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Endlich gefunden
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eBook267 Seiten3 Stunden

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Über dieses E-Book

Krankenschwester Hanna hat sich gerade aus der unheilvollen Beziehung zu Birte gelöst, als ihr eine Fremde für einen kurzen Moment den Kopf verdreht. Zurück im Arbeitsalltag nimmt Hanna erst nach langer Zeit wieder via Internet Kontakt zu anderen Frauen auf. Die Überraschung folgt auf dem Fuß, doch ist die Traumfrau tatsächlich endlich gefunden?
SpracheDeutsch
Herausgeberédition eles
Erscheinungsdatum29. Apr. 2013
ISBN9783941598881
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    Buchvorschau

    Endlich gefunden - Victoria Pearl

    Victoria Pearl

    ENDLICH GEFUNDEN

    Roman

    Originalausgabe:

    © 2008

    ePUB-Edition:

    © 2013

    édition el!es

    www.elles.de

    info@elles.de

    Alle Rechte vorbehalten.

    ISBN 978-3-941598-88-1

    1

    »Ich geh’ jetzt!« Hanna drehte sich nach Birte um.

    Die saß auf der Couch, blätterte abwesend in einer Zeitschrift und blickte nur kurz auf. »Wohin?« fragte sie desinteressiert.

    Oh Frau, seufzte Hanna stumm, siehst du meinen Koffer denn nicht? »Weg von dir«, sagte sie schwach.

    Birte nickte. »Das nehm’ ich an«, erwiderte sie lakonisch, »schließlich komme ich ja nicht mit.«

    Die beiden Frauen schwiegen.

    Wieso hält sie mich nicht auf? Warum unternimmt sie nichts? Sind ihr die zwei Jahre, die wir gemeinsam verbracht haben, so egal?

    Hanna stand immer noch unschlüssig vor der Wohnungstür. Sie gab sich einen Ruck, als sie das Rascheln des Papiers hörte. Birte hatte eine Seite umgeblättert, las anscheinend interessiert einen Bericht.

    »Also, ich geh’ jetzt«, versuchte Hanna noch einmal auf sich aufmerksam zu machen.

    »Ich weiß, das sagtest du schon«, knurrte Birte undeutlich. »Immer diese leeren Versprechungen«, hörte Hanna noch.

    »Ich . . . du hast . . .« Hannas Stimme brach. Nein, sie durfte jetzt nicht schwach werden. Sie musste gehen, sie hatte es so oft angedroht, nun musste sie endlich konsequent sein. »Ein schönes Leben noch«, murmelte sie, griff nach ihrer Tasche und öffnete die Tür.

    Entschlossen trat sie ins Treppenhaus, angelte nach dem Türgriff und wäre dabei fast über den ersten Treppenabsatz gestolpert. Die Tür fiel mit einem gewaltigen Rums ins Schloss.

    »Entsch. . .« Nein, sie würde sich bei niemandem mehr entschuldigen!

    Hanna balancierte vorsichtig die lange Treppe hinab. Sie musste aufpassen, dass sie keine Stufe verpasste, denn eine Flugeinlage mit diesem Gepäck würde sie direkt ins Krankenhaus befördern.

    Das kleine Auto hatte Hanna bereits am Nachmittag mit den wenigen größeren Gegenständen, die ihr gehörten, beladen. Nun schob sie den Koffer auf den Rücksitz und zwängte die Tasche zwischen die Sitze.

    Nach etlichen Versuchen entkam Hanna der engen Parklücke und fuhr in Richtung Innenstadt. Sie würde die Stadt verlassen, irgendwohin fahren, wo sie nichts an die vergangen beiden Jahre erinnerte, ein neues Leben beginnen. Zum wievielten Mal tat sie das? Hanna wusste es nicht, hatte irgendwann aufgehört, Enden und Neuanfänge zu zählen.

    Vielleicht, überlegte sie jetzt, war nie etwas zu Ende gegangen. Möglicherweise redete sie sich diese neuen Anfänge, diese neuen Leben einfach nur ein?

    Die Kassiererin war nicht begeistert, als Hanna ihr Konto auflöste. Sie wollte darauf bestehen, dass Hanna eine Auflösung hätte vorankündigen müssen. Als sie jedoch sah, wie klein das Guthaben war, beruhigte sich die gewissenhafte Frau erstaunlich schnell und wickelte das Geschäft ohne weitere Einwände ab.

