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Grabeshaus: Krimi
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eBook242 Seiten3 Stunden

Grabeshaus: Krimi

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Über dieses E-Book

Zuflucht im ... Horror-Haus!

Nachdem Julia Kern vor ihrem gewalltätigen Freund aus der Großstadt ins scheinbare ländliche Idyll geflohen ist, wähnt sie sich zunächst in Sicherheit. Doch schnell muss sie feststellen, dass ihr neues Zuhause ein schreckliches Geheimnis in seinen Mauern birgt. Sie kommt einem Verbrechen aus längst vergangener Zeit auf die Spur. Und plötzlich wird sie von ihren eigenen Dämonen eingeholt ...

 

Eine dramatische Krimi-Story von Jerry-Cotton-Autor Martin Barkawitz!

 

Eine frühere Version dieses Krimis ist bereits 2015 unter dem Titel "Das Armenhaus" erschienen.

 

Der Autor

Martin Barkawitz schreibt seit 1997 unter verschiedenen Pseudonymen überwiegend in den Genres Krimi, Thriller, Romantik, Horror, Western und Steam Punk. Er gehört u.a. zum Jerry Cotton Team. Von ihm sind über dreihundert Heftromane, Taschenbücher und E-Books erschienen.

 


SoKo Hamburg - Ein Fall für Heike Stein:

 

  • Tote Unschuld
  • Musical Mord
  • Fleetenfahrt ins Jenseits
  • Reeperbahn Blues
  • Frauenmord im Freihafen
  • Blankeneser Mordkomplott
  • Hotel Oceana, Mord inklusive
  • Mord maritim
  • Das Geheimnis des Professors
  • Hamburger Rache
  • Eppendorf Mord
  • Satansmaske
  • Fleetenkiller
  • Sperrbezirk
  • Pik As Mord
  • Leichenkoje
  • Brechmann
  • Hafengesindel
  • Frauentöter
  • Killer Hotel
  • Alster Clown
  • Inkasso Geier
  • Mörder Mama
  • Hafensklavin
  • Teufelsbrück Tod

 


Ein Fall für Jack Reilly

 

  • Das Tangoluder
  • Der gekreuzigte Russe
  • Der Hindenburg Passagier
  • Die Brooklyn Bleinacht
  • Die Blutstraße
  • Der Strumpfmörder
  • Die Blutmoneten

 

Undercover Unit One

 

  • Todesschwadron von Lissabon
  • Die Bastarde von Belgien
  • Die Sklavenhalter von Malta
  • Todesroulette in Monte Carlo
  • Der Karpaten-Job
  • Die Organdealer von London
SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum24. Feb. 2023
ISBN9783755433484
Grabeshaus: Krimi

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    Buchvorschau

    Grabeshaus - Martin Barkawitz

    Erstes Kapitel

    Julias Hände hörten nicht auf zu zittern. Ihr Blut schmeckte heute anders als sonst. In den vergangenen drei Monaten, die ihr wie eine halbe Ewigkeit vorkamen, hatte sie nicht nur in dieser Hinsicht viele Erfahrungen sammeln dürfen. Sie hatte körperliche und seelische Zustände kennengelernt, die sie bisher nur aus der Lektüre von Psychothrillern kannte.

    Julia stand vom Fußboden auf und wankte auf unsicheren Beinen ins Bad. Sie begriff inzwischen nur allzu gut, warum so viele Menschen, vor allem Frauen, die Lektüre von harten Krimis bevorzugten. Es musste ein schönes Gefühl sein, den Roman auf das Nachtschränkchen zu legen und die Augen schließen zu können. Sich unter die Bettdecke zu kuscheln, mit den schaurigen Erinnerungen an die gelesenen Grausamkeiten. Angstlust nannte man das wohl; und dabei die beruhigende Sicherheit zu haben, dass der Psychopath zwischen den Buchseiten bleiben würde.

    Bei ihr war das anders. Sie teilte seit Monaten ihr Bett mit einem Mann, der seine Wutausbrüche absolut nicht unter Kontrolle hatte. Sie musste keine blutrünstigen Schmöker lesen, um tödliche Furcht zu spüren.

