Der kleine Bruder: Sophienlust 250 – Familienroman
Von Susanne Svanberg
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Über dieses E-Book
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
»Was ist denn mit dir los?« Kopfschüttelnd blieb der große dunkelhaarige Junge vor einem Mädchen stehen, das sich tief übers Schulheft beugte.
Man sah sofort, dass zwischen den beiden ein Altersunterschied von mehr als fünf Jahren bestand. Nick, der künftige Erbe von Sophienlust, besuchte schon die Oberstufe des Gymnasiums, während Elke Brecht vor wenigen Tagen zehn Jahre alt geworden war.
Mit fast väterlichem Wohlwollen wiederholte Nick, der sich sehr gut mit Kindern verstand, seine Frage. Doch Elke gab keine Antwort. Dicke Tränen tropften auf ihr Heft, verwischten die Zahlen, die darin standen.
Nick ging um den Tisch herum, setzte sich dicht neben Elke. Da diese sich seit einem halben Jahr in Sophienlust aufhielt, fühlte er sich verantwortlich für sie, genau wie für die anderen Kinder, die hier eine neue Heimat gefunden hatten.
»Was ist? Bekommst du ein schlechtes Zeugnis?« Als Schüler wusste Nick nur zu gut, dass wenige Tage vor den großen Ferien die meisten Buben und Mädchen Kummer mit ihren Noten hatten. »Musst du vielleicht die Klasse wiederholen?«
Heftig schüttelte das Mädchen den Kopf mit dem dichten braunen Haar. Verweinte grüne Augen schauten Nick traurig an. »Es ist nicht wegen der Schule«, schluchzte das Kind.
»Um was geht es dann?« Nick überlegte angestrengt. Eigentlich hatte sich Elke rasch und gut im Kinderheim Sophienlust eingelebt. Sie hatte in Angelika eine besondere Freundin gefunden und gab sich sonst so fröhlich und vergnügt wie die anderen Mädchen auch. »Hast du Streit mit jemandem?« Wie seine Mutti war auch Nick stolz darauf, dass sich die Kinder in Sophienlust wohlfühlten.
Wieder
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Buchvorschau
Der kleine Bruder - Susanne Svanberg
Sophienlust ab 211
– 250–
Der kleine Bruder
Bricht Christophs Familie auseinander?
Susanne Svanberg
»Was ist denn mit dir los?« Kopfschüttelnd blieb der große dunkelhaarige Junge vor einem Mädchen stehen, das sich tief übers Schulheft beugte.
Man sah sofort, dass zwischen den beiden ein Altersunterschied von mehr als fünf Jahren bestand. Nick, der künftige Erbe von Sophienlust, besuchte schon die Oberstufe des Gymnasiums, während Elke Brecht vor wenigen Tagen zehn Jahre alt geworden war.
Mit fast väterlichem Wohlwollen wiederholte Nick, der sich sehr gut mit Kindern verstand, seine Frage. Doch Elke gab keine Antwort. Dicke Tränen tropften auf ihr Heft, verwischten die Zahlen, die darin standen.
Nick ging um den Tisch herum, setzte sich dicht neben Elke. Da diese sich seit einem halben Jahr in Sophienlust aufhielt, fühlte er sich verantwortlich für sie, genau wie für die anderen Kinder, die hier eine neue Heimat gefunden hatten.
»Was ist? Bekommst du ein schlechtes Zeugnis?« Als Schüler wusste Nick nur zu gut, dass wenige Tage vor den großen Ferien die meisten Buben und Mädchen Kummer mit ihren Noten hatten. »Musst du vielleicht die Klasse wiederholen?«
Heftig schüttelte das Mädchen den Kopf mit dem dichten braunen Haar. Verweinte grüne Augen schauten Nick traurig an. »Es ist nicht wegen der Schule«, schluchzte das Kind.
»Um was geht es dann?« Nick überlegte angestrengt. Eigentlich hatte sich Elke rasch und gut im Kinderheim Sophienlust eingelebt. Sie hatte in Angelika eine besondere Freundin gefunden und gab sich sonst so fröhlich und vergnügt wie die anderen Mädchen auch. »Hast du Streit mit jemandem?« Wie seine Mutti war auch Nick stolz darauf, dass sich die Kinder in Sophienlust wohlfühlten.
Wieder schüttelte die Kleine traurig den Kopf. »Es ist … wegen meiner Eltern«, schnupfte sie traurig. Wahrscheinlich hätte sie ihren Kummer nicht einmal Angelika anvertraut, aber Nick war so etwas wie ein großer Bruder für sie. Sie hatte nicht nur Vertrauen zu ihm, sondern wusste auch, dass er ihr nach Kräften helfen würde. Sich für jüngere Kinder einzusetzen, war für Nick eine Selbstverständlichkeit.