    Nun war die Bahn frei. Hanna atmete erleichtert durch. Birte existierte nicht mehr. Die Verletzungen, die sie Hanna zugefügt hatte, würden verheilen.

    Hanna wählte für ihre Flucht die Autobahn nach Süden. Irgendwo wollte sie die Bahn verlassen, eine neue Stadt finden, die sie aufnahm, ihr einen Job bot und sie ihr Leben leben ließ.

    Sie dachte kurz daran, bei ihrer Mutter vorbeizuschauen, doch sie verwarf den Gedanken so schnell wieder, wie er gekommen war. Sie hatten sich nichts zu sagen – seit Jahren nicht mehr. Mit Schauern erinnerte sich Hanna an die gezwungene Atmosphäre, die bei den letzten Besuchen geherrscht hatte. Sie war der irrigen Meinung gewesen, eine Mutter würde ihrem Kind immer nur das Beste für sein Leben wünschen, egal, welchen Weg es eingeschlagen hatte. Das verhielt sich in ihrem Fall indes ganz anders, wie Hanna schmerzlich hatte erfahren müssen. Sie wollte keine weiteren Auseinandersetzungen mehr, keine Anschuldigungen hören, keine Verletzungen mehr.

    Das kleine Auto, bereits ziemlich in die Jahre gekommen, schnurrte zuverlässig und beruhigend. Kilometer um Kilometer legte Hanna zwischen sich und ein weiteres Kapitel Vergangenheit.

    Irgendwann wurde die Stille im Wagen so ohrenbetäubend, dass Hanna das Radio einschaltete. Ein bisschen Unterhaltung konnte nicht schaden, dachte sie und summte auch gleich beim nächsten Lied, einem aktuellen Hit aus der Abteilung Schmusesong, mit. Spätestens nach dem dritten Titel wusste Hanna, dass sie einen Schlagersender erwischt hatte.

    »Du hast mich tausendmal belogen«, sang da eine weibliche Stimme. Erschrocken stellte Hanna das Radio ab.

    Sie war doch fertig mit Birte, mit ihren Seitensprüngen, mit ihren Lügen, mit ihrer Verachtung, mit ihrer quälenden Gleichgültigkeit! Warum stiegen ihr jetzt die Tränen in die Augen? Warum fühlte sie diesen stechenden Schmerz in ihrer Brust?

    Hanna verließ die Autobahn bei der nächsten Raststätte. Sie suchte sich einen freien Parkplatz möglichst weit entfernt von Tankstelle und Restaurant. Nachdem Hanna den Motor abgestellt hatte, blieb sie sitzen. Sie legte ihren Kopf auf die auf dem Lenkrad verschränkten Hände – und ließ ihren Tränen freien Lauf.

    »Scheiße«, murmelte Hanna vor sich hin. »Ein wunderschöner, heißer Sommertag und du hockst da und heulst!«

    Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Gedanken zu Birte zurückkehrten. Birte! Eine attraktive, selbstbewusste Frau. Eine Frau, die ihr aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse ein sorgenfreies Leben bieten konnte. Sie war der Grund gewesen, dass Hanna ihr Leben als Krankenschwester aufgegeben hatte, dass sie statt zwei Wochen zwei Jahre in einer ihr fremden Stadt geblieben war, dass sie alle Brücken hinter sich hatte zerbröckeln lassen. Sie war es gewesen, die sie mit ihrer Leidenschaft an sich gebunden hatte, die ihr nicht nur die Sterne, sondern gleich den ganzen Himmel zu Füßen legen wollte. Irgendwann war Hanna aufgewacht – und hatte sich in einer Hölle aus Eifersucht und Misstrauen wiedergefunden.

    Hanna schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit. Mit einem Blick auf ihre Siebensachen, die sich in dem kleinen Auto befanden, begann sie sich zu überlegen, was sie als nächstes anstellen sollte. Alles hatte sie dabei, was sie zum Leben brauchte, was ihr im Leben noch wichtig war.

    Ein verdammt kleines Leben, dachte Hanna, wenn es in ein Auto passt!

    Erneut rollten Tränen über ihr Gesicht. Sie war erschöpft, emotional ausgelaugt und, wenn sie ehrlich war, hatte sie Angst vor dem, was kommen würde.