    Julia presste ihre Lippen aufeinander. Sie wollte nicht an Pascal denken. Sie war froh, dass sie momentan von ihm nichts Böses zu erwarten hatte.

    Der Prügelheld schlief laut schnarchend in seinem Lieblingssessel. Der Kopf war zur Seite gesackt. Eine Flasche Wodka konnte selbst einen Mann fällen, der so groß und stark war wie ein US Marine.

    Sie warf einen scheuen Blick in seine Richtung. Allein der Anblick seines massiven Körpers sorgte dafür, dass sich das Zittern in ihren Fingern verstärkte. Es war erst wenige Stunden her, dass er sie nach allen Regeln der Kunst verprügelt hatte.

    Es war nicht so, dass Pascal sie unüberlegt fertigmachte. Trotz seiner Trunkenheit verstand er sich meisterhaft darauf, ihr Schmerzen zuzufügen, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen. In dieser Hinsicht war ihr Freund so perfekt wie ein Verhörspezialist in einer Diktatur. Meistens waren es nicht seine Schläge und Tritte, die sie fürchtete, sondern seine verbalen Entgleisungen. Pascals Worte konnten wie scharfe Messer verletzen.

    Julia betrachtete ihr Gesicht im Spiegel des Badezimmers. Es sah grau und eingefallen aus. Sie fühlte sich mindestens zehn Jahre älter. Dreiunddreißig, Single, erfolgreiche selbstständige Web-Designerin — und seit einigen Monaten mit dem größten Fehler ihres Lebens liiert. Wieder einmal fragte sie sich, wie sie sich von Pascal trennen sollte, ohne dabei ihr Leben zu verlieren. Er hatte mehrmals unmissverständlich klargemacht, dass es für ihn nur eine Art gab, die Beziehung zu beenden – mit einer scharfen Klinge.

    Julia dachte keinen Moment daran, dass dies eine leere Drohung sein könnte. Dafür war zu viel zwischen ihnen geschehen. Sollte sie ihn doch anzeigen? Daran hatte sie schon mehrmals gedacht, aber eine echte Lösung war das nicht. Die deutsche Justiz war in ihren Augen zu zahnlos, um mit einem Monster wie Pascal Menninger fertig zu werden. Am besten wäre es, wenn sie einen Auftragskiller anheuern würde, der den Kerl für immer beseitigte.

    Diese Vorstellung zauberte ein bitteres Grinsen auf ihr Gesicht. Nein, so etwas würde sie nicht tun, obwohl sie neuerdings die Mittel dazu hatte. Wie durch ein Wunder war es ihr gelungen, eine kleine Erbschaft vor Pascal zu verheimlichen. Sie musste nur das Geld von ihrem Konto abheben und einen Brutalo anheuern, der Pascal für alle seine Grausamkeiten an ihr büßen lassen würde. Doch Julias humanistische Erziehung und ihr grundsätzlich friedlicher Charakter ließen sie von dieser Lösung Abstand nehmen.

    Nein, ein Auftragsmord kam nicht infrage. Stattdessen konnte sie mithilfe des Geldes fliehen.

    Ihr Peiniger würde erfahrungsgemäß noch mehrere Stunden schlafen, bis er wieder einsatzbereit war. Sie hatte die Nase endgültig voll von diesem Kerl. Sie wollte ihn nicht mehr sehen, und sie wollte auf keinen Fall noch einmal von ihm gefickt werden.

    Ficken das war der einzig passende Begriff, um den Geschlechtsverkehr mit Pascal passend zu benennen. Anfangs hatte sie es noch schmeichelhaft gefunden, dass er sie so stark begehrte. Aber dann war ihr immer klarer geworden, dass er kein Nein akzeptierte. Er nahm sie, wann er wollte, und er wollte sehr oft. Pascal verfügte über eine große Fantasie und bevorzugte auch beim Sex die harte Tour. Allein die Vorstellung, dass er wieder auf ihr liegen und in sie eindringen könnte, ließ ihren Magen zusammenkrampfen. Sie unterdrückte einen Würgereiz und putzte sich die Zähne. Inzwischen war der Tremor in ihren Händen etwas zurückgegangen. Aber sie wusste nicht, ob sie jemals wieder zur Ruhe kommen würde. Ihr Gehirn arbeitete wie eine gut geölte Problemlösungsmaschine.

