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123 Inkognito in Monte Carlo
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eBook324 Seiten4 Stunden

123 Inkognito in Monte Carlo

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Über dieses E-Book

Die achtzehnjährige unschuldige Mistral ist umgeben von Prinzen und Millionären, die in den Kasinos des luxuriösen Monte Carlo ein Vermögen verspielen. Nur von ihrer bitteren und dominanten Tante Emilie und deren Dienerin Jeanne begleitet und immer in Grau gekleidet wird ihre Schönheit dennoch bald von einigen der anwesenden Männern bemerkt, darunter der russische Prinz Nikolas, Sir Robert Stanford, ein Gentleman aus England, und einem opulenten Maharadscha. Doch nicht alle haben ihr Bestes im Sinne, als sie beginnen um sie zu werben. Und welches Geheimnis birgt sich hinter der wahren Identität ihrer Tante?
SpracheDeutsch
HerausgeberM-Y Books
Erscheinungsdatum14. Apr. 2015
ISBN9781788672641
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    Buchvorschau

    123 Inkognito in Monte Carlo - Barbara Cartland

    1

    Draußen auf dem Flur ertönten Schritte. Keuchend wurde ein Frühstückstablett auf einem Tisch abgesetzt. Dann klopfte es sacht an die Schlafzimmertür.

    Ohne eine Antwort abzuwarten, betrat Jeanne das Zimmer und eilte auf das Fenster zu, um die Vorhänge aufzuziehen. Emilie betrachtete ihre massige Figur im schwachen Morgenlicht und fragte sich, seit wie vielen Jahren sie dieses Morgenritual erlebte. Nie wurde sie durch das Öffnen der Tür geweckt, sondern immer durch das, was vorausging: Jeannes Schritte auf dem Flur, das Klirren des Frühstückstabletts und ihr Keuchen.

    War es seit achtzehn Jahren, daß Jeanne in ihren Diensten stand? Nein, seit neunzehn. Im übrigen kannten sie sich von klein auf. Nachdem die Vorhänge zurückgezogen waren, blickte man in einen frostigen Morgen, sah die grauen Dächer von Paris unter einem trüben Himmel. Eine fahle Sonne verbreitete blasses Licht. Emilie richtete sich ruckartig im Bett auf. Sie war bereits lange wach, hatte nur ein oder zwei Stunden geschlafen. Als sie in ihren Frisierspiegel blickte, bemerkte sie, daß die schlaflose Nacht ihre Spuren hinterlassen hatte. Heute morgen sah sie alt aus, alt und häßlich, vielleicht trug auch ihre Haarfarbe dazu bei. Aber Emilie hatte keine Zeit, sich über ihr Aussehen Gedanken zu machen, andere, viel wichtigere Dinge erforderten ihre Aufmerksamkeit.

    Emilie schlüpfte in ihre wollene Bettjacke, stopfte sich die Kissen in den Rücken und wartete, bis Jeanne das Frühstückstablett abgesetzt hatte. Sie schien dafür ungewöhnlich lange zu brauchen. Dann begann sie umständlich, alles zurechtzurücken: die Kaffeekanne etwas nach links, die Tasse und den Unterteller nach rechts.

    Emilie ließ sich durch dieses Manöver nicht tauschen. Sie wußte genau, daß Jeanne darauf wartete, daß sie redete.

    Da es sie immer ärgerte, wenn Jeanne ihren Entscheidungen zuvorkam, befahl sie in scharfem Ton: »Jeanne, mach die Tür zu!«

    »Oui, Madame, ich wollte sie gerade schließen.«

    »Dann beeil dich und setz dich hin, um mir zuzuhören, denn du mußt aufmerksam sein. Wir haben viel vor.«

    Jeanne ging durch das Zimmer, als ob ihre Beine steif und ihre Fuße wund waren. Sie hatte die schweren Knochen und langsamen Bewegungen der Bauern im Norden. Ihr Haar war grau, aber seltsamerweise hatte sie ein faltenloses Gesicht und die glänzenden Augen eines Kindes. Mit ihren sechzig Jahren konnte sie noch mühelos die zartesten Stickereien anfertigen.

