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Das zwischen uns
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eBook325 Seiten4 Stunden

Das zwischen uns

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Über dieses E-Book

Jasmin hat es sich recht gemütlich im Junggesellinnendasein eingerichtet, als eine atemberaubende Schönheit ihre Buchhandlung betritt. Sie verlieren sich aus den Augen, sie sehen sich wieder - und es beginnt etwas, das Jasmin "Beziehung" nennt. Ihre Geliebte hält sich jedoch einiges offen. Ständig lernen sie neue Frauen kennen, von denen Jasmin nie weiß, wie nahe sie und ihre Geliebte sich kommen. Geduldig erträgt sie die Spielchen, doch kann eine solche Beziehung wirklich ewig dauern?
SpracheDeutsch
Herausgeberédition eles
Erscheinungsdatum29. Apr. 2013
ISBN9783941598645
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    Buchvorschau

    Das zwischen uns - Victoria Pearl

    Victoria Pearl

    DAS ZWISCHEN UNS

    Roman

    Originalausgabe:

    © 2009

    ePUB-Edition:

    © 2013

    édition el!es

    www.elles.de

    info@elles.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    ISBN 978-3-941598-64-5

    1

    Die beiden Frauen stöberten schon seit einer halben Stunde in dieser einen Ecke der Buchhandlung herum. Sie griffen sich ein Taschenbuch, die eine schlug es auf, die andere blickte ihr über die Schulter. Sie schienen sehr vertraut miteinander, nahmen sich die Bücher aus der Hand, gaben jeweils Kommentare, die sie gegenseitig zum Lachen brachten.

    Ich beobachtete sie unauffällig – wie ich hoffte –, während ich Bücherkarten für die Nachbestellungen sortierte.

    Die Blonde verhielt sich lebhafter als die Dunkelhaarige. Sie traf die Entscheidungen, während die andere ihr einfach nur folgte. Die beiden wirkten eingespielt, so, als ob sie sehr viel voneinander und übereinander wussten.

    Was sie wohl zu kichern hatten? Warf mir die Blonde wirklich immer wieder verstohlene Blicke zu? Bildete ich mir das nur ein?

    Ich konnte mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren, darum schnappte ich mir einen Stapel Bücher, der sowieso eingeräumt werden musste. Sehr geschäftig ging ich von Gestell zu Gestell, rückte Bücher zurecht, stellte ein neues hin oder platzierte ›Appetithäppchen‹ neu.

    Aus den Augenwinkeln jedoch beobachtete ich die beiden. Sie standen noch immer vor den Büchern mit lesbischem Inhalt. Noch immer kicherten sie und flüsterten. Schließlich gelangte ich mittels meiner Einräumaktion in die Nähe der beiden.

    »Würdest du das wollen?« hörte ich die Dunkelhaarige leise fragen.

    Die Blonde zuckte mit den Schultern. »Wieso nicht?« erwiderte sie. »Klingt doch irgendwie –« sie stockte und beendete dann den Satz lachend, »geil.«

    Die Dunkelhaarige errötete leicht. »Nein, also wirklich . . .«, presste sie zwischen den Zähnen hervor, »du kennst wohl gar keine Scham.«

    Ich verrenkte mir fast den Hals, um erkennen zu können, welches Buch die Blonde in den Händen hielt. In diesem Moment stellte sie es mit einem Kommentar, den ich nicht verstand, zurück.

    Tja, lesbische Liebesspiele jeglicher Art – mit und ohne Hilfsmittel – waren nun mal nicht jederfraus Sache, dachte ich amüsiert, als ich den Titel erkannte.

    Die Blonde hatte sich inzwischen ein Taschenbuch mit Kurzgeschichten gegriffen. Die beiden Frauen vertieften sich in eine Geschichte – die beste Möglichkeit für mich, mich wieder hinter die Verkaufstheke zurückzuziehen.

    »Diese beiden für mich«, unterbrach mich eine melodiöse Stimme.

