Mami 1795 – Familienroman: Spurlos verschwunden…
Von Lisa Simon
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"Trödele nicht so, Michelle", sagte Renate Schiller lächelnd zu dem kleinen blonden Mädchen. "Wir wollen doch nicht zu spät in den Kindergarten kommen, oder?" Michelle steckte das letzte Stück Marmeladenbrötchen in den Mund und trank den Rest Milch in ihrem Glas. "Nein, Tante Renate, das wollen wir nicht." Das sagte sie so ernsthaft, daß die Tante lachen mußte. Renate Schiller war froh, daß sie sich tagsüber um die kleine Tochter ihrer Nichte Vanessa kümmern konnte. Nach dem frühen Tod ihres Mannes hatte sie sich sehr einsam in der großen alten Jugendstilvilla gefühlt.
Leider war die Ehe von Vanessa Horn, der Tochter ihres Bruders Hubert, nicht so glücklich verlaufen wie ihre eigene. Vor drei Jahren hatte Martin Horn seiner hübschen Frau plötzlich erklärt, daß er sich in eine andere Frau verliebt hätte und war Hals über Kopf aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Vanessa hatte lange gebraucht, um über den Schock hinwegzukommen. Dazu kamen massive Geldsorgen, denn Martin zahlte kaum Unterhalt für sie und seine kleine Tochter.
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Mami 1795 – Familienroman - Lisa Simon
Mami –1795–
Spurlos verschwunden
Spurlos verschwunden...
Roman von Simon Lisa
»Trödele nicht so, Michelle«, sagte Renate Schiller lächelnd zu dem kleinen blonden Mädchen. »Wir wollen doch nicht zu spät in den Kindergarten kommen, oder?«
Michelle steckte das letzte Stück Marmeladenbrötchen in den Mund und trank den Rest Milch in ihrem Glas. »Nein, Tante Renate, das wollen wir nicht.« Das sagte sie so ernsthaft, daß die Tante lachen mußte.
Renate Schiller war froh, daß sie sich tagsüber um die kleine Tochter ihrer Nichte Vanessa kümmern konnte. Nach dem frühen Tod ihres Mannes hatte sie sich sehr einsam in der großen alten Jugendstilvilla gefühlt.
Leider war die Ehe von Vanessa Horn, der Tochter ihres Bruders Hubert, nicht so glücklich verlaufen wie ihre eigene. Vor drei Jahren hatte Martin Horn seiner hübschen Frau plötzlich erklärt, daß er sich in eine andere Frau verliebt hätte und war Hals über Kopf aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Vanessa hatte lange gebraucht, um über den Schock hinwegzukommen. Dazu kamen massive Geldsorgen, denn Martin zahlte kaum Unterhalt für sie und seine kleine Tochter.
Nachdem Renate Schiller von der Trennung ihrer Nichte hörte, machte sie ihr einen Vorschlag, den Vanessa sofort begeistert aufgriff: Sie schlug vor, die viel zu teure Wohnung aufzugeben und mit der Kleinen zu ihr zu ziehen. Dann könne sich die Tante um das Kind kümmern, während Vanessa sich eine Arbeit suchen konnte.
Nun lebten die drei »Frauen« bereits seit zwei Jahren unter einem Dach, und es klappte vorzüglich. Schnell hatte Vanessa eine Stelle als Büroangestellte bei einer Versicherung gefunden, bei der sie zwar nicht sehr viel verdiente, die ihr aber großen Spaß machte.
Die Scheidung war damals glatt über die Bühne gegangen. Martin hatte eingewilligt, daß Vanessa das alleinige Sorgerecht bekam. Zum Geburtstag und zu Weihnachten schickte er sogar Päckchen für Michelle, aber ansonsten ließ er nichts von sich hören. Irgendwann war Martin in die USA gezogen und hatte dort ein zweites Mal geheiratet.
*
Auf dem Weg zum Kindergarten, der nur knapp hundert Meter von Renates Haus lag, hüpfte das kleine Mädchen munter neben der Tante her. Michelle war wirklich ein kleiner Sonnenschein; Renate wußte gar nicht mehr, wie sie ihr früheres einsames Leben gemeistert hatte.
»Komme ich wirklich nächstes Jahr zur Schule, Tante Renate?« fragte Michelle immer wieder. Das war im Moment ihr liebstes Thema – obwohl die Einschulung erst in einem Jahr sein würde.
»Sicher kommst du dann zur Schule, mein Schatz«, erwiderte Renate. »Du bist dann sieben Jahre alt. In diesem Alter kommen alle Kinder in die Schule.«
Mittlerweile waren sie an der Kindertagesstätte angelangt. Die Kleine wollte schon wieder protestieren, daß sie allein den Weg ins Haus finden würde, doch Renate blockte sofort ab.
»Nichts da. Ich liefere dich bei Ute ab, damit ich weiß, daß du wirklich angekommen bist.«
»Ich bin doch kein Baby mehr«, maulte die Kleine, wußte aber, daß sie keine Chance hatte, wie einige der anderen Kinder nur bis zum Gartentor gebracht zu werden.