»Was ist mit deinen Eltern?« Liebevoll legte der große Junge seinen Arm um die zuckenden Schultern des kleinen Mädchen.
»Sie können in den Ferien nicht kommen. Und ich habe mich doch schon so gefreut.« Elke weinte nun noch lauter.
»Und warum?« Nick wusste, dass Elkes Eltern in einem großen Hotel auf der Insel Teneriffa arbeiteten. Sie wollten dort Erfahrungen sammeln, um später selbst ein Hotel übernehmen zu können.
»Weil dort gestreikt wird, schreibt meine Mutti. Aller Urlaub ist gestrichen worden. Jetzt können wir uns erst im Winter sehen.« Mit nicht ganz sauberen Händen wischte Elke die Tränen von ihren Wangen. Es gab schmutzige Streifen, was richtig komisch aussah.
Trotzdem lachte Nick nicht. Nur zu gut konnte er sich vorstellen, wie er selbst reagiert hätte, wenn er getrennt von seinen Eltern hätte leben müssen. Zu sehr hing er an ihnen. Besonders an Denise, seiner hübschen Mama. Aber auch seinen Stiefvater liebte er sehr.
»Es tut mir leid, dass du die Ferien hier verbringen musst, Elke. Aber so schlecht wird es nicht werden. Mutti hat mir verraten, dass wir …« Nick tuschelte etwas in Elkes Ohr.
Pünktchen, die am Fenstertisch ihre Aufgaben für die Schule machte, schaute finster herüber. Sie mochte es nicht, wenn Nick so vertraulich mit anderen Mädchen tat. Obwohl sie es sich nicht eingestehen wollte, regte sich jedes Mal Eifersucht in ihr. Denn heimlich schwärmte sie für Nick und träumte manchmal davon, dass er ihr einen Kuss gäbe.
Auch die übrigen Kinder waren inzwischen aufmerksam geworden.
»Ich möchte nur wissen, was die beiden für Geheimnisse haben«, maulte Vicky und gab ihrer Schwester Angelika einen unsanften Stoß in die Seite.
»He, wir wollen auch wissen, um was es geht«, rief Fabian.
Henrik, das Nesthäkchen der Familie Schoenecker, lief zu Nick. »Erzähle uns, was los ist«, forderte er den Halbbruder auf. Er beneidete den Älteren, weil dieser gewöhnlich mehr wusste als alle anderen.
Nick musterte die beiden Buben gelassen.
»Ihr hättet es ohnehin gleich erfahren. Wir werden in diesem Sommer richtig Urlaub machen.«
Wie elektrisiert sprangen nun auch die übrigen Kinder auf und rannten zu der kleinen Gruppe. Im Halbkreis umstanden sie den Tisch, an dem Elke eigentlich ihre Schulaufgaben machen sollte.
»Ein Kinderheim kann doch nicht in Urlaub fahren«, dämpfte Irmela, das älteste Mädchen unter den Kindern, den Optimismus.
»Ein normales Kinderheim vielleicht nicht. Aber wir fahren für eine Woche an den Bodensee. Wenn du es nicht glaubst, kannst du Frau Rennert fragen.«
»Spitze!«, keuchte Fabian überrascht.
Er hatte bei einem Zugunglück seine Eltern verloren und in Sophienlust eine neue Heimat gefunden.
»Klasse«, jubelte Vicky und hüpfte vor Freude auf und ab.
»Mensch, das ist einfach umwerfend«, machte Pünktchen ihrer Überraschung Luft. Auch sie war nach dem Tod ihrer Eltern nach Sophienlust gekommen und hier wieder fröhlich geworden. Schon viele Jahre war das her.
»Ihr dürft allerdings nicht erwarten, dass wir im Luxushotel wohnen«, erklärte Nick schmunzelnd. »Es ist nur ein einfaches Wochenendhaus, das Mutti für diese Zeit gemietet hat. Aber es hat Platz für alle, und es liegt direkt am See.«
»Das ist doch viel besser als ein Hotel«, erklärte Angelika temperamentvoll. »Da brauchen wir nicht immer in feinen Kleidern herumzulaufen und dürfen auch einmal laut sein.«
»Und wir dürfen alle mit?«, erkundigte sich die kleine Heidi, die sich wieder einmal in den Aufenthaltsraum geschmuggelt hatte, obwohl sie dort nichts zu suchen hatte, wenn die Großen ihre Aufgabe machten. Ein bisschen ängstlich schaute sie auf Nick.
»Alle«, versicherte der Junge mit den intelligenten dunklen Augen.
Jetzt brach ein Sturm der Begeisterung los, dem sich auch Elke nicht verschließen konnte. Ihr Kummer, dass sie ihre Eltern in den Ferien nicht sehen durfte, war nur noch halb so groß. Sie trocknete ihre Tränen und beobachtete staunend die Kameraden, die nun alle durcheinanderredeten.
