Mit jedem Tag wächst meine Sehnsucht
Von Natasha Oakley
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Über dieses E-Book
Zum Wohl ihrer kleinen Tochter Chloë, erklärt die aparte Künstlerin Lucy sich bereit, mit dem erfolgreichen Journalisten Daniel Grayling eine Vernunftehe einzugehen. Es ist der einzige Weg, das Sorgerecht für Chloë zu behalten. Doch mit jedem Tag, den Lucy mit Daniel in seiner eleganten Londoner Stadtvilla verbringt, wird die Situation komplizierter. Mal küsst Daniel sie zärtlich, dann zieht er sich wieder zurück. Wenn Lucy nur wüsste, wie Daniel für sie empfindet, wenn er nur reden würde! Aber er zieht sie nur in seine Arme - und schweigt ...
Natasha Oakley
Auf die Frage „Was willst du denn werden, wenn du groß bist?“ hatte Natasha Oakley schon in der Grundschule eine Antwort. Jedem, der es hören wollte, erzählte sie, dass sie einmal Autorin werden würde. Ihr Plan war es, zu Hause bei ihren Eltern in London, wohnen zu bleiben und sich von ihrer Mutter in regelmäßigen Abständen Kaffee bringen zu lassen. Zu der Zeit mochte sie Kaffee noch nicht einmal, aber er gehörte zu ihrer Vorstellung einer fleißigen Autorin nun mal dazu. Die Kaffeesucht wurde tatsächlich zur Realität, auch wenn Natasha Oakley nicht mehr bei ihren Eltern lebt, sondern mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern in Bedfordshire, England. Mit dem Schreiben begann sie, als ihr fünftes Kind die Nächte durchschlief, und 2003 kaufte der Verlag Mills & Boon den zweiten Roman, den sie einsandte. In ihrer Freizeit, das heißt, wenn sie nicht gerade auf ihre ‚Meute’ aufpassen muss, geht Natasha Oakley gerne auf Antiquitätenmärkten und Auktionen auf Schatzsuche.
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Mit jedem Tag wächst meine Sehnsucht - Natasha Oakley
IMPRESSUM
Mit jedem Tag wächst meine Sehnsucht erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2004 by Natasha Oakley
Originaltitel: „For Our Children’s Sake"
erschienen bei: Mills & Boon Ltd. London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe ROMANA
Band 1596 - 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Umschlagsmotive: ThinkstockPhotos_DavidMSchrader, Ingram Publishing
Veröffentlicht im ePub Format in 04/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733777302
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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1. KAPITEL
Es stimmte also wirklich. Während der ganzen Fahrt von Shropshire in die Londoner Klinik hatte Lucy Grayford sich eingeredet, es müsse ein Irrtum vorliegen. Jetzt wurde ihr jedoch klar, dass es sich nicht um ein Missverständnis handeln konnte.
„Genetisch gesehen ist Chloë nicht Ihr Kind, sagte Dr. Shorrock vorsichtig. „Die Embryonen, die in Ihre Gebärmutter eingepflanzt wurden, stammten von einem anderen Paar.
Eigentlich müsste es noch mehr wehtun, dachte Lucy. Bei solchen Nachrichten musste man doch fast den Verstand verlieren.
„Aber … aber ich habe Chloë zur Welt gebracht." Nach einer elf Stunden dauernden Geburt und siebzehn Stichen hatte sie ihre kleine, dreieinhalb Kilo schwere Tochter in den Armen gehalten: rot, runzelig und einfach vollkommen. Von diesem Moment an hatte sich Lucys ganzes Leben um dieses kleine Wunder gedreht.
„Ich weiß, das ist schwer zu verstehen, Mrs. Grayford. Nervös schob Dr. Shorrock seine Papiere hin und her. „Sie haben Chloë zwar ausgetragen und zur Welt gebracht, doch der Samen und die Eizelle stammten von einem anderen Paar und …
„Sie gehört zu mir", fiel Lucy ihm ins Wort. Das Ganze kam ihr vor wie ein entsetzlicher Albtraum. Erst nach und nach begriff sie, was Dr. Shorrock ihr gesagt hatte: Chloë war nicht ihr Kind, sondern das eines anderen Paares.