    Jeanne schloß die Tür und kehrte zum Bett zurück, setzte sich auf einen harten Stuhl und faltete ihre abgearbeiteten Hände.

    Emilie beobachtete sie über den Rand ihrer Kaffeetasse und ärgerte sich, weil Jeanne wie eine Schülerin dasaß, die darauf wartete, daß der Lehrer zu sprechen anfing. Jeanne war ihre Freundin, ihre Vertraute, doch manchmal zeigte sie die Demut und das unterwürfige Desinteresse einer gewöhnlichen Bediensteten. Das bedeutete im allgemeinen, daß sie gekränkt oder ärgerlich war. Emilie stellte fest, daß im Augenblick beides zutraf.

    So wußte sie es also! Umsonst hatte sie sich letzte Nacht Mühe gegeben, leise zu sein, um sie nicht zu wecken. Jeanne war aufgewacht und spielte jetzt die Beleidigte, weil man sie nicht runtergerufen hatte.

    Emilie setzte ihre Kaffeetasse klirrend ab.

    »Jeanne, letzte Nacht ist etwas geschehen«, sagte sie. »Wir bekamen Besuch.«

    »Gewiß, Madame.«

    Jeanne zeigte keine Überraschung. Emilie mußte lachen.

    »Jeanne, hör auf, die Beleidigte zu spielen. Du weißt genau wie ich, daß ich unerwarteten Besuch bekam, ich betone: unerwartet. Ich hatte keine Ahnung, daß sie jetzt schon kommen würde, ich rechnete frühestens in drei Wochen mit ihr. Bis dahin hätte ich dir alles erzählt. Das Kind sagte mir, es habe mir vor vier Tagen einen Brief geschrieben, aber die Post ist ja so langsam, daß der Brief noch nicht eingetroffen ist. Das arme Mädchen stand allein auf dem Bahnhof, niemand hieß es willkommen. Die Ärmste hatte kaum genug Geld für eine Kutsche.«

    »Dann ist also Mademoiselle gekommen«, sagte Jeanne.

    Emilie lächelte immer noch gutgelaunt.

    »Du weißt genau, daß es Mademoiselle ist, denn wenn du noch nicht ihr Gepäck im Vorraum in Augenschein genommen hast, dann hast du doch bestimmt im Gästezimmer nach ihr geschaut. Ich vermute, sie schläft noch?«

    Jeanne vergaß ihren Stolz.

    »Oui, oui, Madame, sie schläft wie ein Engel. Als ich sie sah, setzte fast mein Herzschlag aus. Ein echter Engel, sagte ich zu mir, vom Himmel selbst herabgesandt.«

    »Das Kind ist reizend«, gab Emilie zu. »Ich habe immer daran geglaubt, daß sie so würde. Dieses letzte Jahr bedeutete für sie den Durchbruch. Sie ist jetzt achtzehn. Ist es möglich, Jeanne, daß schon achtzehn Jahre seit Alices Tod vergangen sind?«

    Emilies Stimme klang plötzlich rauh, sie kniff den Mund zusammen und ihre Augen verengten sich. Mit einer energischen Bewegung schob sie das Frühstückstablett zur Seite und fuhr fort zu sprechen: »Paß gut auf, Jeanne, denn es gibt eine Menge zu tun.«

    »Ich höre, Madame.«

    Jeannes Stimme klang ruhig. Sie ließ keinen Blick von Emilie. Sie bemerkte jede Veränderung des Gesichtsausdrucks, jedes Flackern der dunklen Augen, jede Bewegung der dünnen, harten Lippen. Manchmal sah Emilie Bleuet verführerisch gut aus, nicht so heute morgen. Das helle Licht gab erbarmungslos jede Falte, jede scharfe Linie in ihrem hageren Gesicht preis, die braunen Flecken an ihrem Hals, ihre schlaffen Wangen, die tiefe Falte zwischen den Augenbrauen und die Furchen, die von der Nase zum Mund verliefen.

