Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Heiligabend mit Überraschungen: Romantische Weihnachtsgeschichten
Heiligabend mit Überraschungen: Romantische Weihnachtsgeschichten
Heiligabend mit Überraschungen: Romantische Weihnachtsgeschichten
eBook294 Seiten4 Stunden

Heiligabend mit Überraschungen: Romantische Weihnachtsgeschichten

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Weihnachten zu zweit gemütlich zu Hause? Eine verschwundene Nonne durchkreuzt Rennis und Monikas Pläne gehörig ...
Die neue Paketbotin bringt nicht nur ein Päckchen in Christinas Bistro, sondern auch Christinas Gefühlsleben völlig durcheinander ...
Weihnachtseinkäufe sind schon stressig genug, da ist eine unhöfliche Vordränglerin nicht gerade hilfreich; noch schlimmer wird's, wenn sich diese Kundin als neue Kollegin entpuppt ...
Diese und weitere weihnachtlichen Geschichten konnten Sie im Adventskalender 2015 lesen, jetzt sind sie als Buch erhältlich. Und als Bonus gibt es noch die Silvestergeschichte dazu.
SpracheDeutsch
Herausgeberédition eles
Erscheinungsdatum6. Dez. 2016
ISBN9783956092015
Heiligabend mit Überraschungen: Romantische Weihnachtsgeschichten

Mehr von Ruth Gogoll lesen

Ähnlich wie Heiligabend mit Überraschungen

Ähnliche E-Books

Lesbische Literatur für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Heiligabend mit Überraschungen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Heiligabend mit Überraschungen - Ruth Gogoll

    Fotolia.com

    Alexandra Liebert

    Das erste Weihnachten

    Eilig überholte eine mit Tüten bepackte Frau Sarah und öffnete direkt vor ihr die Eingangstür. Der Duft von tausenden Parfümproben drang durch die offene Tür. Gleichzeitig sprang die penetrante Weihnachtsmusik Sarah förmlich entgegen. Innerlich seufzend wappnete sie sich, machte sich bereit für den vorweihnachtlichen Kampf im Kaufhaus, als ihr plötzlich und unerwartet die schwere Eingangstür gegen die Schulter schlug.

    »Verfluchte Sch. . .« Es war nicht Sarahs Art, in der Öffentlichkeit laut zu werden. Aber was fiel dieser Person ein? Erst drängelte sie sich vor der Eingangstür noch schnell an ihr vorbei, und dann hatte sie es nicht einmal nötig, die Tür eine Sekunde länger aufzuhalten. Noch mieser gelaunt gab Sarah der Tür einen energischen Schubser und marschierte mit finsterer Miene ins Chaos.

    »Parfüm für die Dame?« Noch ehe Sarah auf das Angebot der Verkäuferin reagieren konnte, hatte sie schon einen Schwall des neuesten Duftes im Gesicht.

    Ohne die Übeltäterin auch nur eines Blickes zu würdigen, setzte Sarah unbeirrt ihren Weg fort. Sie schaute nicht nach links oder rechts, sondern steuerte direkt auf die Herrenabteilung zu und blieb erst vor dem Sockenregal stehen. Nach einem kurzen prüfenden Blick schnappte sie sich fünf Packen der wärmsten und weichsten Socken und ging damit zur Kasse.

    Wie nicht anders zu erwarten standen die Einkaufswütigen auch hier in einer langen Schlange an, um zu bezahlen. Da sag noch mal einer, die Leute kaufen nur noch im Internet! Es half ja alles nichts, lustlos reihte sie sich am Ende der Schlange ein und verbrachte die nächsten Minuten damit, in Trippelschrittchen der Kasse näher zu kommen.

    Nur noch zwei Kunden vor ihr, bald würde sie endlich hier rauskönnen. Sie kramte schon einmal ihre Geldbörse hervor und rechnet im Kopf nach, was sie in etwa würde zahlen müssen.

