeholfen, aber seit sie hier von morgens bis abends hinter der Theke stand und ihrer Mutter auch beim Schneidern half, merkte sie, dass ihr die Arbeit nicht mehr gefiel. Und das hatte auch seinen Grund, denn ihre Mutter wollte unbedingt, dass Tanja bei ihr eine richtige Lehre zur Schneiderin machte und den Laden auch später einmal übernahm.
Doch genau das wollte Tanja auf gar keinen Fall. Sie stellte sich ihre Zukunft einfach anders vor. Sie wollte nicht ihr ganzes Leben lang in diesem kleinen Geschäft arbeiten, und sie wollte auch keine Lehre zur Schneiderin machen.
Stattdessen träumte sie davon, Modedesignerin zu werden. Und dazu brauchte man keine Lehre als Schneiderin, wenngleich manche diese Ausbildung mitbrachten, aber das war kein wirkliches Muss, und gerade in der heutigen Zeit half das auch kaum weiter, da war einfach nur Kreativität und Talent gefragt, kein starres Handwerk.
Eines aber musste man tun, um Designerin zu werden: studieren.
Tanja hatte sich schon genau erkundigt. Das war bei ihr immer so: Wenn sie sich für etwas wirklich interessierte, dann tauchte sie regelrecht ab in der Materie und nahm begierig alle Informationen in sich auf, die sie bekommen konnte.
Und so wusste sie, dass sie in München die Möglichkeit zu einem Studium hätte. Allerdings an einer Privatschule, was wiederum mit hohen Kosten verbunden wäre. Woher sollte sie das Geld nehmen?
Seufzend warf sie einen Blick auf ihre Uhr. Zeit für die Mittagspause, dachte sie, nahm ihre Jacke und ging hinaus, wo strahlender Sonnenschein sie erwartete. Es war wirklich ein herrlicher Sommertag. Nicht zu kalt, aber auch nicht brütend warm, was daran lag, dass von den Bergen her ein angenehm kühler Wind blies. Der Himmel war beinahe wolkenlos, nur ein paar Schäfchenwolken tummelten sich dort. Vogelgezwitscher erfüllte die Luft, und Kinder, die gerade aus der Schule kamen und sich nun auf dem Weg nach Hause befanden, tobten ausgelassen auf der Straße herum.
Es war ein schöner Ort hier,
wirklich. Tanja hatte sich immer recht wohlgefühlt. Doch inzwischen fühlte sie sich mehr und mehr eingeengt, und sie spürte, dass sie
einfach mal eine Veränderung brauchte, einen Tapetenwechsel sozusagen.
»Grüß Gott, Tanja«, vernahm sie da eine Stimme neben sich. Sie wandte sich um und erblickte Sebastian Trenker, den Pfarrer von Johann.
»Grüß Gott, Hochwürden«, erwiderte sie erfreut. »Genießen S’ auch das schöne Wetter?«
»In der Tat«, nickte er und musterte sie. »Du schaust allerdings gar net so aus, als wärest du in der Stimmung, den Tag zu genießen. Geht’s dir net gut?«
Sie lächelte leicht. »Sieht man mir das etwa so deutlich an?«
»Ein bisserl schon«, antwortete der Geistliche ehrlich. »Liegt dir denn etwas auf dem Herzen? Wenn du magst, kannst du gern darüber mit mir sprechen.«
»Ach, Herr Pfarrer.« Tanja winkte ab. »Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, und ich weiß das auch zu schätzen. Aber ich glaub, im Moment kann mir nix und niemand helfen. Trotzdem dank’ ich Ihnen recht schön für das Angebot.«
»Nix zu danken. Und wenn du es dir mal anders überlegen solltest: Meine Tür steht jederzeit offen für dich.« Er nickte ihr noch einmal zu und ging dann weiter.
Gedankenverloren blickte Tanja ihm nach. Vielleicht hatte er ja recht, und es würde ihr tatsächlich helfen, sich einmal all ihren Kummer von der Seele zu reden. Aber was sollte das bringen?
Nein, nein. Sie schüttelte den Kopf. Es ging um ihre Zukunft, und deshalb musste sie da ganz allein durch. Bei solchen Problemen konnte einem einfach niemand helfen, da war man auf sich allein gestellt. Andere konnten einem vielleicht Tipps und Ratschläge geben, aber die jeweilige Entscheidung musste man allein fällen.
Und genau das war es wohl, was der Tanja am meisten Probleme bereitete, denn bisher hatte sie noch nie in ihrem jungen Leben eine wirklich wichtige Entscheidung treffen müssen.
Und sie musste zugeben, dass sie Angst davor hatte, es bald zu tun.
*
Leonhard Gartner vergewisserte sich noch einmal, ob Adress- und Absenderangaben auf dem großen Kuvert, das er in der Hand hielt, in Ordnung waren, dann warf er den ausreichend frankierten Brief in den Postkasten und sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass seine Aktion erfolgreich sein würde.
Und das hoffte er nicht für sich, sondern für Tanja, denn er wollte, dass es dem Madel gut ging, und genau das war im Augenblick nicht der Fall.
Zwar hatte sie bisher nicht richtig mit ihm darüber gesprochen, aber er merkte deutlich, dass sie etwas bedrückte, und er wusste auch, um was es sich dabei handelte.
Es ging um ihre Zukunft und um ihren Wunsch, Modedesignerin zu werden.