    Doch daran war nichts Ungewöhnliches. Jeanne kannte Emilie in ihren guten und schlechten Zeiten. Zwischen den beiden Frauen, die fast gleich alt waren, gab es keine Geheimnisse. Jeanne war am 7. Januar 1814 geboren, Emilie am 7. Januar 1815.

    Emilie war jetzt neunundfünfzig Jahre alt, und in diesem Alter kann keine Frau erwarten, daß die Zeit spurlos an ihr vorübergegangen ist. Neu an Emilie war die Nervosität, die sie erfüllte.

    Jeanne hatte sie noch nie so erregt gesehen, so voller innerer Spannung, die ihre Augen glitzern und ihre Stimme unnatürlich klingen ließ. Nur in Augenblicken der Angespanntheit und der Selbstvergessenheit sprach sie mit Akzent. Ansonsten pflegte sie reines Pariserisch zu sprechen, mit gewählten Worten, etwas steif und leidenschaftslos. Aber heute morgen klang ihre Stimme wie die von Jeanne. Jeder Zuhörer hätte mühelos erkannt, daß sie beide aus der Bretagne stammten.

    Emilie holte tief Luft und begann: »Ich wollte dir in den nächsten Tagen alles erzählen. Ich erwartete die Ankunft meiner Nichte Ende des Monats. Es überraschte mich sehr, daß sie bereits gestern ankam. Sie erzählte mir, daß die Mutter Oberin ihrer Klosterschule gestorben sei und die Nonnen deshalb beschlossen, die Schülerinnen drei Wochen früher nach Hause zu schicken. Das gute Kind hatte mir geschrieben, aber wie ich dir bereits sagte, ist der Brief nicht angekommen.«

    Emilie hielt einen Augenblick inne, verschränkte die Finger ineinander. Sie schaute Jeanne an und senkte die Stimme zu einem Flüstern: »Jeanne, heute beginnt für dich und mich ein neues Leben«, sagte sie. »Die Vergangenheit ist begraben.«

    »Ein neues Leben«, wiederholte Jeanne. »Was meinen Sie damit?«

    »Wie ich es sagte: Wir werden ein neues Leben anfangen. Das sind keine leeren Worte, sondern das ist eine Tatsache«, sagte Emilie mit fester Stimme. »Vorgestern verkaufte ich das Geschäft.«

    »Madame!«

    Die Überraschung in Jeannes Stimme war nicht zu überhören.

    »Ja, ich verkaufte es, und nicht schlecht. Ich glaube, behaupten zu können, daß es niemand hätte besser verkaufen können. Aber von heute an gibt es für uns die numero cinq in der Rue du Roi nicht mehr, auch Madame Bleuet ist tot.«

    »Haben Sie deshalb Ihre Haarfarbe verändert?« fragte Jeanne.

    »Genau«, antwortete Emilie und schaute sich im Spiegel an. »Meine Haare sind nach Gottes Willen grau. Das macht mich älter, aber es besteht kein Anlaß für mich, jünger oder anziehend auszusehen. Ich habe andere Plane, ganz andere Pläne. Ich werde mich in eine Gräfin verwandeln Madame la Comtesse. Das klingt doch gut, oder? Das ist mein neuer Titel, und du darfst ihn nicht vergessen.«

    »Mon Dieu! Aber Madame, wie können Sie...? Ich meine . . .«

    »Hör zu, Jeanne, und unterbrich mich nicht. Wir haben nur wenig Zeit. In Kürze wird Mademoiselle erwachen, und wir müssen uns einig sein. Ich bin Madame la Comtesse und Witwe. Du darfst nicht vergessen, Jeanne, daß Mademoiselle nichts von Monsieur Bleuet wußte. Ich habe ihr nie von ihm erzählt. Als ich sie im Kloster besuchte, trat ich als Mademoiselle Rigaud auf. Das war besser so, und ich bin jetzt froh, daß ich so vorsichtig war.