    »Hallo Frau Schneider, darf ich Ihnen das kurz reichen?« Direkt vor Sarahs Nase lehnte sich eine Kundin einfach über den Tresen und drückte der Verkäuferin einen Korb voller Waren in die Hand.

    »Sie sind aber eigentlich noch nicht an der Reihe«, protestierte der Herr vor Sarah zaghaft.

    Die Frau lächelte nur, und schon gab sich der Mann geschlagen.

    »Unfassbar«, zischte Sarah. Und noch unfassbarer fand sie es, als sie die Frau erkannte. Die Rüpelin, die ihr die Tür vor der Nase hatte zufallen lassen.

    Anscheinend war die gute Frau Stammkundin in diesem Haus, denn Frau Schneider nahm ihr lächelnd den Korb ab und kümmerte sich ausgiebig um den Einkauf der Kundin. Frau Zuger, wie Sarah dem Gespräch der beiden inzwischen entnommen hatte, hieß die unverschämte Person, die wie selbstverständlich durch das Leben anderer Leute trampelte.

    »Man geht aber auch nicht an einem Samstag im Dezember in der Innenstadt einkaufen!« Tina schien keinen Funken Mitleid mit ihrer besten Freundin zu haben, als sie ihr am Abend in einem kleinen Restaurant am Stadtrand ihr Leid klagte.

    »Manchmal geht es eben nicht anders«, brummte Sarah genervt in ihr Weinglas. Ein bisschen mehr Verständnis hatte sie sich schon erwartet. Schließlich hatte sie eine verdammt harte Woche hinter sich, und dann noch diese unverschämte Person im Kaufhaus. Konnte man da von der besten Freundin nicht etwas Aufmunterung und Bauchpinselei erwarten?

    »Zum einen kann man im Internet auch Socken bestellen, und zum anderen kaufst du jedes Jahr fünf Paar Männersocken. Du hättest also heute gleich zehn Paar kaufen können, dann würdest du dir das nächstes Jahr die Einkauferei schon ersparen.«

    »Es geht doch nichts über eine pragmatisch denkende beste Freundin.« Für einen Moment überlegte Sarah, ihre Antwort einfach runterzuschlucken und das Thema zu wechseln. Aber dann siegte der Drang, sich rechtfertigen zu wollen. »Ich muss die Socken anfassen und fühlen, bevor ich sie kaufe. Und was weiß ich, was nächstes Jahr ist. Vielleicht brauche ich dann keine warmen Männersocken mehr.«

    »Ach komm schon«, Tina lachte laut. »Wir wissen beide, dass du auch nächstes Jahr vor Weihnachten wieder in der Suppenküche aushelfen wirst. Und auch nächstes Jahr wirst du wieder ein paar Obdachlosen warme Socken schenken. Ich wüsste nicht, was in aller Welt passieren könnte oder müsste, um dich von dieser Gewohnheit abzubringen.«

    »Vielleicht bin ich ja irgendwann mal verheiratet und habe fünf Kinder, und dann habe ich keine Zeit mehr, mich um andere Hilfsbedürftige als meine eigene Familie zu kümmern«, gab Sarah trotzig zurück.

    Tina schien die Unterhaltung zusehends zu amüsieren. Grinsend beugte sie sich über den Tisch und sagte leise: »Du scheinst zu vergessen, dass du auf Frauen stehst.«

    Sarah beugte sich ebenso verschwörerisch zu Tina und antwortete: »Und du scheinst zu vergessen, dass auch zwei Frauen heiraten und Kinder haben können.«

    »Und du denkst, dass du dann Weihnachten plötzlich mögen wirst?« Tina hatte sich wieder aufrecht hingesetzt und sprach in normaler Lautstärke weiter. »Wir wissen doch beide, dass du Weihnachten nicht ausstehen kannst. Sei mir nicht böse, aber ich sehe dich nicht in der Küche stehen und mit deinen Kindern Plätzchen backen, während im Radio Last Christmas gespielt wird.«