    Ich blickte auf und fiel direkt in einen glasklaren Bergsee – so kam es mir zumindest vor, als ich in den blauen Augen der blonden Kundin versank.

    »Ähm . . . gibt es ein Problem?« fragte die Blonde irritiert, da ich keine Anstalten machte, den Preis der Bücher einzutippen.

    Ich riss mich zusammen. Wahrscheinlich errötete ich auch, doch um das zu bemerken, hatte ich im Moment keine Synapsen frei, denn ich war vollauf damit beschäftigt, die Bücherkarten zu suchen, die Preise richtig zu tippen – was mir erst nach dem dritten Storno gelang – und nach einer Tüte zu wühlen, um die Bücher einzupacken. Endlich hatte ich es geschafft. Ich schob die Tüte über den Ladentisch und nannte der Kundin den Preis.

    Ihr Lächeln warf mich fast um. Es war wissend – und sehr kokett. »Bitteschön«, flötete sie und reichte mir einen Geldschein.

    Hastig hackte ich auf der Kasse herum und fühlte fast schon eine peinliche Erleichterung, als diese tatsächlich aufsprang. Da ich schon ewig – mir kam es jedenfalls so vor – im Buchhandel arbeitete, gelang es mir, das Wechselgeld richtig und ohne weitere Pannen herauszuzählen.

    Die Blonde zwinkerte mir zu, als ich es ihr reichte. Ihre Hand streifte meine – wahrscheinlich nur zufällig.

    »Und ich hätte gern diese beiden Bücher«, riss mich die Stimme der Dunkelhaarigen aus meinem Delirium.

    Ich hatte die Freundin der Blonden völlig vergessen. Nur schwer konnte ich mich auf die notwendigen Handlungen konzentrieren, denn mein Herz schlug dermaßen schnell, dass ich befürchtete, es würde plötzlich wegen Überlastung aussetzen. »Hier bitte, die Kurzgeschichten für Sie«, hörte ich mich sagen. Meine Augen folgten der Blonden, die inzwischen bereits an der Tür stand.

    »Danke schön«, erwiderte die Dunkelhaarige lächelnd – am Rande registrierte ich, dass sie ein süßes Lächeln hatte.

    »Auf Wiedersehen«, murmelte ich, doch mein Blick hing an ihrer Freundin, denn diese wiederzusehen . . . Ich durfte nicht daran denken.

    Die innere Aufregung legte sich nach ein paar Stunden wieder. Abends, als ich allein in meinem zu großen Bett einzuschlafen versuchte, tauchten jedoch die blauen Augen und das schalkhafte Lächeln der blonden Kundin wieder aus der Erinnerung auf.

    Warum faszinierte mich eine völlig unbekannte Frau so sehr, dass ich nicht einschlafen konnte? Außerdem verstieß ich zumindest in Gedanken gegen mein oberstes Prinzip: Misch dich nie in eine Beziehung ein, halte dich fern von Ärgernissen dieser Art.

    Selbst mir war aber klar, dass sich Gefühle nur in sehr beschränktem Maße an Befehle der Vernunft hielten. Zu oft war ich genau deswegen schon ziemlich heftig aus einem Traum in die Realität zurückkatapultiert worden. Ich konnte mir jedoch noch so oft sagen, dass diese blonde, attraktive Mittdreißigerin erstens in festen Händen und zweitens bestimmt nicht an einer unscheinbaren Buchhändlerin interessiert war – in meinen Träumen tauschten wir bereits heiße Küsse aus.

    Irgendwann musste ich doch eingeschlafen sein. Der Wecker, der mich am folgenden Morgen aus den himmelblau-rosaroten Träumen riss, entging nur knapp seiner Vernichtung – dafür bildete sich ein dunkelblau-violetter Bluterguss an meiner rechten Handkante. Entsprechend übelgelaunt marschierte ich ins Geschäft und schnauzte als erstes unsere Angestellte an.

