Wenn die Schuld nicht greifbar ist: Der junge Norden 9 – Arztroman
Von Carolin Grahl
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Über dieses E-Book
Alexander kennt nur ein Ziel: Er will Arzt werden und in die riesigen Fußstapfen seines berühmten Onkels, des Chefarztes Dr. Daniel Norden, treten. Er will beweisen, welche Talente in ihm schlummern. Dr. Norden ist gern bereit, Alexanders Mentor zu sein, ihm zu helfen, ihn zu fördern.
Alexander Norden ist ein charismatischer, unglaublich attraktiver junger Mann. Die Frauenherzen erobert er, manchmal auch unfreiwillig, im Sturm. Seine spannende Studentenzeit wird jede Leserin, jeden Leser begeistern!
»Ja, wir kommen. Wir kommen sofort. Ende.« Notarzt Dr. Rudolf stieß geräuschvoll die Luft aus und wandte sich dann an Alex, der den Rettungswagen steuerte: »Du hast es gehört: In der Garmischer Straße ist ein Bauarbeiter vom Gerüst gestürzt. Er kann seine Beine nicht mehr bewegen. Verdacht auf Wirbelfraktur im Lendenbereich. Also nichts wie los.« Alex schaltete Martinshorn und Blaulicht ein. »Warum ist der Mann gestürzt?«, wollte er wissen. »War es ein klassischer Unfall, oder waren es gesundheitliche Probleme, die den Sturz ausgelöst haben? Gibt es irgendwelche Vermutungen?« Dr. Rudolf zuckte die Schultern. »Nicht dass ich wüsste. Aber vielleicht war das Gerüst nass von dem schweren Gewitter heute Morgen«, vermutete er. »Wir werden sehen. Ich schätze … Alex, pass auf!
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Buchvorschau
Wenn die Schuld nicht greifbar ist - Carolin Grahl
Der junge Norden
– 9 –
Wenn die Schuld nicht greifbar ist
Der junge Alexander steht vor einer besonderen Bewährungsprobe
Carolin Grahl
»Ja, wir kommen. Wir kommen sofort. Ende.« Notarzt Dr. Rudolf stieß geräuschvoll die Luft aus und wandte sich dann an Alex, der den Rettungswagen steuerte: »Du hast es gehört: In der Garmischer Straße ist ein Bauarbeiter vom Gerüst gestürzt. Er kann seine Beine nicht mehr bewegen. Verdacht auf Wirbelfraktur im Lendenbereich. Also nichts wie los.«
Alex schaltete Martinshorn und Blaulicht ein. »Warum ist der Mann gestürzt?«, wollte er wissen. »War es ein klassischer Unfall, oder waren es gesundheitliche Probleme, die den Sturz ausgelöst haben? Gibt es irgendwelche Vermutungen?«
Dr. Rudolf zuckte die Schultern. »Nicht dass ich wüsste. Aber vielleicht war das Gerüst nass von dem schweren Gewitter heute Morgen«, vermutete er. »Wir werden sehen. Ich schätze … Alex, pass auf! Der Typ mit der schwarzen Schlaghose rennt direkt auf die Fahrbahn …«
Die Bremsen des Rettungswagens kreischten. Sowohl Alex als auch Dr. Rudolf wurden unsanft in ihren Airbag geschleudert. Gleichzeitig war da der Aufprall eines Körpers, ein gellender Schrei … dann Stille.
»Himmel, er ist mir direkt vor die Räder gelaufen. Es ging alles so furchtbar schnell!«, entfuhr es Alex, während er hastig seinen Sicherheitsgurt löste und aus dem Rettungswagen sprang.
»Verdammter Mist«, knurrte Dr. Rudolf, der Alex auf den Fuß folgte. »Ich habe ihn loslaufen sehen. Aber als ich dich gewarnt habe, war es bereits zu spät. Der ist abgezischt, als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Hat nicht nach links und nicht nach rechts geschaut. Einfach wie mit Scheuklappen geradeaus.«
Im nächsten Moment knieten Alex und Dr. Rudolf neben dem bewusstlosen Unfallopfer, dessen Gesicht blutüberströmt war.