    »Hallo?«

    Hanna reagierte nicht.

    »Hallo, Sie da!«

    Die Stimme klang irgendwie besorgt, doch Hanna konnte nicht gemeint sein, also hielt sie die Augen weiterhin geschlossen.

    »Geht es Ihnen nicht gut?« Jetzt klopfte jemand an die halbgeöffnete Scheibe.

    Hanna schreckte hoch. Hektisch sah sie sich nach der Störquelle um.

    Eine mittelgroße, dunkelhaarige Frau stand neben ihrem Auto und blickte Hanna aus fast schwarzen Augen fragend an.

    »Sind Sie in Ordnung?« fragte sie noch einmal. Als Hanna noch immer nichts erwiderte, runzelte die Frau, sie mochte um die vierzig sein, die Stirn. »Können Sie mich verstehen?« forschte sie mit ihrer leicht kratzenden Stimme.

    Hanna nickte automatisch. Natürlich verstand sie Deutsch!

    »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« Die Frau schien inzwischen ernsthaft besorgt.

    Was weiß die schon? Mir kann niemand helfen, wenn ich mir nicht selbst helfen kann!

    Ungeduldig schüttelte Hanna den Kopf. Sie wünschte sich, die Fremde würde endlich gehen, sie in Ruhe weinen lassen.

    Doch sie dachte nicht daran. Statt sich mit den Kopfzeichen zufriedenzugeben, griff sie nach dem Türgriff, öffnete die Tür mit einem Ruck und neigte sich über Hanna.

    Hanna fuhr erschrocken zurück. Sie hatte schon gehört, dass auf Raststätten häufig Überfälle stattfanden, doch bei ihr war überhaupt nichts zu holen. Instinktiv griff Hanna nach ihrem kleinen Rucksack und umklammerte ihn.

    Verdutzt und fragend blickte die fremde Frau in Hannas angstgeweitete Augen. »Oh, entschuldigen Sie«, flüsterte sie betroffen und trat einen Schritt zurück. »Ich wollte Sie nicht erschrecken. Bitte verzeihen Sie.«

    Unschlüssig stand die Fremde vor der geöffneten Tür. Sie drehte sich schließlich um und ging einige Schritte vom Fahrzeug weg. Dann hob sie die Schultern und kam wieder zurück. »Ich will nicht aufdringlich sein«, begann sie leise und behutsam, »aber ich glaube, Sie könnten etwas frische Luft und vielleicht ein Getränk vertragen.«

    Besorgt fragte sich Hanna, ob sie tatsächlich so bedauernswert aussah, doch sie wagte nicht in den Spiegel zu blicken. Mit einem unwilligen Kopfschütteln versuchte sie die Fremde endlich zu vertreiben. Es gelang ihr nicht, sie stand einfach da und wartete.

    »Ich . . . Mir geht’s gut«, erklärte Hanna mit heiserer Stimme.

    »Das glaube ich nicht«, widersprach die andere sofort. »Steigen Sie endlich aus diesem Schwitzkasten aus, ehe Sie einen Hitzeschlag erleiden!« befahl sie.

    Erst jetzt nahm Hanna wahr, wie heiß es tatsächlich war. Ihr rann der Schweiß über den Rücken, das T-Shirt klebte an ihrem Oberkörper, und der Sitz unter ihren nackten Schenkeln fühlte sich feucht an.

    Vielleicht hatte die Fremde ja recht, überlegte Hanna, vielleicht sollte sie sich eine kurze Pause gönnen.

    Hanna stieg aus, versuchte unauffällig ihre Shorts etwas weiter nach unten zu ziehen.

    Jetzt hätte die Dunkelhaarige gehen können, sie hatte erreicht, was sie wollte und Hanna vor dem Hitzschlag bewahrt. Doch die Fremde wartete, bis Hanna sie ansah.

    »Kommen Sie mit«, forderte sie sie auf und ging ein paar Schritte voraus. »Da vorn ist es schattig.«

    Was sollte Hanna machen? Die Frau vor ihr war so bestimmend und würde nicht lockerlassen.

