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Mitten ins Herz: I Can't Think Straight
Mitten ins Herz: I Can't Think Straight
Mitten ins Herz: I Can't Think Straight
eBook247 Seiten10 Stunden

Mitten ins Herz: I Can't Think Straight

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Über dieses E-Book

Amman, Jordanien. Drei Hochzeiten hat die temperamentvolle Palästinenserin Tala, Tochter aus reichem Hause, bereits platzen lassen. Ihre Mutter, stets um den Ruf der Familie besorgt, schäumt vor Wut. Und Tala verspricht: Der vierte Versuch wird klappen! Der Bräutigam ist ein Traummann, und in Amman laufen die Hochzeitsvorbereitungen auf Hochtouren. Da trifft Tala in London ihren alten Freund Ali wieder - und dessen neue Freundin Leyla, die aus einer gutbürgerlichen indischen Familie stammt und lieber Geschichten schreibt, als in der Firma ihres Vaters zu arbeiten. Bald schon geht Tala Leyla nicht mehr aus dem Sinn ...

Zwei Kulturen. Zwei Traditionen. Eine leidenschaftliche Liebe - mitten ins Herz.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum17. Okt. 2013
ISBN9783944576176
Mitten ins Herz: I Can't Think Straight

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    Buchvorschau

    Mitten ins Herz - Shamim Sarif

    FRAUEN IM SINN

    Verlag Krug & Schadenberg

    Literatur deutschsprachiger und internationaler

    Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,

    historische Romane, Erzählungen)

    Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen

    rund um das lesbische Leben

    Bitte besuchen Sie uns: www.krugschadenberg.de.

    Shamim Sarif

    Mitten ins Herz

    Roman

    Aus dem Englischen

    von Andrea Krug

    K+S digital

    Für Hanan, Liebe meines Lebens, die mich gelehrt hat, dass die Wahrheit wundersamer als Dichtung sein kann – und sehr viel schöner.

    Und für Ethan und Luca, meine Lieben, mein Leben.

    KAPITEL 1

    Amman, Jordanien

    Eigentlich ging es jetzt darum, sich anzukleiden – die Zeit wurde gefährlich knapp. Reema konnte die letzte Stunde vor Beginn der Verlobungsfeier ihrer Tochter kaum damit zubringen, sich mit Halawani wegen der Torte zu streiten. Der wulstige Streifen aus goldenem Zuckerguss, der langsam die Stofftapete in der großen Eingangshalle herabglitt, bewies eindeutig, dass es ihr eigenes dusseliges Personal war, das die Torte ruiniert hatte – vermutlich Rani, die den filigranen Turm aus weichem Biskuit und spitz zulaufendem Tortenguss eilfertig übernommen hatte und dann unter dem unvermuteten Gewicht gegen die Wand getaumelt war. Woraus backte Halawani seine Torten bloß, dass sie dermaßen schwer wurden? Als ginge es in erster Linie darum, dass das Ding möglichst mächtig und massig war. Vielleicht hätte sie die Torte besser in London bestellt, oder besser noch in Paris. Aber wenn Reema sich selbst gegenüber ehrlich gewesen wäre (was sie ihr Leben lang erfolgreich vermieden hatte, denn eine ehrliche Betrachtung der eigenen Beweggründe schaffte mehr Ärger als zu bewältigen sie die Energie oder Neigung hatte), hätte sie sich eingestanden, dass ihre Tochter das ihrer Meinung nach nicht verdient hatte. Nicht anlässlich ihrer vierten Verlobung. Drei französische Biskuittorten waren bereits geliefert, bewundert und verspeist worden, und dann hatte sie das bittere Aufstoßen zu schmecken bekommen, als die Verlobungen gelöst worden waren. Diesmal jedoch war sie sicher, dass das Verlöbnis halten würde. Diesmal hoffte sie, dass Tala im Alter von achtundzwanzig Jahren und trotz zweier teurer amerikanischer Universitätsabschlüsse endlich die wichtigste Lektion ihres Lebens gelernt hatte: dass die Vorstellung von der großen Liebe nichts als ein romantischer Traum war. Dem Frauen sich allerdings gern hingaben. Reema selbst las gern Liebesromane und sah sich Liebesfilme im Fernsehen an. Aber nicht ohne Grund gehörten Liebe und Leidenschaft in den Bereich der Wunschträume, und diese Lektion zu lernen war eine Aufgabe des Reifens, fand Reema, ein Herauswachsen aus der Hitzköpfigkeit der Jugend. In der vergangenen Woche hatte sie erfreut festgestellt, dass das Gesicht ihrer Tochter eine zufriedene Ruhe zeigte, die unvertraut, aber höchst willkommen war. Und dennoch keimte ein nagendes Gefühl von nervöser Anspannung in Reemas Brust auf. Das Problem mit Tala war, dass sie immer das tat, womit man am wenigsten rechnete. Und wenn sie diese Verlobung wieder ruinierte, wenn auch dieses Verlöbnis nicht hielt, dann wäre es Reemas einziger schwacher Trost, dass sie kein Geld für eine importierte Torte vergeudet hätte.