    Sylvia, meine langjährige Freundin, Geschäftspartnerin und Mutter meines liebsten Patenkindes, schüttelte verständnislos den Kopf. Auf ihre Fragen, die sie mir unter vier Augen stellte, mochte ich nicht antworten. Ich wusste selbst, dass ich mich unfair verhalten hatte – und wie idiotisch und aussichtslos meine Schwärmerei für eine unbekannte Kundin war.

    Um nicht noch mehr Ärger auf mich zu ziehen, schob ich freiwillig Bürodienst, während Sylvia vorn im Laden stand.

    Ich konnte mich nicht verstehen. Normalerweise war ich doch sehr rational und nüchtern. Wenn ich mich verliebte, dann passierte das langsam und schrittweise. Niemals gab es ein Hals über Kopf oder Herz über Vernunft. Böse ausgedrückt: Ich stellte gar eine Kalkulation auf, ehe ich mich auf eine Frau einließ. Nicht, dass ich mir Soll und Haben aufschrieb, doch ich überlegte mir jeweils, wieviel ich unter welchen Umständen zu geben bereit war. Sylvia schimpfte oft mit mir, weil sie der Ansicht war, mir fehlte jeglicher Sinn für Romantik. Sie mochte recht haben, doch in meinen Augen störte Romantik die Entstehung einer soliden, tragfähigen Beziehung.

    Während ich diesen Gedanken nachhing, hörte ich immer wieder die Türglocke des Ladens bimmeln. Jedesmal stolperte mein Herz – doch jedesmal unterdrückte ich den Impuls, nach vorn zu rennen, um zu sehen, ob sie vielleicht zurückgekommen war.

    Die Blonde tauchte nicht wieder auf, weder an diesem Tag noch an den folgenden. Das war nicht anders zu erwarten gewesen, sagte ich mir. Die tiefen Blicke und das einladende Lächeln hatte ich mir bestimmt nur eingebildet. Allmählich fand ich zu meiner Gelassenheit zurück und schreckte nicht jedesmal hoch, wenn ein Kunde oder eine Kundin den Laden betrat. Ich konnte mit der Zeit auch blonden Frauen wieder normal begegnen, worüber ich sehr froh war, denn nicht wenige, die zu unserer Stammkundschaft gehörten, färbten ihre Haare so.

    Es war ein wunderschöner, heißer Sommertag, als ich der Blonden mit der Dunkelhaarigen im Schlepptau wieder begegnete. Ich saß mit einer Bekannten in einem Straßencafé in der Fußgängerzone, als die beiden vorüberschlenderten. Am liebsten hätte ich mich in Luft aufgelöst. Die Straße war sehr belebt, darum hoffte ich, dass sie mich nicht sehen würde.

    Die beiden Frauen blieben vor der Auslage eines Geschäfts stehen. Sie unterhielten sich, lachten, gingen Arm in Arm weiter. Nun wechselten sie die Straßenseite. Ich schwitzte plötzlich fürchterlich.

    »Also, was meinst du?«

    Ich blickte meine Bekannte verständnislos an, denn ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, worüber sie geredet hatte.

    »Was ist mit dir los? Ist dir nicht gut? Du bist ganz blass«, sagte sie besorgt.

    Ich murmelte etwas von Sommerhitze und Kreislaufproblemen.

    Das Pärchen steuerte inzwischen auf die Tische des Straßencafés zu. Während ein Teil meines Gehirns mir sagte, dass sie mich nicht erkennen würden, dass es sie überhaupt nicht interessieren würde, wer hier saß, bestand der andere Teil darauf, dass ich aufstehen und mich in Sicherheit bringen müsse.

    Ich schnappte mir die Getränkekarte und hielt sie mir vors Gesicht. Die beiden Frauen waren inzwischen so nahe, dass ich ihre Worte klar und deutlich hören konnte. Ich verstand jedoch kein Wort, denn ich war ja damit beschäftigt, nicht sichtbar zu sein.

    Plötzlich griff eine Hand nach der Getränkekarte vor meinem Gesicht und zog sie weg.

