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Ostereier
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eBook338 Seiten4 Stunden

Ostereier

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Über dieses E-Book

Ostereier müssen gewöhnlich erst einmal gesucht werden, ehe man in ihren Genuss kommt. Und manche sind so gut versteckt, dass sie regelrecht Rätsel aufgeben - was Vi schmerzlich erfahren muss. Recht zufrieden im Singledasein eingerichtet, läuft ihr Ilka über den Weg, attraktiv und rätselhaft. Ilka taucht voller Leidenschaft auf und verschwindet sehr schnell wieder. Welches Geheimnis verbirgt sich hinter ihrem schönen, traurigen Gesicht? Was versteckt sie so gut, dass Vi alle Kraft ihrer Liebe aufwenden muss, um es aufzudecken?
SpracheDeutsch
Herausgeberédition eles
Erscheinungsdatum29. Apr. 2013
ISBN9783956090349
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    Buchvorschau

    Ostereier - Ruth Gogoll

    Ruth Gogoll

    OSTEREIER

    Roman

    Originalausgabe:

    © 2007

    ePUB-Edition:

    © 2013

    édition el!es

    www.elles.de

    info@elles.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    ISBN 978-3-95609-034-9

    »Mami, Mami, ich will die Ostereier!«

    Das Kind stampfte wütend mit dem Fuß auf dem Boden auf.

    »Es ist noch nicht Ostern.«

    Die Mutter nahm dem Kleinen die bunte Tüte wieder ab und legte sie ins Supermarktregal zurück.

    »Bääh!« Der Junge schrie los, dass es die ganze Supermarkthalle erschütterte.

    Die Mutter schaute zweifelnd auf die Tüte im Regal, entschied sich dann aber – pädagogisch klug – dafür, die strafenden Blicke der anderen Kunden im Laden in Kauf zu nehmen, statt sich von ihrem Sprössling erpressen zu lassen.

    »Manchmal bin ich schon froh, dass ich keine Kinder habe«, sagte eine Stimme hinter mir.

    Ich drehte mich um. Eine junge Frau blickte immer noch in Richtung des strampelnden kleinen Krawallmachers, der mittlerweile von seiner Mutter zur Kasse gezogen wurde.

    »Ich auch«, sagte ich.

    Die junge Frau wandte aufgeschreckt ihren Blick zu mir. »Oh Gott«, sagte sie. »Habe ich das etwa laut ausgesprochen?«

    »Wenn ich nicht plötzlich Gedanken lesen kann, ja«, bestätigte ich lächelnd.

    »Das . . . das wollte ich nicht.« Sie stammelte herum, als ob sie etwas außerordentlich Schlimmes getan hätte.

    Ich zuckte die Schultern. »Wir sind ja einer Meinung«, sagte ich.

    Sie starrte mich einen Augenblick lang stumm an. Schöne Augen hatte sie, stellte ich fest, grün und gold gesprenkelt, so dass es beinahe so aussah, als würde die Sonne hie und da einen Lichtpunkt in einem frühlingsfrischen Wald aufblitzen lassen.

    Sie räusperte sich. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich wollte Sie nicht mit meinen Gedanken belästigen.«

    Süß. Sie war einfach süß.

    »Das tun Sie nicht«, sagte ich. »Schreiende Kinder gehen wohl jedem auf die Nerven, und wahrscheinlich haben viele Leute im Laden dasselbe gedacht wie Sie.«

    »Aber sie haben es nicht ausgesprochen«, sagte sie verlegen.

    »Ist das ein Unterschied?« fragte ich. »Und außerdem –«, ich beugte mich verschwörerisch zu ihr, »hat es außer mir niemand gehört.« Ich schmunzelte sie an.

    »Was denken Sie jetzt von mir?« sagte sie unglücklich.

    Was hatte sie nur für ein Problem? Ich kannte sie doch gar nicht. Selbst wenn ich mir aufgrund dieses einen Satzes ein Urteil über sie gebildet hätte, konnte es ihr doch egal sein.

    »Ich denke, dass Sie anscheinend ein vernünftiger Mensch sind«, sagte ich, um sie zu beruhigen, auch wenn ich nicht wusste, warum das nötig sein sollte.

    »Wirklich?« fragte sie. Sie runzelte die Stirn.

