Stiefkind des Schicksals: Sophienlust 272 – Familienroman
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Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
Etwas verloren stand die kleine Heidi unter den eifrig diskutierenden Schulkindern. Sie schaute hoch und versuchte sich vergeblich vorzustellen, um was es eigentlich ging. Für die großen Buben und Mädchen schien die Sache sehr wichtig zu sein, denn sie schrien lautstark durcheinander. Heidi hätte hinübergehen können, um mit Barri, dem gutmütigen Bernhardiner, zu spielen, der faul in der Sonne döste. Gleich neben ihm stand ihr Puppenwagen. Doch das kleine Mädchen, das noch nicht zur Schule ging, hatte seine Puppenkinder im Stich gelassen, um sich den älteren Kameraden anzuschließen. Und nun mußte es feststellen, daß es überhaupt nicht beachtet wurde. »Ich will auch mit«, versuchte Heidi sich bemerkbar zu machen. Umsonst. Nick und Irmela, die beiden Ältesten in der Runde, erzählten gerade etwas von einem eigenen Stand, von einer Kasse und Einnahmen, die sie sich erhofften. »Die Klasse, die den höchsten Erlös hat, bekommt ein öffentliches Lob und einen Preis«, erklärte Nick jetzt. »Das sind bestimmt die Kleinen. Ihnen kaufen die Leute viel lieber etwas ab, weil sie so unschuldig dreinschauen können.« Irmela versuchte diesen Blick nachzuahmen, was aber absolut lächerlich wirkte. Denn Irmela besuchte bereits die Oberstufe des Gymnasiums und war schon fast eine junge Dame. »Es kommt ganz darauf an, was wir bieten«, meinte Nick. »Wir müssen alte Sachen bringen, die sonst nirgends mehr aufzutreiben sind.«
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Buchvorschau
Stiefkind des Schicksals - Patricia Vandenberg
Sophienlust
– 272 –
Stiefkind des Schicksals
Warum ist Vati so böse?
Patricia Vandenberg
Etwas verloren stand die kleine Heidi unter den eifrig diskutierenden Schulkindern. Sie schaute hoch und versuchte sich vergeblich vorzustellen, um was es eigentlich ging. Für die großen Buben und Mädchen schien die Sache sehr wichtig zu sein, denn sie schrien lautstark durcheinander.
Heidi hätte hinübergehen können, um mit Barri, dem gutmütigen Bernhardiner, zu spielen, der faul in der Sonne döste. Gleich neben ihm stand ihr Puppenwagen. Doch das kleine Mädchen, das noch nicht zur Schule ging, hatte seine Puppenkinder im Stich gelassen, um sich den älteren Kameraden anzuschließen. Und nun mußte es feststellen, daß es überhaupt nicht beachtet wurde.
»Ich will auch mit«, versuchte Heidi sich bemerkbar zu machen. Umsonst. Nick und Irmela, die beiden Ältesten in der Runde, erzählten gerade etwas von einem eigenen Stand, von einer Kasse und Einnahmen, die sie sich erhofften.
»Die Klasse, die den höchsten Erlös hat, bekommt ein öffentliches Lob und einen Preis«, erklärte Nick jetzt.
»Das sind bestimmt die Kleinen. Ihnen kaufen die Leute viel lieber etwas ab, weil sie so unschuldig dreinschauen können.« Irmela versuchte diesen Blick nachzuahmen, was aber absolut lächerlich wirkte. Denn Irmela besuchte bereits die Oberstufe des Gymnasiums und war schon fast eine junge Dame.
»Es kommt ganz darauf an, was wir bieten«, meinte Nick. »Wir müssen alte Sachen bringen, die sonst nirgends mehr aufzutreiben sind.«
»Darf ich mit zum Flohmarkt?« wiederholte Heidi energisch ihre Forderung. Das letzte Wort hatte sie von den Großen aufgeschnappt, wußte aber nicht viel damit anzufangen. Um ihrer Bitte Nachdruck zu verleihen, zog sie an der Karobluse, die Irmela lose über den Jeans trug.
»Was willst du denn dort?« Etwas mitleidig betrachtete die Gymnasiastin das Kind.
Heidis blonde Zöpfchen, die zu beiden Seiten ihres Kopfes abstanden, wippten. Die blauen Kinderaugen strahlten. »Flöhe kaufen«, antwortete die Kleine laut und deutlich.
Schallendes Gelächter bei den Großen. Fabian schlug sich vor Vergnügen auf die nackten Oberschenkel. »Das ist ein Witz«, prustete er.