    »Du hältst sie verkehrt«, lachte meine Bekannte. Ihre Augen blickten irritiert und besorgt.

    Sie musste denken, ich wäre total übergeschnappt, doch ich griff wieder nach der Getränkekarte. In diesem Moment bemerkte ich, dass die Dunkelhaarige mich ansah. Die Blonde hatte sich bereits an einen Tisch gesetzt und wippte ungeduldig mit dem Fuß.

    Ich weiß nicht, ob die Dunkelhaarige mich erkannte, denn meine Aufmerksamkeit richtete sich ausschließlich auf ihre Freundin, die in ihrem gelben, enganliegenden Top und den dunklen Shorts viel zu gut aussah.

    Die Dunkelhaarige hatte sich nun auch hingesetzt. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie ihre Freundin auf mich aufmerksam machen würde, doch das tat sie nicht. Hatte sie mich nicht erkannt? Doch, ich war mir ziemlich sicher, dass sie mein Gesicht richtig einzuordnen wusste. Nun war ich mir unschlüssig, ob ich erleichtert oder enttäuscht sein sollte.

    Die Anwesenheit der Blonden warf mich dermaßen aus der Spur, dass ich kaum mehr wusste, wie ich hieß. Unter dem Vorwand, dass es mir wirklich zu heiß wäre und mein Kreislauf schlapp machte, verabschiedete ich mich von meiner Bekannten und floh.

    Daheim angekommen durchmaß ich ratlos und rastlos meine Wohnung. Vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer, in die Küche, zurück ins Wohnzimmer.

    Was sollte ich tun? Diese Frau raubte mir die Seelenruhe – zumindest störte sie die Unaufgeregtheit meines ereignislosen Lebens. Sie zog mich an, magisch, magnetisch. Und sie machte mich unsicher, ängstlich. So sehr ich mir auch einredete, dass ich mich unter gar keinen Umständen für sie interessieren durfte, da sie gebunden war – ich sah sie dauernd vor mir: ihr Lächeln, das mich herauszufordern schien, die Stimme, die mit mir flirtete. Alles Einbildung, schalt ich mich. Wenn sie es wirklich darauf angelegt hätte, wäre sie längst wieder in der Buchhandlung aufgetaucht.

    Der Sommer verging, mein Leben normalisierte sich wieder. Ich hielt mir vor Augen – wenn ich denn überhaupt je wieder an diese Frau dachte –, dass überhaupt nie etwas passiert war. Meine Phantasie hatte mir einen Streich gespielt und mich kurzzeitig etwas destabilisiert.

    Allmählich sorgten die kürzeren Tage dafür, dass die Buchhandlung nach dem flauen Sommergeschäft wieder reger besucht wurde. Das Geschäft, das ich mit Sylvia über sieben Jahre lang in harter Arbeit aufgebaut hatte, florierte. Wenn ich die Bilanzen sah, fühlte ich mich hervorragend. Wenn ich auf Buchmessen ging, kam ich mir fast ein wenig wichtig vor. Doch, mein Leben – das heißt, der Teil, der meine berufliche Tätigkeit ausmachte – war schön und erfüllend.

    In schwachen Momenten, etwa wenn Julia Roberts sich zum dreihundertsiebenundvierzigsten Mal von Richard Gere in Pretty Woman retten ließ, wurde mir schmerzhaft bewusst, dass die Arbeit nicht alles war.

    Mein Singledasein dauerte schon mehrere Jahre. Die schüchternen Versuche, via Internet oder Veranstaltungen für Lesben jemanden kennenzulernen, waren jeweils mächtig danebengegangen. Außer verwirrten Gefühlen, Ringen und Tränensäcken unter den Augen und erheblichen Mehrausgaben meinerseits – aufgrund der Einladungen zu Essen, Kino, Theater, Ausflügen, mit denen ich in solchen Situationen um mich geworfen hatte –, war nichts dabei herausgekommen.