    Ob sie ein paar Sachen zusammenpacken sollte? Nein, das war zu riskant. Wenn er merkte, dass Reisetasche und Kleidung fehlten, würde er sofort Lunte riechen. Julia musste Zeit gewinnen und Pascal über ihre Absichten im Unklaren ließ. Ess würde keinen Abschiedsbrief oder einen schriftlichen Erklärungsversuch geben. Die Wohnung lief auf seinen Namen. Sie hatte den großen Fehler begangen, zu ihrem Freund zu ziehen und ihr Apartment aufzulösen. Dadurch gab es nun auch keinen Mietvertrag, den sie kündigen musste.

    Sie verließ das Bad, wobei ihr Herz klopfte wie nach einem Ultrasprint.

    Pascal schlief zum Glück immer noch den Schlaf des Ungerechten.

    Julia nahm ihre Handtasche. Mehr würde sie für ihr neues Leben nicht mitnehmen können. Aber ohne Heather würde sie nicht abhauen. Julia beglückwünschte sich, dass sie die Labradorhündin am Vorabend bei ihrer Freundin Evelyn zurückgelassen hatte. Sie hatte die Gewalteruption von Pascal bereits vorausgeahnt und verhindern wollen, dass er an ihrer geliebten Labrador-Lady vergriff.

    Sie nahm ihr Smartphone aus der Handtasche und platzierte es gut sichtbar auf den Wohnzimmertisch, mit dessen Kante ihr Kinn am vorigen Abend Bekanntschaft gemacht hatte. Wenn Pascal das Mobiltelefon sah, würde er vermuten, dass sie gleich zurückkäme.

    Sie zog leise die Wohnungstür hinter sich zu und rannte die Treppe hinunter. Ihre Knie waren weich wie Pudding , ihr Herz raste, sie sah mehrfach über die Schulter nach hinten, glaubte, Pascal wie einen düsteren Racheengel auf dem Treppenabsatz erscheinen zu sehen. Aber das war zum Glück eine Illusion.

    Julia rannte durch Schwabing, als würde sie von Dämonen gehetzt. Sie hatte diesen quirligen Münchener Stadtteil immer geliebt, aber sie konnte nicht hierbleiben. Pascal kannte sich in der Stadt bestens aus. Er würde sie im Handumdrehen finden. Julia wollte sich nicht vorstellen, was er dann mit ihr anstellte.

    Sie verlor jedes Gefühl für Raum und Zeit. Irgendwann stand sie vor dem Haus, in dem Evelyn wohnte. Sie atmete tief durch, bevor sie klingelte. Auch ihrer Freundin gegenüber durfte sie kein Wort über ihre Fluchtpläne verlieren. Evelyn war ein großer Fan von Pascal.

    Julia durfte nicht mit offenen Karten spielen. Ihre Chancen waren umso größer, je weniger Menschen von ihrem Vorhaben erfuhren.

    Sie klingelte. Wenig später drückte Evelyn auf den Summer. Ihre Freundin empfing sie in einem indisch anmutenden Nachtgewand. Offenbar hatte sie noch geschlafen, was Julia nicht verwunderte. Evelyn nannte sich Künstlerin, ging aber keiner nennenswerten Beschäftigung nach. Julia konnte sich nicht erinnern, dass ihre Freundin jemals gearbeitet hatte. Aber da ihre Eltern vermögend waren, schien das kein existenzielles Problem für sie zu sein.

    Evelyn gähnte demonstrativ, nachdem sie Julia mit zwei Küsschen auf die Wangen empfangen hatte. „Tschau, Bella. Was führt dich denn zu nachtschlafender Zeit hierher?"

    „Ich hatte Sehnsucht nach Heather, wundert dich das?"

    Wie zur Bestätigung sprang die Labrador-Hündin freudig an Julia hoch. Die ungestümen Liebesbekundungen waren Balsam für ihre geschundene Seele. Immerhin schaffte sie es sogar, ihre Freundin scheinbar optimistisch anzugrinsen, obwohl ihr Oberkiefer von Pascals Schlägen immer noch schmerzte.