    Hanna folgte ihrer Retterin, die zielstrebig einen leicht erhöhten Platz ansteuerte, auf dem Tische und Bänke scheinbar wahllos unter die schattigen Bäume gemauert worden waren. Mit einem Seitenblick auf Hanna holte die Dunkelhaarige eine leichte Strickjacke aus ihrer Umhängetasche, legte sie unter einen Baum und bedeutete Hanna, sich darauf niederzulassen. Auch diesmal gehorchte Hanna, sie nahm auch die Wasserflasche, die ihr die Fremde reichte, entgegen und besann sich sogar darauf, was man damit anstellen konnte. Nach einigen kräftigen Schlucken aus der erstaunlich kühlen Flasche merkte Hanna, wie ihre Lebensgeister allmählich zurückkehrten.

    »Ich . . . bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihnen solche Umstände bereite«, stammelte sie.

    Die Fremde, die sich neben sie ins Gras gesetzt hatte, reagierte nur mit einem unwilligen Kopfschütteln.

    Es drängte Hanna, ihr zu erklären, dass sie keine Hilfe brauchte. »Wissen Sie, ich war in Gedanken und habe nicht gemerkt, wie heiß es war. Aber jetzt ist alles wieder in Ordnung. Danke.«

    Hanna fand, dass sie das recht gut hinbekommen hatte, doch die Dunkelhaarige gab sich gänzlich unbeeindruckt. Sie blieb einfach sitzen und beobachtete Hanna, die unter dem prüfenden Blick aus den dunklen Augen immer nervöser wurde.

    Was zur Hölle will sie? fragte sie sich. Um sich abzulenken, griff sie wieder nach der Wasserflasche.

    »Ihnen scheint jemand ziemlich übel mitgespielt zu haben«, vernahm Hanna plötzlich die leicht kratzende Stimme neben sich.

    Sie drehte den Kopf nicht, sondern starrte weiter auf den unter ihr liegenden Parkplatz.

    Die Stimme wurde weich: »Vielleicht würde es Ihnen helfen, darüber zu reden. Ich weiß, wir kennen uns nicht, doch genau das könnte sich als Vorteil erweisen, meinen Sie nicht?«

    Hanna kämpfte mit sich. Einerseits hätte sie sich der Frau am liebsten in die Arme geworfen, sich von ihr trösten lassen – das hätte die andere bestimmt getan, denn sie schien unter einer ausgeprägten Form des Helfersyndroms zu leiden –, auf der anderen Seite wollte Hanna allein sein, wollte sich in ihrem Schmerz vergraben, einschlafen und nie wieder aufwachen.

    Sie tat nichts von beidem, statt dessen stand sie trotzig auf und meinte: »Ich habe noch eine lange Fahrt vor mir. Nochmals danke für Ihre Hilfe.«

    Hanna wollte sich schwungvoll auf dem Absatz drehen, um wieder auf den schmalen Kiesweg zu gelangen, doch sie hatte ihre körperliche Verfassung überschätzt. Statt eines eindrucksvollen Abgangs legte sie fast eine Bauchlandung aufs Tapet.

    Im letzten Moment war die Fremde aufgesprungen und fing die fallende Hanna auf. Jetzt lag sie also doch plötzlich in den Armen der Dunkelhaarigen. Die Wärme und die Weichheit, die dieser Körper, der Hanna umfangen hielt, ausstrahlte, waren zuviel für sie. Hanna konnte es nicht verhindern, dass ihr die Tränen in die Augen schossen. Das hier fühlte sich gut an, ganz so, als müsste es sein. Die beruhigend streichelnde Hand auf ihrem Rücken nahm ihr die letzte Selbstbeherrschung, Hanna weinte hemmungslos.

    Minuten waren vergangen, keine der beiden Frauen sprach. Das beruhigende Streicheln hatte nicht aufgehört, sondern sich gar auf Hannas Gesicht ausgeweitet. Allmählich versiegten die Tränen.

    Krampfhaft überlegte sich Hanna eine Entschuldigung oder zumindest eine Erklärung für ihr peinliches Verhalten. Sie hatte sich aufgeführt wie ein Kleinkind und nicht wie eine erwachsene Frau, die sich mit großen Schritten der Vierzig näherte.

    »Sag nichts«, flüsterte die Dunkelhaarige an Hannas Ohr, als sie gerade Luft holte, um zu sprechen.