„Chloë ist seit sechs Jahren meine Tochter. Man kann sie mir jetzt doch nicht plötzlich wegnehmen!"
„Es tut mir Leid, aber der Irrtum hatte noch weiter reichende Folgen."
Lucy traute sich kaum zu atmen. Der Arzt hatte doch bereits ihre ganze Welt zum Einstürzen gebracht. Was konnte noch schlimmer sein?
„Damals, als der … der Irrtum geschah, waren in derselben Klinik auch drei lebensfähige Embryonen von Ihnen und Ihrem verstorbenen Mann. Sie wurden in die Gebärmutter einer anderen Frau eingepflanzt, die später dann ein gesundes Mädchen zur Welt brachte."
„Mein Baby?" Ihr Herz schlug wie verrückt.
„Genetisch gesehen war es Ihr Baby und das Ihres Mannes. Und bei dem Ehepaar handelt es sich um Chloës leibliche Eltern."
Mit zittriger Hand strich Lucy sich über die Stirn. Ihr Kopf schmerzte, als hätte sich ein Eisenring darum gelegt. Der etwas selbstgefällig wirkende Mann mit der beginnenden Glatze redete von „Irrtümern und „Embryonen
. Aber in Wirklichkeit ging es hier um menschliche Schicksale.
„Selbstverständlich wird eine umfassende Untersuchung stattfinden. Seien Sie versichert, dass uns die ganze Angelegenheit furchtbar Leid tut."
Lucy ließ die Hand in ihren Schoß sinken. „Ich verstehe das alles nicht. Wie … wie konnte so etwas nur passieren? Das ist doch ganz unmöglich!"
„In der Embryologie kommen Fehler zwar äußerst selten vor, aber natürlich sind Menschen nicht unfehlbar. Alle Kliniken müssen sich an ein strenges Kennzeichnungssystem halten und sämtliche Embryonen vor der Implantation zweifach überprüfen. Die Klinik, in der Sie waren, hat ganz korrekt Buch geführt, um derartige Irrtümer auszuschließen. Aber in allen Bereichen der Medizin geht dann und wann etwas schief."
„Weiß das andere Paar bereits davon?"
Dr. Shorrock betrachtete kurz seine Aufzeichnungen. Dann hob er den Kopf und blickte sie fest an. „Ja. Das Blut ihrer Tochter wurde untersucht. Dabei stellte man fest, dass sie eine Blutgruppe mit negativem Rhesusfaktor hat. Da dies bei beiden Eltern nicht der Fall ist, war klar, dass die Kleine nicht ihre leibliche Tochter sein konnte."
„Ich habe einen negativen Rhesusfaktor." Sie ballte die zitternden Hände zu Fäusten, so dass ihre Fingernägel sich in die Handflächen gruben. Es war erleichternd, etwas anderes zu spüren als den furchtbaren Schmerz, der sie erfüllte. Oh nein, bitte nicht … nein!
Lucy wusste, wie es sich anfühlte, wenn die Welt plötzlich stillzustehen schien und alles in tiefer Dunkelheit versank. Sie hatte befürchtet, niemals über den Tod ihres Mannes Michael hinwegzukommen. Doch was sie jetzt erlebte, war unfassbar. Es war, als hätte sie ihn ein zweites Mal verloren und mit ihm den einzigen Menschen, der in der Lage gewesen war, ihr Trost zu spenden. Allein Chloë hatte ihr damals Lebenswillen gegeben. Nur ihretwegen hatte sie sich eines Tages wieder lebendig gefühlt, sogar glücklich. Doch jetzt erschien ihr alles schlimmer als je zuvor.
„Sie müssen sich irren!" flüsterte sie.