Verständnislos schaute Heidi in die Runde. Es war ihr klar, daß sie wieder einmal etwas Dummes gesagt hatte, aber sie konnte sich nicht erklären, was es war.
Pünktchen, das Mädchen mit den vielen lustigen Sommersprossen auf der Stupsnase, das eigentlich Angelina hieß, beugte sich zu Heidi hinab. Kameradschaftlich legte sie den Arm um die Kleine und erklärte: »Auf einem Flohmarkt kauft man keine Flöhe, sondern alte, gebrauchte Sachen. Das Gymnasium in Maibach veranstaltet am Wochenende einen solchen Flohmarkt. Alle Klassen dürfen mitmachen. Die Stände werden in der Pausenhalle und im Schulhof aufgestellt.«
»Und keine Flöhe?« Heidi war etwas enttäuscht. Altes Geschirr, Lampen und Bücher interessierten sie viel weniger als Tiere.
»Nein. Höchstens alte Vogelkäfige und Mausefallen.«
»Verkaufst du Mausefallen?« Zweifelnd schaute Heidi ihrer großen Freundin ins Gesicht.
»Die Mädchen aus unserer Klasse backen Waffeln und bieten Getränke an.«
»Bringst du mir auch etwas mit?« nuschelte Heidi. Für sie war der Flohmarkt, für den sich die Großen so begeistern konnten, nun lange nicht mehr so interessant.
»Na klar«, tröstete Pünktchen die Kleine.
»Wenn wir bloß noch mehr alte Sachen hätten«, stöhnte Nick. »Nun haben wir schon sämtliche Speicher durchstöbert, aber die Auswahl ist immer noch ziemlich kläglich.« Der große Junge mit den intelligenten dunklen Augen pustete sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn.
»Ich weiß, wo man genug alte Sachen findet«, meldete sich jetzt Henrik, der bisher nur zugehört hatte, zu Wort.
»Sag’ es schon!« Vicky, die neben Nicks Halbbruder stand, stieß den Jüngeren ungeduldig in die Seite.
»Beim Sperrmüll. Diese Woche ist in Maibach welcher.«
»Puuuh«, ertönte es von allen Seiten.
Henrik zog erschrocken die Schultern hoch und hielt sich die Ohren zu.
»Tante Isi würde doch nie erlauben, daß wir den Abfall fremder Leute durchsuchen«, empörte sich Angelika, Vickys ältere Schwester. Die Langenbach-Geschwister hatten durch ein Lawinenunglück die Eltern verloren und in Sophienlust eine neue Heimat gefunden. Genau wie viele andere Waisenkinder fühlten sie sich sehr wohl hier.
»So dumm ist die Idee gar nicht«, verteidigte Nick den Jüngeren. »Beim Sperrmüll sind oft noch tadellos erhaltene Sachen, die manche Leute nur deshalb auf die Straße stellen, weil sie keinen Platz mehr dafür haben, oder weil ihnen die Sachen nicht mehr passen.«
Alles, was Nick sagte, fand unter den Kindern stets besondere Beachtung. Einmal war er der älteste und somit erfahrenste Junge von allen und zum anderen war er der künftige Erbe des schloßartigen Besitzes von Sophienlust.
Seine Urgroßmutter hatte ihm das ehemalige Gut hinterlassen. Sie war gestorben, als Nick noch ein kleiner Junge gewesen war. Nach ihren Vorstellungen hatte Nicks Mutter, Denise von Schoenecker, das Kinderheim Sophienlust gegründet und leitete es seitdem für ihren Sohn. Seit vielen Jahren hatte sich diese private Einrichtung hervorragend bewährt. Vielen Waisenkindern hatte Sophienlust schon Trost und Hilfe gegeben, viele Kinder aus zerrütteten Familien hatten Liebe und Geborgenheit in Sophienlust gefunden.
»Tante Isi wird nichts dagegen haben, weil wir die alten Sachen ja nicht für uns, sondern für die Schule suchen«, pflichtete Pünktchen Nick bei. Sie war stets auf der Seite des hübschen Jungen und bewunderte ihn sehr.
Heimlich wünschte sie sich, daß Nick mehr in ihr sehen möge als nur das kleine, hilfsbedürftige Mädchen. Pünktchen wollte Nick gefallen und bedauerte nur, daß sie noch immer so kindlichen aussah. Das Erwachsenwerden ging ihr viel zu langsam.