    Tala zuckte kaum zusammen, als sie beobachtete, wie ihre Verlobungstorte gegen die Wand klatschte. Sie stand oben auf dem Treppenabsatz, beugte sich still über das Geländer, ohne dass jemand sie bemerkte, und beobachtete das hektische Treiben unten in der Halle. Mitten in den Partyvorbereitungen stritten ihre Mutter und der Konditor sich über die ruinierte Torte. Tala betrachtete die beiden, ihre Bewegungen und heftigen Gesten, sie vernahm ihre Stimmen, wütend, beschwörend. Dann wandte sie sich um und kehrte in ihr Zimmer zurück. Sie schloss die Tür, lehnte sich dagegen und stand einen Moment einfach da, als brauche sie etwas, das ihr Halt bot. Ihre Augen glitten zu ihrem Schreibtisch, ihrem Laptop, ihrer Arbeit. Sie setzte sich, um einen Vertrag durchzusehen, der ihr am Morgen geschickt worden war. Das weiche Gleiten des Bleistifts über das steife Papier beruhigte sie ein wenig, bis sie vom Klingeln ihres Handys unterbrochen wurde. Sie nahm das Gespräch entgegen, ohne mit dem Schreiben innezuhalten.

    »Wir könnten einfach durchbrennen, weißt du.«

    Sie lächelte beim Klang von Hanis Stimme.

    »Aber dann würde es dir entgehen, mich aufgebrezelt wie ein Bond-Girl zu sehen«, antwortete sie trocken. Er lachte.

    »Bei euch geht’s bestimmt zu wie im Irrenhaus – mit all den Vorbereitungen und so.«

    Tala hatte gerade drei Fehler in einem Absatz entdeckt und antwortete nicht schnell genug.

    »Tala? Du arbeitest doch nicht etwa? Eine halbe Stunde vor Beginn unserer Verlobungsfeier!«

    Tala legte die Papiere auf den Schreibtisch und beugte sich auf ihrem Stuhl vor. »Es ist mein erster Auftrag, Hani. Ich muss zusehen, dass alles klappt. Mein Vater drängt mich jetzt schon, wieder ins Familienunternehmen zurückzukehren.«

    »Du wirst das schon hinkriegen«, erwiderte er, und seine Stimme klang ernst und zugewandt. »Ganz sicher. Ich liebe dich, Tala.«