    Als wäre dieser Tag nicht schon schlimm genug, musste Sarah nun auch noch die alljährliche Diskussion über Weihnachten über sich ergehen lassen. Bevor sie antwortete, bestellte sie sich noch ein Glas Wein beim Kellner. »Es gibt ja wohl auch etwas dazwischen, oder? Hätte ich eine glückliche Beziehung, dann würde mir Weihnachten vielleicht auch etwas bedeuten. Da dem jetzt aber nicht so ist, kann ich ebenso gut meine Zeit mit Menschen verbringen, denen Weihnachten auch nichts bedeutet. Und die nicht einmal eine Wohnung haben, in der sie sich verkriechen können, wenn sie wollen. Ich bin es leid, mich jedes Jahr dafür rechtfertigen zu müssen, dass ich ein paar Obdachlosen was zu essen auf einen Teller gebe und ihnen ein Paar Socken schenke.« Sie hatte sich richtig in Rage geredet.

    »Ach Sarah. Du weißt genau, dass es darum nicht geht. Ich mache mir Sorgen um dich. Und dafür muss ich mich anscheinend jedes Jahr rechtfertigen.«

    Sarah konnte die Traurigkeit in Tinas Stimme hören. Sie hatte ja Recht. Aber wohin sollte diese Diskussion führen? Sie konnte diesem ganzen romantischen Weihnachtsgetue einfach nichts abgewinnen. Und sie war bestimmt nicht allein damit. Diese Frau Zuger heute im Kaufhaus wirkte auch nicht in Wir-haben-uns-plötzlich-alle-lieb-Weihnachtsstimmung. Wie kam denn jetzt diese unmögliche Person plötzlich in Sarahs Gedanken?

    »Lass uns nicht streiten«, bat sie.

    Tina ging nur zu gern auf das Angebot ein. Die Gesprächsthemen wurden unverfänglicher, sie begaben sich wieder auf neutralen Boden und hatten noch einen schönen Abend zusammen.

    Das letzte Wochenende vor Weihnachten! Der Samstag, an dem sich Sarah jedes Jahr auf den Weg zur Suppenküche machte. Sie half nicht nur an Weihachten dort aus, ließ sich eher sporadisch zu Diensten einteilen. Der Dezember stand allerdings jedes Jahr fest in ihrem Terminkalender. Heute gab es etwas Besonderes zu essen, es gab Geschenke, und die Menschen hielten sich an diesem Tag länger als sonst in den Räumlichkeiten auf. Sie schienen die Wärme und Geborgenheit in dieser Zeit des Jahres besonders zu genießen.

    »Du bist heute aber früh dran«, wurde Sarah in der Suppenküche begrüßt. Emma war so etwas wie die ›Mutter‹ hier, die alles zusammenhielt. Sie organisierte die Einsätze der freiwilligen Helfer, kümmerte sich um Spenden und hatte vor allem immer ein offenes Ohr für die Bedürftigen.

    »Ich dachte, heute gibt’s bestimmt mehr als genug vorzubereiten. Und ich konnte sowieso nicht mehr schlafen.«

    »Das ist schön. Wir bekommen heute nämlich eine Neue. Ich mag das eigentlich gar nicht, eine Neue an Tagen wie heute einarbeiten zu müssen. Aber es hat sich jetzt einfach so ergeben. Sie wird bald auftauchen, ich habe sie gebeten, zeitig hier zu sein. Denkst du, du könntest dich um sie kümmern? Ihr alles zeigen, sie einarbeiten und ein bisschen an die Hand nehmen? Damit würdest du mir viel abnehmen.«

    Natürlich stimmte Sarah zu. Für sie spielte es keine Rolle, was sie tun musste, solange sie einfach nur helfen konnte. Und neue Helfer waren jederzeit willkommen, weil man so die Arbeit über das ganze Jahr gesehen auf mehrere Schultern verteilen konnte. Allerdings kamen die wenigsten regelmäßig. Gerade an Weihnachten entdeckten viele ihre soziale Ader, aber spätestens im Februar war sie wieder vergessen.