    Ich fand sie immer süßer.

    »Wissen Sie«, sagte ich, »wenn Sie sich darüber Gedanken machen, schlage ich vor, wir gehen zusammen einen Kaffee trinken. Da können wir uns dann ausführlich miteinander unterhalten.«

    Sie sah mich an, und in ihre Augen trat ein Ausdruck, den ich nicht deuten konnte. Er schien gequält und doch wieder nicht. Neugierig und gleichzeitig ablehnend. »Vielen Dank«, sagte sie, »aber . . . nein . . . ich glaube . . . lieber nicht.« Sie drehte sich schnell um und verschwand im nächsten Gang.

    Schade, dachte ich. So etwas Süßes ist mir schon lange nicht mehr über den Weg gelaufen. Ich seufzte bedauernd. Die attraktivsten Frauen waren einfach immer schon besetzt oder standen anderweitig nicht zur Verfügung. Das war der Lauf der Welt.

    Ich begab mich zur Kasse und versuchte, sie im Laden zu entdecken, aber sie hatte entweder schon bezahlt oder hielt sich im hinteren Teil des Geschäfts auf, der von der Kasse aus nicht einzusehen war. Ich legte meine Einkäufe auf das Band und folgte langsam der Bewegung, mit der die Waren zur Kassiererin transportiert wurden. Dabei träumte ich vor mich hin. Ihre Augen waren wirklich einmalig. Wie sie wohl aussahen, wenn sie lächelte? Das hatte sie kein einziges Mal getan.

    »Fünfunddreißig achtzig, bitte.«

    Die Stimme der Kassiererin riss mich aus meinen Gedanken. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich schon dran war. Schnell zerrte ich mein Portemonnaie hervor und zog einen Fünfziger heraus.

    »Achtzig Cent vielleicht?« Die Kassiererin blickte mich fragend an.

    »Ja, sicher.« Ich öffnete das Kleingeldfach. Ein paar einzelne Ein-Cent- und Zwei-Cent-Münzen kupferten mich an und ein einsames Zwanzig-Cent-Stück goldete. »Äh, nein, tut mir leid«, entschuldigte ich mich. »Sonst habe ich immer so viel Kleingeld, aber heute . . .«

    »Hier.« Eine Hand streckte sich über das Warenband. »Ein Euro. Nützt Ihnen das etwas?«

    Die Kassiererin nickte und griff nach der Münze.

    Ich folgte der schönen Hand, die den Euro gereicht hatte, mit meinem Blick den Arm hinauf bis zum Gesicht der süßen Frau von eben.

    »Danke«, sagte ich. »Meistens ärgere ich mich, dass ich das Portemonnaie kaum zukriege vor lauter Münzen, aber wenn man mal eine braucht . . .«

    »Das kenne ich«, sagte sie. »So ist es immer.« Sie streifte mich nur mit einem kurzen Blick, als sie antwortete. Dann legte sie ihre Einkäufe aufs Band und sah mich nicht mehr an.

    Ich nahm mein Wechselgeld in Empfang und verstaute es in meinem Portemonnaie, bis auf zwanzig Cent, die ich ihr reichte. »Das gehört Ihnen«, sagte ich, »und für den Rest müssen Sie mir jetzt einfach erlauben, Sie zu einem Kaffee einzuladen. Wie soll ich meine Schulden sonst begleichen?«

    »Das . . . das ist nicht so wichtig.« Sie blickte auf. »Achtzig Cent machen mich nicht arm.« Zum ersten Mal lächelte sie . . . ein wenig.

    Dennoch war es berauschend. Ich konnte mich kaum davon losreißen. »Das habe ich gehofft, dass das nicht Ihr letzter Euro war, den Sie für mich hingegeben haben«, lachte ich sie an. »Aber dennoch – ein einziger Kaffee wird mich auch nicht arm machen. Hier vorn im Markt kann man einen trinken. Ein paar Minuten werden Sie doch Zeit haben.«

    »Das ist wirklich nicht nötig«, sagte sie. Sie bezahlte ihre Einkäufe mit einer Kreditkarte und unterschrieb auf der Rückseite des Belegs.