    Tala lächelte. »Ich dich auch, Hani. Ich dich auch.«

    Nach dem Ende des Telefonats wandte sie sich nicht gleich wieder ihrer Arbeit zu, sondern saß einen Augenblick still da – eine dieser kleinen Pausen, die sie sich in ihrem Tagesablauf nur selten erlaubte. Von draußen aus dem Garten drang Musik zu ihr herauf – die Band testete Mikrofone und Lautsprecher. Tala schloss die Augen und runzelte die Stirn. Sie versuchte das Lied zu erkennen, das gesungen wurde. Liebeskummer und Trauer schienen in der weichen, geschmeidigen Frauenstimme zu liegen, deren reiches Volumen die Töne wie warmer Sirup umschmeichelte. Die Verzierungen, die Modulation, das kurze Innehalten wie das Aussetzen eines Herzschlags, wenn die Stimme sich hob oder senkte, waren östlich geprägt, unverkennbar arabisch. Doch die Stimme wurde vom Flamenco-Rhythmus einer Gitarre getragen und in die Höhe begleitet vom eindringlichen schmerzlichen Klang zweier Geigen. Tala lauschte noch einen Moment, bis die Band ihre Probe unvermittelt abbrach; dann konzentrierte sie sich wieder voll und ganz auf das Vertragswerk.

    Reema warf einen Blick auf die Küchenuhr. Seit einer Viertelstunde versuchte sie nun schon, Halawani dazu zu bewegen, die Torte wieder mitzunehmen und auszubessern, was er standhaft verweigerte, weil sie das als ein Schuldeingeständnis seinerseits hätte deuten können (was sie natürlich auch getan hätte). Sie machte auf ihrem samtbezogenen Absatz kehrt, ließ die gegenseitigen Schuldzuweisungen, die zwischen Konditor und Personal hin- und herflogen, hinter sich – ganz zu schweigen von dem nervtötenden Kreischen der Mikrofone, die draußen getestet wurden, und dem irritierenden Anblick ihres hochnervösen Mannes, der zusah, wie zweihundert Gedecke aus Silber und steifem Leinen überprüft wurden – und schritt über die schweren Platten aus reinem Marmor, mit denen das Erdgeschoss des Hauses ausgelegt war und dessen Struktur an die von zarten Adern durchzogene makellose Haut einer Frau erinnerte. Bedachtsam betrat sie die breitgeschwungene Treppe und schritt hinauf, als verlasse sie einen Raum mit hundert Bewunderern. Es war eine ihrer kleinen Vergnügungen, dieses Hinaufschreiten der Treppe, die solch ein Prachtstück war, solch eine Theaterbühne, die sich hoch über den weiträumigen Wohnbereich emporschwang. Oben angekommen, wandte sie sich nach links (im rechten Flügel befanden sich die Räume ihrer Töchter) und durchquerte den breiten Flur bis zu ihrem Schlafzimmer. Das Bett war von gigantischem Ausmaß, dekoriert mit einer erlesenen Auswahl an Kissen aus Samt und Seide. Ihr gefiel die romantische Anmutung, die in der handbemalten Tapete, den blumig-duftigen Vorhängen und dem satten Rosa der Sofas, die den Sitzbereich bildeten, ihren Ausdruck fand. In Anbetracht der Zeit ging Reema schnurstracks in ihr Ankleidezimmer hinüber, wo sie das langersehnte Vergnügen einer starken Zigarette erwartete.

    Rani, ihre indische Haushälterin, stand mitten im Zimmer und hielt zwei glitzernde Abendkleider in die Höhe – mit ausgestreckten Armen, damit die Säume nicht den Teppich berührten. Ihr Bemühen war nicht wirklich von Erfolg gekrönt, weil sie einen guten Kopf kleiner war als Reema.

    Reema hielt inne und ließ den Blick konzentriert erst über das eine, dann über das andere Kleid gleiten. Sie wies mit dem Finger: »Das!«

    »Jawohl, Madam.« Erleichtert legte Rani die Kleider hin. Ihr taten schon die Arme weh.