    Evelyn lachte gekünstelt. „Nein, ich kann dich schon verstehen. Heather ist ja soooo ein Schatz! Sie war brav, während du mit deinem Liebsten die Nacht in trauter Zweisamkeit verbracht hast. Wie war es denn so?" Sie zwinkerte zweideutig.

    „Unbeschreiblich, sagte Julia wahrheitsgemäß. „Heather muss dringend Gassi gehen. Und ich habe gleich einen Termin bei einem Kunden. Danke fürs Hundehüten. Wir sehen uns später, okay?

    „Auf jeden Fall."

    Evelyn verabschiedete sich, während sie verstohlen gähnte. Julia bedauerte diesen endgültigen Abschied. Doch ihr Verstand sagte ihr, dass sie diesen Verlust als Kollateralschaden betrachten musste.

    Julia fühlte sich seltsam befreit, als sie Evelyns Wohnhaus verließ. Sie fuhr mit der U-Bahn Richtung Hauptbahnhof. Sie hatte noch kein Ziel, aber eines wusste sie: Sie musste so weit wie möglich von München weg. Der Ort spielte keine Rolle, als Web-Designerin konnte sie überall auf der Welt arbeiten. Sie mochte Straßburg und war auch schon oft dort gewesen. Aber das wusste Pascal.

    Zu ihrer Mutter konnte sie nicht gehen, Henriette Kern hatte Pascal kritiklos angehimmelt. Wenn es nach ihrer Mama gegangen wäre, hätte sie diesen charmanten Brutalo längst heiraten müssen. Ihre Mutter würde niemals verstehen, dass sie mit Pascal nichts mehr zu tun haben wollte.

    Und ihr Vater? Julia kannte ihn nicht, sie war ein uneheliches Kind. Ihr Erzeuger hatte nie Unterhalt für sie gezahlt. Sie durfte ihrer Mutter nicht verraten, wohin sie ging, sonst würde im Handumdrehen Pascal auf ihrer Matte stehen.

    Unschlüssig betrat sie mit Heather an der Leine ein Internet-Café in Bahnhofsnähe. Es roch nach Schweiß und billigen Zigaretten. Die Menschen um sie herum kamen offenbar aus aller Herren Länder. Die meisten von ihnen hatten wohl eine viel längere Flucht hinter sich, als es ihr bevorstand. Dieser Gedanke gab ihr Zuversicht. Die Leute hatten es unter vermutlich sehr dramatischen Umständen geschafft, bis nach München zu gelangen. Da musste es ihr gelingen, sich in irgendeiner Ecke Deutschlands ein neues Leben aufzubauen.

    Julia setzte sich an einen der PCs und rief die Homepage eines bundesweit tätigen Immobilienportals auf. Sie wurde von dem Überangebot im ersten Moment fast erschlagen. Viele Objekte kamen jedoch für sie nicht infrage. Eine Eigentumswohnung für eine Million Euro oder mehr konnte sie sich nicht leisten. Ihre Erbschaft war sehr viel geringer. Ob sie dafür überhaupt eine halbwegs akzeptable Bleibe finden würde?

    Julia blickte auf Heather hinab, die sich brav neben ihr auf den schmierigen Steinfußboden gelegt hatte. „Wir könnten gemeinsam in eine Hundehütte ziehen, wie wäre das? Hauptsache, wir sind Pascal los."

    Heather legte die Ohren an, während Julia ein kalter Schauder über den Rücken lief. Allein die Erwähnung von Pascals Namen provozierte diese Reaktion. Unwillkürlich sah sie zum Eingang. Sie kam sich vor wie eine abergläubische Frau aus dem Mittelalter, die glaubte, den Gottseibeiuns heraufzubeschwören, indem sie ihn erwähnte. Doch zum Glück kam nicht Pascal zur Tür hinein, sondern ein ihr völlig unbekannter Mann mit asiatischen Gesichtszügen.

    Julia setzte ihre Internet-Recherche fort. Sie würde noch den Verstand verlieren, wenn sie länger als unbedingt nötig in München blieb. Es war zwar unwahrscheinlich, dass Pascal sie ausgerechnet in diesem Internet-Café aufspürte, doch sie hatte ihren Exfreund innerlich derart dämonisiert, dass sie ihm buchstäblich alles zutraute.