    Sylvia meinte schließlich, es hätte wirklich keinen Sinn, mich allein suchen zu lassen. Ihre Verkupplungsversuche jedoch scheiterten kläglich. Ihr fehlte die Antenne, um die Signale aufzufangen, und das Wissen, um sie zu deuten. Mehrmals musste ich ihr, wenn wir gemeinsam in Cafés oder zum Tanzen unterwegs waren, zu Hilfe eilen, damit ihre Freundlichkeit kein unliebsames Nachspiel nach sich zog. Wir einigten uns irgendwann stumm darauf, dass wir die Sucherei nach einer Frau für mich bleiben lassen würden.

    Für mich gab es wohl einfach keine passende Frau, sagte ich mir und richtete mich in meinem Singleleben, das ich mit Freundschaften garnierte, bequem ein.

    Meine relative Zufriedenheit geriet jedoch bald schon ins Wanken.

    2

    Der Schwall feuchtkalter Luft, die durch die Tür hereingeweht wurde, ließ mich frösteln. Ich hob den Blick, um zu sehen, wem ich diese unangenehme Empfindung zu verdanken hatte. Im nächsten Moment wurde mir heiß.

    Die Blonde hatte das Geschäft betreten und lächelte mich an. Mein Blick heftete sich verwirrt an die Eingangstür, doch die Dunkelhaarige schien heute tatsächlich nicht mit von der Partie zu sein. Unlogischerweise erleichterte mich dieser Umstand enorm.

    Die Blonde sah mich irritiert an. Was sie wohl denken mochte? Endlich schaffte ich es, sie mit einem genuschelten »Guten Tag« zu begrüßen.

    Irrte ich mich, oder war da wirklich ein wissendes Lächeln über ihr anziehendes Gesicht gehuscht? Ich wagte nicht, genauer hinzusehen, aus Angst, dass sie mir meine Verwirrung, mein Herzrasen und meine ungewöhnlich hohe Körpertemperatur ansehen könnte.

    Die Blonde trug ihr Haar inzwischen etwas länger, stellte ich fest, als ich ihr mit meinen Augen durch die Regale folgte. Ihre Bewegungen wirkten auch in Jeans und mit Jacke ungemein fließend, ja, anmutig.

    Ich vergaß, dass ich eine reale Person beobachtete, und versank in einem selbstangelegten See von Wünschen und Gefühlen. Als mich der Blick aus den klaren blauen Augen unvermittelt traf, wäre ich allerdings lieber im Boden versunken.

    »Können Sie mir helfen?« fragte die Blonde. Sie tat so, als wäre es das normalste der Welt, von jemandem offensichtlich angestarrt zu werden.

    Nun trat sie an die Verkaufstheke. Ihre Nähe – war das ihr Parfum oder träumte ich nun schon mit Geruch? – bereitete meinem sowieso schon ziemlich beanspruchten Herzen Schwierigkeiten.

    »Sie sind doch die Inhaberin, nicht?« Die Blonde kümmerte sich einen Deut um mein Herz, meine Sprachlosigkeit und meine Verlegenheit.

    Endlich sprangen meine Hirnzellen an. Ich räusperte mich und nickte. Ich weiß, dazu hätte ich mich nicht zu räuspern brauchen, doch mir war im letzten Moment eingefallen, dass ich keine Worte kannte; die waren irgendwo in diesem seltsamen See untergegangen.

    Die Blonde lächelte. Meine Knie sackten weg, was sie aber nicht sehen konnte, da ich mich, scheinbar interessiert an ihrem Anliegen, über die Theke gebeugt hatte und mich folglich unauffällig aufstützen konnte.

    Großer Gott, bat ich still, lass mich diese Situation überleben, ohne dass ich mich bis auf die Knochen blamiere.