    »Wo ist mein Kaffee?«

    »Kommt sofort, Madam.«

    Reema ließ sich auf den weichgepolsterten samtbezogenen Stuhl vor dem hohen dreiteiligen Spiegel sinken. Sie steckte die Zigarette in eine schlanke schwarze Spitze, zündete sie mit einem Alabaster-Feuerzeug an und lehnte sich zurück. Ihr Gesicht war nicht schlecht, fand sie. Nicht für eine dreifache Mutter von vierundfünfzig Jahren. Sie stieß eine Wolke Zigarettenrauch aus. Sie war sich bewusst, dass das fortwährende Rauchen die Falten um Augen und Mund vertiefte, aber es war nicht so schlimm wie bei den anderen Frauen in ihrer Bridge-Gruppe (außer bei Dina, aber alle wussten, dass dieser brasilianische Schönheitschirurg praktisch auf ihrer Gehaltsliste stand).

    Rani kehrte mit einer Kanne arabischen Kaffees und einer kleinen silbernen Tasse zurück. Sie stellte beides auf dem Tisch hinter Reema ab, schenkte eine Tasse der dampfenden dunklen Flüssigkeit ein und, mit einem Seitenblick auf die ahnungslose Reema, spuckte leise hinein.

    »Ihr Kaffee, Madam.« Rani durchquerte das Zimmer und bot Reema höflich die Tasse an. Sie beobachtete eifrig, wie Reema die Tasse an die Lippen hob, aber nur um zu pusten.

    »Wo ist mein Mann?«

    »Im Garten, Madam.«

    »Hat Tala in das Kleid hineingepasst?«, fragte Reema. »Beim Lunch wollte sie gar nicht aufhören zu essen.«

    »Es saß wie angegossen, Madam.« Rani sah zu, wie die Kaffeetasse sachte geschwenkt wurde, damit der Kaffee ein wenig abkühlte. Lass sie trinken, betete sie. Lass sie ihn trinken.

    »Lamia – hast du ihr Kleid enger gemacht?«

    Rani nickte. »Um zwei Zentimeter, Madam.«

    Zufrieden hob Reema die Tasse, um zu trinken, aber dann fiel ihr ihre jüngste Tochter ein. Rani trat von einem Fuß auf den anderen.

    »Hat Zina das goldene Kleid gefallen, das ich für sie ausgesucht habe?« Die Tasse berührte Reemas Lippen, neigte sich für den ersten Schluck.

    »Sie fand es großartig, Madam.« Ranis ausgesucht sanfter Tonfall sollte den Sarkasmus in ihrer Stimme kaschieren, aber er veranlasste Reema, die Tasse sinken zu lassen und ihrer Haushälterin einen misstrauischen Blick zuzuwerfen. Rani lächelte strahlend, ermutigend, aber es war zu spät. Reema gab ihr den unangerührten Kaffee zurück und begann ihr Make-up aufzulegen.

    In dem Augenblick, als Zina die Verlobungstorte ihrer Schwester erblickte, verspürte sie den wilden Drang, Jordanien zu verlassen und nach New York zurückzukehren. Die quälende Rastlosigkeit ihrer Glieder, das impulsive Verlangen, sich umzudrehen und kühl und ruhig durch das stille Haus zu schreiten und hinaus durch die riesige Flügeltür, war fast überwältigend. Sie sah sich draußen, sah sich gehen, immer weiter, ihre Schritte fanden einen gleichmäßigen Rhythmus, als sie ihren Weg über die gewundene Privatstraße nahm, die den Privathügel hinabführte und in die dunkle Umgebung der jordanischen Landschaft. Zu ihrer Rechten würde sie die Lichter von Amman sehen, die aus der Ferne verführerisch winkten; sie würde den Blick heben und die verblüffend weiße Reinheit der Sterne sehen, die in den ebenholzschwarzen Himmel gestanzt waren, bewacht von einem sichelscharfen Wüstenmond.

