Mami und Papi sollen nicht streiten: Mami 1915 – Familienroman
Von Gisela Reutling
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Über dieses E-Book
Da stand es schwarz auf weiß: Achim Heltau war in München.
Nach seinem Riesenerfolg in Amerika mit dem Film ›Morgenröte‹ war er nach Deutschland zurückgekehrt, um neue Pläne zu verwirklichen. Den Roman einer jungen Autorin, der seit Monaten die Nummer Eins auf den Bestsellerlisten war, wollte er für das Fernsehen inszenieren. Dafür suchte er Darsteller. Es gab zwei interessante Frauenrollen darin, die zu besetzen waren.
Julias Blick saugte sich an den Zeilen fest.
Sie kannte den Roman, sie hatte ihn gelesen.
Die Hauptfigur, Eliane, die dem Buch auch seinen Titel gegeben hatte, war ihr sehr nahe gewesen, in ihren Empfindungen, ihrem Lebenshunger und dem Aufbegehren gegen alle Zwänge. Mit ihr konnte sie sich identifizieren.
Und sie kannte auch Achim Heltau. Besser gesagt, sie hatte ihn gekannt, und zwar sehr gut. Wie lange war das jetzt her?
Julia rechnete nach. Zehn Jahre, ungefähr.
Sie erschrak. Mein Gott, schon zehn Jahre…
Eine junge, vielversprechende Schauspielerin war sie damals gewesen und er noch ein unbedeutender Regieassistent. Ihre Beziehung hatte voll Leidenschaft begonnen und bald wieder geendet – wie es noch öfter in ihrem Leben geschehen sollte. Sie selbst hatte den Bruch herbeigeführt, weil neue Aufgaben, neue Ziele sie gelockt hatten. Seither waren sie einander nie wieder begegnet.
Inzwischen war Achim Heltau einer der Großen im Reich der Regie geworden, hatte internationale Anerkennung gefunden.
Und sie –?
Julia legte die Zeitung beiseite.
Eine stellungslose Schauspielerin, nicht mehr sehr jung, nicht mehr gefragt.
Dabei hatte doch alles ganz verheißungsvoll begonnen.
Nach dem Engagement in einer Provinzstadt, wo sie sich als Anfängerin die ersten Sporen verdient hatte, war sie für
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Buchvorschau
Mami und Papi sollen nicht streiten - Gisela Reutling
Mami
– 1915–
Mami und Papi sollen nicht streiten
Zerbricht Martinas kleine heile Welt?
Gisela Reutling
Da stand es schwarz auf weiß: Achim Heltau war in München.
Nach seinem Riesenerfolg in Amerika mit dem Film ›Morgenröte‹ war er nach Deutschland zurückgekehrt, um neue Pläne zu verwirklichen. Den Roman einer jungen Autorin, der seit Monaten die Nummer Eins auf den Bestsellerlisten war, wollte er für das Fernsehen inszenieren. Dafür suchte er Darsteller. Es gab zwei interessante Frauenrollen darin, die zu besetzen waren.
Julias Blick saugte sich an den Zeilen fest.
Sie kannte den Roman, sie hatte ihn gelesen.
Die Hauptfigur, Eliane, die dem Buch auch seinen Titel gegeben hatte, war ihr sehr nahe gewesen, in ihren Empfindungen, ihrem Lebenshunger und dem Aufbegehren gegen alle Zwänge. Mit ihr konnte sie sich identifizieren.
Und sie kannte auch Achim Heltau. Besser gesagt, sie hatte ihn gekannt, und zwar sehr gut. Wie lange war das jetzt her?
Julia rechnete nach. Zehn Jahre, ungefähr.
Sie erschrak. Mein Gott, schon zehn Jahre…
Eine junge, vielversprechende Schauspielerin war sie damals gewesen und er noch ein unbedeutender Regieassistent. Ihre Beziehung hatte voll Leidenschaft begonnen und bald wieder geendet – wie es noch öfter in ihrem Leben geschehen sollte. Sie selbst hatte den Bruch herbeigeführt, weil neue Aufgaben, neue Ziele sie gelockt hatten. Seither waren sie einander nie wieder begegnet.