    »Nun«, fuhr die Kundin ungerührt fort, »dann können Sie mir sicher sagen, ob ich hier den Quell der Einsamkeit bekomme.«

    Meine Hirnzellen arbeiteten jetzt auf Hochtouren. Beim Nennen des Buchtitels zuckte ich zusammen. Ausgerechnet Radclyffe Hall. Dieses Buch, nun ja, ich konnte mir wirklich netteres als Abendlektüre vorstellen, auch wenn der Quell der Einsamkeit natürlich ein bedeutender Klassiker der Lesbenliteratur war. Alle politisch interessierten Lesben, aber auch alle feministisch angehauchten Frauen – ach was: alle müssten dieses Buch zumindest mal zur Hälfte lesen, dachte ich. Den Schluss jedoch, den versuchte ich, seit ich das Werk beendet hatte, zu vergessen.

    Die Blonde wirkte nicht so, als ob sie sich besonders für die Kämpfe interessieren würde, die Generationen von Frauen vor uns ausgefochten hatten.

    »Ähm«, ich räusperte mich erneut, »das Buch war lange vergriffen.«

    Das Lächeln meines Gegenübers vertiefte sich. »Ich weiß«, sagte sie mit ihrer melodiösen Stimme. »Aber es wurde doch wieder neu verlegt, wenn ich das richtig mitbekommen habe.«

    Vielleicht war ich zu vorschnell mit meinem Urteil, schalt ich mich in Gedanken. Es kann durchaus sein, dass sich die Kundin sehr wohl ernsthaft interessiert. »Ja«, bestätigte ich nun – ich versuchte geschäftsmäßig zu klingen –, »es wurde neu verlegt, aber wir haben es leider nicht am Lager.«

    »Oh«, entgegnete sie mit hörbarem Bedauern in der Stimme. Warum nur lachten ihre wunderschönen blauen Augen dabei so schelmisch? »Dann gab es wohl noch andere Lesben vor mir, die dieses Buch sehnsüchtig erwarteten«, schloss sie.

    Mir blieb die Luft weg. Bis jetzt hätte sie immer noch sagen können, sie suche das Buch für eine wissenschaftliche Arbeit oder für eine Freundin, oder . . . Doch sie bestätigte mir, was ich längst zu wissen glaubte, auf eine Art und Weise, die keinerlei Deutungsspielraum offenließ.

    Ich spürte, wie der Boden unter mir ein bisschen zu schwanken begann. Dann hörte ich mich sagen: »Ja . . . ähm . . . also . . . doch ja . . . die Exemplare, die ich . . . äh . . . wir bestellt hatten, die waren schnell . . . weg.«

    Wieder erschien das umwerfende Lächeln auf dem Gesicht der Kundin. »Sie stimmen mir doch zu«, nun lehnte sich die Blonde zu allem Überfluss weit über die Theke, damit sie mir zuflüstern konnte, »dass dieses Buch für uns wichtig ist?«

    Automatisch nickte ich. Im nächsten Augenblick schwankte der Boden unter mir schon sehr heftig. Hatte sie wirklich uns gesagt? Warum wollte sie von mir eine Bestätigung, dass ich auch zu diesem uns gehörte? Was ging hier eigentlich vor? Ich fühlte mich komplett überfordert. Ich gebe zu, das kommt hin wieder vor, wenn ich mit attraktiven Frauen zusammen bin, doch hier handelte es sich nicht um ein Zusammensein, das hier war mein Geschäft, in dem ich ein neutrales Verkaufsgespräch führte. Das hier war mein Geschäft, mein Territorium, hier hatte ich die Fäden in der Hand.

    Tja, die Selbsttäuschung verkroch sich geschlagen, in meinem Hinterkopf vermeinte ich, ein fieses Lachen zu hören. Ich hasse es, wenn ich das Gefühl habe, dass meine Gedanken nicht unter meiner alleinigen Kontrolle stehen, wenn sich jemand oder etwas einmischt – ich hasse es!

    Von diesen vielen Gedanken bekam meine Kundin glücklicherweise nichts mit. Sie hatte sich wieder auf ihren Platz zurückgezogen. Ihre blauen Augen musterten mich. Wenn mir nicht in diesem Moment in den Sinn gekommen wäre, dass die Blonde zu Hause von einer Dunkelhaarigen erwartet wurde, hätte ich geglaubt, sie wollte meine Telefonnummer oder eine Einladung zum Kaffee, die mir bereits schon fast über die Lippen gerutscht wäre.