    »Vielen Dank, Frau Sommer«, sagte die Kassiererin, nachdem sie den Namen auf der Karte gelesen hatte, »und ein schönes Wochenende.«

    »Danke gleichfalls.« Sie steckte die Kreditkarte ein und verpackte das Portemonnaie sorgfältig wieder in ihrer Handtasche.

    Sie hatte nicht viel gekauft, ein bisschen Obst und Gemüse, Salat, Joghurt und Saft. Ein typischer Fraueneinkauf. Ich nahm eine Einkaufstüte und packte alles hinein. Bevor sie protestieren konnte, griff ich mir die Tüte und ging damit nach vorn zum Café. Sie musste mir folgen, wenn sie ihre Einkäufe wiederhaben wollte.

    Eine halbe Minute später war sie bei mir. »Was tun Sie da?« fragte sie verwirrt.

    »Kidnapping«, erwiderte ich so ernsthaft wie möglich. »Ihre Einkäufe gegen eine Tasse Kaffee.« Ich bog ins Café ein.

    Sie war überrascht stehengeblieben, kam mir dann aber nach. »Ich habe den Wert einer Tasse Kaffee anscheinend bislang unterschätzt«, sagte sie, während sie mich mit undefinierbarem Blick musterte.

    »Ganz sicher«, sagte ich. Ich reichte ihr ihre Tüte. »Sie müssen nicht, wenn Sie nicht wollen. War eine dumme Idee von mir.«

    Sie nahm die Tüte und stellte sie neben einem Tisch im Café ab. »Wenn wir schon einmal hier sind . . .«, sagte sie. »Plötzlich habe ich auch Lust auf Kaffee.«

    Luftsprung! Na ja, im Kopf . . .

    »Milch und Zucker?« fragte ich. »Espresso, Kaffee, Cappuccino?«

    »Latte macchiato«, sagte sie. »Wenn es das gibt.«

    »Gibt’s«, sagte ich. »Habe ich hier schon mal getrunken.« Ich düste ab zur Theke, um unsere Getränke zu holen, denn eine Bedienung gab es nicht.

    Als ich mit den beiden Latte-macchiato-Gläsern zurückkam, saß sie tatsächlich immer noch am Tisch. Insgeheim hatte ich befürchtet, dass sie die Gelegenheit nutzen würde zu gehen. Ich hatte sie doch ziemlich überrumpelt.

    Ich atmete innerlich auf und setzte die Gläser ab. »Wissen Sie, dass Latte macchiato in Italien Kinderkaffee heißt?« fragte ich lachend. »Nur Kinder trinken das dort. Ganz viel Milch und sehr wenig Kaffee.«

    Sie nahm ihr Glas und sah mich kurz an. »Dann sind wir wohl beide noch nicht erwachsen«, sagte sie und nippte an dem hellbraunen Gemisch.

    »Könnte sein«, sagte ich schmunzelnd. Ich nahm auch einen Schluck und beobachtete sie aus dem Augenwinkel. Sie schien ganz in sich versunken, beinahe als ob sie nicht da wäre. »Geht es Ihnen nicht gut?« fragte ich. »Sie wirken so abwesend.«

    Sie blickte ruckartig auf. »Oh . . . nein . . . alles in Ordnung«, sagte sie.

    »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Ich wollte Sie nicht ausfragen.«

    »Nein.« Sie straffte ihre Schultern mit einer plötzlichen Bewegung. »Ich muss mich entschuldigen. Wir wollten uns ja unterhalten, und nun sitze ich so stumm hier herum.«

    Es ist reizend, dass du überhaupt hier sitzt. »Meine Schuld«, sagte ich. »Sie wollten ja eigentlich gar nicht.« Ich lächelte sie an. »Aber nun konnte ich meine Schulden bezahlen, und es geht mir viel besser.«

    »Jetzt habe ich aber Schulden bei Ihnen«, sagte sie, »denn der Kaffee hier kostet mehr als achtzig Cent.«

    »So können wir ewig weitermachen!« Ich lachte. »Lassen wir es gut sein. Es war mir nur so peinlich, dass Sie mir aushelfen mussten.«

    »Gern geschehen«, sagte sie. Sie sah mich kurz an, dann floh ihr Blick wieder in die hinterste Ecke.