»Sieht übel aus«, meinte Dr. Rudolf. »Und dabei ist er noch so jung. Ich wette, der ist grade mal sechzehn, wenn überhaupt. Was hat er sich nur dabei gedacht, auf die Fahrbahn zu hetzen wie ein Irrer …«
»Ich muss ihn ganz knapp erwischt haben«, stieß Alex hervor. »Trotzdem ist mir schleierhaft, wie das passieren konnte. Ich bin sofort auf die Bremse gestiegen. Bis zum Anschlag. Was hätte ich außer der Vollbremsung denn sonst noch tun sollen?«
»Nichts«, gab Dr. Rudolf zurück, während er den Kopf des jungen Mannes untersuchte und über der Stirn eine große Platzwunde entdeckte, die für die heftige Blutung verantwortlich war. »Dich trifft keinerlei Schuld, Alex. Im Gegenteil. Du hast unheimlich schnell reagiert. Besser hätte ich es auch nicht machen können. Besser hätte es niemand gemacht.«
»Trotzdem war meine Reaktion nicht schnell genug«, sagte Alex düster. Er leuchtete mit der Untersuchungslampe in die Augen des Unfallopfers, um die Reaktion auf Licht zu prüfen.
Im selben Augenblick erwachte der junge Mann aus seiner Ohnmacht.
Er schaute verwirrt umher, als wüsste er fürs Erste weder wo er sich befand, noch was geschehen war, doch es dauerte nicht lange, bis er begriff.
»Ihr Blödmänner! Ihr habt mich angefahren!« brüllte er erbost und versuchte, sich aus den Händen von Alex und Dr. Rudolf zu befreien. »Lasst mich gefälligst los! Ihr habt überhaupt kein Recht, mich festzuhalten, ihr Idioten …«
»Jetzt mach mal halblang!«, fiel Alex ihm ins Wort. »Du bist mir direkt vor den Rettungswagen gelaufen. Ich hatte überhaupt keine Chance. Und jetzt halt bitte still, damit wir uns um dich kümmern und uns deine Verletzungen ansehen können.«
»Pfeif drauf. Ihr seht euch gar nichts an. Ihr habt kein Recht dazu …«
»Ich hole Desinfektionsmittel und Verbandzeug für die Platzwunde«, sagte Dr. Rudolf, ohne auf die zornigen Worte des jungen Mannes zu achten. »Kannst du ihn so lange allein halten, Alex?«
»Klar doch«, erwiderte Alex mit einem vielsagenden Blick auf den Teenager. »Hab schon immer gern Tollwütige gebändigt.«
Die Antwort des Unfallopfers war eine Spuckattacke, vor der Alex gerade noch rechtzeitig das Gesicht wegdrehen konnte.
»Du musst die Rettungszentrale verständigen, Lars«, rief Alex Dr. Rudolf nach. »Sie müssen so schnell wie möglich ein anderes Team in die Garmischer Straße schicken. Das hier kann schließlich noch dauern. Bis wir unseren Patienten versorgt und in die Behnisch-Klinik gebracht haben …«
»Ihr Vollpfosten bringt mich gar nirgends hin. Ihr könnt ja nicht einmal Autofahren. Selbst dazu seid ihr zu dämlich. Ihr …«
Der junge Mann verstummte mitten im Satz, sein Widerstand erlahmte beinahe von einer Sekunde auf die andere. Stattdessen irrten seine Blicke mit einem Mal zuerst suchend über seine Hände, dann über den blutverschmierten Asphalt zu seinen Füßen.
»Vermisst du irgendetwas?«, erkundigte sich Alex.
Der junge Mann kam nicht dazu, eine Antwort zu geben, denn im selben Moment tauchte ein elegant gekleideter Herr mittleren Alters mit pechschwarzem, schulterlangem Lockenhaar und tief gebräunter Haut auf. In seinen triumphierend emporgestreckten Händen hielt er wie Siegestrophäen eine teuer aussehende schwarze Lederhandtasche und einen bunten, in allen Farben des Regenbogens schimmernden Seidenschal.
Wütend rollte er seine dunkelbraunen Augen, aus denen heller Zorn und grenzenlose Verachtung blitzten. »Ladro!«, brüllte er. »Ladro! Mantiene il ladro! Müssen halten den Dieb!«
Alex schaute ihn verblüfft an.
