Die Assistentin: Liebesgeschichte
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Buchvorschau
Die Assistentin - Alexandra Liebert
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»Verdammte Schmerzen!« Ellen fauchte die Tastatur ihres Notebooks mit wildem Gesichtsausdruck an.
Der eigentliche Grund ihres Wutausbruchs lag zwar in ihren Händen, doch die Schmerzen machten sich nur bei allzu langem Tippen am Computer bemerkbar. So gesehen trug ihrer Ansicht nach die Tastatur die größte Schuld an ihrem Leiden. Wie so oft in den letzten Monaten schaltete sie frustriert das Notebook aus und griff stattdessen zum Telefon.
»Praxis Dr. Gutmann«, meldete sich nach dem sechsten Klingeln eine genervt klingende Stimme.
»Hesse. Guten Tag. Ich bräuchte bitte dringend einen Termin bei Dr. Gutmann.« Schon wieder, fügte Ellen in Gedanken hinzu.
Am anderen Ende der Leitung hörte man aufreizend laut das Rascheln von Papier, wahrscheinlich das Blättern im übervollen Terminkalender des Arztes. Schließlich bot die nun professionell klingende Stimme Ellen einen Termin für den nächsten Tag an. »Um halb elf könnte ich Sie noch reinschieben.«
Für einen Moment stutzte Ellen. »Vielen Dank«, sagte sie dann. »Bis morgen.« Sie unterbrach die Verbindung. »Reinschieben«, äffte sie ärgerlich die Sprechstundenhilfe nach. Leider konnte man in Zeiten der schnurlosen Telefone den Hörer nicht mehr wütend auf die Gabel knallen, deshalb musste sie ihren Frust mit einer Schimpftirade loswerden: »Warum hat man beim Orthopäden nur immer das Gefühl, ein Termin wäre schwerer zu bekommen als eine Audienz beim Papst? Diese Idioten! Scheffeln Geld wie Heu, aber wenn man sie mal braucht . . . dann sind sie auf den Bahamas oder sonst wo. Spielen den ganzen Tag Golf oder sitzen mit ihren Frauen beim Schönheitschirurgen, damit auch die letzte Falte noch glattgebügelt wird. Die sollte man alle mal anketten, damit sie arbeiten müssen. Und wenn sie sich zu einem Termin mit dem Fußvolk herablassen, speisen sie einen innerhalb von fünf Minuten ab. Arbeiten Sie nicht so viel! Essen Sie nicht so viel! Bewegen Sie sich mehr! Legen Sie sich doch einen Hund zu, dann kommen Sie öfter einmal an die frische Luft! Die haben leicht reden, die haben ihre Schäfchen ja im Trockenen.«
Sie war natürlich klug genug, solche Äußerungen nur in Gegenwart ihrer Topfpflanzen von sich zu geben. Wenn eine der Arzthelferinnen oder Ärzte das mitbekäme, könnte sie in Zukunft vermutlich lange auf einen Termin warten.
Mit einem tiefen Seufzer legte sie das Telefon auf den Tisch. »Zwangsurlaub bis morgen«, teilte sie ihrem schwarzen Monitor mit. »Und das bei einer Autorin . . .«
»Wollen wir tanzen?«
Ellen hatte die große, schwarzhaarige Frau schon den ganzen Abend beobachtet und sich gefragt, wann sie zu ihr herkommen würde. Es verging kaum ein Discoabend ohne eine Aufforderung zum Tanzen oder mehr. Und das, obwohl Ellen niemals den ersten Schritt machen würde.