    Sie surfte zwischen zahlreichen Angeboten herum und war verblüfft, wie viel Orte es in Deutschland gab, von denen sie noch nie etwas gehört hatte. Itterbeck, Menkin, Brüssow, Bad Colberg, diese Namen sagten ihr nichts.

    In einer Gemeinde namens Groß Midlum stand ein ehemaliges leer stehendes Armenhaus zum Verkauf. Offenbar befand es sich im kommunalen Besitz. Der Preis war mehr als attraktiv. Julia vergrößerte das Foto des Hauses. Es sah ein wenig baufällig aus, aber das traf auf viele Gebäude zu, die sie auf der Makler-Homepage in Augenschein genommen hatte. Für den Preis, den sie zahlen wollte, konnte man offenbar kein Märchenschloss erwarten.

    Das schlichte Backsteinhaus faszinierte sie auf unerklärliche Art. Sie sah sich bereits durch die drei Räume streifen, aus denen das Gebäude laut Maklerinfo bestand. Sie wollte sich dieses Armenhaus unbedingt ansehen.

    Eine rasche Internet-Recherche zeigte ihr, dass Groß Midlum zum Landkreis Aurich gehörte und weniger als achthundert Einwohner zählte. Sie musste nach Ostfriesland. Dort war sie noch nie gewesen. In dieser Region würde Pascal sie gewiss nicht vermuten. Allein diese Tatsache sprach schon für Groß Midlum. Einen größeren Gegensatz zu München konnte sich Julia kaum vorstellen.

    Sie notierte die Telefonnummer des Immobilienmaklers und wechselte schnell in eine der stickigen Telefonkabinen des Internet-Cafés. Aufgeregt wählte sie den Büroanschluss. Irgendwo in Ostfriesland klingelte ein Telefon.

    „Moin", sagte eine raue Männerstimme.

    Julia runzelte die Stirn. Moin? Es war schon nach Mittag. Ob der Makler gerade aufgestanden war, so wie Evelyn? Hatte er so wenig zu tun? Das war eher kein gutes Zeichen.

    „Mein Name ist Julia Kern. Es geht um das Armenhaus von Groß Midlum."

    „Jo."

    Julias Befremden wuchs. Führte man so in Ostfriesland ein erfolgreiches Verkaufsgespräch? „Ich würde das Haus gern besichtigen. Ist das möglich?"

    „Jo."

    „Kann ich das Haus kurzfristig beziehen, falls es zu einem Kaufabschluss kommt?"

    „Jo."

    „Sind Sie morgen früh in Groß Midlum? Ist die auf Ihrer Homepage angegebene Adresse korrekt?"

    „Jo."

    „Na dann – bis morgen."

    Aber der Makler hatte schon aufgelegt. Irritiert blickte Julia den Telefonhörer in ihrer Hand an. War dieser Ostfriese mit dem falschen Fuß aufgestanden oder hatte sie es einfach mit einem besonders maulfaulen Kerl zu tun gehabt?

    Sie war jedoch froh, den ersten Schritt in ihr neues Leben getan zu haben. Ob Pascal wohl inzwischen aus seinem Wodka-Koma erwacht war? Diese Vorstellung ließ ihre innere Unruhe erneut aufflammen.

    Sie bezahlte für Internet und Telefon, dann eilte zum Hauptbahnhof. In jedem großen breitschultrigen Kerl glaubte si, ihren Exfreund zu erkennen. Ihr Rücken war schweißnass, die Bluse klebte an der Haut. Julia kämpfte gegen ihre Panik und zwang sich zu rationalem Handeln.

    Die nächste größere Stadt in der Nähe ihres Ziels war Emden. Die Fahrt würde mit ICE und Regionalexpress über acht Stunden dauern, aber das spielte keine Rolle. Nur für Heather würde die lange Zeit ohne nennenswerte Bewegung eine Tortur werden. Doch die Hündin schien genau zu spüren, dass ihre menschliche Gefährtin soeben in ein besseres Leben aufbrechen wollte.

    Julia löste eine einfache Fahrkarte, sie wollte München für immer hinter sich lassen.

    Die Fahrt verlief ereignislos. Julia verbrachte sie größtenteils in einem Dämmerzustand. Einmal schlief sie tief und fest ein. Als sie aufwachte, war ihr Gesicht nass von Tränen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, im Schlaf geweint zu haben.