    Nun zu dir. Als ich vor ein paar Tagen den Boulevard de la Madeleine entlangging, sah ich in einem Schaufenster Gepäck zum Verkauf. Es war ein kleiner, armseliger Laden, der vor allem gebrauchte Waren verkaufte. Dieses Gepäck bestand aus gutem Leder, in dem eine Krone eingraviert war. Du wirst dorthin gehen und es für mich kaufen. Es wird meine Geschichte untermauern.«

    »Gepäck, Madame? Haben Sie vor zu verreisen?«

    »Ja, Jeanne, ich gehe von hier fort, und du kommst mit uns mit, Mademoiselle und mir. Ich habe dir ja gesagt, die Vergangenheit ist begraben, die Zukunft beginnt.«

    »Aber wohin gehen wir, Madame? Und warum dieses Spiel?«

    »Ich werde dir nicht all meine Geheimnisse verraten, Jeanne. Das habe ich noch nie getan, oder? Ich ziehe es vor, allein zu arbeiten, das ist klüger. Wenn etwas schiefgeht, kann ich nur mir selbst Vorwürfe machen. Aber dieses Mal geht nichts schief! Seit achtzehn Jahren arbeite ich auf diesen Augenblick hin. Und es war harte Arbeit, das darfst du mir glauben. Meine ganzen Pläne bauten darauf auf.«

    Emilies Stimme verwandelte sich in ein Zischen. Die Augen in ihrem blutleeren Gesicht waren nur noch Schlitze. Dann änderte sie plötzlich ihren Gesichtsausdruck. Sie wandte sich Jeanne zu: »Schau mich nicht so entsetzt an, Jeanne. Du brauchst mir nur zu vertrauen. Beeil dich und kauf das Gepäck, denn wir brauchen es. Dann müssen wir meine Kleider durchsehen; die meisten davon sind nutzlos.«

    »Nutzlos?«

    Jeannes Stimme klang ratlos.

    »Aber ja doch, völlig nutzlos. Ich bin eine Aristokratin, eine Dame. Öffne die Schranktür und sage mir, wie viele der Kleider, die dort hängen, meiner jetzigen Stellung angemessen sind?«

    Gehorsam, halb gelähmt, ging Jeanne zu dem riesigen Mahagonischrank, der eine ganze Wand des Schlafzimmers einnahm; Sie öffnete die Türen. Der Schrank hing voll mit Kleidungsstücken in allen Farben. Die Litzen, Borten und Spitzen bewegten sich im Luftzug und schillerten wie ein Regenbogen.

    »Du kannst sie für mich verkaufen«, sagte Emilie vom Bett aus. »Sie werden nicht viel einbringen. Am besten, du bringst sie zu Witwe Wyatt am Markt, sie zahlt noch den besten Preis dafür. Sag ihr, was sie kosten, und versuche, ein gutes Geschäft zu machen. Das grüne Samtkleid habe ich erst vor drei Monaten gekauft und das zyklamenfarbene Seidenkleid eine Woche vor Weihnachten.«

    »Aber Madame, Sie haben das zyklamenfarbene Kleid erst dreimal getragen!«

    Jeanne nahm das Kleid liebevoll vom Bügel. Es war eine Robe mit üppigen Rüschen, Samtschleifen, das Oberteil und die engen Ärmel waren mit Pailletten besetzt. Es war offensichtlich, daß dieses Kleid teuer war, aber im Morgenlicht sah es grell aus, hatte etwas Gewöhnliches an sich.

    »Nimm es weg!« befahl Emilie in strengem Ton. »Es wird mir nun klar, wie ich darin ausgesehen haben muß.«

    Jeanne hängte das Kleid gehorsam zurück und schloß die Schranktür.