»Ich nehme meine Taucherflossen mit«, erklärte Henrik lautstark.
»Und ich die Brille«, schrie Fabian dazwischen.
Pünktchen verdrehte träumerisch die Augen. »An den Bodensee wollte ich schon immer. Unsere Lehrerin hat erzählt, wie schön es dort ist.«
»Kommt Tante Isi auch mit?«, wollte Heidi wissen. Als jüngstes Kind von Sophienlust war sie noch sehr liebebedürftig und hing sehr an Denise von Schoenecker, die Kinder über alles liebte.
»Wir nehmen sogar Schwester Regine und Magda mit. Na, was sagt ihr jetzt?« Nick war stolz darauf, dass es seine Mutti ihm überlassen hatte, die Buben und Mädchen zu informieren.
»Kann Magda dort auch Schokoladenkuchen backen, genau wie hier?«, wollte Fabian wissen, der neuerdings einen beachtlichen Appetit entwickelte.
»Ich glaube schon. Mutti sagt, das Haus hat alle Einrichtungen, die man braucht.«
Henrik ließ ein wahres Indianer-Freudengeheul hören, und die anderen stimmten mit ein.
»Was geht hier vor?« Unerwartet stand Frau Rennert in der weit offenen Tür. Die Heimleiterin war keine strenge, sondern eher eine mütterlich-gütige Frau.
Trotzdem hatten die Kinder Respekt vor ihr. Auch die größeren gehorchten widerspruchslos.
»Tante Ma, wir haben …, wir wollen …« Ein bisschen schuldbewusst senkte Vicky den Kopf. Auch die übrigen Buben und Mädchen waren plötzlich still.
»Ich meine, wenige Tage vor den Zeugnissen solltet ihr alle besonders sorgfältig lernen. Wenn ihr damit fertig seid, könnt ihr nach Herzenslust schwatzen.«
Rasch verzogen sich die Kinder an ihre Plätze. Auch Nick machte keine Ausnahme. »Es war meine Schuld«, gestand er Frau Rennert.
»Schon gut.« Die Heimleiterin, die von allen ›Tante Ma‹ gerufen wurde, lächelte schon wieder. »Heidi kommt mit mir«, bestimmte sie freundlich.
Nur zu gern kam die Kleine der Aufforderung nach. Von Frau Rennert ins Büro mitgenommen zu werden, bedeutete eine ganz besondere Auszeichnung.
»Kommst du auch mit an den Bodensee, Tante Ma?«, erkundigte sich Heidi und verriet damit den Grund für die Unruhe im Aufenthaltsraum.
*
Ein grauer Dunstschleier lag noch über dem See. Aber über den bewaldeten Hügeln der gegenüberliegenden Seite leuchtete schon die Sonne, tauchte mit ihren Strahlen die wunderschöne Landschaft in ein goldenes Licht.
Claudia Winter hatte den Frühstückstisch auf der Terrasse ihres schmucken Reihenhauses gedeckt. Von hier aus hatte man einen herrlichen Blick und das Gefühl, auch an gewöhnlichen Werkstagen im Urlaub zu sein.
Sündhaft teuer war das Haus gewesen, das Stefan Winter vor vier Jahren für seine Familie erstanden hatte. Doch es hatte sich gelohnt. Sie wohnten hier einmalig schön. Der freie Blick auf den Bodensee bis hinüber zur Schweizer Grenze war unverbaubar, das Seeufer war nur zwei Minuten entfernt.
Stefan Winter erschien mit mürrischem Gesicht, in der einen Hand die Aktentasche, in der anderen die Zeitung. Er war seit vielen Jahren als Vertreter tätig, verdiente gut, aber er war selten zu Hause. Oft kam er nur an den Wochenenden nach Hause.
Stefan besuchte im Auftrag einer pharmazeutischen Fabrik Ärzte und Krankenhäuser. Das erforderte nicht nur umfangreiche Sachkenntnisse und gute Umgangsformen, sondern auch eine gepflegte Erscheinung. So kam es, dass er stets tadellos und immer nach der neuesten Mode gekleidet war. Er sah unwahrscheinlich gut aus, auch dann, wenn er ein so unfreundliches Gesicht machte wie jetzt.
Groß, breitschultrig und sportlich schlank war sein Körper. Dichtes braunes, etwas widerspenstiges Haar ließ ihn jünger erscheinen, als er mit seinen fünfundvierzig Jahren war. Selbstverständlich sorgte er dafür, dass er in Form blieb. Er besuchte regelmäßig Gymnastikabende, ging zum Schwimmen, in die Sauna, zur Massage und