    Was hatte sie nur? Warum konnte sie mich nicht länger als den Bruchteil einer Sekunde anschauen? Sah ich denn so schrecklich aus? »Sie müssen nicht hierbleiben«, sagte ich. »Wenn Sie etwas anderes zu tun haben . . . ich will Sie nicht aufhalten.«

    Sie ließ das Glas los, das sie verkrampft umklammert gehalten hatte, und lehnte sich zurück. »Ich bin furchtbar unhöflich«, sagte sie, »ich weiß. Es tut mir leid.«

    »Es geht Ihnen offenbar etwas im Kopf herum«, sagte ich. »Ich störe Sie dabei, nehme ich an.«

    »Nein, Sie –« Zum ersten Mal sah sie mich etwas länger an. »Sie stören mich nicht. Es war nur – Ihre Bemerkung über Kinder vorhin . . .« Sie senkte den Blick kurz zu Boden, dann richtete sie ihn auf den Gang vor dem Cafébereich und beobachtete die Leute, die den Supermarkt betraten oder hinausgingen.

    »Sie haben keine, und ich habe auch keine«, sagte ich. »Das ist nicht besonders ungewöhnlich.«

    »Nicht?« Sie blickte mich auf einmal direkt an. »Ich kenne nur Frauen, die –« Sie brach ab. »Verzeihen Sie«, sagte sie. Sie erhob sich hastig und ging.

    Ich drehte mich auf dem Stuhl um und schaute ihr nach. Am liebsten wäre ich ihr hinterhergelaufen, aber das hatte wohl keinen Sinn. Unser kleines Intermezzo hatte den erwarteten schnellen Abschluss gefunden.

    Worüber sie sich wohl so aufgeregt hatte? Immer gequälter hatte sie zum Schluss gewirkt, und ihre Stimme hatte leicht gezittert, als sie Verzeihen Sie sagte und ging.

    Ich trank den Rest von meinem Latte macchiato und blickte dabei nachdenklich auf ihr halbleeres Glas. Als mein Blick sich etwas mehr zur Seite verirrte, bemerkte ich die Einkaufstasche, die sie zuvor unter den Tisch gestellt hatte. Sie hatte sie vergessen.

    Würde sie zurückkommen? Ich blickte zum Eingang. Nein, irgendwie glaubte ich das nicht. Sie hatte so abwesend gewirkt, wahrscheinlich würde sie erst zu Hause merken, dass sie ihre Einkäufe nicht mitgenommen hatte.

    Ich blickte wieder auf die Tasche. Wenn ich sie mitnahm, würde ich ein ungewöhnlich gesundes Wochenende verbringen. Aber nein, das war nicht in Ordnung. Es waren ihre Sachen.

    Ich nahm die Tasche und ging zu der Kassiererin, bei der wir beide bezahlt hatten. Als sie einmal kurz aufblickte, hielt ich die Tasche in die Luft. »Frau Sommer hat ihre Einkäufe vergessen«, sagte ich. »Wissen Sie, wo sie wohnt? Dann bringe ich sie ihr.«

    Die Kassiererin blickte mich erstaunt an. »Frau Sommer? Kenne ich nicht.«

    »Sie haben sie beim Namen genannt, als sie vorhin hier bezahlt hat. Mit ihrer Kreditkarte.«

    »Ach so.« Die Kassiererin entspannte sich. »Ich nenne alle Kunden beim Namen, die mit Kreditkarte bezahlen. Das ist so Vorschrift. Aber sobald ich den Namen auf der Karte gelesen habe, vergesse ich ihn wieder. Ich kenne die Kundin nicht.«

    Hm. War wohl nichts. »Kauft sie öfter hier ein?« fragte ich. »Wissen Sie das?« Das wäre dann eventuell ein Indiz dafür, dass sie hier in der Gegend wohnte. Was mich allerdings auch nicht weiterbringen würde.

    Die Kassiererin zuckte die Schultern. »Nein, weiß ich nicht«, sagte sie. »Ich arbeite noch nicht so lange hier.«

    »Sie kauft ab und zu hier ein«, meldete sich ihre Kollegin von einer Kasse weiter. »Nicht viel und meistens nur zum Wochenende.«

    Ich wandte mich ihr zu. Sie war eine ältere Frau mit einem freundlichen Gesicht, einer Brille und weißen Haaren. »Aber wo sie wohnt, wissen Sie auch nicht?« fragte ich.