    »Oh, da kommt sie schon«, sagte Emma in Sarahs Überlegungen hinein. Dann stürmte sie auf die Frau zu, die etwas verloren an der Eingangstür stand. Sarah schielte verschmitzt zu den beiden hin, konnte aber nicht viel erkennen. Vage hatte sie das Gefühl, die Frau schon einmal gesehen zu haben. Noch ehe sie sich weiter Gedanken machen konnte, kamen die zwei auf sie zu.

    »Sarah, das ist unser neuestes Mitglied. Nicole, darf ich dir Sarah vorstellen? Sie wird sich heute um dich kümmern.«

    Sarah ignorierte die ausgestreckte Hand der Fremden und blickte ihr stirnrunzelnd in die Augen. »Sie?«

    »Ähm, hallo. Also, ich bin Nicole, und Emma meinte gerade, wir duzen uns hier alle?« Verunsichert zog die Neue die Hand wieder zurück. »Und . . . kennen wir uns, oder wie darf ich die Begrüßung verstehen?« Sie hatte anscheinend etwas Selbstsicherheit zurückgewonnen, denn sie lächelte Sarah jetzt offen an.

    »Ich glaube kaum, dass Sie . . . dass du mich kennst. Aber wir hatten letzten Samstag den ein oder anderen Zusammenstoß.« Sarah tat sich schwer, die Frau zu duzen. Frau Zuger aus dem Kaufhaus! Und es war leichter, sich über eine arrogante Frau Zuger zu ärgern als über Nicole. Nicole in bequemen Klamotten, mit offenen Haaren und offenem Ausdruck in den Augen. Kein bisschen Arroganz, kein bisschen Hochnäsigkeit. Sie stand einfach in diesem kalten, unpersönlichen Raum und schien glücklich, hier zu sein.

    »Ach, hatten wir?«, fragte sie amüsiert. »Schade, aber daran erinnere ich mich wirklich nicht mehr. Samstag war aber ehrlich gesagt auch ein furchtbar schrecklicher Tag, den ich am liebsten vergessen würde.« Als Sarah immer noch nichts sagte, fügte sie noch hinzu: »Und wenn ich sehe, wie böse du mich anschaust, dann würdest du unseren Zusammenstoß wohl auch lieber vergessen. War ich sehr unhöflich?«

    Plötzlich kam Sarah sich kindisch vor. Wollte sie wirklich eine Frau anhand einer kurzen Begegnung im Kaufhaus beurteilen, wenn sie doch die Chance hatte, sie wirklich kennenzulernen? Auch wenn diese Frau hier so gar nichts von der Ziege im Kaufhaus hatte – aber es war ein und dieselbe Frau Zuger.

    Emma legte einen Arm um Sarah und zog sie ein wenig beiseite. »Was ist denn los mit dir? Warum zischst du die Neue so böse an? So unhöflich kenne ich dich gar nicht. Geht’s dir nicht gut?«

    »Entschuldige. Nein, es ist alles in Ordnung mit mir.« Sie schüttelte den Kopf über sich selbst. »Hi, ich bin Sarah«, wandte sie sich an Nicole. »Schön, dass du da bist. Wir können heute wirklich jede Hand gebrauchen.«

    »Und was war nun am Samstag?«, hakte Nicole nach. Sarahs Stimmungsschwankungen verunsicherten sie.

    »Vergessen wir das einfach. Du hattest einen schlechten Tag, und ich hatte heute einen schlechten Start. Liegt wohl an meiner schmerzenden Schulter«, konnte sie sich dann doch nicht verkneifen nachzuschieben. Schließlich waren Nicole und die zugeschlagene Tür der Grund für den blauen Fleck an ihrer Schulter. Doch sie ließ Nicole keine Möglichkeit, etwas dazu zu sagen. »Am besten beginnen wir mit der Deko. Wir wollen alles hier etwas gemütlicher machen. Die Wände, die Tische, überall ein bisschen Farbe und Deko.«

    Gemeinsam gingen sie ins hintere Lager und kramten kartonweise Weihnachtsdekoration hervor. Wenige Minuten später kamen sie schwer bepackt zurück in den Raum, in dem die Essensausgabe in wenigen Stunden stattfinden würde.