    »Und wenn diese Kleider veräußert sind, was werden Madame dann tragen?« fragte sie.

    »Neue Kleider für den Tag und den Abend, sie müssen sofort angefertigt werden. Mademoiselle benötigt das gleiche. Du wirst dich sofort zu Madame Guibout begeben und ihr auftragen, bei uns vorbeizukommen. Sag ihr, es sei von äußerster Dringlichkeit, für eine hochgestellte Persönlichkeit.«

    »Madame Guibout ist aber sehr teuer.«

    »Das weiß ich, Jeanne. In diesem Augenblick denken wir nicht ans Geld. Wie ich dir ja sagte, beginnt ein neues Leben.«

    Emilies Stimme tönte wie eine Trompete durch den Raum. Plötzlich klopfte es an die Tür. Einen kurzen Augenblick lang trafen sich die Blicke von Herrin und Kammerfrau, keine sprach. Dann sagte Emilie mit Anstrengung: »Entrez!«

    Die Tür ging auf, und Mistral kam herein. Sie trug noch ihr Nachtgewand, ein langes, weißes Batisthemd, das die Nonnen für ihre Schülerinnen anfertigten, um die Schultern hatte sie einen weißen Kaschmirschal. Sie trat langsam ins Zimmer. Ihre Augen leuchteten, ihr Mund lächelte. Als sie auf das Bett ihrer Tante zuging, glänzte die Sonne in ihrem Haar und verwandelte es in eine goldene Fackel, die den Raum zu erleuchten schien.

    Ihr Haar, das in der Mitte gescheitelt war, fiel ihr in schweren Flechten über die Brüste und reichte bis zu den Knien. Es hatte die Farbe des reifen Korns oder der aufgehenden Sonne. Wie man ihr später sagte, war es mimosenfarben. Dieses Haar findet man nur bei den Angelsachsen, es ist das helle Flachsblond, das so gut zu den blauen Augen und blasser Haut paßt.

    Doch erstaunlicherweise waren Mistrals Augen nicht blau, sondern dunkel, umrahmt von langen, dunklen Wimpern, die ihr einen seltsam geheimnisvollen Ausdruck verliehen.

    Als Emilie sie betrachtete, fragte sie sich, wie sie je auf die Idee gekommen war, daß Mistral ihrer Mutter gleiche und doch, wenn sie sie länger ansah, entdeckte sie erneut die Ähnlichkeit. Eine Wendung des Kopfes, ein bestimmtes Lächeln, und aus Mistral wurde Alice, die am Fußende ihres Bettes stand. Ihre Augen blickten sie mit unverhüllter Freude an. Doch Alices Augen waren blau gewesen. Sie erschien immer als die, die sie wirklich war - eine Engländerin und Aristokratin.

    Emilie gab widerwillig zu, daß Mistrals Schönheit noch strahlender war. Diese eigenartige Mischung aus Goldhaar und dunklen Augen war äußerst reizvoll, ihre vollkommenen Lippen kontrastierten in ihrem natürlichen Rot mit ihrer hellen Haut. Sie hatte etwas Unenglisches an sich, man fragte sich unwillkürlich, welches Geheimnis sich hinter diesen dunklen Augen verbarg.

    Aber eines stand außer Zweifel: Mistral war genau wie ihre Mutter eine Lady. Sie war vom Kopf, den sie unbeschreiblich stolz und anmutig bewegte, bis zu ihren zarten Sohlen eine Aristokratin. Ihre Bewegungen, die Anmut ihrer schlanken Finger, ihre stolze, kleine Nase, zeugten von ihrem blauen Blut, als ob sie ihren Stammbaum vor sich hertragen wurde.

    Emilie gab einen kleinen Seufzer von sich und streckte ihre Hand aus. Mistral flog ihr entgegen.

    »Bonjour, Tante Emilie. Verzeih mir, daß ich so lange geschlafen habe, aber ich war letzte Nacht so müde, daß ich erst eben aufwachte und mich fragte, wo ich sei.«

    Mistrals Französisch war vollkommen.