    »Doch«, sagte sie. »Sie wohnt da, wo ich es mir nicht leisten kann.« Sie schmunzelte.

    Frau Sommer war teuer angezogen gewesen, das war mir so am Rande auch aufgefallen. Ich seufzte. »Da ist Obst, Gemüse und Joghurt in der Tüte«, sagte ich. »Das sollte gekühlt werden. Falls sie doch noch zurückkommt, um es abzuholen.«

    »Sie können die Tüte bei der Information lassen«, sagte die ältere Kassiererin mit skeptischem Blick. »Aber ich fürchte, in ein paar Stunden ist es verdorben. Kühlen können sie es da nämlich nicht. Und heute ist Samstag. Bis Montag ist der Joghurt sicher hin. Wollen Sie es nicht lieber mitnehmen?«

    »Es gehört mir nicht«, sagte ich.

    »Aber bevor es verdirbt . . .« Die ältere Kassiererin versuchte mich zu überzeugen. »Wenn Sie wollen, können Sie ja Ihre Adresse bei der Information lassen, dann kann Frau Sommer es bei Ihnen abholen, wenn sie doch noch kommen sollte.«

    Wenn . . .

    »Das ist zumindest eine Möglichkeit«, sagte ich. »Vielen Dank.« Ich nickte ihr zu und begab mich zur Information hinüber, hinterließ Namen, Adresse und Telefonnummer und bat darum, diese an Frau Sommer weiterzugeben, falls sie auftauchen sollte. Auch im Café sagte ich Bescheid und hoffte, sie würden nach unter Tischen nach ihren Einkäufen suchenden Frauen Ausschau halten.

    Mit Frau Sommers Tüte in der einen Hand und meiner eigenen in der anderen verließ ich den Supermarkt. Noch als ich bei meinem Auto stand, schaute ich mich nach ihr um, aber dann stieg ich seufzend ein und sah es ein: Diese Frau war nicht für mich bestimmt.

    ~*~*~*~

    Am Wochenende knabberte ich Paprika und aß wundervoll süße und saftige Äpfel, deren Namen ich zuvor noch nie gehört hatte. Frau Sommer war eine wesentlich größere Ernährungsexpertin als ich, das musste ich zugeben.

    Nun ja, ich war gar keine. Ich aß alles, was schnell ging und satt machte – und nicht allzu eklig schmeckte.

    Sie stand wahrscheinlich selbst am Herd und bereitete gesunde und schmackhafte Mahlzeiten zu.

    Ich sah sie vor mir, mit einer Küchenschürze und – ich verschluckte mich fast und wurde rot – mit einer Küchenschürze und sonst gar nichts.

    Das war unverschämt, ganz und gar unpassend. Ich kannte sie doch überhaupt nicht.

    Aber sie sah auch unverschämt gut aus – das zumindest konnte ich zu meiner Verteidigung vorbringen. Und wenn ich so in einen dieser süßen Äpfel biss . . . Genauso musste sie schmecken . . . oder noch süßer.

    Mir lief das Wasser im Munde zusammen. Ihre Lippen taten sich vor mir auf und – Also jetzt ist aber Schluss! Eine wildfremde Frau!

    Ich grinste in mich hinein. Sie wäre nicht die erste. Aber bei ihr war es . . . eben unpassend.

    Ich packte die restlichen Sachen wieder in den Kühlschrank. Heute war schon Sonntag. Sie würde nicht mehr kommen. Der Supermarkt war geschlossen, und nichts würde geschehen. Alles, was ich je von ihr haben würde, waren ein wenig Obst und Gemüse und ein paar Joghurts. Trauriges Schicksal.

    Das Telefon klingelte. Ich sprintete hin und ließ eine Staubwolke hinter mir. Sie!