    »Na, dann wollen wir mal!« Emma ergriff sofort die Initiative, delegierte die Arbeit, sortierte Kartons, drückte abwechselnd Sarah und Nicole Dinge in die Hand mit genauen Anweisungen, was sie damit tun sollten. »Der Kranz kommt über die Durchreiche zur Küche. Warte, nimm Nicole mit, sie muss die Leiter halten.«

    »Emma ist ein toller Mensch«, stöhnte Nicole, als sie außer Hörweite waren.

    Sarah lachte, da Nicoles Tonfall sie Lügen strafte. »Du glaubst, sie ist eine Sklaventreiberin, oder?«

    »Ein bisschen«, gab Nicole zu. »Aber auf eine gute Art.«

    »Sie ist wirklich ein herzensguter Mensch. Und ohne sie würde hier alles zusammenbrechen.« Sarah wusste selbst nicht, warum ihr Ton plötzlich so scharf wurde.

    »Oh . . . entschuldige. Ich wollte ihr oder dir nicht zu nahe treten.«

    Sarah stieg auf die Leiter. Froh, aus Nicoles Nähe fliehen zu können. Auch wenn sie nicht wusste, woher dieser Drang plötzlich kam. Doch nun stand sie auf der Leiter und war sich Nicoles Blicken mehr als bewusst. »Schon okay«, brummelte sie vor sich hin. »Ich bin wohl etwas gereizt heute. Was bin ich froh, wenn dieses Weihnachten endlich vorbei ist und die Menschen wieder normal werden.« Sie sprach so leise, dass Nicole es kaum verstehen konnte. Hatte sie gar nur mit sich selbst gesprochen?

    »Warum magst du mich eigentlich nicht? Habe ich mich so danebenbenommen letzten Samstag?«

    Sarah stieg gerade die Leiter hinab, als Nicols direkte Frage sie unvermittelt traf. So unvermittelt, dass sie ins Stolpern geriet und die letzte Stufe verpasste. Ein spitzer Schrei entfuhr ihr, und sie versuchte verzweifelt, sich irgendwo festzuhalten.

    ›Irgendwo‹ entpuppte sich schließlich als Nicoles Schulter. Ihre Hände packten kräftig zu und retteten Sarah vor dem Sturz auf den Boden.

    Wovor sie aber niemand retten konnte, war der Sturz in Nicoles Augen. Der Duft, der ihr in die Nase stieg, meilenweit von dem entfernt, was damals im Kaufhaus an Düften auf sie einprasselte. Die kräftigen, aber doch zärtlichen Hände um ihre Hüften. Und als würde ihr das nicht schon genug weiche Knie bereiten, fragte sie jetzt auch noch viel zu nah und viel zu sanft an ihrem Ohr, ob es ihr gutginge.

    »Alles gut, danke.« Hektisch löste sie sich aus den Armen.

    Doch Nicole ließ sich nicht so einfach abschütteln. Sie legte ihre Hand auf Sarahs Schulter und wiederholte die Frage von vorhin. »Warum magst du mich nicht? Was war am Samstag los?«

    Wütend darüber, wie sie auf Nicole reagierte, antwortete Sarah barsch: »Es ist nichts passiert. Du hast dich benommen wie eine arrogante Ziege, der die Welt gehört. Du hast mir einen blauen Fleck beschert und mir einen Grund gegeben, Weihnachten noch schlimmer zu finden, als ich das eh schon tue.«

    »Oh, das tut mir leid. Das ist eigentlich gar nicht meine Art. Aber wie gesagt, am Samstag war ein wirklich schlimmer Tag, und ich musste in der . . . also beruflich . . . musste ich . . . es war einfach . . . manchmal muss man Dinge tun, die einem zuwider sind, und vielleicht habe ich mich am Samstag wie ein Arschloch benommen, weil ich mich wie eines gefühlt habe.«

    Wow. Mit so einer leidenschaftlichen und offenen Antwort hätte Sarah nicht gerechnet. Nicole nahm ihr damit tatsächlich den Wind aus den Segeln. »Schon okay«, sagte sie leise und machte sich von Nicoles Umarmung frei.