    »Ich wollte dich lange schlafen lassen, mein Liebes«, antwortete Emilie. »Und jetzt wird dir Jeanne das Frühstück bringen. Erinnerst du dich an Jeanne?«

    Mistral bewegte sich wie eine Gazelle durch den Raum und streckte Jeanne beide Arme entgegen.

    »Natürlich erinnere ich mich an dich«, rief sie. »Ich erinnere mich an die Bonbons, die du mir immer gabst, wenn du mein Haar gebürstet hast. Als ich in die Klosterschule kam, vermißte ich dich und deine Bonbons über alles. Ich mußte mein Haar selbst bürsten und es war mir so lästig, daß ich es am liebsten abgeschnitten hatte.«

    »Das wäre ein Verbrechen gewesen, Mademoiselle«, rief Jeanne aus und strahlte übers ganze Gesicht. »Daß Sie sich nach zwölf Jahren an mich erinnern! Aber Sie waren schon immer das entzückendste kleine Mädchen der ganzen Bretagne!«

    »Ich vermißte auch die Bretagne«, fuhr Mistral sanft fort. Zu ihrer Tante gewandt, fügte sie hinzu: »Ach, Tante Emilie, es ist so aufregend, hier zu sein, und dieses Haus ist wundervoll. Warum durfte ich nicht schon eher zu dir kommen?«

    »Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Emilie. »Im Augenblick müssen wir uns über wichtigere Dinge unterhalten. Jeanne wird dir das Frühstück bringen, und wir können reden, während du frühstückst.«

    »Oh, darauf freue ich mich«, rief Mistral aus, als Jeanne aus dem Raum eilte. »Ich bin froh, mit dir reden zu können. Es gibt so viele Dinge, die ich wissen möchte. Ich möchte mich nicht beklagen, versteh mich nicht falsch, es gefiel mir bei den Schwestern, aber manchmal fühlte ich mich sehr einsam. All die anderen Mädchen schienen Familie und viele Verwandte zu haben. Ich hatte nur dich. Du warst immer gut zu mir, aber ich sah dich so selten, und es machte mich traurig, daß ich in den Ferien nicht nach Hause fahren konnte.«

    »Das kann ich verstehen«, antwortete Emilie, »aber es gab Gründe, warum ich dich nicht bei mir haben konnte. Doch nun ist alles anders, wir sind zusammen.«

    »Das ist herrlich, Tante Emilie. Wenn du nur ahnen könntest, wie glücklich mich das macht. Manchmal hatte ich große Angst, im Kloster bleiben und Nonne werden zu müssen.«

    »Das hätte dir nicht gefallen?« fragte Emilie neugierig.

    Mistral schüttelte den Kopf.

    »Ich wußte in meinem tiefsten Inneren, daß ich dazu nicht berufen bin. Ich liebte die Nonnen. Man mußte sie lieben und bewundern. Die meisten von ihnen waren Heilige, und ich habe immer darum gebetet, so gut wie sie zu werden, aber eine innere Stimme sagte mir, daß ich nicht dort bleiben sollte. Ich wollte mehr von dieser Welt kennenlernen, ein anderes Leben leben. Vielleicht bin ich töricht und du lachst über mich, aber manchmal war mir, als ob eine Stimme mich aufforderte, dieses Leben voll auszukosten, bevor ich mich vorbehaltlos in den Dienst des Herrn begäbe.«

    Mistrals Stimme klang sanft und geheimnisvoll. Emilie beobachtete sie und nahm neben ihren Worten vieles andere wahr: die fast hypnotisch klingende Stimme des Mädchens, die verführerischen Lippen, den ungeweckten Reiz seiner großen Augen und die Gefühlsbetontheit, die seine Worte verrieten.