    »Aber ich . . . es tut mir . . .«

    Weiter kam Hanna nicht, denn die Fremde legte ihr den Finger auf die Lippen und lächelte fast wehmütig. »Unsere Wege haben sich nur für einen kurzen Moment gekreuzt«, sagte sie leise. »Ich muss gehen . . . leider . . .« Die Frau griff nach der Strickjacke und entfernte sich mit schnellen Schritten.

    Hanna blickte ihr verwirrt nach. Sollte sie dem Impuls nachgeben und ihr hinterherrennen? Bis sich Hanna jedoch zu einer Entscheidung durchgerungen hatte, war die andere bereits zwischen den Autos verschwunden. Welches ihr Fahrzeug hätte sein können, ließ sich nicht ausmachen, es gab viel zu viele Möglichkeiten.

    Was war das für ein seltsamer Tag, überlegte Hanna. Sie bückte sich nach der Wasserflasche, die ihre Retterin zurückgelassen hatte.

    Ein Zeichen? Hanna lachte über diesen verrückten Gedanken, es war doch nur eine ganz gewöhnliche Wasserflasche, wie man sie in jedem Supermarkt kaufen konnte. Da sie noch halb voll war, nahm sie Hanna mit zu ihrem Auto. Sie entschloss sich, noch schnell die Toiletten aufzusuchen, sich frisch zu machen und auch etwas zu essen, denn ihr war in den Sinn gekommen, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr zu sich genommen hatte.

    2

    »Wer hat das verordnet?« Schwester Klaras Stimme donnerte durch die kleine Teeküche, in der sich die Stationsschwestern zu einer kurzen Pause getroffen hatten.

    Hanna zuckte mit den Achseln. »Wer wohl? Doktor Heimer natürlich«, antwortete sie. Es bedurfte keiner hellseherischen Fähigkeiten, um drauf zu kommen, fand sie.

    »Wenn ich den in die Finger kriege!« schäumte die Oberschwester. »Es ist schon das dritte Mal heute, dass wir das Bett von Frau Sturm neu beziehen müssen. Dieser Idiot!«

    Niemand ging auf diesen Wutausbruch ein, denn Schwester Klara würde sich von selbst beruhigen. Und Doktor Heimer . . . er war nun mal der Oberarzt auf der Station. Seine Anweisungen erschienen dem geschulten Personal des Lindenkrankenhauses oft seltsam, aber es nahm nie jemand Schaden. Die Tage des Chefs waren gezählt, das hofften jedenfalls alle, seine Gedanken weilten seit Monaten beim Golfplatz in Spanien, wohin er sich nach seiner Pensionierung zurückziehen würde.

    Im Krankhaus erzählte man sich die tollsten Geschichten über die Heldentaten des einst so genialen Chirurgen, der sich seine Karriere durch seine Spielsucht verbaut hatte und schließlich als Stationsarzt auf seinen unspektakulären Abschied wartete. Zwischen ihm und Schwester Klara hatte vor langer, langer Zeit eine heimliche Beziehung bestanden, von der natürlich alle im Krankenhaus Kenntnis hatten. Der Arzt versprach der Oberschwester wohl immer wieder, die Scheidung von seiner Frau einzureichen, doch es blieb bei leeren Worten. Dass sich Schwester Klara von Heimer abwandte, lag jedoch schließlich an einer weiteren Affäre des Geliebten, von der sie durch absichtliche Indiskretionen in der Cafeteria hatte erfahren müssen. Seither gingen alle in Deckung, wenn sich die beiden über den Weg liefen, denn man konnte nie sicher sein, wem die Sicherung durchbrennen würde.

    Schwester Klara hatte die Demütigung nie verwunden, die ihr Heimer zugefügt hatte, der Arzt seinerseits macht Klara für das Ende seiner bequemen Ehe verantwortlich. Selbst Jahre nach dieser für das gesamte Krankenhauspersonal interessanten Zeit wusste niemand mit Bestimmtheit zu sagen, wer Heimers Frau die verschiedenen Affären ihres Ex-Mannes gesteckt hatte.

    »Hey, träumst du?« Belinda riss Hanna unsanft aus ihren Gedanken. Die untersetzte Mittfünfzigerin, die es nicht lassen konnte, ihr Haar auffallend zu blondieren, war Hannas Stütze, Freundin, Nachrichtenmagazin und Stadtführerin. Keine kannte sich besser im Krankenhaus und dem Ort aus als sie. Mit mütterlicher Fürsorge hatte sie Hanna bei ihrem Stellenantritt vor über einem Jahr unter ihre Fittiche genommen und ihr so manchen Stolperstein aus dem Weg geräumt.