Inzwischen war Achim Heltau einer der Großen im Reich der Regie geworden, hatte internationale Anerkennung gefunden.
Und sie –?
Julia legte die Zeitung beiseite.
Eine stellungslose Schauspielerin, nicht mehr sehr jung, nicht mehr gefragt.
Dabei hatte doch alles ganz verheißungsvoll begonnen.
Nach dem Engagement in einer Provinzstadt, wo sie sich als Anfängerin die ersten Sporen verdient hatte, war sie für das Fernsehen entdeckt worden. Sie bekam eine hübsche Rolle in einer jener Vorabendsendungen, die endlos mit immer neuen Alltagsgeschichten aufwarteten. Julia Hesse wurde ein Serienstar.
»Laß dich nicht verheizen«, hatte ein älterer Kollege sie gewarnt. »Du hast mehr als ein hübsches Lärvchen. Ein Gesicht wie deines sollte nicht allwöchentlich auf dem Bildschirm sein. Die Besonderheit nutzt sich ab.«
Natürlich wollte sie mehr. Sie strebte nach Bühnenerfolgen, nach einer Hauptrolle in einem abendfüllenden Spielfilm.
Diese Träume hatten sich nicht erfüllt. Sie war immer in der zweiten Reihe geblieben. Mit den Jahren hatte sie sich daran gewöhnen müssen, kleinere Brötchen zu backen, wie es im Jargon hieß. Zuletzt war sie froh gewesen, bei einem Tournéetheater unterzukommen, das in Kleinstädten gastierte. Eine seichte Rolle in einem seichten Lustspiel, die weder Ruhm brachte noch ihre finanzielle Lage wesentlich aufzubessern vermochte.
Nun war auch die Tournee zu Ende. Ihr Partner hatte Glück gehabt, er war nach Bielefeld verpflichtet worden. Sie stand immer noch ohne Engagement da.
Mit einer nervösen Bewegung erhob sich Julia aus ihrem Sessel. Sie ging durch ihre Wohnung, die ihr wieder einmal zu eng wurde. Zwei Zimmer, winzige Küche und Bad. Und doch mußte sie froh sein, daß sie sich diese gekauft hatte, als sie noch besser verdiente. So brauchte sie sich wenigstens um die Miete keine Sorgen zu machen.
Dann griff sie doch wieder zu der Zeitung. Las noch einmal, was da über Achim Heltau stand. Ihr Atem ging rascher. Sollte sie ihn aufsuchen und ihn fragen, ob er in dem geplanten Film eine Rolle für sie hatte? Es mußte ja nicht gerade die Eliane sein. Obwohl das natürlich wundervoll wäre.
Wahnwitziger Gedanke!
Was hatte sie denn schon aufzuweisen, das ihm imponieren konnte? Würde es nicht demütigend für sie sein, zugeben zu müssen, daß sie mehr oder weniger gescheitert war. Denn natürlich würde er sie fragen.
Aber Empfindsamkeiten konnte sie sich nicht leisten.
Hatte Achim ihr nicht einmal quasi zu Füßen gelegen, weil er sich nichts anderes wünschte, als sie, nur sie, zu lieben?
Nur, daß das schon sehr lange her war.
Julia ging in ihr Schlafzimmer. Sie trat vor den hohen Spiegel, der am Kleiderschrank angebracht war. Selbstkritisch betrachtete sie sich.
Vor zwei Monaten war sie vierunddreißig geworden. Das war heutzutage kein Alter für eine Frau. Es gab Kolleginnen, die zehn, fünfzehn Jahre älter waren und sich auf der Höhe ihres Ruhmes sonnten.
Was hatten sie ihr voraus? Gewiß nichts, was das Äußere betraf.
Begabung? Pah – man mußte ihr nur die Gelegenheit geben, dann würde sie schon zeigen, was in ihr steckte.
Julia fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Haut ihres apart geschnittenen Gesichtes. Da war noch kein Fältchen, kaum eine Linie um die dunklen Augen herum, die, neben dem großzügig geschwungenen Mund, diesem Gesicht seinen Ausdruck gaben.
»Du bist unheimlich schön, in deinen geheimnisvollen Augen möchte man versinken«, hatte der blonde Junge schwärmerisch neben ihr gesagt, der eine kleine Rolle in dem Stück spielte.