    »Deine Gedanken waren richtig«, sagte Emilie nach einer kurzen Pause. »Du bist jung, Mistral, und es wäre eine Sünde, ein junges, hübsches Mädchen hinter Klostermauern einzusperren.«

    »Hübsch? Meinst du mich damit?« fragte Mistral. »Oh, Tante Emilie, meinst du das wirklich? Ich wünschte es mir so sehr, aber ich war mir nicht sicher. Ich sah so ganz anders aus als die anderen Mädchen.«

    »Haben sie dir nicht gesagt, du seist hübsch?« fragte Emilie.

    In Mistrals Wangen spielten zwei Grübchen. »Manchmal. Aber meistens zogen sie mich wegen meiner hellen Haare auf. Ich war das einzige englische Mädchen im Kloster, und das einzige, das nicht brünett war.«

    »Das einzige englische Mädchen«, wiederholte Emilie. »Ja, Mistral, du bist Engländerin, denn deine Mutter war Engländerin.«

    »Und mein Vater?«

    Mistral stieß die Frage schnell hervor. Als ihr die Worte entschlüpft waren, sah sie, wie sich Emilies Gesicht überschattete. Die wohlwollend lächelnde Tante, die zu ihr gesprochen hatte, schien verschwunden zu sein, statt dessen war da eine Frau mit einem verzerrten Ausdruck. Mistral hatte sie noch nie so gesehen. Emilies Gesicht war haßerfüllt. Ihre Lippen waren nur noch ein Strich, die Augen schmale Schlitze, überall durchzogen Falten ihr Gesicht. Sie war so abstoßend wie eine Vogelscheuche. Doch gerade als Beklommenheit von Mistral Besitz zu ergreifen schien, änderte sich Emilies Miene erneut.

    »Laß uns jetzt nicht über deinen Vater sprechen«, sagte sie. »Eines Tages werde ich dir von ihm erzählen, aber im Augenblick haben wir Wichtigeres zu tun. Du bist zu mir gekommen, Mistral, um bei mir zu wohnen, darüber freue ich mich sehr. Aber etwas muß von Anfang an klar sein. Ich erwarte Gehorsam. Du wirst mir gehorchen, auch wenn dir meine Anordnungen nicht immer vernünftig erscheinen. Von nun an folgst du mir vorbehaltlos, ist das klar?«

    Emilies Stimme klang hart, und erneut fühlte Mistral Angst in sich aufsteigen, doch sie bekämpfte sie energisch.

    »Natürlich, Tante Emilie. Ich habe nichts anderes vor, als dir zu gehorchen.«

    »Das ist gut. Dann werde ich dir erzählen, was wir vorhaben. Heute werden wir uns um deine Kleider kümmern. Ich habe nach Madame Guibout, eine der besten Couturières von Paris, schicken lassen. Sie ist teuer, aber zu Recht, denn sie wurde von Monsieur Worth, dessen Gönnerin die Kaiserin Eugenie ist, ausgebildet. Sie wird dir alle Kleider, die du brauchst, anfertigen. Ja, deine Gewänder werden teuer kommen, aber sie werden dir schmeicheln, und wenn du sie trägst, fühlst du dich selbstsicher, bist dir deiner Wirkung bewußt.«

    »Oh, vielen Dank, Tante Emilie«, hauchte Mistral. »Wenn du wüßtest, wie ich mich danach gesehnt habe ...«