    »Ach, ich dachte gerade über den verletzten Stolz der Frauen nach«, gab Hanna lachend zur Antwort.

    »Diese alte Geschichte«, brummte Belinda. »Man sollte meinen, dass auch verletzter Stolz irgendwann mal verjährt. Kindergarten, das! Wir müssen los, ist gleich Visite«, informierte sie Hanna, die der Aufforderung sogleich Folge leistete.

    Zum Glück hatte sie heute keinen Nachtdienst, dachte Hanna, als sie gegen acht Uhr das Krankenhaus endlich verließ. Die Abführmittel, die Frau Sturm bekommen hatte, wirkten immer noch.

    »Gehen wir noch auf einen Absacker zu Billy?« fragte Belinda, die Hanna keuchend eingeholt hatte.

    »Nein, heute lieber nicht«, antwortete Hanna, »ich muss noch Bücher sortieren.«

    Belinda schnaufte: »Du und deine Bücher! Wie lange wohnst du schon in dieser Wohnung?« Sie gab die Antwort gleich selbst: »Ein Jahr, Süße! Ich kann nicht verstehen, dass du sie noch immer nicht fertig eingerichtet hast. Das ist doch kein Leben.«

    »Ich habe nun mal ein kleines Leben, in dem es nur langsam vorwärts geht, wenn überhaupt«, erwiderte Hanna leicht verschnupft.

    Belinda hatte ja recht, sie wusste es. Aber Hanna hatte sich lange nicht aufraffen können, so etwas wie Ordnung in ihr Leben zu bringen, und es fiel ihr auch heute noch schwer, diese Stadt und die Wohnung als ihr Zuhause anzusehen. Sie hatte monatelang aus Kisten, Taschen und Koffern gelebt.

    Die Wohnung, über die sie in einem Supermarkt fast gestolpert war – das schwarze Brett, an dem sie angeschlagen war, hatte sich aus der Verankerung gelöst und stand so ungünstig, dass man einen Bogen drum herum machen musste – war lange Zeit nur mit einer Stehlampe, einer Luftmatratze, ein bisschen Geschirr und natürlich den paar Kisten bestückt gewesen.

    Belinda hatte sie aus ihrer Lethargie herausgerissen, nachdem sie ziemlich klare Worte für das Chaos in der kleinen Wohnung gefunden hatte. Hanna schmerzten die Arme, wenn sie daran dachte, wie Belinda sie nach ihrem ersten Besuch in ihrer Bleibe fast täglich in irgendwelche Geschäfte geschleppt hatte und unnachgiebig darauf bestanden hatte, dass sie sich Möbel, Gestelle, Regale und weiß Gott was alles anschaffte.

    Da Hanna nichts mehr sagte, schwieg auch Belinda. Nach kurzer Zeit jedoch meinte ihre Freundin: »Wenn du nicht mitkommen willst, ist das deine Sache. Ich frage mich aber, wie du jemals wieder jemanden finden willst, wenn du dich hinter deinen Büchern verkriechst.«

    »Ich bin noch nicht soweit«, schnappte Hanna. »Außerdem kann es doch sein, dass ich gar niemanden finden will, oder?«

    Belinda setzte ihr mitleidiges Lächeln auf, das Hanna des Öfteren schon fast in den Wahnsinn getrieben hatte. »Niemand will wirklich allein sein, das ist nur eine Ausrede! Du bist verletzt worden von wem auch immer, du bist geflüchtet, aber du hast deine Vergangenheit mitgenommen. Wenn du sie nicht endlich abschließt, bleibst du allein.«

    »Danke, Frau Psychologin«, gähnte Hanna betont gelangweilt. Sie hatten diese Diskussion schon so oft geführt.

    »Ich weiß, ich weiß«, seufzte Belinda. »Du willst kein Risiko mehr eingehen. Aber ohne Risiko geht gar nichts, Herzchen! Liebe ist immer ein Wagnis, aber ein Leben ohne Liebe ist weniger als ein kleines Leben!«

    Der

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