Dr. Shorrock senkte den Blick, als könnte er ihren Schmerz nicht ertragen. „Auf Grund der bisher durchgeführten Tests bin ich sicher, dass es vor der Implantation zu einer Verwechslung der Embryonen gekommen ist. Möglicherweise hatte das mit den Namen zu tun. Trotzdem … Er unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Ich kann Ihnen leider nicht genau erklären, wie es passiert ist. Nicht, bevor alles sorgfältig untersucht wurde und ich einen detaillierten Bericht habe. Aber ich möchte Ihnen mitteilen, dass der Leiter der Abteilung fristlos entlassen worden ist und die entsprechenden Behörden informiert wurden.
Als ob sie das interessieren würde! Sie kannte die Angestellten der Klinik doch gar nicht.
„Was wird mit Chloë und mir jetzt passieren?"
„Das Wohlergehen der Mädchen muss selbstverständlich an erster Stelle stehen. Es gibt keine genauen Vorschriften darüber, wie man vorzugehen hat, wenn zwei Embryonen vertauscht wurden. Aus den bestehenden Regelungen geht allerdings hervor, dass Sie Chloës Vormund bleiben, bis sie die Volljährigkeit erreicht hat."
Vormund? Was meint er damit, dachte Lucy. Chloë ist doch seit ihrem ersten Atemzug meine Tochter!
„Während das Gericht über die rechtliche Seite diskutiert, sollten Sie sich Gedanken darüber machen, was Sie selbst möchten. Irgendwann wird man festlegen müssen, zu wem die Kinder juristisch gehören."
Er redete weiter, aber Lucy hörte ihm nicht mehr zu. Immer wieder gingen ihr dieselben Worte durch den Kopf. Chloë ist nicht meine Tochter. Und doch war sie es – auf die einzige Art und Weise, die zählte. Als Chloë Windpocken gehabt hatte, war sie, Lucy, die ganze Nacht bei ihr geblieben und hatte sich um sie gekümmert. Und bei Gewittern hatte sich das kleine Mädchen nachts immer in dem großen, leeren Ehebett an sie geschmiegt. Sie gehört zu mir, dachte Lucy. Und ich werde mit all meiner Kraft um sie kämpfen.
Doch was war mit dem anderen Baby, ihrer und Michaels leiblicher Tochter? Das Kind war von einem anderen Paar aufgezogen und umsorgt worden, von Fremden. Der Gedanke tat ihr furchtbar weh. Auf die Fragen, die Lucy im Kopf herumgingen, gab es keine einfachen Antworten. Sie spürte, wie ihre Augen feucht wurden. Eigentlich hatte sie nicht weinen wollen, doch die Tränen ließen sich nicht zurückhalten.
Dr. Shorrock schob eine Packung Papiertaschentücher über den Tisch. „Mir ist bewusst, wie schwer das alles für Sie ist, Mrs. Grayford. Zunächst sollten Sie versuchen zu verarbeiten, was ich Ihnen gesagt habe. Ich werde in der Zwischenzeit einige der Dinge veranlassen, die wir vereinbart haben."
Hatten sie denn etwas vereinbart? Lucy wusste es wirklich nicht. Sie nahm ein Taschentuch und trocknete sich die Tränen. Es war sinnlos, denn sofort kamen neue.
Dr. Shorrock schrieb etwas in seinen großen Papphefter. „Eine Krankenschwester wird Ihnen Tee bringen und sich eine Weile zu Ihnen setzen. Ich kann nur noch einmal im Namen meiner Kollegen sagen, wie sehr wir das alles bedauern. Und ich werde mich bald wieder bei Ihnen melden."
Daniel Grayling saß auf einer mit Graffiti besprühten Bank vor der Klinik. Er betrachtete die hinein- und herausgehenden Menschen, ohne sie jedoch richtig wahrzunehmen. Ich hätte nicht herkommen sollen, dachte er. Doch er hatte einfach nicht anders gekonnt. Seit dem vergangenen Freitag hatte er sich tausend Mal gesagt, dass die Zeit und der Ort, die auf seiner Akte vermerkt waren, alles Mögliche bedeuten konnten. Doch tief im Innern hatte er nicht daran geglaubt. Und sobald er alles gelesen hatte, war es unvermeidlich gewesen, dass er hierher kam und wartete.