Renate schüttelte energisch den Kopf. »Du weißt, was ich deiner Mama versprochen habe, nicht wahr?«
Michelle nickte. Ihre Mutter hatte sie eindringlich gebeten, auf Tante Renate zu hören – was sie im allgemeinen auch tat. Aber hin und wieder zu testen, wie weit man gehen konnte, war wohl erlaubt.
Die kleine Auseinandersetzung war sofort vergessen, als Michelle feststellte, daß ihre Freundin Jana heute ihr Anziehpuppe mitgebracht hatte. Einmal in der Woche war der sogenannte »Mitbringtag«, da konnte jedes Kind ein Spielzeug von zu Hause mitbringen. Und Michelle liebte diese Anziehpuppe, die wie eine richtige kleine Frau aussah und chice Kleidung trug. Sie selbst hatte ihre Lieblings-Babypuppe mitgenommen – ob Jana wohl die Puppen an diesem Vormittag tauschen würde? Michelle nahm sich vor, ihre Mama darum zu bitten, daß sie ihr zum Geburtstag auch solch eine Modepuppe schenke.
»Guten Morgen, Frau Schiller«, grüßte Ute Degenhardt freundlich. Sie betreute die Halbtagsgruppe, in der auch Michelle war, und wurde von den Kindern vergöttert.
Renate grüßte zurück, auch sie mochte die sympathische Erzieherin gern. Michelle würde sie vermissen, wenn sie zur Schule kam.
Nachdem die Kleine wohlbehalten abgeliefert war, erledigte Renate ihre Einkäufe im nahegelegenen Einkaufszentrum. Sie besaß keinen eigenen Wagen, aber das machte ihr nichts aus. Vanessa fuhr ein Auto, und wenn Renate einen Wagen benötigte, lieh ihre Nichte ihr den ihren aus.
An diesem Vormittag hatte Renate nur ein paar Kleinigkeiten im Supermarkt zu besorgen, das ließ sich bequem zu Fuß erledigen. Mittags gab es immer einen kleinen Imbiß; richtig gekocht wurde abends, wenn Vanessa von der Arbeit kam. Ob sich Michelle über eine Pizza freuen würde? Die ließ sich schnell warm machen. Renate wußte, daß Vanessa es nicht gern sah, wenn Michelle Gerichte aß, die aus nichts als Kalorien bestanden und gewiß nicht gesund waren – aber welches Kind schwärmte nicht für Hamburger, Pommes
frites und Pizza?
*
Müde lenkte Vanessa ihren Wagen durch die Straßen. Die Arbeit in der Versicherung war anstrengend, vor allem der Leiter ihrer Abteilung machte den Angestellten das Leben schwer. Immer wieder hatte er kurz vor dem Feierabend noch irgend etwas, was unbedingt noch erledigt werden mußte. Auch an diesem Tag hatte Vanessa wieder eine Stunde länger arbieten müssen.
Sie war froh, daß sie ihre Tante Renate hatte; ohne sie hätte sie den anstrengenden Job gar nicht annehmen können. Wer hätte sich dann um Michelle gekümmert? Eine Tagesmutter konnte sich Vanessa von ihrem Gehalt nicht leisten, und von dem Geld, das man halbtags verdiente, konnte man nicht leben.
Michelle hatte das Auto ihrer Mutter vorfahren hören und kam aus dem Haus gestürmt, als Vanessa das Garagentor abschloß.
»Mamai, Mami!« rief die Kleine und flog förmlich in Vanessas Arme.
»Hallo, mein Mäuschen! Was ist denn mit dir los? Du reißt mich ja bald um.« Übermütig drehte sich Vanessa mit ihrer Tochter auf dem Arm im Kreis, bis beiden schwindlig wurde.
»Bekomme ich jetzt auch noch einen Kuß, bevor wir ins Haus gehen?« fragte sie, nachdem sie Michelle wieder abgesetzt hatte. »Du wirst mir langsam zu schwer, mein Fräulein, ich bin ja ganz aus der Puste!«
Vanessa bekam den erbettelten Kuß, und während sie Hand in Hand zum Haus gingen, sagte Michelle mit bittender Stimme: »Du, die Maren hatte heute ihre Modepuppe mit im Kindergarten.«
»Aha, und was hast du mitgenommen?«
»Meine Dolly. Du, Mama, kann ich nicht auch so eine Puppe wie Maren haben?«
Vanessa lächelte sanft. »Ich werde darüber nachdenken, ja?«
»Wieso muß man darüber nachdenken, ob man seiner Tochter etwas schenkt?« fragte Michelle altklug und verschränkte die Arme unter der Brust. »Alle Mädchen haben solch eine Puppe – und alle Eltern mußten gar nicht darüber nachdenken.«
Vanessa seufzte. Den Satz: Alle Kinder außer mir dürfen… kannte sie schon zur Genüge, darauf ließ sie sich nicht ein.
»Du hast ja bald Geburtstag…«, begann sie und wurde durch Michelles Freudengeschrei unterbrochen.
»Tante Renate, ich bekomme eine!« schrie sie, kaum, daß sie die Haustür geöffnet hatte.
»Du bekommst eine was?« fragte Renate aus der Küche, in der es verführerisch nach Hackbraten roch.
Während Michelle ihrer Groß-tante geduldig von ihrem Herzenswunsch berichtete, nahm sich Vanessa den Stapel mit