    Endlich berappelte ich mich ein wenig. Auf das uns und mein Nicken, das einem Coming-out vor einer komplett fremden Person gleichkam, ging ich nicht weiter ein. Geschäftig holte ich den Bestellblock unter der Theke hervor und bat die Kundin in – wie ich hoffte – neutralem Tonfall, die Bestellung auszufüllen.

    Die Kundin tat wie geheißen, allerdings umspielte dabei ein Lächeln ihre verführerischen Lippen, das mich erneut in Schwierigkeiten brachte.

    Meine Rettung nahte in der Person meiner Teilhaberin. Sylvia war am Morgen zu Hause geblieben, um ihre kranke Tochter zu pflegen. Jetzt hatte sie Bruno, ihr Mann, abgelöst. »Kannst du mir helfen«, rief sie vom Hintereingang her.

    Beim Klang ihrer Stimme zuckte ich zusammen, denn meine Augen hatten sich an den Lippen der Blonden festgesaugt. In meinem Kopf herrschte gleichzeitig der Ausnahmezustand, darum brauchte ich einen Moment, um mich in der Situation zurechtzufinden.

    Inzwischen war Sylvia nach vorn gekommen. Verwundert blickte sie mich an, dann wanderte ihr Blick zur Kundin, die lässig an die Verkaufstheke gelehnt stand und die Musterung mit erstaunlicher Nonchalance über sich ergehen ließ. Sylvias Augen kehrten zu mir zurück. Sie hob fragend die Augenbrauen, doch ich zuckte nur mit den Schultern.

    »Wie lange wird es dauern, bis das Buch da ist?«

    Fast hätte ich die Frage nicht mitbekommen, denn ich war mit dem stummen Blickkontakt zu meiner Freundin beschäftigt. »Das Buch?« Ich musste mich schon wieder räuspern. Vielleicht sollte ich auf dem Heimweg einer Apotheke einen Besuch abstatten, bestimmt schlich sich da eine Erkältung an. »Wir werden Sie . . .«, ich sah rasch auf den ausgefüllten Bestellzettel, »Frau Gräfe, telefonisch benachrichtigen, sobald es eingetroffen ist.« Frau Gräfe – seltsamer Name, dachte ich – sah nicht besonders zufrieden aus. Darum schob ich hinterher: »Ich werde die Bestellung gleich heute noch aufgeben, dann sollte das Buch innerhalb von zwei Wochen hier sein.«

    »Zwei Wochen?« Frau Gräfe klang entsetzt.

    Ich nickte bestätigend, da konnte ich nun wirklich nichts dafür, dass es halt etwas länger dauerte.

    »Das ist«, Sylvia war hinter mich getreten und hatte ebenfalls den Bestellzettel gelesen, »eine eher seltene Bestellung. Meine Kollegin hat schon recht, es wird etwa vierzehn Tage dauern.«

    »Hm, kann man nichts machen«, erwiderte die Kundin. Sie bedachte uns mit einem knappen Kopfnicken und noch ehe wir darauf reagieren konnten, war sie auch schon aus der Tür.

    »Sag mal«, fragte Sylvia erstaunt, »wer oder was war das denn?«

    »Eine Kundin mit einem speziellen Bücherwunsch«, antwortete ich lahm. Ich fühlte mich nicht sonderlich gut. Diese Begegnung hatte mich ziemlich geschlaucht, auch wenn es natürlich nur ein Verkaufsgespräch gewesen war. Diese Blicke. Diese Lippen. Dieses Lächeln.