Daniel blickte auf die Uhr und dann wieder zum Eingang der Klinik. Es war schon spät. Vielleicht hatte er sie also verpasst. Er war sicher gewesen, sie sofort zu erkennen. Denn bestimmt würden sie genauso wirken wie er, als er das Geschehene endlich begriffen hatte: verwirrt und voller Schmerz.
Er wollte nicht mit ihnen sprechen oder sich zu erkennen geben. Ihn interessierte nur, wie sie aussahen. Ob sie sympathisch wirkten und er sich vorstellen konnte, dass sein leibliches Kind glücklich bei ihnen aufwuchs. Das würde ihm genügen.
Die Automatiktüren öffneten sich. Eine Stimme mit weichem irischem Akzent fragte: „Wollen Sie wirklich nicht noch eine Weile bei mir sitzen bleiben? Ich lasse Sie nicht gern in dieser Verfassung gehen."
„Nein, vielen Dank. Ich möchte jetzt nur nach Hause."
Die zweite Stimme bebte leicht, klang leise und berührte Daniel zutiefst, denn sie erinnerte ihn an seinen eigenen Schmerz. Unwillkürlich wandte er sich um und sah die Frau an. Obwohl sie offenbar längere Zeit geweint hatte und es noch immer tat, war sie wunderschön. Braunes, leicht rötliches Haar umrahmte ihr ovales Gesicht. Sie sah genau aus wie Abby.
Leise fluchend zwang Daniel sich, den Blick abzuwenden. Langsam verlor er wohl den Verstand und sah Ähnlichkeiten, wo keine waren. London war schließlich voller dunkelhaariger Frauen. Außerdem suchte er doch nach einem Paar. Andererseits war er selbst ja auch allein …
Wieder sah er die Frau an. Mit dem olivfarbenen Teint erinnerte sie wirklich stark an seine Tochter. Außerdem war keiner der anderen Menschen infrage gekommen. Die Frau zog sich ihren schwarzen Mantel enger um den Körper und suchte in ihren Taschen nach etwas, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Vermutlich brauchte sie ein Taschentuch. Es kam Daniel vor, als würde er in einen Spiegel blicken. Er kannte diese Qual, die sich mit Worten nicht ausdrücken ließ.
Schließlich zog sie die leere Hand wieder aus der Tasche und trocknete sich mit den Fingern die Tränen. Es war kaum zu ertragen, sie so leiden zu sehen und ihr nicht helfen zu können. Daniel stand auf, ging zögernd auf sie zu und reichte ihr ein frisches weißes Taschentuch aus seiner Manteltasche.
„Danke." Sie schloss die Finger darum und tupfte sich die Wangen ab.
„Behalten Sie es."
Sie betrachtete das feuchte Tuch in ihrer Hand. „Vielen Dank", erwiderte sie.
„Nichts zu danken. Ich heiße übrigens Daniel Grayling."
Sie sah ihn verständnislos an. Offenbar konnte sie mit seinem Namen nichts anfangen. Und warum auch? Er war nicht so arrogant, davon auszugehen, dass sie sich an den Fernsehdokumentarfilm erinnerte, den er zwei Jahre zuvor produziert hatte. Und selbst wenn die Frau zu dem Paar gehörte, das er suchte, würde sie seinen Namen nicht kennen. Die Klinik hatte diese Informationen gewissenhaft geheim gehalten. Er versuchte es noch einmal. „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?"
Sie schüttelte den Kopf, noch bevor er zu Ende gesprochen hatte. „Nein, ich komme schon zurecht. Trotzdem vielen Dank." Sie rang sich ein Lächeln ab und wandte sich zur Treppe.
Vielleicht lag es an ihrem Lächeln oder an ihren Bewegungen, doch Daniel konnte sie nicht einfach so gehen lassen. Er ging neben ihr die Stufen hinunter. „Eigentlich sollte ich das nicht tun, aber ich muss Ihnen eine Frage stellen."
Sie blieb stehen und blickte ihn an. In ihren braunen Augen spiegelten sich Schmerz