    Einige Mitreisende sahen sie befremdet an.

    Sie war erleichtert, dass ihr Traum nur noch fetzenhaft durch ihr Bewusstsein spukte. Als kleines Mädchen hatte sie sich vor einer finsteren Gestalt gefürchtet, die womöglich unter ihrem Bett lauerte. Mit dreiunddreißig hatte sie so eine Kreatur in ihr Bett gelassen. Pascal war der personifizierte Albtraum. Falls sich das Schicksal mit ihr einen kruden Scherz erlauben wollte — sie konnte darüber jedenfalls nicht lachen.

    Gegen zweiundzwanzig Uhr lief der Zug mit Verspätung in den Hauptbahnhof von Emden ein.

    Heather war froh, endlich wieder nach draußen zu kommen und sprang übermütig um Julia herum. Falls die Hündin durch die lange Bahnfahrt erschöpft war, merkte man es ihr jedenfalls nicht an. Julia irrte mit ihr durch die City der Seehafenstadt und fand schließlich ein Hotel, das keinen allzu teuren Eindruck machte.

    Sie betrat die kleine Lobby und ging zum Tresen.

    Falls der Portier bemerkte, dass sie kein Gepäck hatte, nahm er daran offensichtlich keinen Anstoß. Dafür beugte er sich über den Empfangstresen und warf Heather einen undefinierbaren Blick zu.

    Julias Herz krampfte sich zusammen. Sie hatte nicht daran gedacht, dass es schwierig war, in Hundebegleitung ein Hotelzimmer zu finden. „Ich habe eine Hündin, sagte Julia mit fester Stimme. „Ist das ein Problem?

    „Nicht in unserem Haus. Ich lasse Ihnen eine Decke für den Hund aufs Zimmer bringen. Einige unserer Stammgäste reisen mit Haustieren."

    Erleichtert nahm Julia den Zimmerschlüssel entgegen und ging auf ihr Zimmer.

    Wenig später brachte ein Page einen Hundekorb und eine flauschige Decke. Julia bedankte sich und gab ihm ein Trinkgeld.

    Heather inspizierte sofort ihr neues Nachtlager und schien zufrieden zu sein.

    Von ihrem Fenster aus hatte Julia einen Panoramablick auf das Wasser des Dollart. In der Ferne sah sie die Positionslaternen der Schiffe blinken, die sich gemächlich Richtung offenes Meer entfernten. Sie wurde von einer unbestimmten Schwermut ergriffen, ein Kloß bildete sich in ihrer Kehle. Wenn sie ehrlich war, fürchtete sie sich vor der Zukunft. Doch das, was vor ihr liegen würde, konnte auf keinen Fall schlimmer sein als die Vergangenheit. Oder?

    Ihr Kopf tat weh vom Grübeln. Zur Beruhigung trank sie einen Whisky aus der Minibar. Da sie den Tag über kaum etwas gegessen hatte, entfaltete der Alkohol seine Wirkung so schnell und effektiv wie ein Fausthieb in die Magengrube, damit kannte sie sich schließlich au. Julia fiel ins Bett, schloss die Augen und wurde von tintenschwarzer Dunkelheit umhüllt.

    Julia hatte tief und fest geschlafen. Nach der Dusche mit dem Mini-Portion-Hotel-Duschgel fühlte sie sich schon besser. Allerdings gefiel es ihr nicht, wieder in ihre muffige Reisekleidung steigen zu müssen. Sie beschloss, vor ihrer Abfahrt nach Groß Midlum wenigstens das Nötigste an Wäsche, Hygieneartikeln und Hundefutter zu kaufen.

    Nach dem Frühstück startete sie zu einer schnellen Shopping-Tour durch die Emder Fußgängerzone. Sie ertappte sich dabei, immer wieder an Pascal zu denken. Was er jetzt wohl tun würde? Ob er schon ahnte, dass sie ihn verlassen hatte? Allein die Vorstellung seiner Wutausbrüche jagte ihr eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken. Ob er seine Wohnung bereits zu Kleinholz zerlegt hatte? Vielleicht entfachte er auch ein Rachefeuer mit ihren Kleidern und persönlichen Gegenständen.

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