Sie war also doch wieder mal hier gelandet. Gewohnheitsmäßig sozusagen. Ihre beste Freundin Kim lag ihr in letzter Zeit immer öfter damit in den Ohren, dass sie in Discos oder ähnlichen Locations ganz bestimmt nicht das finden würde, wonach sie sich sehnte: eine glückliche Beziehung. Zusammen lachen und kochen und zu Konzerten gehen. Romantik und Leidenschaft. Besondere Momente teilen, ebenso wie den Alltag. Und Ellen hätte auch unumwunden zugegeben, dass Kim mit ihrer Einschätzung nicht unrecht hatte. Denn alles, was sie mit den Frauen teilte, die sie hier kennenlernte, waren ein paar heiße Stunden oder bestenfalls Nächte. Immer wenn sie gedacht hatte, dass aus einer dieser lockeren Affären vielleicht doch mehr werden könnte, kam irgendwann der große Knall. Inzwischen hatte sie sich damit abgefunden, dass Romantik etwas war, das es nur in ihren Geschichten gab. Vom Leben nahm sie sich das Einzige, was es ihr offenbar noch zu bieten hatte: Sex und One-Night-Stands.
Kim hatte ihr vorgeschlagen, es doch mal im Internet zu versuchen. Beziehungsportale gebe es auch für Lesben, hatte sie gemeint, und die Bekannte einer Bekannten habe auf diese Weise sogar die Frau fürs Leben gefunden. Aber auf solche Geschichten gab Ellen nicht viel. In der Anonymität der Online-Welt auf alle möglichen Betrügerinnen reinzufallen oder gar auf Männer, die sich als Frauen ausgaben, darauf konnte sie verzichten. Hier in der Disco wusste sie wenigstens, dass da, wo Lesbe draufstand, auch Lesbe drin war. Und dass ein bisschen körperliche Nähe und Spaß ganz unkompliziert und ohne viel Diskussion zu haben war. Das war zwar nicht genau das, was sie wollte, aber allemal besser, als ganz und gar zu vereinsamen.
Auch heute wurde sie nicht enttäuscht. Sie nickte der Fremden, die sie angesprochen hatte, zu und folgte ihr wortlos auf die Tanzfläche.
Dort versuchte sie, sich auf die Musik zu konzentrieren. Doch insgeheim schloss sie mit sich selbst Wetten ab: Wie lange würde es wohl diesmal dauern, bis die Fremde zum Punkt kam? Bestimmt noch während des ersten Liedes.
»Ich liebe deine Bücher«, brüllte die Schwarzhaarige ihr prompt ins Ohr.
Es zeigte sich immer wieder, dass nahezu jede Lesbe in der Stadt Ellen erkannte. Als Autorin – nicht als sie selbst, als Mensch. Ob die Frauen wohl glaubten, dass sie alles, was sie schrieb, selbst erlebt hatte? Fanden sie den Gedanken an eine Nacht mit ihr deshalb reizvoll, weil sie glaubten, sie durch ihre Bücher zu kennen? Oder war es doch eher das Prahlen vor ihren Freundinnen mit einer prominenten Eroberung?
»Danke«, brüllte sie trotzdem artig zurück und lächelte gequält. Du liebst meine Bücher und denkst deswegen, dass du mich toll findest. Ist es nicht so?
Keine der Frauen sprach ein weiteres Wort, bis das Lied zu Ende war. Anschließend begleitete die Fremde Ellen zu ihrem Platz zurück und hatte offenbar nicht die Absicht, sich zu verabschieden.
Kategorie zwei also, dachte Ellen. Kategorie eins waren die Schüchternen, Zurückhaltenden, die nur mal hallo sagen wollten. Kategorie zwei waren die Draufgängerinnen. Die mit der eindeutigen Absicht, sie in ihr Bett zu locken. Manchmal war es tatsächlich interessant, das Verhalten dieser Frauen zu analysieren. Es gab diejenigen, die es als Herausforderung ansahen, Ellen ins Bett zu zerren. Andere traten mit einer unumstößlichen Selbstsicherheit auf, als könne Ellen nichts Besseres passieren, als eine Nacht mit ihnen geschenkt zu bekommen.
»Wollen wir irgendwo hingehen, wo man sich besser unterhalten kann?«
Unterhalten? Na, wer’s glaubt . . . »Ja, gern.« Ellen fragte sich, wann sie eigentlich so zynisch geworden war. Das war doch sonst überhaupt nicht ihre Art. Normalerweise verurteilte sie keine Menschen, die sie nicht kannte, sondern trat ihnen offen entgegen und hörte gern, was hinter der Fassade steckte. Doch sobald sie hier in diesem Umfeld war, war sie plötzlich voller Vorurteile. Als würde sie ihr wahres Ich an der Garderobe ablegen und zum Arschloch mutieren.