    Zina setzte sich in ihrem Bett auf. Sie war genervt von sich selbst, weil sie am liebsten vor Talas Party geflüchtet wäre, und vor allem war sie genervt von der Torte. Bis zu dem Moment, als sie die Gardinen aufgezogen und gesehen hatte, wie das kitschige Monstrum durch den Garten hereingebracht wurde, hatte sie sich erfolgreich eingeredet, dass sie froh war, zu Hause zu sein. Ihre scheinbare Zufriedenheit ging auf ihre eigenen Kosten und basierte auf grundlegender psychologischer Trickserei. Sie wusste, dass sie geschickt darin war, eine romantische Nostalgie für Dinge wie Jasminbäume, den Duft geräucherter Auberginen, ja selbst die alternden Gesichter ihrer Eltern zu entwickeln. Aber das war eine Ausgeburt ihrer Phantasie, eine ausgeklügelte Struktur, die ihr half, einen Abend an diesem Ort zu überstehen, eine Woche, einen Monat, ohne einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Goldener Zuckerguss! Wer in Gottes Namen war auf goldenen Zuckerguss gekommen? Die Torte sah aus, als wäre sie aus Metall – als hätte man sie mit Autolack eingesprüht, und sie verkörperte alles, was Zina am Nahen Osten hasste. Ihr protziges, künstliches Aussehen, ihr vermutlich giftiger Geschmack.

    Und dann die Sache mit dem Kleid. Über das Fußende des Bettes war ein scheußliches goldenes Ding drapiert. An die Schulter des Kleides war eines der steifen goldgeränderten Notizkärtchen ihrer Mutter geheftet. In Reemas blumiger Handschrift standen darauf die Worte: »Kein Schwarz! Es ist ein Verlöbnis, kein Begräbnis. Mama.« Sie konnte sich gut vorstellen, wie ihre Mutter sich noch stundenlang selbst beglückwünschte, nachdem sie diese lustige Botschaft ersonnen hatte. Erbost riss Zina die Nachricht ab und warf sie in den Papierkorb. Während sie das Kleid gramerfüllt betrachtete, wurde ihr klar (und nicht zum ersten Mal), dass ihre Mutter sie offenkundig hasste. Eine Träne des Selbstmitleids erschien in Zinas Augenwinkel, als sie noch etwas viel Gravierenderes feststellte: nämlich dass ihr Kleid offenbar passend zur Verlobungstorte ausgesucht worden war. Der Schnappschuss einer früheren Verlobungstorte, eine smaragdgrüne spiralförmige Kreation – war es Talas erste gewesen? –, schoss ihr durch den Sinn und daneben ihre Mutter, ein wenig jünger, in einem leuchtend grünen Kleid von Yves Saint Laurent und mit passendem Lidschatten, was damals, in dem generell überladenen Stil jener Zeit, gar nicht so unelegant gewirkt hatte.

    Sie holte tief Luft und versuchte die leichte Übelkeit, die sie plötzlich überkam, zu verscheuchen. Sie unternahm eine bewusste Anstrengung, sich nicht an die anderen Torten zu erinnern, an die anderen Partys, die gelösten Verlöbnisse, die verzweifelten Verlobten, die zerstrittenen Familien. In einer knappen Woche würde sie wieder an ihrer Universität in New York sein und einen guten Monat Zeit haben, sich zu erholen, bevor sie zur Hochzeit würde zurückkehren müssen. Inzwischen begann sie in Gedanken all die Dinge aufzuzählen, die ihr helfen würden, den Abend zu überstehen, ohne sarkastisch zu werden oder in mürrisches Schweigen zu versinken. Ganz oben auf der Liste stand das Wissen, dass sie nicht einen Bissen dieser Verlobungstorte würde essen müssen. Wenn das Unglück brachte, sei’s drum. Sie hatte drei Mal zuvor von der Verlobungstorte gegessen, und nicht eines der Verlöbnisse hatte gehalten. Doch einen Augenblick später kam ihr der Gedanke, dass das vielleicht Glück gewesen war. Sie lächelte leicht und ging ins Bad.

    »Sind das sieben Millimeter?«

    Lamia wartete hinter den breiten Schultern ihres Gatten darauf, selbst einen Blick in den Spiegel werfen zu können. Nun trat sie vor und sah auf das Lineal, das er benutzte, um zu messen, wie weit sein Einstecktuch aus der Brusttasche seines Smokings herausschaute. Sie nickte. Kareem ließ das Lineal sinken und wandte sich zufrieden ab.