    »Na, du Faulpelz? Warst du heute schon mal draußen?«

    »Ach, du bist’s, Amelie.«

    »Oh, ich danke für die Begeisterungsstürme«, sagte Amelie leicht beleidigt. »Da raffe ich mich auf, um dich aus deinem Bau zu locken, und das ist der Dank?«

    »Tut mir leid.« Ich entschuldigte mich zerknirscht. »Ich hatte nur –«

    »Einen anderen Anruf erwartet?« Sofort war Amelies Neugier geweckt. »Wie heißt sie?«

    Wenn ich dir das sage, lachst du dich tot, dachte ich. »Es ist nichts«, sagte ich. »Ich habe gerade ein bisschen Obst und Gemüse gegessen –«

    »Du hast was?« Amelie platzte fast vor Glucksen. »Waren die Fertiggerichte im Supermarkt alle?«

    »Nein, ich –« Ich wurde trotzig. Was hielt sie denn von mir? Konnte ich nicht auch einmal etwas Gesundes essen? »Ich habe einfach mal ein bisschen Obst und Gemüse gekauft. Darf ich das etwa nicht?«

    »Wie heißt sie?« wiederholte Amelie schmeichelnd. »Für wen willst du fit und knackig sein?«

    Ich antwortete nicht.

    »Oder ist sie es?« fuhr Amelie fort. »Kocht sie so was für dich?«

    »Ich bin allein«, sagte ich. »Hier ist niemand, der kocht.«

    »Ooh«, sagte Amelie. »Wie schade. Sagst du mir auch die Wahrheit?«

    »Du kannst gern vorbeikommen«, erwiderte ich patzig, »und dich davon überzeugen.«

    »Dann ist sie sicher längst aus dem Bett gesprungen«, sagte Amelie. »Also los, sag schon, wie heißt sie?«

    »Sie –« Ach, es hatte ja doch keinen Sinn. »Sommer«, knirschte ich zwischen den Zähnen hervor.

    »Sommer? Ist das ihr Nachname?« fragte Amelie. »Und ihr Vorname?«

    »Keine Ahnung.« Ich bellte fast wie ein Hund. »Sie heißt Frau Sommer, das ist alles.«

    »Frau Sommer?« Ich hörte, wie sich der Sturm in Amelie vorbereitete, der gleich aus ihr herausbrechen würde. »Frau Sommer?« wiederholte sie, und sie konnte schon kaum mehr sprechen vor unterdrücktem Lachanfall. »Du schläfst mit einer Frau, die du Frau Sommer nennst? Siezt ihr euch dabei?« Der Sturm brach los.

    Ich hielt den Hörer etwas von meinem Ohr weg, damit mir nicht das Trommelfell platzte, und wartete ab, bis Amelie sich wieder beruhigt hatte. »Ich schlafe nicht mit ihr«, sagte ich dann. »Das hast du falsch verstanden.«

    »Du schläfst nicht mit ihr, aber sie kocht für dich?« fragte Amelie. »Auch ganz nett, wenn auch nicht voll befriedigend.«

    »Sie kocht auch nicht für mich, sie hat die Sachen nur eingekauft«, korrigierte ich erneut. »Das ist alles.«

    »Du hast neuerdings eine Frau Sommer, die für dich einkauft? Nobel geht die Welt zugrunde«, sagte Amelie. »Woher hast du so viel Geld?«

    »Ich habe kein Geld – jedenfalls nicht mehr als üblich«, sagte ich. »Wenn du mir mal einen Augenblick zuhören würdest, könnte ich dir erzählen, um was es geht.«

    »Oh ja, erzähl.« Amelie spitzte hörbar die Ohren. »Och, wie langweilig«, sagte sie zwei Minuten später. »Das war alles?«

    »Sagte ich ja«, bestätigte ich. »Es ist nichts passiert.«

    »Na ja.« Amelie dachte nach. »Warum wolltest du sie unbedingt zum Kaffee einladen?«

    »Sie –« Ich seufzte und atmete tief durch. »Sie hat mir gefallen, das gebe ich ja zu«, sagte ich.

    »Wie sieht sie aus?« fragte Amelie. »Kleidergröße, Haarfarbe, Sonstiges?«

    Ich musste lachen. »Was verstehst du denn unter ›Sonstiges‹?«

    »Nun sag schon, wie groß?« drängte Amelie. »Kleiner als du oder größer?«

    »Ungefähr so groß wie ich«, sagte ich.

    »Also mittel«, sagte Amelie. »Und der Rest? Kleidergröße?«

    »Also wirklich, Amelie . . . woher soll ich das wissen?« wand ich mich.

    »Na hör mal, du kannst doch eine 38 von einer 50 unterscheiden, würde ich annehmen«, behauptete Amelie.