    »Kann es sein«, hörte ich Sylvia fragen, die ich vollkommen vergessen hatte, »dass da etwas mehr war? So habe ich dich ja noch nie gesehen. Du bist komplett durch den Wind.«

    »Nein, nein«, beeilte ich mich zu widersprechen, »mehr ist da sicher nicht. Ich kenne die Frau überhaupt nicht. Außerdem weißt du ja, dass ich mich auf gar nichts mehr einlassen werde.«

    Sylvia schien nicht überzeugt, doch sie ließ das Thema ruhen, denn ich weigerte mich standhaft, auch nur ein einziges Wort mehr über Frau Gräfe zu verlieren.

    Die Qualität meiner Träume steigerte sich. Nun hatte die Frau, die die Hauptrolle darin spielte, nicht mehr nur bergseeblaue Augen, einen sinnlichen Mund und eine melodiöse Stimme, sie zog mich zusätzlich mit ihrem Duft in ihren Bann und beschäftigte meine Phantasie mit dem Rätsel ihres Vornamens. C. Gräfe. Was bedeutete dieses C? In meinen Tagträumen gab ich ihr alle möglichen und unmöglichen Namen, von Caroline bis Cleopatra, und in meinen Nachtträumen tauschten wir mehr als Berührungen aus.

    Derart gefangen durch die Abwesenheit einer realen Frau und die Anwesenheit einer Traumfrau, brachte ich die zwei Wochen bis zum Eintreffen des bestellten Buches in einem deliriumsähnlichen Zustand hinter mich.

    Sylvia erduldete die für sie wahrscheinlich nicht besonders amüsante Situation mit stoischer Leidensmiene. Etwas zu sagen wagte sie jedoch nicht.

    Mein Herz klopfte unrhythmisch und viel zu schnell, als ich den Quell der Einsamkeit auspackte. Mit zittrigen Händen griff ich zum Telefon. Ich musste dreimal neu mit Wählen beginnen, da ich die richtigen Tasten immer wieder verfehlte. Endlich tutete das Freizeichen aus dem Hörer.

    Nach dreimaligem Klingeln sprang der Anrufbeantworter mit einem Klicken an. »Hier bei Gräfe. Nicht abhängen, sondern quasseln nach dem Piep«, lautete die klare Ansage.

    Ich hängte reflexartig ab. Nein, ich konnte unmöglich auf Band sprechen. Das schaffte ich nicht. Die Vorstellung, dass C. Gräfe meine Stimme verfremdet wahrnehmen würde, behagte mir gar nicht. Bestimmt würde ich nur ein Quäken zustandebringen, ein Gestammel ohne Inhalt von mir geben. Mir kam in den Sinn, dass die Blonde noch nicht mal meinen Namen kannte, wie hätte sie also wissen sollen, wer ihren AB vollgequasselt hatte?

    Derart bestärkt beschloss ich, Frau Gräfe eine spezielle Art des Kundendienstes angedeihen zu lassen. Die Adresse auf dem Bestellschein kannte ich. Der Wohnblock lag in einer Straße, die ich auf meinem Weg zur Arbeit täglich entlangging.

    Selbstaufopfernd würde ich das Buch höchstpersönlich bei der Kundin abliefern. Das konnte ich gut auf dem Heimweg erledigen – und hätte somit auch die Gefahr ausgeschaltet, dass mich Sylvia beim Kontakt mit der Kundin beobachtete.

    Als ich am Abend das Ladenlokal hinter mir schloss, hatte ich das Gefühl, mein kleiner Rucksack, den ich immer dabei hatte, müsste mindestens zwei Tonnen wiegen. Meine Idee, die sich so wunderbar gut und genial angehört hatte, brachte mich jetzt gewaltig ins Schwitzen. Ich hatte mich hoffnungslos in eine blonde Kundin verguckt, war auf dem Weg zu ihr nach Hause – und besaß nicht den Schimmer eines Plans, wie ich mich verhalten sollte, wenn sie mir tatsächlich die Tür öffnen würde.

    In diesem sehr unpassenden Moment kam mir natürlich auch wieder in den Sinn, dass diese Frau für mich absolut unerreichbar war, da sie bereits

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