Trotzig schüttelte sie diese Gedanken ab. Was heißt hier »wahres Ich«. Hier bin ich genauso ich selbst wie sonst. Sie folgte der Fremden, die mit festem Schritt Richtung Ausgang steuerte, und war sich dabei sehr bewusst, dass unzählige Augenpaare auf sie beide gerichtet waren. Ellen wusste, dass ihr ein gewisser Ruf vorauseilte. Und die Geschichten entsprachen ja auch nahezu alle der Wahrheit. Auch wenn niemandem klar war, wie es tatsächlich in ihr aussah. Dass sie auf all diese Abenteuer liebend gern verzichtet hätte, wenn sie dafür eine ganz normale Beziehung hätte haben können.
Aber sie hatte sich vorgenommen, wenigstens ihren Spaß aus der Sache zu ziehen. Ihr Ruf war ihr dabei herzlich egal. Und ihre tiefsten Herzenswünsche konnte sie ignorieren. Um ihr Herz hatte sie sich schon vor vielen Jahren eine dicke Mauer zugelegt – der Preis für den vermeintlichen Ruhm. Zumindest redete sie sich das ein.
»Mein Auto steht gleich hier«, sprach Ellens Begleitung in die Stille der Nacht hinein, als sie vor die Tür traten.
Ellen lief kommentarlos neben ihr her. Wie selbstverständlich du davon ausgehst, dass ich zu dir ins Auto steige.
Ein paar Schritte später blieb die Fremde vor einem blauen Opel stehen. Sie sperrte die Beifahrertür auf und öffnete sie für Ellen. Die nickte höflich und ließ sich auf den Beifahrersitz gleiten. Die Dunkelhaarige ging ums Auto herum, stieg ein und startete wortlos den Wagen. Erst nachdem sie in die Hauptstraße eingebogen war, fühlte sie sich offenbar doch verpflichtet, Ellen aufzuklären, wohin sie fuhr: »Ich wohne nur ein paar Straßen von hier entfernt.«
Ellen nickte erneut, diesmal ernüchtert, beinahe resigniert. Ihr war vom ersten Augenblick an klar gewesen, dass sie nicht zum Reden in ein gemütliches Café gehen würden. Ihre Begleiterin hatte von Anfang an ihre Wohnung und ihr Bett als Endstation für diesen Abend vor Augen gehabt. Und zwar gemeinsam mit Ellen.
Zumindest stimmte es, dass sie nur ein paar Straßen von der Disco entfernt wohnte. Nach kaum fünf Minuten Fahrt bog sie in eine Seitenstraße ab und parkte das Auto in einer kleinen Parkbucht. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, sprang sie aus dem Auto und beeilte sich, die Beifahrertür zu öffnen. Kaum war Ellen ausgestiegen, packte die Fremde sie an der Hand und zerrte sie Richtung Hauseingang.
Entweder sie hat Angst, dass ich doch noch davonlaufe, oder sie ist schon so scharf, dass sie keine Sekunde mehr verlieren kann.
Die Haustür war trotz der späten Stunde unverschlossen. Ohne ihren Schritt spürbar zu verlangsamen, tastete die Fremde mit ihrer freien Hand nach dem Lichtschalter, und der heruntergekommene Hausflur erstrahlte in seiner ganzen zweifelhaften Pracht. Doch selbst wenn es der schönste Hausflur diesseits des Atlantiks gewesen wäre, Ellen hätte keine Zeit gehabt, ihn zu betrachten. Rastlos stürmte die Fremde die Treppen nach oben, Ellens Hand fest im Griff. In der zweiten Etage blieb sie stehen, wühlte hektisch in ihrer Hosentasche nach dem Schlüssel und grinste schließlich erleichtert, als sie ihn hervorzog und Ellen wie eine Trophäe vor die Nase hielt.
Kaum hatten die beiden Frauen die Wohnung