    »Ich hoffe bloß, dass dies die letzte Verlobungsfeier ist, die dein Vater für deine Schwester ausrichten muss.«

    Lamia versuchte angestrengt, sich auf ihr Abbild in dem blankpolierten Spiegel zu konzentrieren. Sie zupfte ihre Halskette zurecht und registrierte zufrieden, wie diese das elegante Saphirblau ihres Abendkleides unterstrich. Doch Kareem machte sich an seinen tadellos aufgeräumten Schrankfächern zu schaffen; er überprüfte, ob die Spitzen der Krawatten auch wirklich eine Linie bildeten, malträtierte die perfekt ausgerichteten Reihen seiner Socken, malträtierte sie.

    »Der arme Mann«, sagte er und schnalzte mit der Zunge.

    »Ihm macht das nichts aus«, entgegnete Lamia.

    »Natürlich macht es ihm was aus. Er ist nur großherzig genug, es nicht zu zeigen. Aber dass ein Mann seines Standes eine derartige Beschämung …«

    Lamia schloss einen Moment die Lider, um die Stimme ihres Mannes auszublenden. Dann öffnete sie die Augen wieder und warf ihrem Spiegelbild ein knappes Lächeln zu, bevor sie sich an Kareem wandte.

    »Wie sehe ich aus?«, fragte sie.

    Kareems langbewimperte Augen glitten über ihre Gestalt, und einen genussvollen Moment lang war Lamia sich ihrer Schönheit bewusst.

    »Du könntest deine Schultern ein wenig mehr bedecken.«

    Sie sah an sich herab. »Mir ist nicht kalt.«

    »Es schickt sich nicht.«

    Die Musik, in die sich das Geplauder der ersten Gäste mischte, verfolgte Tala, als sie in den Garten hinunterging, der an diesem Abend mit Hunderten von Lampions und Laternen geschmückt war. Sie warfen einen weiten Lichtkreis auf die mit gestärktem Leinen gedeckten Tische und die offenen Festzelte. Jenseits des Lichtzirkels erstreckten sich saftige Rasenflächen (Reema hatte auf der Installation eines komplizierten, horrend kostspieligen hochmodernen Bewässerungssystems bestanden, um die erbarmungslos hereindrängende Wüste ein für allemal zu besiegen) mit hie und da gezielt platzierten Springbrunnen, Pfaden und der einen oder anderen antiken Skulptur, die dem Anlass entsprechend illuminiert war. Tala hielt sich im Schatten und sah sich um. Sanft schimmerndes Kerzenlicht, Musik, die das Crescendo und Descendo plaudernder Stimmen wellenförmig umspülte, exquisite Abendkleider aus eleganten Stoffen an langen schmalen Körpern und Geschmeide, die auf sonnengebräunter olivfarbener Haut funkelten. Butler und Kellnerinnen in gestärktem Weiß und raschelndem Schwarz, die sich geschäftig unter den farbenprächtigen Frauen und festlich gekleideten Männern bewegten. Tala wusste, dass ihre Eltern sich selbst übertroffen hatten. Sie war überrascht gewesen, dass sie – in Anbetracht ihrer fragwürdigen Vorgeschichte – auch diesmal eine Party vorgeschlagen hatten, aber dann hatte sie ziemlich schnell begriffen, dass ihre Mutter vorhatte, diese vierte und letzte Verlobung zu benutzen, um die verbliebene Schande, die Blamage der anderen drei vergessen zu machen. Reema hatte ein Fest organisiert, das die Unterstützung, die ihre älteste Tochter von ihrer Familie erhielt, geradezu hinausposaunte, damit auch ja niemand übersah, dass dieser letzte Bräutigam die drei vorherigen wohlhabenden Erben, denen Tala zuvor versprochen worden war, noch weit

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