Sie hatte gelächelt und ihm das weiche Haar aus der heißen Stirn gestrichen. Aber dann hatte sie dem Schmachtenden doch das erste Erlebnis mit einer erfahrenen Frau geschenkt. Er würde es nicht vergessen.
Julia straffte sich. Sie hob mit gespreizten Fingern ihre schwarzbraunen Locken an, die ihr bis in den Nacken fielen. Nein, sie war gewiß keine Frau, die sich im stillen Kämmerlein verkriechen mußte. Sie hatte keinen Gund, sich kleinmütig zu zeigen, auch wenn es derzeit nicht gut für sie aussah. Sie mußte etwas unternehmen! Nicht länger warten, bis eine Künstleragentur sich endlich bei ihr meldete und irgendwoher ein Angebot kam.
Sie wollte nach München fahren und Kontakt mit Heltau aufnehmen.
Als sie diesen Entschluß gefaßt hatte, erfüllte sie eine neue Zuversicht. Sicher würde er etwas für sie tun können, nun, da sein Arm weit reichte. Schon griff sie nach dem Telefonhörer und erkundigte sich nach den Zügen.
Den Rest des Tages verbrachte sie damit, zu überlegen, welche Kleidung sie mitnehmen sollte und für wie lange. Es konnte ja sein, daß der vielbeschäftigte Mann nicht sogleich für sie Zeit hatte. Jedenfalls mußte dieses Wiedersehen sorgfältig geplant werden.
Erst später dachte Julia daran, daß Susanne und Dirk in München lebten.
Das war für sie nicht weiter von Bedeutung. Wichtig war ihr nur, daß sie Heltau traf, der, wie zu lesen war, im Sheraton-Hotel abgestiegen war.
*
Schon vom Bahnhof aus rief Julia dort an.
»Herr Heltau wird erst am Sonnabend wieder zurück sein«, kam ihr von der Rezeption die Auskunft.
Heute war Donnerstag. Enttäuscht nahm Julia die Telefonkarte wieder an sich. Nutzlose Tage, die herumgebracht werden mußten.
Es war ein Hasten und Treiben in der Halle, Menschen drängten an ihr vorüber. Plötzlich kam sie sich fremd und verloren vor, mit ihrem Köfferchen neben sich.
Wie, wenn sie Susanne mal anriefe?
»Du sollst doch nett sein zu deiner kleinen Schwester und dich mit ihr vertragen«, glaubte sie ihre Mutter sagen zu hören, wenn sie, die nur wenig ältere, der Susi ein Spielzeug weggenommen oder sie sonstwie zum Weinen gebracht hatte.
Sie wollte also nett sein. Die Kindheit lag lange zurück, und was es dann später einmal gegeben hatte – nun, darüber war wohl auch längst Gras gewachsen.
Julia mußte warten, bis die Telefonzelle wieder frei war. Dann blätterte sie mit spitzen Fingern in dem abgegriffenen Buch nach der Nummer. Die Verbindung zwischen ihnen war mit den Jahren so lose geworden, daß sie diese nicht wußte. Da stand es: Schwaiger, Dirk und Susanne.
Langsam wählte sie. Der Ruf ging mehrmals ab. Vielleicht war sie ja gar nicht zu Hause? Es war früher Nachmittag, und draußen war es vorfrühlingshaft. Sie mochte mit ihrem Kind spazierengegangen sein.
Aber dann wurde der Hörer doch abgenommen. »Schwaiger!«
»Guten Tag, Susanne. Hier ist Julia –«
Ein überraschtes Schweigen. »Julia du?« Es klang verwundert. Und, nach einem kurzen Zögern: »Wie geht es dir? Wo bist du?«
»Ich bin gerade in München angekommen, ich bin noch am Bahnhof. Ich dachte, wir können uns vielleicht mal sehen?«
»Ja, warum nicht…«
»Du könntest dein Töchterchen mitbringen, damit ich es auch mal kennenlerne«, schlug Julia vor.
»Tinchen ist für ein paar Tage bei der Oma Schwaiger. Ich bin allein. Dirk ist auf