    »Nein, es ist nicht okay, wenn ich dir dadurch Weihnachten vermiese.«

    Lachend winkte Sarah ab. »Da gibt’s wahrlich nichts mehr zu vermiesen bei mir. Aber nun lass uns zurück an die Arbeit gehen.«

    Kopfschüttelnd blickte Nicole ihr hinterher. Irgendwie wurde sie aus dieser Frau nicht schlau. Doch wenn sie ehrlich war, sie wurde auch aus sich selbst nicht schlau. Oder wie sollte sie sich den Wunsch erklären, dieser Frau, die sie kaum ein paar Stunden kannte, die Freude auf Weihnachten zurückzugeben?

    »Das habt ihr wirklich schön gemacht!« Emma klatschte vor Freude in die Hände und blickte jeden der Helfer dankbar in die Augen. Inzwischen hatte sich eine kleine Gruppe im festlich dekorierten Raum versammelt. Das Essen in der Küche war vorbereitet und wartete darauf, verteilt zu werden, die Tische wirkten einladend geschmückt, es spielte leise Weihnachtsmusik. »Ich danke euch allen für euren Einsatz. Egal ob in der Küche, beim Spendeneinsammeln, Dekorieren oder was auch immer ihr heute und das ganze Jahr über geleistet habt. Und bevor wir jetzt allzu sentimental werden, lasst uns die Tür öffnen und das Essen unter die Leute bringen.«

    Die fleißigen Helfer klatschten frenetisch Beifall und verteilten sich dann auf ihre Positionen. »Was soll ich jetzt machen?«, fragte Nicole flüsternd. Sie hatte sich wie einige andere eine alberne Nikolausmütze aufgesetzt.

    Wie niedlich, dachte Sarah als sie Nicole jetzt ansah. Passend zur Mütze hatten sich ihre Wangen leicht gerötet, und sie wirkte ängstlich und neugierig zugleich. Verdammt!, schimpfte Sarah sich noch in derselben Sekunde. Nur weil sich Emma nach ihrer Ansprache heimlich ein paar Tränchen aus den Augen wischte, hieß das noch lange nicht, dass auch sie gleich sentimental werden musste.

    Warum weckte diese Frau so gegensätzliche Gefühle in ihr? Beim Gedanken an die Zicke aus dem Kaufhaus würde sie ihr am liebsten eine knallen – und bei dem Anblick wollte sie sie einfach nur in Arm nehmen.

    Sie war so in ihren Gedanken versunken, dass sie beinahe vergessen hätte zu antworten. »Wir haben . . .«, ihre Stimme versagte, hastig räusperte sie sich und versuchte es erneut, »wir haben das so geregelt: Wer den ganzen Vormittag in der Küche steht und das Essen zubereitet, der darf es auch auf die Teller verteilen. Der Rest tut, was eben so anfällt. Tische abräumen, Geschirr spülen, Sauerei aufwischen. Oder sich einfach mal dazusetzen und mit den Leuten reden.«

    »Hast du da keine Berührungsängste? Also versteh mich nicht falsch, aber viele sind ja doch alkoholisiert oder riechen streng, und ich habe das Gefühl, dass man mit manchen nicht gerade ein sinnvolles Gespräch führen kann.«

    »Gib ihnen einfach eine Chance«, antwortete Sarah. Sie selbst kannte diese Fragen und Zweifel nur zu gut. Und ja, es gab Obdachlose, die stanken und besoffen waren und einen betatschen wollten. Aber es gab auch viele, die froh über ein bisschen Aufmerksamkeit und Interesse an Ihrer Geschichte waren. »Zumal hier nicht nur Obdachlose herkommen. Wir haben auch für Menschen, die nicht so viel haben, immer eine offene Tür. Und gerade vor Weihnachten gibt es viele einsame, traurige Gestalten hier, die froh sind, nicht allein sein zu müssen oder mal etwas Besonderes auf den Teller bekommen möchten.« Sie lächelte Nicole aufmunternd zu. Diese nervöse Frau hatte so wenig mit der geschäftsmäßig aussehenden Frau vom Samstag gemeinsam.