»Und die Schule stiftet das Geld, das wir durch den Flohmarkt erhalten, für das neue Altenheim«, ergänzte Fabian wichtig.
Heidi wurde die Unterhaltung jetzt zu langweilig. Sie zog einen Schmollmund und trottete mit gesenktem Köpfchen hinüber zu ihrem Puppenwagen.
Barri blinzelte schläfrig in die Sonne und gähnte ausgiebig. Doch sein weit aufgerissener Rachen mit den starken Zähnen konnte Heidi nicht schrecken. Rasch ließ sie sich neben dem Bernhardiner auf dem Rasen nieder und legte beide Ärmchen um den Hals des zottigen Spielkameraden. »Wir beide können nie mitreden, Barri. Nur, weil wir noch nicht zur Schule gehen«, klagte Heidi dem Bernhardiner ihr Leid.
Barri ließ ein behagliches Knurren hören.
»Ich weiß, dir macht das nichts aus. Aber mir.« Heidi patschte mit der rechten Hand auf Barris wuchtigen Kopf. »Wenn ich groß bin und zur Schule gehe, mache ich auch einen Flohmarkt. Aber mit richtigen Flöhen und nicht mit alten Sachen.«
*
Irmela mußte kräftig in die Pedale treten, um mit ihrem Fahrrad neben Nick zu bleiben. Da sich zwischen Bachenau und Maibach ein breiter Radweg neben der Straße befand, konnten die beiden nebeneinander fahren.
»Ich finde es dufte von deiner Mutti, daß sie uns erlaubt hat, in Maibach beim Sperrmüll nach alten Sachen zu suchen«, erklärte Irmela.
»Mutti ist überhaupt okay«, brummte Nick mit unüberhörbarem Stolz. Er liebte seine hübsche Mama innig, obwohl er es ihr in der letzten Zeit nicht mehr so offen zeigte. Denn er war in dem Alter, in dem aus übermütigen Lausbuben junge Männer wurden. Und in diesem Übergangsstadium hielten Jungen es eher mit der rauhen Herzlichkeit. In Nicks Klasse gab es welche, die bereits eine Freundin hatten. Doch davon wollte der künftige Erbe von Sophienlust nichts wissen. Noch fühlte er sich für fröhliche Kinderspiele nicht zu groß, noch war er jener unbesorgte Lausbub, der alle Herzen im Sturm gewann.
»Ja. So wie sie möchte ich auch einmal werden«, schwärmte Irmela. »So klug und charmant, so lieb und hilfsbereit.« Wie alle anderen Schützlinge von Sophienlust, so hing auch Irmela mit schwärmerischer Zärtlichkeit an der mütterlichen Frau, die sie alle »Tante Isi« nennen durften.
Obwohl es eine Heimleiterin und eine geschulte Kinderschwester im Kinderheim gab, war Nicks Mutter die Seele von Sophienlust. Sie verstand es, traurige Buben und Mädchen zu trösten, verzagten Kindern Mut und Selbstvertrauen zu geben. Vor Tante Isi hatten die Kinder keine Geheimnisse. Mit ihr konnten sie über alles sprechen. Auch Irmela hatte schon oft die Güte dieser Frau erfahren. Und deshalb hing sie mit rührender Dankbarkeit an ihr.
»Wir sind gleich da.« Irmela deutete hinüber zu den Hochhäusern am Stadtrand.
»Fangen wir dort an?«
»Nein. Wir überlassen diesen Bezirk Fabian und Vicky und übernehmen die Altstadt.«
»Aber dort wohnen nicht so viele Leute«, gab Irmela zu bedenken.
»Dafür gibt es mehr Geschäfte.« Nick fuhr jetzt noch schneller. Er befürchtete wohl, daß ihnen jemand zuvorkommen könnte.
Der Radweg war zu Ende, Irmela mußte sich hinter Nick halten. Durch die Anstrengung ging ihr Atem immer rascher. Ihr Kopf war heiß und rot. Das blieb auch noch so, als die beiden Schüler die Kartons durchsuchten, die die Bewohner der Altstadt auf die Straße gestellt hatten.
Freiwillig ging Irmela in die Häuser und bat dort um die Erlaubnis, die Sachen mitnehmen zu dürfen. Zuerst war ihr das sehr peinlich, doch dann wurde sie immer mutiger. Eine Menge Dinge kamen zusammen. Neben alten Haushaltsgegenständen fanden sie altmodische Radios, unmoderne Skiausrüstungen und kitschige Bilder.
Nick hatte