    »Eine 50 ist sie sicherlich nicht«, sagte ich lachend. »36, würde ich vermuten. Untenherum. Obenherum . . . hm . . . ein bisschen mehr.« Ich sah Frau Sommer wieder vor mir und vergaß alle Zurückhaltung.

    »Wow!« sagte Amelie. »Eine zierliche Frau, aber etwas . . .«, sie räusperte sich, »breit in den Schultern.«

    Ich wusste, dass sie nicht die Schultern meinte. »Ja«, sagte ich. »So könnte man sagen.«

    »Und sie sieht gut aus?« Amelie konnte sich vor Neugier kaum halten.

    »Sie ist sehr . . . elegant«, sagte ich. »Teuer angezogen. Sicherlich nicht von der Stange. Der Supermarkt ist ja auch nicht der billigste.«

    »Haare?« fragte Amelie detektivisch weiter.

    »Golden«, sagte ich verträumt. »Wie ihre Augen. Die sind gold und grün.«

    »Eine Elfe«, stellte Amelie trocken fest. »Direkt aus dem Wald geflogen.«

    »Du nimmst mich auf den Arm«, erwiderte ich gekränkt.

    »Nein«, sagte Amelie, »ich gebe nur das wieder, was ich bei dir spüre. Und so eine Frau hast du laufenlassen?« fuhr sie vorwurfsvoll fort.

    »Was sollte ich denn tun?« Verzweiflung ergriff mich. »Hätte ich sie festhalten sollen?«

    »Vielleicht«, sagte Amelie.

    »Du hast sie nicht gesehen«, sagte ich deprimiert. »Sie ist keine Frau für –«

    »Für gewisse Stunden, oder was meinst du?« hakte Amelie nach.

    »Sie ist . . . ich weiß nicht . . . irgendwie traurig«, sagte ich nachdenklich. »Irgend etwas ging ihr durch den Kopf. Aber sie wollte nicht darüber reden.« Ich lachte resigniert. »Verständlich. Mit einer Fremden.«

    »Immerhin hat sie sich von dir zum Kaffee einladen lassen«, sagte Amelie.

    »Nicht wirklich.« Ich dachte darüber nach. »Sie wollte eigentlich nicht, ich habe sie quasi dazu gezwungen.«

    »Hört sich an, als hätte sie eine Freundin nötig«, sagte Amelie.

    »Ich weiß nicht, ob sie –« Ich biss mir auf die Unterlippe. »Sie macht nicht den Eindruck«, sagte ich. Leider, dachte ich.

    »Hetero?« fragte Amelie.

    »Ich denke«, sagte ich.

    »Hm«, sagte Amelie.

    »Ich weiß!« Die Verzweiflung brach aus mir heraus. »Neunzig Prozent der Frauen sind hetero, und wir müssen das akzeptieren und uns auf die restlichen zehn Prozent beschränken, ist mir schon klar.«

    »Nicht nur zehn Prozent«, sagte Amelie. »Da gibt es noch diejenigen dazwischen, die beides sind. Das sind mehr.«

    »Bi?« sagte ich. »Selbst wenn sie das wäre . . .«

    »Wäre es dir nicht recht«, sagte Amelie. »Ich weiß.«

    »Du kennst meine Erfahrungen«, sagte ich zähneknirschend. »Das möchte ich nicht noch mal erleben. Da ist es mir schon lieber, wenn sie eindeutig hetero ist. Dann weiß ich wenigstens, woran ich bin.«

    »Also dann geh davon aus, sie ist hetero, und vergiss sie«, sagte Amelie abschließend.

    Ich dachte an die Äpfel im Kühlschrank. »Gar nicht so einfach«, sagte ich.

    »Mach einen Spaziergang mit mir«, schlug Amelie vor, »damit du von dem leidigen Thema wegkommst. Es ist strahlendes Wetter, und ein bisschen Bewegung tut dir gut.«

    »Ein bisschen Bewegung?« Ich lachte. »Du mit deinem Power-Walking, das ist mehr als ein bisschen Bewegung. Das nimmt schon olympische Ausmaße an.«

    »Nicht, wenn du dabei bist«, sagte Amelie. »Ich werde Rücksicht auf dich nehmen. Und zur Not kannst du dich immer noch zwischendrin auf einen Baum setzen und warten, bis ich zurückkomme.«

    »Sehr unterhaltsam«, sagte ich spöttisch. »Aber gut . . .« Ich seufzte. »Du hast recht. Hier herumzusitzen bringt mir auch nichts.«

    »Meine Worte«, sagte Amelie. Sie wollte schon auflegen. »Ach«, sagte sie dann, »und lass dein Handy zu Hause. Sie wird nicht anrufen.« Nun legte sie endgültig auf.