    »Laß mich fortfahren«, unterbrach sie Emilie. »Ich muß dir noch einiges sagen.«

    »Ja, Tante Emilie.«

    »Seit du vor zwölf Jahren auf die Klosterschule geschickt wurdest, haben wir uns immer nur in Abständen gesehen. Ich weiß nicht, inwieweit du dich an deine Kindheit erinnern kannst, an deine Familiengeschichte. Dein Großvater war der ehrenwerte John Wytham, der jüngste Sohn von Lord Wytham, einem englischen Adligen. Ich war seine älteste Tochter, aber er war mit meiner Mutter, einer Französin, nicht verheiratet. Deine echte Großmutter war eine Engländerin, die einer sehr vornehmen Familie entstammte. Sie starb, als deine Mutter fünf Jahre alt war. Diese wurde daraufhin von deren Eltern, Sir Hereward und Lady Burghfield aufgezogen. Deine Mutter wurde vernachlässigt und von den Verwandten schlecht behandelt. Als dein Großvater John dies entdeckte, brachte er sie in die Bretagne und übergab sie meiner Mutter... und mir. Dein Großvater war kein reicher Mann, aber sehr extravagant. Ich habe dich aufgezogen - ich allein. Ich habe in den letzten zehn Jahren dein ganzes Schulgeld bezahlt, dir Kleider gekauft, dir Privatunterricht zukommen lassen. Ich bezahlte deine Musik und Englisch-, Französisch und Deutschstunden. Hinzu kamen dein Rhetorikkurs, der Tanzunterricht und der Etikettekurs. Ich zahlte alles aus eigener Tasche.«

    »Das wußte ich nicht«, sagte Mistral. »Vielen Dank, Tante Emilie.«

    »Du brauchst dich nicht zu bedanken«, sagte Emilie schnell. »Ich erzähle dir dies nur zur Information. Deine Verwandten in England unternahmen keinen Versuch, deine Mutter wiederzufinden, nachdem sie sie verlassen hatte, und da dein Großvater in seinen letzten Lebensjahren wenig Kontakt zu England hatte, zweifle ich daran, ob sie überhaupt von dir wußten. Deshalb bin ich deine einzige Verwandte, deine Tante, deine ganze Familie.«

    »Ja, Tante Emilie.«

    Mistral war verwirrt. Die Art, wie ihre Tante sprach, hatte etwas Feindseliges, Aggressives.

    »Wir verstehen uns also«, fuhr Emilie fort. »Nun muß ich dir noch etwas erzählen - ich war verheiratet. Ich heiratete einen Grafen. Er ist tot und es besteht für uns kein Anlaß, über ihn zu sprechen; ich bin in Wirklichkeit Madame la Comtesse. Doch ich werde meinen Titel nicht benutzen. Ich werde dort, wohin wir uns begeben werden, einen anderen Namen angeben, inkognito bleiben aus ganz bestimmten Gründen.«

    »Wir verreisen!« rief Mistral aus. »Wohin?«

    »Darauf komme ich noch zu sprechen«, antwortete Emilie. »Wir werden eine lange Reise machen, die ich seit Jahren geplant habe.«

    »Du plantest diese Reise .. . mit mir?« erkundigte sich Mistral.

    »Ja, ich plante sie mit dir«, sagte Emilie. »Wir werden erst wieder darüber reden, wenn wir bereit sind, aber merke dir eines: Du wirst mit niemandem über meine Angelegenheiten sprechen, wer auch immer dich auszuhorchen versucht; du sagst kein Wort.«

    »Aber wenn man mich fragt, wer ich bin?« fragte Mistral. »Was soll ich dann antworten? Muß ich auch einen anderen Namen angeben?«

    »Höchstwahrscheinlich«, antwortete Emilie. »Niemand darf erfahren, daß du Wytham heißt. Ist das klar? Nie darf der Name Wytham über deine Lippen kommen. Ich werde Madame ... ja, ich werde Madame Secret sein. Das ist ein passender Name. Die Leute werden neugierig sein - ich möchte, daß sie neugierig sind. Sie werden Fragen stellen, das ist ganz in meinem Sinne; sie werden reden - sie sollen reden.«

    »Aber Tante Emilie, ich verstehe dich nicht.«

    »Ist das wichtig? Ich habe dir bereits gesagt, Mistral, daß du zu gehorchen hast. Außerdem mußt du mir vertrauen. Ich weiß, was das Beste für dich und was das Beste für mich ist. Ist das klar?«

    »Ja, Tante Emilie.«

    »Dann sind wir uns einig. Wir werden zusammen reisen,

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