    Nicole atmete tief durch und machte sich auf den Weg ins Getümmel.

    »Mut hat sie ja«, murmelte Sarah und machte sich dann an die Arbeit.

    Wie sich herausstellte, besaß Nicole nicht nur Mut, sondern stellte sich auch sehr geschickt an. Sie hatte eine herzliche, warme Ausstrahlung, die bei allen gut ankam. Sie hatte absolut keine Berührungsängste – und das im wahrsten Sinn des Wortes. Sie tätschelte Hände, legte ihren Arm auf Schultern, streichelte mitfühlend über Rücken. Sie war die perfekte, aufmerksame Zuhörerin, und hin und wieder schien sie tatsächlich eine Träne zu verdrücken. Kurz darauf war sie in der Küche zu sehen, die Ärmel ihrer Bluse hochgekrempelt spülte sie Berge von Geschirr ab. Sie hatte stets einen Blick für anstehende Arbeiten, war gut organisiert und hatte für jeden ein Lächeln übrig.

    »Wenn sie dich so fasziniert, dass du sie minutenlang anstarrst, warum bist du dann manchmal so unhöflich zu ihr?«

    Sarah zuckte dermaßen zusammen, dass das Geschirr auf ihrem Tablett laut schepperte. Ein paar Köpfe drehten sich zu ihr, darunter auch Nicoles. Kopfschüttelnd griff Emma nach dem Tablett, offenbar aus Angst, dass es sonst noch auf dem Boden landen würde.

    »Ach Emma«, seufzte Sarah. »So richtig weiß ich das selbst nicht. Ich habe sie vor ein paar Tagen zufällig auf der Straße getroffen und hatte seitdem ein ganz bestimmtes Bild von ihr vor Augen.«

    Emma kniff fragend die Augen zusammen.

    »Kein gutes Bild«, gab Sarah kleinlaut zu.

    »Und nun bist du verwirrt, weil Sie gar nicht so ist, wie du dachtest?«

    »Vielleicht. Und vielleicht ist sie ja wirklich ganz nett.«

    Emma nahm Sarah das Tablett aus den Händen. Bislang hatten sie sich beide daran festgehalten. »Und vielleicht«, flüsterte sie ihr dabei verschwörerisch über die Teller hinweg zu, »bist du ja manchmal so unhöflich zu ihr, eben weil sie ganz nett ist.« Das ganz nett betonte sie dabei besonders. Und ohne auf eine Antwort zu warten brachte sie die schmutzigen Teller in die Küche.

    Nachdenklich und in Gedanken versunken kramte Sarah ihre Geschenke aus dem Rucksack. Hätte sie doch wirklich beinahe die extra gekauften Socken vergessen. Der Grund, warum sie überhaupt an einem Samstag ins Kaufhaus musste. Es war inzwischen ein liebgewonnenes Ritual geworden. Jedes Jahr kaufte sie fünf Paar warme Wollsocken, und jedes Jahr suchte sie sich fünf Männer aus, die es in ihren Augen am nötigsten hatten und beschenkte sie.

    Nachdem auch der letzte Bedürftige die warme Stube verlassen hatte und der letzte Teller gespült war, konnte Sarah es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Sie warf sich ihre warme Jacke über, zog ihre Mütze tief über die Ohren und winkte in die Runde der noch Verbliebenen. »Schöne Weihnachten allen zusammen, wir sehen uns dann im nächsten Jahr!«

    Alle winkten, riefen ihr gute Wünsche zu und verabschiedeten sie schließlich in die kalte Nacht.

    Tief atmete Sarah die frische Luft ein, als sie vor die Tür trat.

    »Warte auf mich«, hörte sie es plötzlich hinter sich rufen. »Darf ich dich

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1