    Ich blickte auf das Handy, das neben meinem Festnetztelefon lag. Ich hatte ihm schon die ganze Zeit zugeblinzelt. Nur deshalb hatte ich Amelies Vorschlag so schnell zugestimmt. Sie hatte mich durchschaut. Wir kannten uns einfach zu lange.

    Seufzend drehte ich mich um und zog meine Sportklamotten an. Microfaser, damit der Schweiß nicht gleich in Strömen herunterrann, wenn ich mit Amelie loszog, die viel besser in Form war als ich. Die Nordic-Walking-Stöcke, die in der Ecke standen, waren auch ein Ergebnis meiner Freundschaft mit Amelie. Ohne sie hätte ich mir so etwas garantiert nie angeschafft.

    Aber ich musste ihr dankbar sein. Ohne sie hätte ich bestimmt den ganzen Nachmittag grübelnd und wartend verbracht – auf einen Anruf, der nicht kam.

    ~*~*~*~

    Das Ende der Woche nahte mit Riesenschritten. Amelie hatte beschlossen, ein Trainingsprogramm mit mir durchzuziehen, das mich von meinen trüben Gedanken abbringen sollte, und mich jeden Tag nach der Arbeit bereits mit einsatzbereiten Stöcken vor der Tür erwartet. Sie hielt die Sache offenbar für ernst. Für eine kleine Liebelei tat sie so etwas nicht.

    »Du brauchst dich nicht so für mich ins Zeug zu legen«, keuchte ich auf dem letzten Abstieg an diesem Samstag, der das Programm beenden sollte – jedenfalls, wenn es nach mir ging.

    »Vielleicht tue ich es ja gar nicht für dich«, sagte Amelie grinsend. Sie keuchte natürlich nicht ein bisschen. »Vielleicht tue ich es für Frau Sommer. Vielleicht ist sie meine heimliche Geliebte.«

    »Ha!« Ich lachte. »Waren wir uns nicht einig, dass sie hetero ist?«

    »Ist sie das?« Amelie grinste noch mehr. »Habe ich bisher gar nicht gemerkt.«

    »Hör auf, Amelie«, sagte ich, blieb stehen und stützte mich schweratmend auf die Stöcke. »Das macht mich nicht gerade besonders glücklich.«

    »Entschuldige«, sagte Amelie. »Ich dachte, du wärst drüber hinweg. Immerhin hast du sie nur einmal gesehen.«

    Und immer noch ein paar Äpfel von ihr im Schrank, dachte ich. »Wäre ich vielleicht«, sagte ich, »wenn du mich nicht gerade daran erinnert hättest.«

    »Tut mir leid.« Amelie sah tatsächlich zerknirscht aus. »Sie muss wirklich eine besondere Frau sein, wenn ein paar Minuten einen solchen Eindruck bei dir hinterlassen haben.«

    »Ich glaube, das ist sie«, sagte ich. Ich starrte in die Luft. »Ihr Mann muss sehr glücklich mit ihr sein. Ich beneide den Scheißkerl, verdammt!« Ich warf die Stöcke zur Seite, setzte mich auf einen Baumstamm und stemmte den Kopf in die Hände.

    Amelie setzte sich neben mich und legte mir den Arm um die Schulter. »Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist«, sagte sie. »Ich dachte wirklich –«

    »Ich bin doch richtig doof, oder, Amelie?« Ich sah sie an. »Ich denke an sie, ich rieche sie, ich sehe in ihre Augen, im Traum, und möchte sie küssen. Mein Herz klopft bis zum Hals, wenn ich sie mir vorstelle. Ich könnte zerspringen vor Sehnsucht. Und dabei kenne ich sie gar nicht. Ich weiß nichts von ihr außer ihrem Nachnamen.« Ich lachte bitter auf. »Ich habe das ganze Telefonbuch durchgesucht. Es gibt eine Menge

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