Erst in diesem Augenblick begriff er, dass der Dieb der junge Mann sein musste, der ihm vor den Rettungswagen gelaufen war. Und dass dessen suchende Blicke dem Diebesgut gegolten hatten, das er auf der Flucht verloren hatte.
»Diebstahl?«, wandte Alex sich fragend an seinen Patienten. »Hattest du es deshalb so eilig?«
Alex bekam keine Antwort.
Stattdessen ließ der junge Mann sich in Alex’ Armen zurücksinken und verdrehte die Augen, als würde er wieder das Bewusstsein verlieren. Ohne auch nur den geringsten Widerstand zu leisten, ließ er sich von Dr. Rudolf, der inzwischen zurückgekommen war, verarzten.
Die Wut des Italieners dämpfte er damit allerdings nicht im Geringsten.
»Io sono Luigi Francomano. Und das ist la mia boutique«, schrie er und wies mit dem Kinn auf ein exklusiv aussehendes Geschäft mit der Aufschrift ›Firenze‹. »Nur allerbeste Ware!« Er schwenkte die Ledertasche. »Capra! Leder von Ziege! Bergziege aus Abruzzen! Modell Armani! Sehr teuer! 589 Euro! Und Schal … disegno meraviglioso! Haute Couture! Alta Moda! Wert 199 Euro. Und das bestimmt noch nicht alles. Wer kann wissen, was sonst noch geklaut? Ich rufen Polizei! Carabinieri! Subito! Pronto!«
Mit stampfenden Schritten, die eher zu Springerstiefeln gepasst hätten als zu seinen eleganten schwarzen Lackschuhen, näherte der Ladenbesitzer sich dem jungen Mann, um ihn zu packen, wurde aber von Alex mit einem heftigen Ruck abgewehrt.
»Lassen Sie ihn«, wies Alex den aufgebrachten Italiener zurecht. »Sehen Sie nicht, dass Dr. Rudolf ihn gerade behandelt?«
»Ich sehe, dass ragazzo mich bestohlen«, zischte der Italiener. »Wie er heißen? Er Gauner! Truffatore!«
Der junge Mann schwieg.
Er zuckte unter Dr. Rudolfs Händen nur einmal kurz zusammen, stöhnte auf und verzog schmerzhaft sein Gesicht.
»Wir wissen nicht, wie unser Patient heißt«, erklärte Alex dem Ladenbesitzer. »Wir bringen ihn nach der Erstversorgung in die Behnisch-Klinik. Dort werden seine Personalien aufgenommen. Wenn Sie Anzeige erstatten wollen, kann die Polizei die betreffenden Daten in der Klinik erfragen. Und jetzt behindern Sie bitte nicht weiter unsere Arbeit.«
Trotz seiner Jugend strahlte Alex bei diesen Worten genügend Autorität aus, um den Ladenbesitzer zum Rückzug zu bewegen.
»Aber ich machen Anzeige. Versprochen. Garantito. Bringen Dieb ins Gefängnis«, schimpfte der Geschäftsmann zwar immer noch weiter, aber um einiges leiser, während er, die Handtasche unter den einen und den Schal unter den anderen Arm geklemmt, in seiner Boutique verschwand.
Dem verunfallten jungen Mann stand, als der Italiener fort war, die Erleichterung ins Gesicht geschrieben.
Er streifte Alex mit einem scheuen Seitenblick und wandte sich dann an Dr. Rudolf. »Und jetzt?«, fragte er.
»Wie du bereits gehört hast, bringen wir dich in die Behnisch-Klinik«, erwiderte der Notarzt. »Dort machen wir ein MRT, also eine Magnetresonanztomographie. Auf diese Weise lässt sich feststellen, ob der Unfall in deinem Kopf irgendwelche Schäden angerichtet hat.«
»Schäden? Was für Schäden?«, kam ein wenig ängstlich die nächste Frage.
»Du könntest zum Beispiel ein Schädel-Hirn-Trauma haben«, antwortete Dr. Rudolf.
Der junge Mann schluckte. Er konnte sich unter dem Begriff ›Schädel-Hirn-Trauma‹ zwar nichts vorstellen, fand aber, dass er sich ziemlich bedrohlich und gefährlich anhörte. Eingeschüchtert kaute er auf seiner Unterlippe herum.
»Bestenfalls hast du Glück, und es stellt sich heraus, dass du nur eine leichte Gehirnerschütterung hast«,